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Die Welt als Bild mit Sprung gebannt

Kristiane Kondrat: Bild mit Sprung. Erzählungen. Ulm: danube books, 2021. 156 Seiten. ISBN: 978-3-946046-24-0. Preis: 20 Euro

„Der Zwiebelturm hat mit seinem Kreuz eine weiße Wolke aufgeschlitzt. Weißer Flaum qualmt aus ihrem Bauch und fliegt in alle Richtungen, die geschlachtete Wolke fällt in sich zusammen und stirbt, eine Feder ist im Birnbaum in unserem Garten gelandet. Dann kommt eine alte Frau mit einem Mülleimer aus ihrem Haus, und an dieser Stelle bleibt der Tag stehen und wird zu einem eingerahmten Bild an der Wand.“ Diese Schlusspassage aus der titelgebenden Erzählung „Bild mit Sprung“ steht symbolhaft für die Erzählungen aus ihrer Kindheit, die Kristiane Kondrat im Ulmer danube books-Verlag herausgegeben hat. Die 1938 in Reschitza als Aloisia Bohn geborene Autorin hat die Texte in den 1990er Jahren geschrieben. Schon damals blickte sie mit einem zeitlichen Abstand von 50 Jahren auf ihre Kindheit und eine Welt, „die es so nicht mehr gibt“, zurück. Im Jahr 2000 ist das Buch bereits unter dem Titel „Vogelkirschen“ erschienen. Nach weiteren Jahren des Abstands hat sie nun einige Geschichten neu bearbeitet, um die „magische“ Welt des damaligen Kindes noch besser zugänglich zu machen.

Die Erzählungen knüpfen ein Netz von Impressionen aus der kindlichen Erinnerung, die sich eingebrannt haben, zu Bildern erstarrt sind, deren Bedeutung sich dem Kind erst später erschließen wird.  Da ist die Mittelgebirgslandschaft des Banater Berglands „mit ausgedehnten Buchenwäldern“, die Siedlung am Stadtrand, der Friedhof auf dem „Hätschelberg“. Die Eltern, Verwandte wie „die Gisitant“, die „Mizzitant“, der „Mundionkel“ oder der „Nandionkel“, Nachbarn und Freunde, der Michi, „der große und der kleine Joschi“, die beste Freundin Erna und Anni, die krank wird und „zu den Engeln“ geht – alles Menschen, die ihre kindliche Welt prägen. Von Anfang an spielen fremde Leute und fremde Sprachen eine Rolle, die das Kind zunächst nicht versteht und ihnen „erfundene, eigene Bedeutungen“ verleiht, wie die Autorin in der rückblickenden Reflexion erkennt. Und da ist auch der Umbruch nach dem Krieg, die „neue Zeit“, die auch an dem Kind nicht spurlos vorübergeht, auch wenn es den Krieg selbst eher als Randnotiz im Alltag erlebt hat. 

Der Schulbeginn konfrontiert sie mit den „Lehmmenschen“, die aus anderen Gegenden kommen „wie ein strudelnder, breiter, gelber Strom, der die Ufer überschwemmt“ und die kindliche Idylle des Kindes ins Wanken bringen. Eine ganze Erzählung ist ihnen gewidmet, die so ganz anders sind als die „Holzmenschen“, die das Kind in seiner Umgebung bisher gekannt hatte. „Die alten Holzfrauen trugen einen lichtgesättigten Blick im Gesicht, sie lächelten nur mit den Augen. Mit diesem alten Lächeln begrüßten sie sich und wenn sie aneinander vorbeigegangen und schon weit voneinander entfernt waren, überlebte dieses Lächeln noch eine ganze Weile.“ Stattdessen sprachen die „Lehmmenschen“ eine Sprache, die wenig Ähnlichkeit hatte mit dem Rumänisch der Einheimischen. „Sie drangen gewaltsam ein und verbissen sich immer tiefer in die Landschaft, wie ein Keil in den Baumstamm eindringt und den Baum zu Fall bringt.“ 

Mit den „Lehmmenschen“ und der Schule kommen einschneidende Veränderungen in die Kindheit der Ich-Erzählerin – eine Lehrerin, die jeden Fehler in der Landessprache mit einem Schlag auf den Handrücken des Kindes quittiert. Und der „Transport“ des Vaters in eine unbekannte Ferne. „Kurz nach meinem Wechsel in die andere Klasse kamen eines Tags zwei fremde Männer in unser Haus und fragten nach meinem Vater. Er war nicht da und kam an diesem Tag auch nicht mehr nachhause. Ich habe ihn erst wiedergesehen, als ich die Landessprache ziemlich gut beherrschte.“

Die poetischen Schilderungen von Kristiane Kondrat zeigen eine Welt, die vielen ihrer Generation (und durchaus auch noch der nachfolgenden und nicht nur im Banater Bergland) so oder ähnlich bekannt war. Der kindliche Rückblick lässt Bilder aus dem Alltagsleben entstehen. So wird nachvollziehbar, dass Kristiane Kondrat, wie sie bei einer ihrer Lesungen erzählte, eigentlich Malerin werden wollte. Stattdessen wurde sie „Wort-Malerin“, zeichnet mit Komik und Selbstironie, ohne idealisierendes Pathos, Bilder aus dem Alltagsleben der „Holzmenschen“, die durchaus ihre Ecken und Kanten haben, „da merkte man genau, wo das Messer des Schnitzers das Holz geschnitten hatte. An einigen Stellen hatte er zu viel weggenommen, an anderen einige Verästelungen umgehen müssen, an manchen solchen Stellen war es ihm tatsächlich gelungen, das roh Wuchernde, Unebene, notdürftig zu kaschieren.“ Die Gemeinschaft hatte ihre Schattenseiten und schrägen Vögel. Letztlich gab es aber die Gewissheit, dass alle mal „auf dem Hätschelberg“ landen – zumindest bis zum Anbruch der neuen „Lehmmenschen“-Zeit war nichts anderes denkbar.

Mit der letzten Erzählung zeigt Kristiane Kondrat ihren Hang zum Surrealen. Die Erzählerin besucht als Erwachsene den Ort ihrer Kindheit, der ihr wie in einem Alptraum vertraut und dennoch entfremdet ist, sich nicht fassen lässt. Die Erzählungen sind eine farbenfrohe, zartbittere Hommage an eine Kindheitswelt, deren magische Bilder im Rückblick von einem „Sprung“ in der Patina gezeichnet sind.