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„Kunst am Strom“ – eine Ausstellung für das 21. Jahrhundert

Wenn man dazu bestimmt ist, ein großer und genialer Maler zu werden, muss man von klein auf in diesem Sinne erzogen werden.
Albrecht Dürer (1471-1528)

Als ich gebeten wurde, einige Worte über die große Ausstellung „Kunst am Strom“ zu schreiben, die von Swantje Volkmann (Ulm) und Márton Méhes (Wien) koordiniert wird, erinnerte ich mich daran, wie mein guter Freund Alan Jones (1949-2021) seine Texte einführte. Der amerikanische Dichter, Kunstkritiker und Kurator leitete seine Werke meist mit einem Zitat ein. Ich habe nicht zufällig dieses Zitat des großen deutschen Renaissance-Künstlers Albrecht Dürer gewählt, dem ich voll und ganz zustimme. Allerdings stelle ich mir die Frage, was auf die Lehrjahre eines jungen Künstlers folgt. Denn heute scheint es nicht mehr auszureichen, nur Dürers Rat zu befolgen. Wenn man nicht die Chance erhält, auf einer breiten internationalen Bühne zu agieren, wird es vermutlich schwierig sein, zu Größe und Meisterhaftigkeit aufzusteigen.

Die Ausstellung „Kunst am Strom“ ist für die teilnehmenden Künstler ein Sprungbrett: Sie macht sie sichtbarer und bietet ihnen die Gelegenheit, sich mit anderen Künstlern und Kuratoren, Galerien und Museen auszutauschen. Diese Begegnung zwischen 24 Künstlern und acht Kuratoren aus acht Ländern stellt mehr als eine einfache Ausstellung dar. Es ist eine europäische Vereinigung der Künstler, die von Haus zu Haus, also von Land zu Land, die besten Kunstwerke dieser einzigartigen Familie vorstellen. Es ist eine unbeschreibliche Freude, wenn man die Gelegenheit bekommt, diese vielfachen Talente und die Diversität der Ideen zu beobachten, welche die nahen oder entfernteren Mitglieder der eigenen Familie mitbringen. Diese Ausstellung zeigt, wie wichtig die kulturellen Eigenheiten der Donauländer sind und was für einen Gewinn das Zusammenspiel dieser Kulturen entlang der Geschichte für die gesamte Welt darstellt. 

Die Künstler, die an dieser Wanderausstellung teilnehmen, wurden nicht per Zufall ausgewählt. Sie wurden sorgfältig von einem Kurator aus der Kunstszene des eigenen Landes ausgesucht. Ausschlaggebend dabei war der Wunsch, Künstler aus zwei Generationen zusammenzubringen.

Laut der internationalen Plattform Artfacts bilden Rudolf Sikora, Constantin Flondor und Oto Hudec die Top drei der vorgestellten 24 Künstler, was aber nicht bedeutet, dass die anderen 21 weniger vorzeigbar sind. Jeder von ihnen bereichert die Ausstellung mit einzigartigen Ideen und Werken, die sich vielfältiger Techniken bedienen, von experimenteller Fotografie bis hin zu Video oder Performance. Ihre Kunst thematisiert die Sinnfindung in unserer Welt. Malerei fehlt natürlich auch nicht in dieser Auswahl.

Der bulgarische Kurator Bozhidar Boyadzhiev stellt Werke der Künstler Silvia Gancheva und  Yulian Stan-kulov vor, in denen sie den Alltag unverblümt und unverfälscht nachmalen - alltägliche Bilder, die wir meist mit unserem Smartphone einfangen. 

Der serbische Kurator Andrea Palašti stellt zwei Künstler vor, Nikola Džafo und Adrienn Újházi, die sich auf eine visuelle und haptische Erkundungsreise begeben, indem sie sich als moderne Alchemisten versuchen und mit chemischen Substanzen experimentieren. 

Die kroatische Kuratorin Vlatka Novak entführt in die unendlichen Farbwelten von Vladimir Frelih, die einen zu verschlingen drohen. Zudem entschied sie sich für die Performance-Fotografie von Ana Petrović, welche eine mysteriöse Umgebung schafft, indem sie in ihren Bildern die Personen inmitten urbaner Landschaften marginalisiert.

Der ungarische Kurator Péter Somody schafft es thematisch, trotz der Auswahl von Zeichnung, Textil und Malerei, ein einheitliches Ganzes zu erzielen. Was die drei Künstler Sándor Imreh, Flóra Pertics und Péter Somody vereint, ist die visuelle Atmosphäre, die sie durch die Verwendung einer bildhaften Sprache sowie die Auswahl der Farben oder Nichtfarben schaffen.

Der slowakische Kurator Nikolas Bernath hat mit Rudolf Sikora und Oto Hudec zwei berühmte Künstler ausgewählt, welche dichterische Bilder schaffen, die von aktuellen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Themen inspiriert sind.

Die österreichische Kuratorin Olivia Jaques hat für die Ausstellung die experimentelle Gruppe Contact Zone sowie die Künstler Helena Eribenne, Berenice Pahl, Bettina Kattinger und Brigida Zuberi ausgewählt, deren Bilder und Stop Motion-Projekte von Expressivität strotzen.

Die deutsche Kuratorin Franziska Degendorfer wählte die Künster Birgit Brandis, Jörg Baier und Corinne Chotycki aus, deren Gemeinsamkeit die abstrakte, aus dem Zwischenspiel von Farbeffekten inspirierte Atmosphäre sowie die minimalistische, synthetische Komposition ist.

Ich wählte als rumänischer Kurator fünf Künstler aus: Constantin Flondor, Andrei Rosetti, Ciprian Bodea, Cosmin Frunteș und Sorin Scurtulescu. Sie schaffen Werke in verschiedenen Techniken und künstlerischen Umgebungen und arbeiten wie in einem Labor zusammen, was durch ihre Mitgliedschaft in den Künstlergruppen 111, SIGMA, PROLOG, NOIMA in den Jahren 1966-2021 ermöglicht wurde.

Die Auseinandersetzungen, das Zusammenspiel, die Begegnungen, Freundschaften und konstruktiven Beziehungen, die aufgrund dieser Ausstellungen mit unterschiedlichen Stationen in den acht teilnehmenden Ländern aufgebaut wurden, bewirken ein ansteckendes Gefühl von Freude und führen dazu, dass man sich erneut in die kulturellen Werte Europas verliebt.
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Sorin Scurtulescu, Kurator für Rumänien bei dem Projekt „Kunst am Strom“, wurde 1979 in Temeswar geboren. Er studierte Bildende Kunst in 
Temeswar, Sunderland (Großbritannien) und Rom (Italien) und schloss seine Promotion 2009 ab. Die Werke des Malers, der Mitbegründer der Künstlergruppe NOIMA ist, waren und sind in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen. Dieses Jahr vertrat er Rumänien auf der Weltausstellung in Dubai. Er gilt als ausgezeichneter Kenner der internationalen Kunstszene.