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Graue Zeiten – Bunte Seiten

Das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der LMU München verkündete am 19. Januar den offiziellen Start seiner Online-Ausstellung „Graue Zeiten – Bunte Seiten. Deutschsprachige Kinder- und Jugendbücher im sozialistischen Rumänien“. Sie wurde in der Deutschen Digitalen Bibliothek (www.deutsche-digitale-bibliothek.de) veröffentlicht.

Das sozialistische Rumänien hat eine für den ehemaligen Ostblock einmalige liberale Minderheitenpolitik betrieben. So konnten in den Jahren 1949-1989 rund 1300 Buchtitel für Kinder und Jugendliche in deutscher Sprache erscheinen. Diese Erkenntnis ist der von Annemarie Weber, Petra Josting und Norbert Hopster im Jahr 2004 herausgegebenen Bibliographie „Rumäniendeutsche Kinder- und Jugendliteratur 1944-1989“ zu verdanken, die sich als unverzichtbare Quelle für die Erforschung der vielgestaltigen deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur aus Rumänien erweist. 

Trotz des Konformitätsdrucks – die Kinder- und Jugendliteratur sollte die junge Generation in erster Linie im Geiste des Sozialismus erziehen – und einer notorischen Mangelwirtschaft entstand im Zusammenspiel vieler Beteiligten (Autoren, Illustratoren, Verleger, Buchhändler, Rezensenten, Lehrer) ein genremäßig, thematisch und künstlerisch bemerkenswert reichhaltiges Angebot an Kinder- und Jugendbüchern. Die Ausstellung zeigt eine repräsentative Auswahl daraus. Sie beschreibt die Umstände, unter denen deutschsprachige Bücher in Rumänien erscheinen konnten, und zeigt auf, wie sich Inhalt und Form der Kinder- und Jugendbücher im Laufe der Jahrzehnte unter sich wandelnden politischen Vorzeichen entwickelt haben, wie sich die Zensur auf den Inhalt und wie sich die Materialknappheit auf die Produktion der Kinder- und Jugendbücher ausgewirkt hat. Zudem gibt sie Auskunft über die Autorinnen und Autoren wie auch die Illustratorinnen und Illustratoren der Bücher.

Kuratiert wurde das Ausstellungsprojekt von Birgit Fernengel. Die gebürtige Mediascherin absolvierte ein Studium der Bibliothekswissenschaft, Germanistik und Kunstgeschichte in Erlangen und Köln und arbeitete anschließend im Bibliothekswesen in Karlsruhe und München. Seit 2017 ist sie ehrenamtliche Mitarbeiterin in der Bibliothek des IKGS, die einen großen Bestand an Kinder- und Jugendliteratur des Jugendverlags sowie der in den Jahren 1969/1970 neu gegründeten Verlage Kriterion, Ion Creangă, Dacia und Facla besitzt. Die Idee zu dieser Ausstellung entstand während des Projekts „Gelesen, geliebt, gesichert. Massenentsäuerung und konservatorische Sicherung von (Kinder-)Büchern der deutschsprachigen Minderheit im sozialistischen Rumänien“. Zahlreiche Kinderbücher, die im Rahmen dieses Projekts restauriert wurden, konnten nun in der Ausstellung präsentiert werden. Hinzu kamen Leihgaben der Internationalen Jugendbibliothek München, des Hauses des Deutschen Ostens in München, der Siebenbürgischen Bibliothek in Gundelsheim sowie aus Privatbesitz. Über Idee, Hintergründe und Konzept der Ausstellung spricht IKGS-Direktor Dr. Florian Kührer-Wielach mit der Kuratorin Birgit Fernengel in der 12. Folge des Podcasts „Donauwellen. Der Südostcast“. Angehört werden kann der Podcast auf mehreren Plattformen, darunter Spotify und YouTube.

Anhand von nahezu 100 ausgewählten Titeln zeigt die Ausstellung die Bandbreite der Kinder- und Jugendliteratur im sozialistischen Rumänien: Bilderbücher, Märchenbücher, Tiergeschichten, Abenteuerromane für Jugendliche, Sachbücher für Kinder und Jugendliche, Begleitbücher für Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen und Lehrer u.v.m. Neben Büchern von rumäniendeutschen Autorinnen und Autoren kamen auch Übersetzungen, insbesondere aus dem Rumänischen und dem Ungarischen, beziehungsweise die Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur auf den Markt. Ein Ausblick auf die Zeit nach 1989 rundet die Ausstellung ab.

Der virtuellen Präsentation ist eine Einführung vorangestellt, die die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur in Rumänien in ihren historischen und gesellschaftlichen Kontext stellt. Die Ausstellung gliedert sich in zwölf Themenbereiche, in die jeweils ein kurzer Text einführt. Zu den Präsentationselementen der Exponate zählen der Buchdeckel, bibliografische Angaben, eine kurze Inhaltsangabe, ausgewählte Seiten aus dem Buch mit Texten und/oder Illustrationen, Zitate aus in der rumäniendeutschen Presse erschienenen Rezensionen, Kurzbiografien der Autorin/des Autors beziehungsweise der Illustratorin/des Illustrators. Bei Letzteren handelt es sich um namhafte zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler aus Rumänien, die mit der Illustration der Bücher beauftragt worden waren. In die Präsentation mit eingebaut sind kurze Videofilme, in denen Sieglinde Bottesch, Brigitte Mrass und Karin Gündisch von ihrer Arbeit und ihren Erfahrungen mit Kindern und Kinderbüchern erzählen. Ebenso Audiodateien, in denen Mundarttexte aus den vorgestellten Büchern auf Banater Schwäbisch (Lotte Petendra) beziehungsweise auf Siebenbürger Sächsisch (Rosel Potoradi) sowie Auszüge aus dem Kinderbuch „Der Pinguin Apollodor“ von Gellu Naum (erschienen 1982 in der Übersetzung von Rolf Bossert, vorgelesen von Andreas Neumann) zu hören sind. 

Die virtuelle Präsentation endet mit der Liste der ausgestellten Bücher, einer Konkordanz der Ortsnamen, einem Dank der Kuratorin an alle Personen und Institutionen, die ihr bei der Realisierung des Ausstellungsprojekts behilflich waren, sowie einer Kurzbiografie von Birgit Fernengel.  

Das IKGS und die Kuratorin laden die Angehörigen der Erlebnisgeneration ein, Teil der virtuellen Ausstellung zu werden, zumal deren Thema auch emotional berührt: Wer erinnert sich nicht gerne an die Bücher der Kindheit und Jugend, an die Geschichten und Illustrationen, die die „grauen Zeiten“ des kommunistischen Rumänien ein wenig bunter gemacht haben? Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sind aufgerufen, ihre Erinnerungen an ihre liebsten rumäniendeutschen Kinder- und Jugendbücher in dieser Epoche als Text, Audio-oder Videoaufnahme an kinderbuchausstellung@ikgs.de zu schicken. Eine Auswahl der Erinnerungen wird dann als Zeitdokument auf der Ausstellungsseite veröffentlicht.