zur Druckansicht

Ein biblisches Oratorium für Temeswar

Die Temeswarer Philharmonie „Banatul“ führte unter der Leitung von Dr. Franz Metz das Oratorium „Die Könige in Israel“ von Wilhelm Franz Speer auf. Foto: Constantin Duma

Wenn die bisherigen Konzerte des Symphonieorchesters und des Chors der Temeswarer Philharmonie, bedingt durch die strengen Restriktionen der Pandemie, gewöhnlich mit kleineren Besetzungen bestritten werden mussten, war es am 4. März dieses Jahres anders: Zur Aufführung kam ein großes, vor 140 Jahren komponiertes vokal-symphonisches Werk und durch den Capitol-Saal der Philharmonie „Banatul“ schien eine hoffnungsvolle Frühlingsbrise zu wehen. 

Es handelt sich um das biblische Oratorium „Die Könige in Israel“, komponiert von Wilhelm Franz Speer. Dieser stammte aus Böhmen, wo er 1823 zur Welt kam. Speer war Absolvent der berühmten Organistenschule in Prag, wo auch der berühmte böhmische Komponist Antonín Dvořák studieren sollte. Er begann seine musikalische Tätigkeit 1855 in Lugosch als Klavierlehrer und ließ sich im Jahr 1857 in Temeswar nieder, wo er bis 1893 wirkte. Nur wenige Jahre später wurde er zum Domorganisten ernannt und dann zum Domkapellmeister. Im Jahr 1893 zog er nach Zadar an die kroatische Adriaküste um, wo er 1898 starb.

Das Jahr 1871 war für Speers musikalische Karriere von großer Bedeutung: Er wurde nämlich zum Domkapellmeister ernannt und ab 21. Oktober 1871 war er neben Heinrich Weidt Dirigent des neu gegründeten Temeswarer Philharmonischen Vereins. Später wird er diesen Chor gemeinsam mit Martin Novacek und Karl Rudolf Karrasz leiten. Der Philharmonische Verein hatte sich zum Hauptziel gesetzt, die Chormusik zu pflegen und vokal-symphonische Werke aufzuführen. So konnten in den folgenden Jahren große Oratorien aufgeführt werden, wie „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn (1880), „Elias“ und „Paulus“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1884 beziehungsweise 1891). Dazwischen erklang am 14. April 1882 Speers eigenes Werk, sein großes Oratorium „Die Könige in Israel“, das er dem Präsidium des Temeswarer Philharmonischen Vereins gewidmet hat. Mit dieser Aufführung feierte Speer gleichzeitig sein 25-jähriges Dienstjubiläum in Temeswar.

Das Oratorium „Die Könige in Israel“ ist das umfangreichste musikalische Werk, das Speer komponiert hat, und das größte dieser Gattung, das im Banat jemals komponiert wurde. Es stützt sich auf das Libretto von Wilhelm Smets aus Aachen, das bereits 1836 für ein gleichnamiges, von Ferdinand Ries komponiertes Oratorium verwendet wurde. Das Thema des Librettos ist dem ersten Buch Samuel aus dem Alten Testament entnommen und bezieht sich auf den Machtwechsel der beiden ersten israelitischen Könige Saul und David. Diesen Stoff hatte Georg Friedrich Händel bereits in seinem Oratorium „Saul“ musikalisch bearbeitet. Wilhelm Franz Speer wollte ein originelles Werk schaffen und versuchte, trotz der in jener Zeit vorherrschenden romantischen Musik, dem durch das Libretto vorgegebene Thema eine eigene Interpretation zu verleihen. Die zahlreichen Chöre stellen den musikalischen Schwerpunkt seines Oratoriums dar und erinnern uns an die Opernmusiken jener Zeit.

Auf Initiative des aus dem Banat stammenden, in München lebenden Musikwissenschaftlers und Organisten Dr. Franz Metz, der Speers Oratorium „Die Könige in Israel“ entdeckt und herausgegeben hat, sollte dieses zu Unrecht vergessene Meisterwerk anlässlich des 150. Jahrestags der Gründung des Temeswarer Philharmonischen Vereins im vergangenen Jahr dem Temeswarer Publikum durch die Philharmonie „Banatul“ wieder präsentiert werden. Doch wegen der Pandemie musste das Jubiläumskonzert mehrmals verschoben werden. Schließlich konnte es Anfang März dieses Jahres stattfinden.  

Am Dirigentenpult stand Franz Metz, der die musikalische Leitung innehatte. Nach einer kurzen, als instrumentale Ouvertüre gestalteten Introduktion folgen die 27 Einzelteile des Oratoriums. Dabei kommen abwechselnd die Chöre der Krieger Davids, der Krieger Sauls, der Philister und der Jungfrauen, die durch Chormeister Iosif Todea einstudiert wurden, und die einzelnen Solopartien zur Geltung: Saul, König der Israeliten (Cristian Ardelean, Bariton), David, von Samuel gesalbter Nachfolger Sauls (George Vîrban, Tenor), Sauls Sohn Jonathan und die Hexe von Endor (Aura Twarowska, Alto), Sauls Tochter Michol (Alina Todea, Sopran), Samuels Geist und Abner, der Feldherr der Krieger Sauls (Claudiu Şola, Bass). Äußerst effektvoll sind die beiden Chöre der Philister (Nr. 12 und Nr. 19), der Doppelchor (Chor der Israeliten und Chor der Philister) am Ende des ersten Teils des Oratoriums (Nr. 14) sowie der mächtige Gesamtchor zum Schluss des Werkes. Von besonderem musikalischem Wert erweisen sich das Quartett des ersten Teils (Nr. 13) und das Quintett im zweiten Teil (Nr. 18), die fast opernhaft anmuten. Die verschiedenen Stimmen bewahren zwar jeweils ihren Charakter, doch verschmelzen sie letztendlich zu einer künstlerischen Einheit in den Duetten, Quartetten und Quintetten.

Es war ein gelungener, einzigartiger Konzertabend mit einer herrlichen Musik, mit guten Solisten und einem ausgezeichneten großen Chor- und Orchesterapparat. Franz Metz hatte bereits in der Vergangenheit in ähnlichen Konzerten dem Temeswarer Publikum Werke bedeutender Banater Komponisten präsentiert – Werke, die zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind und die es verdienen, aufgeführt und bekannt gemacht zu werden. Ein Meisterwerk wie Speers großes Oratorium „Die Könige in Israel“ wäre wahrlich ein Vorzeigeprojekt für Temeswar im Kulturhauptstadtjahr 2023.