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Stefan Hell mit dem Werner-von-Siemens-Ring ausgezeichnet

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und die Stiftungsratsvorsitzende Cornelia Denz überreichten Stefan Hell den Werner-von-Siemens-Ring. Fotos: Lars Hübner

Der Werner-von-Siemens-Ring, der seit 2016 verliehen wird, gilt als die höchste deutsche Auszeichnung für Persönlichkeiten, die durch ihre Leistung technische Wissenschaften wesentlich vorangebracht oder als Forschende neue Wege erschlossen haben.

Am 13. Dezember 2022, dem 206. Geburtstag des Unternehmers und Erfinders Werner von Siemens (1816-1892), wurden der 40. und 41. Werner-von-Siemens-Ring verliehen. Zum einen an Prof. Dr. Stefan Hell vom Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen für die Entwicklung der Nanomikroskopie, die den Blick auf die molekulare Ebene in lebenden Zellen erlaubt. Zum anderen an das BioNTech-Team bestehend aus Prof. Dr. Christoph Huber, Prof. Katalin Karikó, PhD, Prof. Dr. Uğur Şahin und Prof. Dr. Özlem Türeci für die Erschließung der mRNA-Technologie, die damit ein neues Zeitalter der medizinischen Praxis eröffnet haben.

Der Festveranstaltung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften wohnten unter anderen der Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil, die Botschafterin Rumäniens in Berlin Adriana Stănescu, Präsidenten von Universitäten, Leiter von Forschungseinrichtungen und -gemeinschaften, Vertreter der Stiftung Werner-von-Siemens-Ring und Mitglieder des Stiftungsrates, Mitarbeiter und Familienangehörige der Preisträgerinnen und Preisträger bei.

Die Verleihung des Werner-von-Siemens-Rings sei „ein Highlight in der Preislandschaft“, sagte Prof. Dr. Cornelia Denz, seit 2022 Präsidentin der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig und damit neue Stiftungsratsvorsitzende der Stiftung Werner-von-Siemens-Ring, in ihrer Begrüßungsansprache. „Sie reiht sich ein als gefühlter Nobelpreis der Technik in die vorderste Reihe derjenigen Preisverleihungen in Deutschland, die zukunftsweisende Innovationen auszeichnen.“ Denz stellte den Leitgedanken der Stiftung in den Mittelpunkt ihrer Rede: Mit innovativer Forschung die Welt gestalten, in der wir leben wollen und zitierte Werner von Siemens mit den Worten: „Wer neu denkt und anders denkt, kann die Welt verändern.“ Die heute für ihre bahnbrechenden Leistungen zwischen naturwissenschaftlicher Forschung und technologischer Anwendung und deren Translation in die Industrie Ausgezeichneten „haben damit wahrlich die Welt verändert“, so Denz. „Sie haben eigentlich geradezu vorbildlich in hochaktuellen Themenfeldern mit den von Ihnen entwickelten Erfindungen die über-lebenswichtigen Lösungen für die Gesellschaft gefunden, nicht nur in kürzester Zeit, sondern auch genau in der richtigen Zeit. Und der Werner-von-Siemens-Ring darf bei Ihren Erfindungen ganz zu Recht Nobelpreis der Technik genannt werden“, sagte die Stiftungsratsvorsitzende.

„Mit technischen Innovationen gestalten wir die Welt, in der wir leben wollen. Und dafür brauchen wir Menschen wie unsere Preisträgerinnen und Preisträger, Menschen, die bereit sind, neue Wege zu gehen und die Welt zum Besseren zu verändern“, hieß es in dem anschließend vorgeführten kurzen Animationsfilm über die Errungenschaften der Geehrten. Mit Forschungsgeist, Unternehmertum und Verantwortung seien sie neue Wege gegangen wie Werner von Siemens zu seiner Zeit. „Stefan Hell hat mit der Nanomikroskopie einen Weg gefunden, lebende Zellen mit nie dagewesener Genauigkeit zu untersuchen. Die kleinsten Vorgänge unserer komplexen Welt werden so auf molekularer Ebene sichtbar. Und das BioNTech-Quartett habe ein neues Zeitalter der Medizin begründet. „Mit ihrer Forschung an mRNA haben sie einen neuartigen Wirkstoff mit enormem Potential bei Infektionskrankheiten und der Krebstherapie erschlossen.“ In beiden Fällen sei die unternehmerische Umsetzung eine Pionierleistung gewesen.

Die wirklich großartigen, ja revolutionären Leistungen der ausgezeichneten Forscherinnen und Forscher wurden auch von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gewürdigt. „Sie haben Geheimnisse der Natur entschlüsselt und sind vorgedrungen in bisher nicht bekanntes Terrain (...), sei es auf dem Gebiet der Mikroskopie oder der mRNA. Sie haben Zeit, Kraft und Geld investiert und das ohne Garantie auf Erfolg. Und ja, sie haben wahrscheinlich auch Rückschläge ertragen und sie waren mutig und ausdauernd. Von diesem Engagement profitieren wir heute alle“, so der Minister in seinem Grußwort. „Innovationen machen uns stark für die Zukunft, aber sie machen uns eben auch stark in Krisen.“ Dies sei uns allen in der Pandemie bewusst geworden. Forschung brauche Mobilität und Vielfalt und dies müsse sich in der Gesetzgebung zur Einwanderung widerspiegeln, forderte Hubertus Heil. 

In den Laudationes stellten Wegbegleiter der Preisträgerinnen und Preisträger die herausragenden Forschungsleistungen heraus und würdigten das unternehmerische Geschick, mit dem die neuen Werner-von-Siemens-Ringträger dafür Sorge tragen, dass ihre wissenschaftlichen Durchbrüche in der Breite Wirkung entfalten und der Fortschritt bei den Menschen ankommt. Die Laudatio für das BioNTech-Team hielt der Schweizer Immunologe Prof. Dr. Hans Hengartner von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, jene auf Stefan Hell Prof. Dr. Patrick Cramer, geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts für Multidisziplinäre Naturwissenschaften Göttingen und künftiger Präsident der Max-Planck-Gesellschaft.

„Es braucht schon einiges an Chuzpe, um das alte Abbe-Limit in Frage zu stellen. Immerhin legte diese Formel seit über einem Jahrhundert die Auflösungsgrenze fest: Unterhalb der halben Wellenlänge des Lichts geht nichts mehr. Spätestens bei 0,2 Mikrometer Trennschärfe ist Schluss. Das wollte Stefan Hell nicht akzeptieren. Er hinterfragte die alte Formel und entwickelte seine eigene Idee. Nur wenige Kollegen glaubten an den jungen Mann und vielleicht sogar mehr an seine Motivation als an die Idee“, führte Professor Cramer in seiner Laudatio aus. Hell habe trotzdem an seiner Lebensvision, die Auflösungsgrenze der Mikroskopie zu durchbrechen, festgehalten. Jahre später sei für alle sichtbar geworden, dass seine Idee trägt. Er hatte aus dem Mikroskop ein Nanoskop gemacht und eine Methode namens STED (Stimulated Emission Deple-tion) entwickelt, die es ermöglicht, Objekte im Nanometerbereich zu unterscheiden (ein Nanometer ist ein Millionstel Millimeter). Der Durchbruch habe eine Aufbruchstimmung ausgelöst, so Cramer. Stefan Hell „gründete Firmen, bot die neue Technologie an, er transformierte weltweit die Arbeit unzähliger Biologen, Mediziner, Materialforscher und Neurowissenschaftler“.

Der Laudator weiter: „Als Stefan Hell vor acht Jahren den Nobelpreis vom schwedischen König entgegennahm, da hätte er zu Recht sagen können: That's it! Doch weit gefehlt! Inzwischen hat er sich selbst übertroffen. Mit dem MINFLUX-System hat seine Arbeitsgruppe andere Methoden sprichwörtlich in den Fluoreszenzschatten gestellt. Das scheinbar Unmögliche wurde Realität. Sein Team dringt in den atomaren Bereich vor. Bald schließt sich die Auflösungslücke zwischen Licht- und Elektronenmikroskopie. Stefan Hell hat das begonnen und, da bin ich mir sicher, er will es auch zu Ende führen.“

Vor und nach dem Nobelpreis habe Hell viele weitere Ehrungen erfahren, so Professor Cramer. Der Werner-von-Siemens-Ring stelle aber etwas ganz Besonderes dar, denn mit ihm werde eine ganz andere Facette seines Schaffens beleuchtet: sein Engagement für den Wissenstransfer. Der Siemens-Ring würdige insbesondere, dass es ihm gelungen sei, seine wissenschaftlichen Erkenntnisse auch zur Anwendung zu bringen.

Nach der Ringübergabe durch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil stellten Özlem Türeci und Stefan Hell – stellvertretend für ihr gesamtes Forschungsteam – in kurzen Präsentationen die von ihnen vollbrachte Innovation dar.

Stefan Hell schilderte, wie es ihm mit der Entwicklung der STED-Mikroskopie gelungen ist, die von Ernst Abbe formulierte Auflösungsgrenze von 200 Nanometern, die durch das 20. Jahrhundert hinweg als unumstößlich galt, zu überwinden. Die Idee ist während seines Aufenthalts an der Universität Turku in Finnland entstanden, 1994 hat er das Prinzip der STED-Mikroskopie theoretisch publiziert, später konnte er am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie seine Idee experimentell bestätigen. Mit seinem Verfahren hat Hell als Erster gezeigt, dass die Auflösung eines Lichtmikroskops nicht – wie man vorher dachte – fundamental begrenzt ist, sondern im Fall der Fluoreszenzmikroskopie prinzipiell bis auf Molekülgröße gesteigert werden kann. Durch das superauflösende STED-Mikroskop ist es möglich zu beobachten, wie Proteine auf der Nanoskala in der Zelle angeordnet sind und wie diese aufeinander wirken. Dafür erhielt Stefan Hell viele Preise und als Krönung im Jahr 2014 zusammen mit zwei amerikanischen Forschern den Nobelpreis für Chemie.

Das STED-Verfahren erreichte eine Auflösung von 20 Nanometern. „Mein Ziel war, die maximale Auflösung von einem Nanometer zu bekommen“, so Hell. Da die von ihm und von den beiden amerikanischen Forschern entwickelten Verfahren auf dem gleichen Prinzip basierten, kombinierte er deren Stärken und entwickelte neue Lichtmikroskopie-Methoden: MINFLUX und MIN-STED. Diese haben die Auflösung noch einmal deutlich gesteigert und in den Bereich der Molekülgröße von etwa einem Nanometer gebracht. Ebenso einzigartig sind die hohe räumliche Genauigkeit und gleichzeitige Geschwindigkeit, mit der einzelne Moleküle verfolgt werden können. Die MINSTED-Nanoskopie ist zehnmal präziser und hundertmal schneller als bisher.

Stefan Hell fasste zusammen: „Eine hundertfache Auflösung ist heute möglich. Aber der Schatz, der sich damit auftut, ist noch nicht gehoben. Es gibt sicher ein bisher nicht erkanntes Potential in vielen Bereichen der Biochemie, der Medizin, vor allem in der personalisierten Medizin, und in der Pharmaentwicklung. Das macht die Sache so spannend. Deswegen: Nicht ‚That's it!‘, sondern ‚This is the beginning!‘“

Nathalie von Siemens beschloss den Abend als Vertreterin ihrer Familie und stellte die Errungenschaften der Preisträgerinnen und Preisträger in die Tradition ihres Ur-Ur-Großvaters Werner von Siemens als Vorbild eines Forschers, der auf unternehmerischem Weg Fortschritt zu den Menschen bringt.