Ein Ausnahmekünstler aus dem Banat, Walter Andreas Kirchner, wird bald achtzig Jahre alt – Anlass, einen Moment innezuhalten und auf sein großes, vielfältiges Werk zurückzuschauen.
Ob der von Unrast getriebene Künstler, der immer Suchende, sich das auch gönnt? Das bleibt sein Geheimnis, aber wir, die Leser, dürfen einen Streifzug unternehmen durch Jahre des kreativen Schaffens, eine Reise zu den Kunstwerken, die in vielen Ausstellungen zu sehen waren, die Museen und öffentliche Plätze zieren und mit vielen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet wurden.
Als Reiseleiter bietet sich Franz Heinz an, ein langjähriger Freund des Künstlers, den Lesern der „Banater Post“ bekannt als Journalist, Kulturredakteur, Essayist, Schriftsteller, Kunstkritiker und Herausgeber.
Das Buch ist sehr übersichtlich gegliedert. Im ersten Teil präsentiert der Autor Franz Heinz den Künstler Walter Andreas Kirchner in seinen drei großen Lebensstationen: das Banat / Rumänien, Pforzheim / Deutschland und Montignoso in der Toskana / Italien. Danach stellt er das Werk in seiner Vielfalt vor und geht auf die verschiedenen Bereiche und Themen ein. Dem ersten Teil folgt ein biografischer Überblick, die Auflistung der Ausstellungen und Preise. Vermerkt sind auch die Mitgliedschaften und Arbeiten in Museen und im öffentlichen Raum. Im letzten Teil wird der Betrachter wie in einer Ausstellung zu den Werken geführt, gegliedert in die Abteilungen: Malerei, Zeichnung und Skulptur.
Der Kunstband ist sehr schön gestaltet, die Fotos hat der Künstler selbst gemacht, für das Layout zeichnet Georg Schmidt, Grevenbroich. Hedi Kirchner hat die anspruchsvolle Verlegung des Kunstbuches übernommen.
Sehr berührend schildert Franz Heinz die erste Station des 1941 in Perjamosch geborenen Künstlers. Kirchner erlebte 1944 die Flucht aus der Heimat, die Rückkehr und die schweren Nachkriegsjahre „in einer Heimat, die es nicht mehr war“, wie der Autor treffend sagt. Dennoch, die erste Etappe von Kirchners künstlerischem Schaffen findet in Rumänien statt. Wichtig aus dieser ersten Periode im Banat bleiben seine Holzschnitte, in die er alte Redensarten und Bauernregeln schnitzt, sowie seine Illustrationen. In ihnen manifestiert sich seine Auflehnung gegen den gesellschaftspolitischen Terror im kommunistischen Rumänien. Jedem, der damals dort lebte, dürfte sich der von Kirchner illustrierte Spruch als Gleichnis zum damaligen Staatschef Ceauşescu erschließen: „Kummt'r uf's Ross, dr Bettlmann, / reit'r ärger wie dr Edelmann.“
Wer mehr zur Biografie und Arbeit aus der Anfangsperiode des Künstlers erfahren möchte, dem sei der 2008 erschienene Kunstband „Walter Andreas Kirchner. Maler, Grafiker, Bildhauer“ von Walther Konschitzky bestens empfohlen.
Nach der Ausreise 1981 und nachdem die Familie Kirchner in Pforzheim eine neue Heimat fand, begann eine neue Schaffensphase des Künstlers, die das Heimatliche ins Universelle verlagerte. Aber Kirchner blieb bei allem Erfolg und weiter Welt doch immer auch Banater. Davon zeugen seine großen Plastiken zum Thema Flucht, Vertreibung, Neuanfang, wie „Tor zur Freiheit“, 2001 in Landshut aufgestellt, oder die große vierteilige Anlage im Salzburger Kommunalfriedhof, fertiggestellt 2016. Die Gedenktafel trägt folgende Inschrift: „Gedenken an die im Zweiten Weltkrieg gefallenen, in Todeslagern umgekommenen, bei Flucht und Vertreibung verstorbenen Donauschwaben“. Walter Andreas Kirchner hat unseren historischen Anteil am Banat „wie kein Zweiter – gezeichnet, gemalt, ins Holz geschnitten und in Stein gemeißelt: Fleiß und Klugheit, Anmut und Würde“, schreibt Franz Heinz.
Mit der dritten Lebensstation, Montignoso, in der Nähe von Carrara, erfüllte sich Kirchner einen Lebenstraum. Er hat sich hier, nur ein Katzensprung vom Steinbruch entfernt, sein Freilichtatelier zwischen Küste und Berg geschaffen, ein Ort mit Blick auf ein Stück Mittelmeer. Und hier bearbeitet er den edlen Stein, jeden Sommer, seit 1999.
Schon der große Michelangelo war fasziniert von dem weißen Marmor von Carrara. Er hat Göttliches daraus geschaffen. Wer die wunderbaren Arbeiten von Walter Andreas Kirchner sieht, wird gewiss den Vergleich mit den antiken griechisch-römischen Skulpturen anstellen. Sie stehen in ihrer edlen Erhabenheit jenen nicht nach.
Als Bildhauer hat Walter Andreas Kirchner alle Materialien erprobt: Holz, Bronze, Granit, Sandstein, Keramik, Aluminium, Kunststein, Porzellan und Marmor. In der Bildhauerei konnte er das Monumentale realisieren. Von Anfang an hat sich Kirchner zur Gegenständlichkeit in der Kunst bekannt, er gehorcht bis heute weder dem Diktat der Mode noch dem des Kunstmarkts. Er hat die Schönheit nicht aus seinem Werk verbannt, aber seine Werke sind nie l'art pour l'art, werden nie dekorativ oder beliebig, denn es steckt immer auch eine Symbolik in ihnen. Bei einem näheren Blick könnte man sagen, dass er mit dem Prinzip der Gegensätze arbeitet, um die Schöpfung in all ihren Facetten in sein Werk einzubeziehen. So steht neben dem makellos schönen „Flötenspieler“ der „Hiob“, der den Betrachter als steinerne Verzweiflung berührt und erschüttert.
Was Kirchner auch arbeitet, er kehrt immer wieder ins Banat zurück. So entstanden die Büsten des Banater Malers Stefan Jäger und die des Heimatdichters Adam Müller- Guttenbrunn. Von großer Aussagekraft ist auch das Gemälde „Adam Müller-Guttenbrunn und seine Zeit“, in welchem der Schriftsteller für die Banater Schwaben als Bewahrer und Beschützer erscheint.
Ob Walter Andreas Kirchner in erster Reihe Bildhauer oder doch Maler ist? Schwer zu sagen. Es sind im Laufe der Jahre hunderte Skizzen, Grafiken, Illustrationen, Aquarelle und Gemälde in Öl entstanden.
An den Anfang seiner kurzen Präsentation von Kirchners Malerei stellt Franz Heinz ein Porträtbild der Familie Kirchner und lässt den Künstler selbst zu Wort kommen. „Seht her – das sind wir. Oder genauer, das waren wir im Jahr 1997: meine Söhne Ralf-Armin und Rai-Hilmar, meine Frau Hedi Andree und an ihrer Seite ich selbst.“ Das Bild ist eine Hommage an die Familie, die den Ehemann und Vater mit der Kunst teilen muss. Es ist, wie Karl Valentin es sagte: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“
So gegensätzlich wie die Werke der Bildhauerei sind auch die Arbeiten in der Malerei. Es gibt auf der einen Seite die sozialkritischen Bilder und auf der anderen Seite die herrlichsten Landschaftsbilder und Blumen in leuchtender Farbenpracht. Neben der harmonischen Ballettszene „Rhapsodie in Blau“ steht „Orpheus Tod“, der in seiner ganzen Gestalt die Tragik selbst ist.
Kirchner schaut genau auf die Wunden unserer Zeit, auf die endlosen Flüchtlingszüge, die Menschen, die vor Krieg und Armut flüchten. Er erspart dem Betrachter diese Bilder nicht, trägt er doch selbst die Erinnerung der Flucht mit sich. Auch die geschundene Schöpfung ist ihm keinesfalls egal, wie die Bilder „Aufschrei“, „Rufer in der Wüste“, „Zuflüsterer“ zeigen. Wenn er in der Diktatur Stellung bezogen hat, so tut er dies auch im an Übersättigung erkrankten Abendland, für das Bilder wie „Alltäglicher Wahnsinn“ oder „Nur der Erste zählt“ stehen.
Kirchner ist ein Künstler seiner Zeit, sagt Franz Heinz. „Sein Zeitalter ist ohne Maß und ohne Götter und zunehmend in Frage gestellt von der Freisetzung unkontrollierbarer Gewalten.“
Einen beachtlichen Teil von Walter Andreas Kirchners Malerei nehmen die Landschaftsbilder ein. Dabei geht es ihm nicht um das Dekorative, er malt, was er fühlt. Und auch hier wird die Unruhe, die Suche spürbar. Es sind die elementaren Komponenten, die seine Landschaften prägen. Wind, Wasser, Feuer sind in kraftvoller Bewegung, erzeugen Farbenwirbel wie in „Wenn Winde deine Fluren fegen“, „Sturmbewegt“, „Bergrücken“, „Schilf am Teich“. Neben den Urgewalten stehen aber auch harmonische Bilder wie „Herbstmelodie“, ein Farbenmeer, das das Auge begeistert. Man sollte aber auch bei scheinbar ruhigen, idyllischen Bildern genau hinschauen. Im „Olivenhain“ liegen zertrümmerte Baumstrünke herum und in „Undurchdringlich“ steht ein Wald abweisend wie eine Wand. Franz Heinz bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: „Er zeigt unsere wunderbare Erde im Blühen und in Aufruhr, mit Früchten überladen und im Zorn.“
Religiöse Themen spielen auch eine wichtige Rolle in Kirchners Werk. Der Grafikzyklus „Hohes Lied“, der die Liebe in allen Facetten in Farbe setzt, ist ein Meisterwerk. „Die Verspottung Christi“, „Anbetung“, „Der gute Hirt“ sind nur einige der wichtigen religiösen Werke. Ein interessantes Bild ist „Die Auferstehung“. Kirchner malt eine unbeteiligte Gesellschaft, das Wunder geschieht unbemerkt. Das sagt sehr viel aus über unsere Zeit.
Und was kann man nun über einen Künstler sagen, der bald achtzig Jahre alt wird, der mit vielen Preisen geehrt wurde, dessen Arbeiten in Deutschland und Rumänien, aber auch in Italien und Frankreich, Österreich, Spanien, Lettland und in den USA zu finden sind? Wir lassen noch einmal Franz Heinz zu Wort kommen, der den Künstler seit den Kindertagen in Perjamosch kennt: „Für Kirchner ist sie [die Kunst] ein Bekenntnis zur Existenz und zur Welt – jeweils eingegrenzt in einen bemessenen Raum und eine gegebene Zeit.“ Kirchner wollte „ein freier Mensch in einer freien Gemeinschaft [sein]. Sein Ziel war nicht ein anderer Ort, sondern eine andere Welt.“
Und was sagt der Künstler selbst? Er sagt: „Freiheit ist die Möglichkeit, die Welt zu verändern.“ Und er verändert die Welt, jedenfalls die Menschen, die sich auf seine Kunst einlassen. Keiner, der seine Werke sieht, keiner der wirklich hinschaut, kann unberührt und unverändert bleiben. Seine Werke geben keine Lösungen, aber Wahrnehmungen, die zum Fühlen und zum Denken anregen. Wahre Kunst kann das.
Der durchgehend illustrierte Kunstband (256 Seiten) kann zum Preis von 30 Euro, inklusive Porto, bestellt werden bei: Hedi Kirchner, Friedenstraße 196, 75173 Pforzheim, Tel. 07231 / 972725, Mobil 0170 / 6959606, E-Mail hedikirchner@gmx.de.