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Ein wahrer Künstler und faszinierender Mensch

Erwin Kecsek, der Regisseur und Choreograph Einsender: Hansjürgen Schwarz

Für den Tanz war Erwin Kecsek berufen, der Pädagoge wurde eine Notwendigkeit, als er spürte, wie unzulänglich tägliches Training sein konnte. Das empfand er schon als junger Tänzer an der Staatsoper Temeswar. Die Ausbildung hatte er an der Ballettakademie in Klausenburg (Cluj-Napoca) zugleich mit dem Abitur abgeschlossen.

Was macht ein blutjunger Tänzer, der in seinem ersten Engagement an der Staatsoper seiner Heimatstadt Temeswar mit dem täglichen Training nicht wirklich zufrieden ist? Er geht in jede Ballett- und Opernvorstellung, wenn er nicht selbst tanzen muss. Er will lernen, er will verstehen, wie sich Qualität zeigt, und er erkennt, dass es die kleinen Nuancen sind, die einer Figur Leben verleihen. Die großen Posen machen Wirkung, die Nuancen kreieren aus einer „Marionette“ einen Charakter. Das wird sein Schaffen als Tänzer, als Choreograph und besonders sein Wirken als Pädagoge bestimmen.

Aber erst fordert ihn die Bühne. In die Proben wirft er sich so hinein, dass Gastchoreographen und Ballettmeister wie selbstverständlich ihre Arbeit mit ihm teilen. Die Intensität, mit der er seine Rollen gestaltet, begeistert Kollegen und Publikum. Der Junge muss gefördert werden! Erstaunlich, da im Rumänien der sechziger Jahre Angehörige der deutschen Minderheit eher an den Rand gedrängt werden. Er aber wird zu weiteren Studien nach Dresden zu Gret Palucca geschickt und – als Höhepunkt seiner Fortbildung – nach Leningrad an die Waganowa-Ballettakademie delegiert, die zu den berühmtesten und einflussreichsten Ballettschulen der Welt zählt. Die dortigen Künstler und Pädagogen hinterließen prägende Erfahrungen, die seine eigene pädagogische und künstlerische Entwicklung in Rumänien und später in Deutschland beeinflussten.

Erwin Kecsek wurde bewusst, dass künstlerische Kraft und Ausdruck erarbeitet werden müssen, zum einen technisch, zum anderen – mit gleicher Bedeutung – durch die seelische Durchdringung des Charakters einer Figur. Ebenso beschäftigte ihn die Frage: Ist eine Bewegung, eine Pose nur schön, also „l’art pour l’art“ (sinngemäß „die Kunst um der Kunst willen“), oder ist sie Ausdruck einer innewohnenden Notwendigkeit? Kecsek wurde klar, das Training mehr sein muss als körperliche Ertüchtigung. Es muss mit der Technik auch Kunst vermitteln, Fragen stellen und Antworten provozieren. Seine Proben, sein Unterricht werden mitunter zu einem Gang durch Tanz-, Musik- und Kunstgeschichte. Er bietet an, den Wert dessen muss man selbst erkennen und für sich nutzen. So gestaltete Erwin Kecsek seine Rollen als Tänzer, so legte er auch seine Choreographien und die Regiearbeiten von Operetten und Musicals an, zu denen er vielfältig eingeladen wurde. Als Ballettdirektor in Lüneburg gastierte er in Lübeck, Detmold, Oldenburg, wo er auch inszenierte und choreographierte.

Für Kollegen und Publikum gehörte sein Wirken zu den „goldenen Zeiten“ des Theaters, ganz gleich ob es sich dabei um seine zahlreichen abendfüllenden Ballettaufführungen, um Operetten- oder Musical-Inszenierungen handelte. In seiner Zeit als Ballettchef und Solotänzer in Lüneburg war es üblich, aus den Großstädten zu seinen Ballettabenden zu reisen. Das Publikum war „ballettsüchtig“ und die Kritiker feierten den Geschmack und die Qualität seiner Arbeiten. Ihn als Genie zu bezeichnen, war vielen nicht zu hoch gegriffen. In seinem Buch „Vorhang auf! Theater in Lüneburg 1946-1990“ beurteilt Torsten Hünke von Podewils Kecseks Wirken am Stadttheater Lüneburg als die glanzvollsten Zeiten in der Geschichte dieses Hauses. Er erhielt Auszeichnungen der Stadt Lüneburg für seine Verdienste um das Theater und die Ehrennadel der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehörigen für sein langjähriges Wirken im Prüfungsausschuss, wo er für seinen hohen Qualitätsanspruch nicht nur geliebt wurde.

Seit 1985 gab Kecsek als Professor für klassischen Bühnentanz an der Akademie des Tanzes der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim seine Erfahrungen und seinen Enthusiasmus an junge Tanzstudierende weiter. Dem Auftritt der Akademie des Tanzes bei den Ludwigsburger Festspielen im Schlosstheater stellte Horst Koegler in seinem „Koegler-Journal“ am 7. Juli 2002 ein glänzendes Zeugnis aus: „Besonders im ersten Teil des Programms, das vielversprechend mit der paprikagewürzten ‚Grand Palotás de la Reine‘ für vier Tanzpaare begann, choreografiert von Erwin Kecsek – ein Stück, in dem die Mannheimer Junioren unter Beweis stellten, mit welch einer Lust sie bei der guten Sache sind.“

Einladungen als Gastprofessor und Coach führten Erwin Kecsek seitdem auch nach Nordamerika und Asien. Als Mitglied von Prüfungskommissionen und Juror bei internationalen Wettbewerben machte er seinen Einfluss auf die Qualität des tänzerischen Nachwuchses geltend. Aus Dankbarkeit für die in seinem Heimatland genossene Ausbildung und Förderung setzte er sich für den rumänischen Tänzernachwuchs ein und vermittelte Stipendien, die dem Nachwuchs aus Klausenburg ein Studium an der Akademie des Tanzes in Mannheim (AdT) ermöglichten. Viele konnten sich an der AdT so entwickeln, dass sie bei nationalen und internationalen Wettbewerben erste und zweite Preise errangen und glänzende Engagements fanden.

Erwin Kecsek muss wohl beliebt gewesen sein als Theatermensch und als Pädagoge. Anders ist es nicht zu erklären, dass immer noch, nach so vielen Jahren, ehemalige Kollegen und Studierende gerne zu einem Tee oder Kaffee kommen, um an seinem runden Biedermeiertisch und auf unbequemen Biedermeierstühlen sitzend gemeinsam an alte Zeiten zu erinnern. Ein wahrer Künstler und faszinierender Mensch. Wir gratulieren zu seinem 80. Geburtstag am 14. Februar.