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Musik in Lied und Leben - Vor 150 Jahren wurde der Temeswarer Philharmonische Verein gegründet (Teil 1)

Gründungsprotokoll des Temeswarer Philharmonischen Vereins vom 21. Oktober 1871. Gleichwertige Abschriften davon wurden 1995 dem Banater Nationalmuseum Temeswar, der Philharmonie Banatul Temeswar wie auch dem Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm übergeben. © für sämtliche Illustrationen: Südosteuropäisches Musikarchiv, München

August Pummer, Bierhallenbesitzer und erster Vorsitzender des Philharmonischen Vereins

Heinrich Weidt als „Josefstädter Strauss“. Titelseite der Satirezeitschrift „Der Floh“ (Temeswar, Nr. 1, 3. Mai 1870)

Von der Liedertafel zum Philharmonischen Verein

Wenn die mitteleuropäische Chorbewegung bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch die Gründung von vereinsmäßig organisierten Liedertafeln initiiert wurde, kann diese Entwicklung im südosteuropäischen Raum erst nach den revolutionären Ereignissen der Jahre 1848/1849 in breiterem Umfang beobachtet werden. Erst die neuen politischen Voraussetzungen nach 1849 ließen die Gründung von Gesangvereinen nach mitteleuropäischem Muster zu. Eine Vorreiterrolle in diesem Sinne spielte die Chorbewegung in Deutschland und später Österreich, von wo die organisatorische Struktur übernommen wurde.

Durch Kolonisation entstanden an der unteren Donau neue deutsche Kulturzentren neben den bereits bestehenden im Ofner Bergland und in Siebenbürgen. Obzwar die kulturellen Belange der Deutschen von Wien aus gefördert wurden und daher eine gewisse Priorität besaßen, konnten sich in diesem Gebiet auch die Kulturtraditionen der dort lebenden Slawen, Rumänen und Ungarn bewahren und entwickeln. Die deutsche Kultur stellte im Grunde nur einen Bruchteil der Gesamtkultur dieser Region dar. Trotzdem spielte sie eine wichtige Rolle selbst in der Entstehung der nationalen Schulen des 19. Jahrhunderts. 

Die multiethnische und multikonfessionelle Eigenart des südosteuropäischen Raums wurde in den letzten dreihundert Jahren von den Regierungen in Wien, Budapest, Berlin oder Bukarest oft unterschätzt. Die deutsche Kultur, als ein neues Element in diesem trotzdem geordneten mehrsprachigen Raum, übernahm eine Brückenfunktion zwischen den einheimischen Kulturen und jenen Mittel- und Westeuropas. Trotz des politischen Drucks, der aus den Hauptstädten kam, musste die Bevölkerung an der mittleren und unteren Donau die Restriktionen und Gesetze für ihren Alltag auslegen und sie in ihrer Weise anwenden.

Aus diesen Gründen konnten im europäischen Südosten bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts, also noch vor der Gründung des Wiener Männergesangvereins 1843, einzelne Chöre und Liedertafeln entstehen. Liedertafel nannte sich ursprünglich eine gesellige Runde von Liedern dichtenden und komponierenden Kunstfreunden in Nachahmung der Arthusrunde. Zu den ersten Vereinigungen dieser Art zählten Zelters Liederkranz in Berlin 1809, der Stuttgarter Liederkranz 1824 wie auch der Wiener Männergesangverein 1843. 

In Deutschland haben sich nach 1848 mehrere Chöre zu Bündnissen vereinigt: 1849 wurde in Göppingen der Schwäbische Sängerbund gegründet, dem 27 Vereine beitraten; 1862 versammelten sich Abgeordnete von 41 Sängerbünden und gründeten in Coburg den Deutschen Sängerbund. Bis dahin wurden regelmäßig Sängerfeste abgehalten, deren Höhepunkt mit dem Großen Deutschen Sängerfest in Nürnberg 1861 erreicht wurde. Bekanntlich gehörten dazu auch österreichische Gesangvereine an der Spitze mit dem Wiener Männergesangverein. An diesen ersten deutschen Sängerfesten nahmen auch Delegationen Banater und siebenbürgischer Gesangvereine teil. Es gab noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen regen Schriftverkehr zwischen dem Temeswarer Philharmonischen Verein und dem Wiener Männergesangverein. Beide Chöre ernannten Vertreter des verbrüderten Chores zu Ehrenmitgliedern und nahmen an gemeinsamen Veranstaltungen teil.

Eine Spende Liszts für den neuen Musikverein

Der Temeswarer Philharmonische Verein wurde am Abend des 21. Oktober 1871 in der Bierhalle des Temeswarer Bürgers August Pummer gegründet. Dieser stammte aus Österreich, hatte eine ausgebildete Baritonstimme und war in der Stadt bereits mehrmals als Solist aufgetreten. 

Damit entstand der wichtigste Musikverein Südungarns, wie er des Öfteren bezeichnet wurde. Dies war der erste Verein, der in seine Reihen Interessenten sämtlicher in Temeswar lebenden Nationalitäten und Konfessionen aufnahm. Im Vordergrund standen die Musik und die Geselligkeit. Für einige Jahrzehnte wurde der Temeswarer Philharmonische Verein zum wichtigsten Kulturträger dieser Region.

Der Vorgänger dieses Vereins nannte sich Temeswarer Liedertafel. Dieser Gesangverein wurde Anfang der 1840er Jahre gegründet, sein Kapellmeister war kein minderer als Franz Limmer, der Dom- und Theaterkapellmeister der Banater Metropole. Als im November 1846 Franz Liszt in der Stadt mehrere Konzerte gab, spendete dieser einen Teil seiner Gage einigen Institutionen der Stadt, unter anderem auch der Temeswarer Liedertafel. Bekanntlich trat dieser Chor vor dem gefeierten Klaviervirtuosen auf und widmete ihm eine Serenade. Auch Franz Limmer, der Komponist dieser Serenade, wurde dafür gelobt. Doch durch die Wirren der revolutionären Ereignisse der Jahre 1848/1849 musste dieser Chor seine Tätigkeit einstellen. Es wurde beschlossen, das Vereinsvermögen irgendwann dem noch zu gründenden neuen Musikverein zur Verfügung zu stellen. Somit verhalf die großzügige Spende von Franz Liszt zur Gründung des neuen Musikvereins, des Temeswarer Philharmonischen Vereins, am 21. Oktober 1871. 

Mit der Benennung Philharmonischer Verein wollte man auf die Pflege des „philharmonischen“, also mehrstimmigen Gesanges hinweisen. Der Temeswarer Verein bestand aus einem Männerchor, einem gemischten Chor, einem Kammerorchester und einem symphonischen Orchester. Man organisierte regelmäßig Konzerte und lud dazu namhafte Künstler der damaligen Musikwelt nach Temeswar ein.

Durch die beiden Weltkriege und deren Folgen, durch das Schicksal seines Archivs und die ständigen kultur- und geopolitischen Veränderungen der südosteuropäischen Region konnte die Geschichte des Temeswarer Philharmonischen Vereins bis 1989 nicht erforscht werden. Selbst dem namhaften Pädagoge Josef Brandeisz war beim Erstellen seines Buches Temeswarer Musikleben (Kriterion Verlag Bukarest, 1980) nichts über den Verbleib dieses so bedeutenden Archivs bekannt. Er musste auf die Angaben von Desiderius Braun in dessen ungarischem Buch Bánsági Rapszódia (Banater Rhapsodie, Temeswar 1937) zurückgreifen. Erst nach der Wende von 1989 konnte das wertvolle Archiv gesichert, wissenschaftlich ausgewertet und zum ersten Mal eine vollständige Monografie erstellt werden.

Vom Beginn des 21. Jahrhunderts aus betrachtet, erlangt das Archiv des Temeswarer Philharmonischen Vereins eine grenzüberschreitende und europäische Bedeutung. Es verbindet miteinander kulturelle Traditionen und Werte von mehreren Ländern: Rumänien, Ungarn, Serbien, Kroatien, Slowenien, Österreich und Deutschland. Die Auswertung der Dokumente des Temeswarer Philharmonischen Vereins rückt die vielfältigen Kulturtraditionen Südosteuropas in ein neues Licht. Nur durch näheres Kennenlernen der Menschen und der Kultur dieser südosteuropäischen Region kann man diese besser verstehen und schätzen lernen. Der Temeswarer Philharmonische Verein stellt ein Bindeglied zwischen den verschiedenen Kulturen dieses Raumes dar und die Auswertung seines Archivs trägt zum besseren Verständnis dieser vielfältigen Kulturlandschaft bei.

Der erste Kapellmeister des Vereins

Die ersten beiden Chorleiter (Kapellmeister) des Temeswarer Philharmonischen Vereins waren Heinrich Weidt und Wilhelm Franz Speer. Letzterer war bereits eine der bedeutendsten musikalischen Persönlichkeiten des Banats und wirkte als Domkapellmeister. Heinrich Weidt aber war als Kapellmeister am städtischen Theater tätig und bereits ein bekannter Komponist. Er stammte aus Coburg und war bis dahin in vielen Musikzentren tätig: Hamburg, Mannheim, Düsseldorf, Zürich, Kassel, Pest und Olmütz. Besonders in seiner Zeit als Kapellmeister des deutschen Theaters in Pest entstanden mehrere seiner Operetten und Singspiele. 

Heinrich Weidt muss in Temeswar ebenfalls eine geschätzte Persönlichkeit gewesen sein. Grund genug, ihn auf der Titelseite des Satireblattes Der Floh im Jahr 1870 zu bringen. Die erste Nummer dieses Blattes erschien zwar in Temeswar, doch bald musste die Redaktion die Tätigkeit einstellen: Von Wien aus wurde dieses Blatt vorerst verboten. Erst nach einer gewissen Zeit, nachdem das Blatt seine Redaktion nach Wien verlegt hat, durfte es wieder erscheinen. Von dieser ersten Nummer der Zeitschrift Der Floh konnte bisher kein einziges Exemplar entdeckt werden. Es gibt aber davon eine Fotografie aus dem Atelier eines Temeswarer Fotografen, die vor kurzer Zeit bei einem Antiquitätenhändler in London aufgetaucht ist. Über dem Portrait des Kapellmeisters Heinrich Weidt kann man lesen: „Josefstädter Strauss“. Und wahrlich, Weidt und seine Familie wohnten im Temeswarer Stadtteil Josefstadt, in der Laufergasse. Dies erfahren wir aus einem eigenhändigen Brief Weidts an einen deutschen Verleger aus dem Jahr 1870. 

In einer Chronik zur Geschichte des Philharmonischen Vereins wird noch berichtet, dass man sich regelmäßig bei August Pummer getroffen  und gemeinsam aus der Chorsammlung Regensburger Liederkranz gesungen hat. Nachdem man unzählige Male den Chor Die Thräne von Franz Xaver Witt geprobt und gesungen hatte, reifte am selben Abend des 
21. Oktober 1871 der Entschluss, einen neuen Männerchor zu gründen: den Temeswarer Philharmonischen Verein. Seit dann hat man wenigstens einmal jährlich, am Tag des Gründungsfestes, diesen Chor von Witt gesungen. Und noch am selben Abend wurde das Gründungsprotokoll geschrieben und von allen Anwesenden Sängern unterschrieben. Es war die Geburtsstunde einer neuen Zeit für die Banater Musikgeschichte.