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Biogramme von neun Tschanader Bischöfen

Die Bischöfe der Donaumonarchie sind Gegenstand eines lexikalischen Großprojekts, das auf Initiative und unter der Federführung des Wiener Kirchenhistorikers Rupert Klieber in Angriff genommen wurde. Das multinationale Forschungsvorhaben, an dem Kirchenhistoriker aus allen Nachfolgestaaten der Donaumonarchie mitarbeiten, soll am Ende in vier Bänden Porträts aller 600 römisch-katholischen, orthodoxen, griechisch-katholischen und armenisch-katholischen Bischöfe des Kaiserreichs Österreich (1804-1867) sowie Österreich-Ungarns (1867-1918) umfassen. 

Das Forschungsprojekt wurde durch das von dem deutschen Kirchenhistoriker und langjährigen Rektor des Collegio Teutonico del Campo Santo in Rom Erwin Gatz (1933-2011) herausgegebene „Bischofslexikon“ des Heiligen Römischen Reiches beziehungsweise der deutschsprachigen Länder angeregt. Das zwischen 1983 und 2002 erschienene fünfbändige Grundlagenwerk enthält für den Zeitraum von 1198 bis 2001 Biografien von mehr als 5500 Würdenträgern. Einen weiteren Anknüpfungspunkt bot das von Klieber federführend mitbetreute Projekt zur Geschichte des Wiener Priesterkollegs St. Augustin („Frintaneum“). Diese quasi kaiserliche Theologische Hochschule, die zeit ihrer Existenz (1816-1918) mehr als eintausend begabte Jungpriester aus allen Ländern der Donaumonarchie für den höheren Kirchendienst fortbildete, galt als geistliche Kaderschmiede; viele ihrer Absolventen wurden später zu Bischöfen ernannt. Im Zuge der Realisierung des „Frintaneum“-Projekts ist es gelungen, ein transnationales Netzwerk von Dutzenden ausgewiesenen Fachkräften zu knüpfen, das auch für das lexikalische Projekt über die Bischöfe der Donaumonarchie herangezogen werden konnte.

Nach mehrjähriger Arbeit ist nun im vergangenen Jahr der erste Band der Reihe „Die Bischöfe der Donaumonarchie 1804 bis 1918. Ein amtsbiografisches Lexikon“ im Berliner Verlag Duncker & Humblot erschienen. Der 660 Seiten umfassende Band ist dem römisch-katholischen Episkopat des Königreichs Ungarn (ohne Kroatien) mit seinen Kirchenprovinzen Esztergom (Gran), Kalocsa und Eger (Erlau) gewidmet und deckt aus heutiger Sicht drei Staaten ab: Ungarn, Rumänien und die Slowakei. Er umfasst Biogramme von 126 Bischöfen mit 169 Amtsperioden – denn jeder vierte Bischof stieg später in ein anderes, höher dotiertes Bistum auf. An diesem ersten Band arbeiteten 34 Autoren mit, die bis auf wenige Ausnahmen in Forschungseinrichtungen und Archiven Ungarns und der Slowakei tätig sind. Für die überarbeitete und ergänzte Endfassung der Texte war der Herausgeber Rupert Klieber verantwortlich.

Auf das Vorwort, in dem der Herausgeber die Genese des biographischen Großprojekts beschreibt und Konzeption, Aufbau sowie Inhalte des Lexikons erläutert, folgt ein knapper einführender Artikel über „Die strukturellen Eigenheiten der katholischen Kirche Ungarns“ aus der Feder des renommierten Kirchenhistorikers Gabriel Adriányi. Die biografischen Artikel über die Bischöfe sind nicht in Lexikon-Manier alphabetisch, sondern innerhalb der 18 Diözesen des Königreichs Ungarn beziehungsweise der Territorialabtei Martinsberg (Pannonhalma) chronologisch geordnet. Den Biogrammen vorgeschaltet ist ein historischer Abriss des jeweiligen Bistums mit Schwerpunkt auf die Untersuchungszeit, ergänzt um Übersichtstabellen zur konfessionellen Struktur und zu den Amtsperioden der Bischöfe.
Das hier vorgestellte Publikationsprojekt versteht sich als „amtsbiographisches Handbuch“. Der Terminus macht einerseits deutlich, dass bei den Bischofsporträts keine umfassenden Lebensläufe zu erwarten sind, und andererseits primär das Amtsgebaren der Bischöfe thematisiert wird. Die Daten zu Werdegang und kirchlicher Laufbahn werden unter dem Anspruch eines sozial- und kulturgeschichtlich fundierten Lexikons ergänzt um Informationen zur sozialen Herkunft, dem geistlichen Profil, dem gesellschaftlichen Um- beziehungsweise Wirkungsfeld sowie der persönlichen Lebensgestaltung der Kirchenfürsten. Auf diese Weise erhält die oft geglättete diözesane Überlieferung in vielen Fällen stärkere Konturen. Die ausgewerteten Quellen- und Literaturbestände werden am Ende der Beiträge aufgelistet. Bilder und Fotografien der Kirchenfürsten illustrieren die meisten Artikel. Der kartographischen Veranschaulichung des behandelten Raums dienen Ausschnitte aus der von Cölestin Wolfsgruber erstellten Kirchenkarte der Monarchie von 1909. Seiner Einteilung folgt auch die Nummerierung der Kirchenprovinzen, Diözesen und Biogramme in diesem Band. 

In das „Bischofslexikon“ aufgenommen wurden grundsätzlich nur die Ordinarien, also die regierenden Bischöfe, nicht aber Auxiliar-, Weih- oder Titularbischöfe. Vereinzelt werden jedoch Kirchenmänner mitberücksichtigt, die vom Monarchen bereits ernannt, mitunter auch schon kurial bestätigt waren, das Bischofsamt formell aber nie angetreten haben.

Der Band schließt mit einem Literaturverzeichnis, einer mehrsprachigen Vornamenkonkordanz sowie einem Personen- und Ortsregister ab. 

Das amtsbiografische Handbuch zu den Bischöfen der Donaumonarchie ist insofern für an Banater Kirchengeschichte Interessierte von Nutzen, als dass es auch die im Untersuchungszeitraum amtierenden Oberhäupter der Diözese Csanád behandelt, die als Suffraganbistum zur Kirchenprovinz Kalocsa gehörte. Der (alten) Diözese Csanád und ihren Bischöfen sind 35 Seiten gewidmet. Zieht man auch das Biogramm von Bischof Johann Csernoch in Betracht, das bei der Erzdiözese Gran/Esztergom eingereiht ist, sind es insgesamt 43 Seiten. Csernoch ist nach seinem kurzen Episkopat in Temeswar (1908-1911) zum Metropoliten von Kalocsa und dann zum Primas von Ungarn aufgestiegen.

Das der Diözese Csanád gewidmete Kapitel enthält die Biogramme der Bischöfe Ladislaus Kőszeghy (Amtsperiode: 1801-1828), Anton Török (1831-1832), Josef Lonovics (1834-1848/1850), Michael Horváth (1848/1849, ernannter Bischof), Alexander Csajághy (1852-1860), Alexander Bonnaz (1860-1889), Alexander Dessewffy (1890-1907) und Julius Glattfelder (1911-1923/1942). Die Porträts geben Auskunft über die geografische und soziale Herkunft der Oberhirten, ihre Bildungswege, ihre kirchliche Laufbahn, die bischöfliche Amtsführung und die erbrachten Leistungen, ebenso darüber, was einzelne Bischöfe im Besonderen auszeichnete – beispielsweise die umfassende kirchenrechtliche Expertise im Falle von Bischof Lonovics, der zudem als intellektuelle Leitfigur des ungarischen Episkopats galt, die umfängliche Bautätigkeit und die Förderung der Mädchenbildung durch Bischof Bonnaz oder Dessewffys Engagement zugunsten der Bildungseinrichtungen sowie sein Einsatz für soziale Belange. Die recht ausführlichen Biogramme der Bischöfe bieten ein Gesamtpanorama des Csanáder Episkopats über einen Zeitraum von mehr als hundert Jahren und ergeben zusammengenommen eine kompakte Geschichte des Bistums vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Zerfall der Donaumonarchie. Wer sich darüber hinaus umfassender und tiefergehend informieren will, dem sei das mehrteilige Werk „Erbe und Auftrag. Die alte Diözese Csanád“ des emeritierten Temeswarer Bischofs Martin Roos empfohlen. 

Mit Ignaz Fábry, Lorenz Schlauch und Leopold Arpad Várady sind in dem Bischofslexikon drei weitere Oberhirten vertreten, die aus der Diözese Csanád hervorgegangen sind. Ignaz Fábry, 1792 in Sátoraljaújhely (Komitat Zemplin) geboren, wirkte ab 1834 in diesem Bistum, zuletzt als Generalvikar und Kapitelsvikar, bevor er 1852 zum Bischof von Kaschau ernannt wurde. Lorenz Schlauch (1824-1902), der Schwabensohn aus Neuarad, hat es in der kirchlichen Hierarchie weit nach oben gebracht: 1873 wurde er Bischof von Sathmar, 1887 Bischof von Großwardein und 1893 Kardinal. Arpad Leopold Várady (1852-1927), ein Temeswarer Kind, wurde 1911 Bischof von Raab, um drei Jahre später auf den Erzbischofsstuhl von Kalocsa zu wechseln. Davor war er 14 Jahre lang als hoher Ministerialbeamter im Königlich-Ungarischen Kultusministerium tätig.

Rupert Klieber und dem Autorenteam ist mit diesem Nachschlagewerk ein großer Wurf gelungen. Es ist das Ergebnis einer erfolgreichen Zusammenarbeit über Ländergrenzen und nationale Wissenschaftskulturen hinweg und ein hervorragendes Beispiel dafür, wie nationalstaatliche Zugänge in der Historiographie und Sprachbarrieren, die transnationale Forschungsansätze und die wechselseitige Rezeption von Forschungsergebnissen erschweren, überwunden werden können. Zu einem Abschluss soll das ambitionierte Publikationsprojekt im Jahr 2027 kommen.     

Die Bischöfe der Donaumonarchie 1804 bis 1918. Ein amtsbiographisches Lexikon. Band I: Die röm.-kath. Kirchenprovinzen Gran, Kalocsa, Erlau im Königreich Ungarn. Herausgegeben von Rupert Klieber unter Mitarbeit von Péter Tusor. Berlin: Duncker & Humblot 2020. XVIII, 661 Seiten. ISBN 978-3-428-15648-1. Preis: 99,90 Euro