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Temeschburger Heimatblatt 2021: 96 Seiten pures Lesevergnügen

2021 ist das zweite Erscheinungsjahr, in dem das Heimatblatt ohne Berichte zum aktuellen Temeswarer Geschehen auskommen muss. Dies ist nicht gewollt, sondern der reiseerschwerenden Pandemie geschuldet. 

Inhaltlich ist das diesjährige Heft – es ist die 32. Ausgabe – ein unglaubliches Lesevergnügen, vielleicht die beste Publikation seit Erscheinen des Blattes. Den Leser erwarten fast 100 Seiten Geschichtliches, Kulturelles, Erlebtes, Kulinarisches und vieles mehr, verfasst in einer fast durchgehend modernen, präzisen Sprache, mit inhaltlich sauberer Gliederung und korrekten Quellenangaben.

In seinem Vorwort weist der Chefredakteur Dr. W. Alfred Zawadzki erneut eindringlich auf die Vergänglichkeit allen Lebens hin – eine keineswegs unbekannte, in Coronazeiten jedoch sehr präsente Erkenntnis – und appelliert eindringlich an die sogenannte Erlebnisgeneration, ihre Erinnerungen mitzuteilen, diese den Nachkommen nicht vorzuenthalten und dadurch der nachfolgenden Generation ein besseres Verständnis für ihre eigene Biografie und ihren Werdegang zu vermitteln. Im Editorial wird der Verstorbenen in der alten und neuen Heimat gedacht und die Landsleute werden dazu aufgerufen, sich ihrer wichtigsten überlebenssichernden Tugenden zu besinnen, um auch in Zeiten der Einschränkungen und des Verzichts auf vieles Liebgewonnene die Lebensfreude und Heiterkeit bewahren zu können. Genügsamkeit, Bescheidenheit und Anpassungsfähigkeit an unbequeme oder sperrige Lebenssituationen waren immer schon wichtige Wesenszüge der Banater deutschen Landsleute.

Interessant, nostalgisch, ganz im Sinne der modernen interaktiven Wissensvermittlung sind Hans Gehls Beitrag „Interethnisches Zusammenleben“ und Hans Finks Artikel „Temeswarer auf tem Matz seiner Hochzeit“. Es werden nicht nur kulinarische Begriffe erläutert, sondern auch gleich die Rezepte mitgeliefert. Die vorgestellten Banater Redensarten, nicht selten frech und immer treffend, sind ebenfalls ein Hochgenuss.

Die Rubriken „Geschichtliches“ und „Erlebtes Temeswar“ sind diesmal nicht ganz klar zu trennen. So gehört der außerordentlich ansprechende Beitrag „Als unsere Heimat aufgehört hat, Heimat zu sein“ von Franz Marschang eher in zweiteres Kapitel, während die Reflexionen „Narben der Erinnerung“ von Yves-Pierre Detemple definitiv sozial-politisch-kulturell so wertvoll sind, dass ihnen ein Ehrenplatz in der historischen Sparte zustünde.

Franz Marschang fängt in dem Auszug aus seinem Buch „Am Wegrand der Geschichte“ die verlorene Stimmung vieler Landsleute vor der Auswanderung treffend ein, wirft Fragen auf und lässt die Leser die melancholische Zerrissenheit diverser Entscheidungen, die sich nicht selten fremd, häufig falsch und immer bedrohlich anfühlten, intensiv spüren.
Yves-Pierre Detemple als Autor für das Heimatblatt zu gewinnen, ist das große Los für dieses Heft. Der Autor ist mit zwei hochinteressanten Beiträgen präsent: „Rebellion auf Timor. Die Abenteuer des Andreas Gebhardt, Kaufmannslehrling aus Temeswar“ und „Narben der Erinnerung. Reflexionen eines Banater Migranten“. Detemple überzeugt durch seine warmherzige Nüchternheit, sein Feingefühl beim Ansprechen sozio-kultureller Wunden, die die Auswanderung und der anschließend einsetzende Identitätsverlust der banatdeutschen Volksgruppe als einheitliche Gemeinschaft hinterlassen haben, sowie durch die klare, moderne, elegante Schreibweise eines zeitgenössischen, gut ausgebildeten Journalisten. Fast nebenbei bekommt der Leser in beiden Beiträgen des Autors interessante historische Details ordentlich strukturiert präsentiert, wobei der Bogen zum Banat immer deutlich erkennbar und sehr gut nachvollziehbar ist. Abgerundet werden die Artikel durch korrekte Quellennachweise der umfangreichen Literatur, die der Autor zweifelsfrei ausführlich studiert hat. 

Historisch ebenfalls interessant ist Peter Mildenbergs Kurzfassung der Banater Geschichte: „Das Banat, Land der Banater Schwaben“. Radegunde Täubers Beitrag „Alte Fotos im Familienbesitz“ (zweite Folge) macht auf spannende Weise den fließenden Übergang von Historischem, eng mit der Stadt- und Landesgeschichte Verbundenem zu dem folgenden Kapitel.

Das Kapitel „Temeschburger Persönlichkeiten“ umfasst Hans Damas Würdigung des Literaturhistorikers, Lehrers, Dichters und Dramaturgen Professor Rudolf Hollinger, dessen beruflicher Werdegang durch die sich überstürzenden politischen Ereignisse mehrfach tragische Wendungen erfahren musste. Hans Finks Aufsatz „Fierling und Schwejk“ und Ines Reeb Gisches Nachruf auf Hans Walter Reeb sind Beweis dafür, dass es bei den Landsleuten keine Einzelschicksale gibt, die nicht eng mit der bewegten Geschichte Europas, Rumäniens und des Banats verknüpft sind.

Aus dem Kapitel „Kulturelles“ ist die „Chronik des Temeswarer Theaters“ von Erhard A. Berwanger hervorzuheben. Das „Lyrische Eck“ spricht, wie immer, sowohl die Leser an, die überschwängliche Nostalgie zu schätzen wissen, als auch jene mit literarischen Ansprüchen. Ausgesprochen amüsant, die Temeswarer Liebenswürdigkeit treffend einfangend, ist Robert Glatts kurzer Beitrag „Mit dem Fiaker“. In „Klein war die Welt, weil wir zusammengehalten haben“ lässt Helga Korodi durch die Sprache von Lilo Scherers (geborene Unterweger) Stammbuch den Zeitgeist der Nachkriegsjahre im Banat aufleben.

In der Rubrik „Gesellschaft und Vereine“ ist Poli Temeswar auch wieder dank eines Beitrags von Ernst Meinhardt präsent, in gewohnter Weise amüsant und informativ. Der Fußballverein feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag.

Die allseits beliebte Rubrik „Gaumenschmaus“ wartet erneut mit zeitgemäß interessanten Informationen zum Weinbau von Arnold Töckelt und – erfreulicherweise – auch einmal mit vegetarischen Gerichten zum Nachkochen sowie einem Aufsatz von Fred Zawadzki über die Linde auf.

Das Kapitel „Erlebtes Temeswar“, mit Beiträgen von Julia Henriette Kakucs, Emil Knöbl und Fred Zawadzki, lässt die wunderbar-unverwechselbare Atmosphäre des ehemaligen Klein-Wien mit seinen herrlichen Parks und Gärten einerseits und dann wiederum die Verlorenheit Heranwachsender zwischen ihrer spätsozialistischen Erlebniswelt und der pubertären Verherrlichung dessen, was man für westliches Lebensgefühl hielt, lebendig werden.

Die Geburtstagskinder des Jahres freuen sich wahrscheinlich nicht weniger über ihre respektvolle Erwähnung wie die Leser, die sich vergewissern, dass der eine oder andere liebe Bekannte aus alten Zeiten noch am Leben ist.

Die abgedruckten Leserbriefe sind voll des nicht unverdienten Lobes für die letzten Ausgaben des Heimatblattes. Zu empfehlen wäre es für die Zukunft, auch kritischere Stimmen zu Wort kommen zu lassen, um das Gesamtbild einer modernen, guten und sich an hohen journalistischen Maßstäben orientierenden Publikation abzurunden.

Temeschburger Heimatblatt 2021. 32. Jahrgang. Herausgeber: HOG Temeschburg. Redaktion, Gestaltung und Layout: Dr. W. Alfred Zawadzki. Reutlingen 2021. 96 Seiten