zur Druckansicht

Nostalgischer Streifzug durch Temeswar

„Im seligen Garten meiner Erinnerung nimmt Temeswar einen Sonderplatz ein. So projiziert ab und an meine Vaterstadt in alter Vertrautheit wohltuende Bruchstücke aus meiner Kindheit und Jugend, aus meinem schulischen und akademischen Werdegang in das gelegentliche Grau meines Alltags.“ Die „Dreizehn Temeswarer Geschichten“, die Fred Zawadzki in einem Buch gesammelt und im WaRo Verlag herausgebracht hat, zeigen einiges von dem, was sich im „Garten“ seiner Erinnerung abgelagert hat und nun einem Leserpublikum zugänglich gemacht wird. 

Der „waschechte Temeswarer“ (darauf wird in den Geschichten wiederholt mit Stolz hingewiesen) wurde daselbst 1958 geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend in der Stadt und damit ganz anders als die Banater Schwaben auf den Dörfern. Die Familie zog aus der Elisabethstadt in eines der ersten Neubauviertel der endsechziger Jahre, das „Tipografilor“ in der Nähe der wegen des Gefängnisses berüchtigten „Popa Şapcă“-Straße. Aber das nur nebenbei, denn es handelt sich um eine gute Wohnanlage in Zentrumsnähe. Wohnen in diesen Blockvierteln bedeutete für Kinder eine ständige Interaktion mit Nachbarskindern aller Couleur und mit allen Umgangssprachen der Stadt. Erdung und Urbanität hielten sich die Waage. Die Sozialisation fand in der (Groß-)Familie, aber dann gleich in der Schule statt. Wie viele im Sprengel der Inneren Stadt verbringt Fred Zawadzki sein gesamtes Schulleben an der Lenauschule, was auch einen breiten Raum in den Erzählungen einnimmt. Die Schule ermöglicht ihm die Entfaltung seiner Hobbies, hier gründet er mit zwei Mitschülern eine Band und ist der erste „DJ“ bei den „Lenau-Diskos“ im damals neuen Keller-Klub der Schule. Durch die Schule erhält er aber auch die optimale Vorbereitung für seinen Beruf, er besteht die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Zahnmedizin und übt den Beruf als Zahnarzt auch noch einige Jahre aus (auch diese Zeit kommt in den Texten vor), bevor er wie viele andere den Weg der Ausreise in die Bundesrepublik geht. 

Eine für viele seiner Generation typische Biografie. Was die Geschichten lesenswert und (nicht nur für Temeswarer) nachvollziehbar macht, sind Details der Erinnerung – an bestimmte Personen, Lehrer, Weggefährten, Spielkameraden. Aber auch: die „Aufpasser“ im Block, die alle im Auge hatten. Denen die Jungs in ihrer naiven Unbefangenheit auch mal einen Streich spielten. Die Lehrer, die hilfreich und nachsichtig, aber auch stur und linientreu sein konnten. Menschen, die man nach der Wende wieder traf und die so taten, als wäre man schon immer in besten Beziehungen gewesen. Und Menschen, an die man beste Erinnerungen hatte und die einfach nicht mehr aufzufinden sind. Kontakt abgebrochen und nie wieder geknüpft. Bleibt nur noch ein Besuch auf dem Friedhof, wenn überhaupt. 

Der Rückblick aus großer zeitlicher Distanz bietet Zawadzki viel Raum für Reflexion, auch für Trauerarbeit. Der Kleiderhaken, den sein Vater seinerzeit auf Wunsch der Grundschullehrerin an seinem Arbeitsplatz „unter der Hand“ angefertigt hat, damit die Kinder ihre Mäntel im Winter aufhängen können, ist bei Freds Nostalgie-Besuch mit seinem Sohn immer noch da. Etwas verrostet und verbogen tut er auch im NachwendeRumänien noch seinen Dienst an der Lenauschule. Solche Details treiben Fred Zawadzki Tränen in die Augen, ebenso wie der Gedanke an seine Großeltern, Zeitzeugen und Erdulder der Tragödien der Deutschen im Banat, die ihre Träume begraben mussten, ihre Würde und die Verwurzelung mit ihrer Stadt aber dennoch an die junge Generation weitergaben. Dafür steht als feste Größe die Bohnensuppe der Großmutter, „die sie mit viel Liebe mindestens einmal pro Woche kochte, mit dem typischen Geschmack von Dill, Bertram und Bohnenkraut“. 

Geruch, Geschmack und Farben sind es, die unsere Erinnerungen prägen. Fred Zawadzki, der auch als bildender Künstler tätig ist und sich zudem als Feinschmecker und Gourmet betrachtet, hat eine Affinität für das Sinnliche. Dazu gehört auch, dass er für den Buchumschlag die Fassade des Temeswarer Doms mit seiner unverwechselbaren Maltechnik selbst gestaltet hat. Sie erinnert an das jährlich auch von ihm gestaltete „Temeschburger Heimatblatt“ der Heimatortsgemeinschaft, deren Vorsitzender Zawadzki seit etlichen Jahren ist. In dem Blatt sind übrigens im Laufe der Jahre auch manche der Geschichten aus dem Sammelband bereits erschienen. 

Der HOG-Vorsitzende Zawadzki spricht auch aus dem Vorwort zum vorliegenden Band, überschrieben „Temeschburg versus Temeswar“. Der Bezeichnungskrieg um den Namen der Stadt hat über viele Jahre tiefe Gräben gerissen. Er spaltet die Temeswarer der Nachkriegszeit so sehr, dass viele die HOG bewusst meiden, um sich nicht „Temeschburger“ nennen zu müssen, zumal sie diese Bezeichnung schon in ihren Ausweispapieren dulden müssen. Aus unerfindlichen Gründen macht Zawadzki dieses Fass wieder auf, das sich eigentlich mit dem Verschwinden der vom „Germanisierungswahn“ betroffenen Generation (aus der die „Temeschburger“ ihre Eiferer bezogen) weitgehend erledigt hat, und plädiert mit altbekannten Argumenten leidenschaftlich dafür, die beiden Bezeichnungen als die jeweils „andere Seite der gleichen Medaille“ zu sehen. Wie zum Beweis der Vereinbarkeit verwendet er in den Texten alternativ die eine oder die andere, was für Außenstehende (sofern solche die Geschichten lesen) eher verwirrend sein dürfte. Zum Glück kommt das „Nachwort“ dann überzeugender und sympathischer daher, ein Beitrag (im Namen von) Remo Zawadzki, der den Vater „mit seinem komischen Akzent“ aus der Warte des in der Bundesrepublik sozialisierten Sohnes liebevoll und nachsichtig beschreibt. 

Fred Zawadzki: Im Schatten des Doms. Dreizehn Temeswarer Geschichten. Heidelberg: WaRo-Verlag 2021. 176 Seiten. ISBN 978-3-938344-44-6. Preis: 14,90 Euro