Das neu gegründete „Kulturwerk Banater Schwaben“ ist nach seiner Eintragung als e.V. Ende April 2021 dabei, seine effektive Arbeit aufzunehmen. Die Zwecke, Ziele und Aufgabenbereiche des Kulturwerks sind in dem Konzept zu dessen Beantragung und Einrichtung aus dem Jahr 2019 wie auch in der nunmehr vorliegenden Satzung klar umrissen. Zur praktischen Umsetzung soll hiermit ein kurzer zusammenfassender Überblick zu einzelnen Aufgabenbereichen und möglichen thematischen Schwerpunkten, Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeit wie auch zu Förderungsmodalitäten und Kooperationsanliegen vorgelegt werden.
Aufgabenbereiche und thematische Arbeitsschwerpunkte
Die im Folgenden angesprochenen Aufgabenbereiche und Schwerpunkte sind weder erschöpfend noch in einer bestimmten Rangfolge zu verstehen, sondern sollen lediglich einen systematischen und exemplarischen Überblick vermitteln.
Ein erstes weitläufiges Aufgabenfeld bilden historische und zeithistorische Fragestellun¬gen und damit zusammenhängende Anliegen der Erinnerungskultur. Beginnen sollte man dabei mit der Einwanderungsgeschichte in das Banat, den Herkunftsgebieten der Einwanderer, der Ansiedlung, den Wohn- und Siedlungsformen sowie dem frühen Wirtschafts- und Gemeinschaftsleben. Ein weiteres Leitthema, das die Geschichte der Banater Schwaben durchzieht, sind historische Großereignisse wie die 1848er Revolution, der Österreichisch-Ungarische Ausgleich 1867 und dessen Folgen, die beiden Weltkriege, die kommunistische Machtergreifung wie auch der Zusammenbruch des Kommunismus und deren jeweiligen weitreichenden und teilweise auch schicksalhaften Auswirkungen für die Deutschen im Banat. Wichtige, die Banater Schwaben einbeziehende Bevölkerungsbewegungen waren in den vor allem in der Wendezeit zum 20. Jahrhundert sehr massiven transatlantischen Auswanderungen wie auch in den Binnenwanderungen und Weiterwanderungen in Nachbarstaaten gegeben, deren Ursachen, Erscheinungsformen und Rückwirkungen genauere Betrachtungen verdienen. Der Erste Weltkrieg und dessen weitreichende Folgen für das Banat und die Banater Schwaben stellen sich sicherlich als ein wichtiger historischer Einschnitt und Betrachtungsschwerpunkt dar. Ebenso die wechselvolle Zwischenkriegszeit mit ihren Licht- und Schattenseiten. Im Kontext des historischen Großereignisses des Zweiten Weltkriegs sind aus der Sicht der Banater Schwaben vor allem die Kriegsbeteiligung und die Kriegserfahrungen, die Kriegsgefangenschaften, die Flucht vieler und die Deportation in die Sowjetunion Anfang 1945 von einschneidender Bedeutung. In der unmittelbaren Nachkriegszeit und danach sind die Enteignungen, sozialen Diskriminierungen, politischen Verfolgungen und die verschiedenen politischen Prozesse gegen Gruppen Banater Schwaben oder auch gegen Einzelpersonen zeitgeschichtlich besonders relevant. Ein weiteres gravierendes Betroffenheitsereignis ist in der Deportation in den Bărăgan im Sommer des Jahres 1951 zu sehen. Aus der Zeit der kommunistischen Herrschaft sind zudem verschiedene Partizipationsformen, Einbindungen und Ausgrenzungen und entsprechende Strategien und Gegenstrategien zu thematisieren. Ein eigenes dunkles Kapitel bilden die Machenschaften der Geheimdienste und politischen Polizei Rumäniens, der Securitate, die bis nach Deutschland reichten und die sich durch Erfahrungsberichte, Archivmaterialien, Analysen und Diskussionen weiter erhellen und aufklären lassen sollten.
Der Aussiedlungsprozess der Banater Schwaben, der Ende der 1960er Jahre massiv in Gang kam, seine Ursachen, Motive, Rahmenbedingungen, Verlaufsformen, eigendynamischen Momente und Rückwirkungen bieten sich sicherlich ebenfalls als ein zentraler thematischer Schwerpunkt an, wobei Beweggründe der Familienzusammenführung wie auch der „Freikauf“ durch die Bundesrepublik Deutschland und die informellen Zahlungen von „Bestechungs- oder Beschleunigungsgeldern“ eigene, sicherlich noch nicht hinreichend aufgeklärte Erscheinungen und Dilemmata bilden. Ein nachhaltig trauriges Kapitel in der Geschichte der Banater Schwaben liegt auch in den zahlreichen Fluchtversuchen und den damit zusammenhängenden Gefängniserfahrungen sowie dem vielfachen „Tod an der Grenze“.
Schließlich ist das Ende des Ceauşescu-Regimes, der Niedergang des Kommunismus in Rumänien und in Osteuropa und die demokratische Wende 1989/1990 und in der Folgezeit zu thematisieren. Den im Banat verbliebenen Deutschen, ihren Einrichtungen sowie ihrem sozialen und kulturellen Leben bleibt natürlich eine besondere Aufmerksamkeit entgegenzubringen. Schließlich wäre eingehender zu betrachten, wie all diese historischen und zeithistorischen Geschehnisse, Erfahrungen und Erlebnisse ihren spezifischen Niederschlag im kollektiven Gedächtnis, in der Erinnerungskultur wie auch in der lokalhistorischen oder genealogischen Forschung gefunden haben.
Ein zweites weites Aufgabengebiet betrifft die Kirchen, das religiöse Leben, die Verei¬ne, das deutsche Schulwesen, die Kultureinrichtungen sowie das Presse- und Verlags¬wesen in den verschiedenen historischen Zeiträumen. So sind Kirchen, der Glaube und der religiöse Widerstand im Kommunismus ein wichtiges Thema. Ebenso die Rolle der religiösen Erziehung und religiöser Rituale wie auch von Kirchenbüchern, Friedhöfen oder dem Totengedächtnis. Von überlebenswichtiger Bedeutung für die Banater Schwaben erscheint das deutsche elementare und weiterführende Schulwesen in den verschiedenen historischen Zeitabschnitten, vor dem Ersten Weltkrieg, in der Zwischenkriegszeit, in der Zeit des Kommunismus und bis heute. Eine eigene ausdrückliche Beachtung sollten auch deutsche Kultureinrichtungen und das Vereinswesen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs und bis zu ihrer Zerschlagung und Gleichschaltung durch das kommunistische Regime erfahren. Näher zu betrachten sind zudem das deutsche Presse- und Verlagswesen des Banats, die entsprechenden Publikationen wie auch das Archivwesen in den verschiedenen historischen Zeiträumen. Selbstverständlich ist auch das banatschwäbische Schrifttum sowie das Presse- und Publikationswesen in der Bundesrepublik Deutschland von einschlägigem Interesse.
Als ein drittes umfangreiches Arbeitsgebiet ist das Wirtschaftsleben und sind die alltäglichen „Lebenswelten“ der Banater Schwaben anzusehen. Hierbei geht es thematisch um das bäuerliche, handwerklich-gewerbliche und industrielle Wirtschaftsleben in der vorsozialistischen Zeit, im Sozialismus und heute. Ebenso um wirtschaftlichen Wohlstand, um Besitzverhältnisse und die einschneidenden Enteignungsmaßnahmen. Es sind die alltäglichen „Lebenswelten“ der Banater Dörfer, Kleinstädte und größeren Städte sowie die sozialen Milieus der Banater Schwaben in den verschiedenen historischen Zeiten zu erschließen und zu ergründen, die kleinräumigen alltäglichen Nachbarschaftsbeziehungen und ihre sozialmoralischen Grundlagen, einschließlich der interethnischen Kontakte und Beziehungsmuster. Die Rolle der Frauen, der Kinder und der Jugend in den banatschwäbischen „Lebenswelten“ dürften eigene spannende Fragestellungen auf¬werfen. Ebenso bieten sich Feste, Feiern, Rituale oder Sport, Sportler und Sportereignisse als ergiebige Betrachtungsgegenstände an. Schließlich ist auch genauer zur Kenntnis zu nehmen, wie all dies in Ortsmonographien, Heimatblättern usw. im Zusammenhang mit Fragen der lokalen und regionalen Identität seinen Ausdruck und Niederschlag gefunden hat.
Ein viertes einschlägiges Arbeitsgebiet bildet die Kultur im engeren Sinne und die Kunst der Banater Schwaben. In diesem Zusammenhang verdienen deutsche Wissenschaftler im und aus dem Banat eine besondere Aufmerksamkeit. Namentlich sei hier nur der Nobelpreisträger für Chemie Prof. Dr. Stefan Hell, gleichsam stellvertretend für viele aus dem Banat stammende bekannte und anerkannte Wissenschaftler und Forscher, genannt. Erwähnt sei im Falle einer ethnischen und sprachlichen Minderheit auch die Sprach- und Mundartforschung. Das Banat und seine Literatur sind sicherlich als ein besonders hervorragendes und beachtenswertes Gebiet zu betrachten. Dabei geht es um die traditionale wie auch und insbesondere um die moderne Literatur, wie sie seit Ende der 1960er Jahre in Erscheinung trat, um Literaturkreise und Literaturgruppen in diesem Zusammenhang. Natürlich auch um die Rezeption und Wirkungsgeschichte dieser Literatur, die mit Herta Müller bekanntlich eine deutsche Literaturnobelpreisträgerin hervorgebracht hat, im deutschsprachigen, europäischen und weltweiten Kulturraum. Interes¬sant ist ebenfalls, nach deutschen Dichtern und Schriftstellern aus dem Banat heute, in der Bundesrepublik Deutschland zu fragen, wie auch danach, welche Erscheinungsformen des deutschsprachigen literarischen Lebens es gegenwärtig im Banat (z.B. die „Reschitzaer Literaturtage“, der Literaturkreis „Stafette“) noch gibt. Aber natürlich nicht nur die Wissenschaft und die Literatur, sondern auch Maler und bildende Künstler, Bauwerke und Monumente, ebenso Komponisten und Musiker, Musikgeschichte und bekannte Orchester, das Deutsche Staatstheater in Temeswar, die deutschsprachigen Theater in Arad, Reschitza und Orawitza und die vielen Laientheater im Banat sollten in Erinnerung behalten werden. Eine besondere Beachtung ist selbstverständlich gleichermaßen den auf das Banat bezogenen und der Geschichts- und Kulturpflege dienenden kulturellen Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland und in Österreich entgegenzubringen.
Ein fünftes Aufgabengebiet von zentraler Bedeutung sollten in der Arbeit des Kulturwerks Fragen der sozialen Integration und der (kollektiven) Identität der Banater Schwaben einnehmen. Dabei sollte man unbedingt von einem komplexen Konzept der sozialen Integration ausgehen, das sowohl Aspekte und Dimensionen der wirtschaftlichen, beruflichen, sozialpolitischen, politischen, kulturellen, normativen, sprachlichen, schulischen wie auch der sozialen Eingliederung im engeren Sinne umfasst und sich zudem auf verschiedene Ebenen sozialer Gefüge und Beziehungsmuster erstreckt.
Historisch gewendet, geht es um die soziale Integration der Banater Schwaben in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn sowie im Königreich, im sozialistischen und im gegenwärtigen Rumänien, um ihre sozialen Sondermilieus, um interethnische Beziehungen, Spannungen und Konflikte. Gegenwartsbezogen um ihre vielfach als „mustergültig gelungen“ zu betrachtende soziale Eingliederung in der Bundesrepublik Deutschland und im Freistaat Bayern. Dabei können Integrationserfolge und Leistungen wie auch der Fortbestand enger landsmannschaftlicher Beziehungen und ebenso auch die Bedeutung landsmannschaftlicher Organisationsformen in der Bewahrung einer besonderen Erinnerungskultur und kollektiven Identität thematisiert werden. Identitätsfragen stellen sich gleichfalls in besonderer Weise bei Angehörigen der zweiten, dritten und der nächsten Nachfolgegenerationen der Aussiedler aus dem Banat. Was bleibt bei ihnen erhalten und bewahrt? Was geht mit einer ganz anderen „Lebenswelt“ zusammen? Was findet ein erneutes Interesse?
Den Banater Schwaben kommt vielfach eine „Brückenfunktion“ zwischen „neuer“ und „alter“ Heimat zu. Diese kann ebenso gründlicher betrachtet werden wie das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Engagement einzelner Banater Schwaben aus Deutschland gegenwärtig im Banat. Näher auszuleuchten sind natürlich ebenso die Beziehungen und Wirkungen der Banater Schwaben in Bayern im öffentlichen und privaten Raum.
Schließlich sollten an dieser Stelle auch noch zwei Querschnittsschwerpunkte im Hinblick auf besondere Adressaten- und Mitwirkungsgruppen angesprochen werden. Zum einen sollen Jugendliche und jüngere Altersgruppen aus unseren Herkunftskreisen, auch der nächstfolgenden, bereits in Deutschland geborenen Generationen, mit interessanten Themen und attraktiven Aktivitäten in besonderer Weise angesprochen und eingebunden werden. Über Fragen der verschiedenen Erlebnis- und Erfahrungswelten, der Kunst, über und mit Musik und Tanz, über kontroverse Zeitfragen und sicherlich auch über Begegnungen mit Land und Leuten im Banat ließe sich da sicherlich manches an¬stoßen und bewegen. Ebenso sollte es ein besonderes Anliegen sein, Frauen sowie frauenspezifische Themen und Perspektiven so intensiv wie möglich in die Arbeit des Kulturwerks einzubringen.
Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeit und Durchführungsformate
Für die praktische Umsetzung der Ziele und inhaltlichen Anliegen des Kulturwerks kommen verschiedene und zugleich vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten und Durchführungsformate in Betracht. Zu erwähnen sind zunächst Seminare, etwa Werk- und Bildungsseminare, Tagungen, Podiumsdiskussionen u.ä., ebenso Vorträge, Lesungen, Buchpräsentationen usw. Weitere wichtige Aktivitäten wären Auftritte von Trachten- und Tanzgruppen, von Chören, Musikern, Sängern usw. Zu denken ist zudem an Ausstellungen, etwa Wanderausstellungen, Dokumentationen (z.B. Dokumentensammlungen zu Deportationen, Flucht, Diskriminierungen usw.) oder Sammlungen typischer Banater Haushaltsgegenstände, Arbeitsgeräte, Trachten usw.
Eine zentrale Bedeutung für die Kommunikation und Koordination der Aktivitäten soll die im Entstehen begriffene Homepage des Kulturwerks einnehmen, wobei diese möglichst bald auch eine elektronische Zeitschrift mit aktuellen Artikeln, Mitteilungen, Ankündigungen, Berichten usw. wie eventuell mit kürzeren thematischen Aufsätzen und Rezensionen umfassen sollte. Später ist eventuell auch die Herausgabe einer gedruckten Zeitschrift als „Mitgliederblatt“ und einer eigenen Bücher-Schriftenreihe, möglicherweise in Fortführung der „Banater Bibliothek“ in diesem neuen Rahmen, zu überlegen. Thematisch auf das Banat bezogene Bildungsexkursionen (mit einem höheren finanziellen Eigenanteil der Teilnehmer) könnten in Erwägung gezogen werden.
Förderungsmodalitäten und Kooperationsanliegen
Gefördert werden können – nach entsprechender Antragsprüfung – einzelne Projekte, die den Zwecken und Zielen des Kulturwerks sowie den angesprochenen inhaltlichen Anliegen und Gestaltungsformen (oder ihnen ähnlichen) entsprechen. Die Antragsformulare zur Förderung und die Aufnahmemodalitäten von Mitgliedern befinden sich in der Erarbeitung. Die Förderung ist auf Antragsteller – insbesondere der Gliederungen der Landsmannschaft der Banater Schwaben bzw. Mitglieder des Kulturwerks – aus dem Freistaat Bayern und aus dem Banat beschränkt. Um eine möglichst große Breitenwirkung der Förderungen zu erreichen, sollten größere Förderungsbeträge allenfalls in Ausnahmefällen und bei genauer Güterabwägung und Prüfung bewilligt werden, kleinere Förderungsbeträge sollten demnach den Regelfall bilden.
Wichtig wären von Anfang an Kooperationsmöglichkeiten für einzelne Veranstaltungen mit anderen Einrichtungen im Freistaat Bayern (z.B. Haus der Heimat Nürnberg bei Vorträgen, Seminaren usw., mit Buchhandlungen bei Lesungen, usw.) wie auch im Banat anzustreben, um die Außenwirkung der Veranstaltungen zu erhöhen und eventuell auch um dadurch eine gewisse Entlastung des organisatorischen oder finanziellen Aufwands des Kulturwerks zu erreichen. Hier gibt es sicherlich sehr viele Möglichkeiten, die zu prüfen und zu nutzen sind. Anzustreben wäre zudem die Einwerbung von weiteren Zuwendungen, Spenden usw. von dritter Seite.
Sinnvoll erscheint wohl auch möglichst bald eine Aufgaben- und Verantwortungsverteilung im Rahmen des Vorstandes zu erreichen und in der nächsten Zeit auch eine genauere Abstimmung über Verfahren sowie über Vergabekriterien von Fördermitteln herbeizuführen. Dabei sollten die Kommunikations- und Entscheidungsprozesse möglichst einfach und transparent gehalten werden. Dies verbindet sich zugleich mit der Hoffnung, dass die Einstellung eines hauptamtlichen Kulturreferenten des Kulturwerks in absehbarer Zeit erfolgen wird.
(Verfasser des vorliegenden Entwurfs auf der Grundlage vorhandener einschlägiger Unterlagen ist Dr. Anton Sterbling. Bei der wiederaufgenommenen Gründungsversammlung am 15. März 2021 wurde Dr. Anton Sterbling (Großsanktnikolaus/Fürth) zum stellvertretenden Vorsitzenden des Kulturwerks Banater Schwaben gewählt. Mit der Wahl von Luise Frank (Ferdinandsberg/Sanktmartin/Regensburg) zur Beisitzerin wurde der Vorstand um eine weitere Person ergänzt.)