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Unbeugsamer Intellektueller und Schriftsteller: Richard Wagner zum 70. Geburtstag

Der Schriftsteller Richard Wagner bei einer Lesung in Bad Vilbel im Jahr 2011. Foto: Horst Samson

Richard Wagner wurde am 10. April 1952 in Lowrin geboren, wuchs in Perjamosch auf, ging von 1976 bis 1971 auf das deutschsprachige Lyzeum in Großsanktnikolaus und studierte danach Germanistik an der Universität Temeswar. Im Frühjahr 1972 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der bekannt gewordenen Autorengruppe „Aktionsgruppe Banat“, als deren maßgeblicher Ideengeber und wichtigster Vertreter er gilt. Nach Jahren der Beobachtung und Bedrängung durch die Securitate reiste Richard Wagner mit seiner damaligen Frau, der späteren Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, in die Bundesrepublik Deutschland aus. Hier setzte er seine schriftstellerische Tätigkeit mit beachtlichen Erfolgen fort. 

Um für Richard Wagner etwas zu seinem 70. Geburtstag zu schreiben, hätte man sich friedlichere Zeiten in Europa und in der Welt, eine in vielen Hinsichten günstigere und freundlichere Lage unseres Landes, der Bundesrepublik Deutschland, wie auch eine bessere gesundheitliche Verfassung des Geehrten gewünscht. Aber wie er – mit viel mehr aufgeklärtem Realismus und abgeklärtem Verstand als die meisten Zeitgenossen – sicherlich weiß, kann man sich weder seine Zeit aussuchen noch viel an deren Verlauf und nicht selten verhängnisvollen Entwicklungen ändern. In wenigen Sätzen kann man sicherlich auch nicht sein umfassendes und eindrucksvolles literarisches, essayistisches und vielfach auch wissenschaftlich reflektiertes Werk überblicken oder würdigen. Man kann allenfalls wenige Grundzüge seines intellektuellen Profils zu erfassen versuchen. 

Richard Wagner erscheint uns stets als aufmerksamer Beobachter wie auch Teilhaber an zwei verschiedenen „Lebenswelten“ und ihres jeweiligen „geistigen Universums“: der östlichen, südosteuropäischen Welt seiner Banater Herkunft und der westlichen, abendländischen Kultur. Dies dürfte auch eine wichtige Voraussetzung sein, sich von diesen zugleich weitgehend zu lösen und ihnen ebenso unvoreingenommen wie kritisch entgegentreten zu können. Mit einem eigenen, unabhängigen und unbestechlichen Blick, wobei natürlich auch das besondere intellektuelle Verhältnis und die Sensibilität des Schriftstellers, des Künstlers, zur Welt für solche geistige Unabhängigkeit grundlegend erscheint. 

Sicherlich nicht alle Schriftsteller verstehen sich in einer solch ausdrücklichen und konsequenten Weise als Intellektuelle oder betätigen sich als solche, wie Richard Wagner dies seit Anfang seiner Schreibtätigkeit tut, das heißt nehmen deutend, sinngebend und kritisch wertend am aktuellen kulturellen, sozialen und politischen Weltgeschehen teil. Solche intellektuelle Stellungnahme liegt der schriftstellerischen und künstlerischen Tätigkeit zwar nahe, ergibt sich daraus aber keineswegs zwingend, denn nahezu jede intellektuelle Betätigung setzt den Künstler, vor allem in einem kommunistischen Herrschaftssystem, zusätzlichen Bedrohungen aus und gefährdet ihn in der einen oder anderen Weise, wenn er sich auf das umstrittene Gebiet politischer oder moralischer „praktischer Bewertungen“ begibt. 

Richard Wagner zählt ohne Zweifel zu jenen deutschen Gegenwartsschriftstellern, die sich regelmäßig neben ihrer literarischen Arbeit nahezu mit gleicher Vernehmbarkeit und ähnlichem Gewicht auch als Intellektuelle äußern. Dabei fallen seine intellektuellen Stellungnahmen, die sich zunächst schwerpunktmäßig – wenngleich keineswegs ausschließlich – auf Gegebenheiten und Wandlungsprozesse im östlichen Teil Europas bezogen, durch aufmerksame, eindringliche und unbestechliche Beobachtungen, auch wissenschaftlich kaum anfechtbare Sachkenntnis, umsichtige Kritik und ein unverwechselbares, scharfsinniges eigenes Urteil auf. In seinen vielfach ungewöhnlichen Betrachtungsweisen und Bewertungen, die sich nicht nur kritisch verstehen, sondern nicht selten auch im spannungsreichen Dissens zu öffentlich gängigen Meinungen, zum „Zeitgeist“, befinden, zeigt sich die besondere Relevanz und Wirksamkeit seiner intellektuellen Beiträge. 

Richard Wagner entwickelt seine Überlegungen stets im Sinne eines konsequenten Eintretens für die Werte der Demokratie und Freiheit, die sich für ihn nicht nur mit weitgehender intellektueller Unabhängigkeit und Selbstverantwortung des Individuums verbinden, sondern deren Ursprung und Grundlage von ihm auch immer wieder in den historischen und geistesgeschichtlichen Traditionen des abendländischen Rationalismus und der europäischen Aufklärung verortet werden. Insofern sollte das besondere Schicksal Deutschlands, um das es ihm oft hauptsächlich und nachdrücklich geht, auch unverbrüchlich in der westlichen Wertegemeinschaft verankert werden und bleiben, so ein immer wiederkehrendes Motiv und Anliegen seines Denkens. 

Von dieser Grundposition aus erfolgt vielfach eine schonungslose ideologiekritische Auseinandersetzung mit linken Intellektuellen. Der entschiedenen Kritik unterzogen werden dabei Weltuntergangsentwürfe und apokalyptische Denkfiguren, die von zu „Grünen“ gewandelten Linken immer wieder demagogisch und weltfremd in die öffentliche Diskussion geworfen und nicht zuletzt politisch geschickt instrumentalisiert werden und die unseren Wohlstand substanziell bedrohen. Ebenso der Gestus der moralischen Selbstbezichtigung der Deutschen unter Hinweis auf ihre unauslöschliche historische Schuld, der von den sich mit der Opferrolle identifizierenden „linken Moralisten“ zugleich zur eigenen hypermoralischen Sonderstellung und Selbstüberhöhung genutzt wird. In ähnlicher Weise hat das Lagerdenken der „Linken“ sie den Verbrechen der kommunistischen Diktaturen gegenüber weitgehend immunisiert und angesichts verschiedener autoritärer Gefahren blind werden lassen. Die Verharmlosung und die fehlende intellektuelle Auseinandersetzungsbereitschaft mit den diktatorischen Zügen und Verbrechen der kommunistischen Herrschaft, wie auch der dabei erkennbar gewordene politische und gesellschaftliche Realitätsverlust werden von ihm mithin besonders eindringlich und entschieden hinterfragt. Wie Recht hat er doch angesichts der „Zeitwende“, des „Desillusionierungsrealismus“, den wir gegenwärtig, nach dem brutalen Überfall der Ukraine durch Russland erleben. 

Richard Wagner tritt uns stets als ein entschiedener Vertreter der Idee der Freiheit, der individuellen Selbstverantwortung und der geistigen Unabhängigkeit entgegen. Er zeichnet sich durch scharfsinnige Beobachtungen, treffsichere analytische Urteile, klare Standpunkte, geistreiche Assoziationen, kenntnisreiche Überlegungen sowie pointierte Formulierungen und denkwürdige Sprachbilder, mitunter auch durch gelungene Polemik, aus. Seine geistige Durchdringungskraft ergibt sich wohl aus dem doppelten Blickwinkel einer profunden Kenntnis der deutschen Befindlichkeit und Wirklichkeit, einschließlich ihrer historisch-kulturellen Tiefenschichten, einerseits, und der unbefangenen Distanzierungsfähigkeit auf Grund seiner südosteuropäischen Biographie und Erfahrungen andererseits. Beiden Hälften des heute weitgehend freiheitlich-demokratisch geeinten und doch immer noch in vielen Hinsichten auffällig unterschiedlichen und widersprüchlichen Europas, in dem in seiner östlichen Peripherie erneut furchtbare Gespenster der Vergangenheit kriegerisch entfesselt wüten, ist Richard Wagner zugeneigt und zugleich entschieden kritisch verbunden.