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Ausgezeichneter Beitrag zur Banater Kulturgeschichte

Zu Walter Engels Sammelband „Blickpunkt Banat“. Zunächst bemerkt man das gefällige Äußere des Buches: Hardcover, Fadenhaftung, leuchtend grüner Buchrücken, Papier von besonderer Qualität. Ein erstes kursorisches Lesen des Inhaltsverzeichnisses, das sich über acht Seiten erstreckt, sich aber durch die überschaubare Gliederung als angemessen erweist, weckt die Neugierde. Und dann beginnt die Entdeckungsreise in dem 566 Seiten starken Band. Die Rede ist von Walter Engels  Buch „Blickpunkt Banat“, das Ende letzten Jahres als Band 11 der Reihe „Banater Bibliothek“ erschienen ist.

Umfassendes Œuvre
Es trägt den Untertitel „Beiträge zur rumäniendeutschen Literatur und Kultur. Studien – Aufsätze – Gespräche – Rezensionen (1968 – 2012)“. Ich gebrauchte vorhin das Wort Entdeckungsreise, denn, obwohl ich jahrelang beruflich mit Walter Engel zusammenarbeitete und auch heute noch freundschaftlich mit ihm verbunden bin, war mir nie bewusst, bis jetzt, welche Fülle an Material zusammengekommen ist, ja welch umfassendes Œuvre Walter Engel im Laufe von viereinhalb Jahrzehnten aufweisen kann. Zweifellos haben auch die einzelnen Berufe, die der Deutschlehrer und promovierte Germanist in Rumänien und später in Deutschland ausübte – Gymnasiallehrer in Heltau in Siebenbürgen, Leiter der Kulturabteilung der „Hermannstädter Zeitung“, Dozent am Germanistiklehrstuhl der Temeswarer Universität, Mitarbeiter an der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt, Abteilungsleiter im Amt für Wissenschaft und Kunst der Stadt Frankfurt, schließlich langjähriger Direktor des Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Hauses – zu dieser Diversität beigetragen.

Eingeleitet wird der Band durch ein kluges Vorwort von Eduard Schneider, in dem dieser auf die wesentlichen Aspekte der Kultur und Geschichte des Banats verweist, wie sie von Walter Engel gesehen werden. Dabei wird aus Engels Vorwort zu dem von ihm 2007 herausgegebenen Sammelband „Kulturraum Banat“ mit dem bezeichnenden Untertitel „Deutsche Kultur in einer europäischen Vielvölkerregion“ zitiert: „Über längere historische Phasen (...) kann der Kulturraum Banat als beispielhaftes Phänomen für das friedliche Nebeneinander und das kreative Miteinander verschiedener Ethnien in einer überschaubaren Region gelten. Dass jede Ethnie ihre kulturelle Identität dabei weiterentwickelt bei gleichzeitiger Toleranz und Achtung der anderen Kulturen, rückt den Kulturraum Banat in die Nähe dessen, was man sich als Modell für manche europäische Region vorstellen kann.“ Daneben enthält das Vorwort ausführliche Informationen zur Biografie und zum beruflichen Werdegang Walter Engels, so dass auch der weniger informierte und nicht „banatbeflissene“ Leser sich in der Folge im Buch zurechtfindet.

Dazu dienen auch drei weitere einleitende Beiträge. In „Heimatbezug und Weltoffenheit. Walter Engel im Gespräch mit Stefan Sienerth“, dem damaligen Direktor des Münchner Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, wird auf die vielseitigen Aktivitäten Engels in der alten und in der neuen Heimat abgehoben. Interessant ist dabei vor allem, dass der Leser Informationen aus erster Hand erhält. So erfährt man beispielsweise, dass Engel, dessen Interesse zu Beginn seiner universitären Laufbahn vorwiegend der zeitgenössischen deutschen Prosa gegolten hatte, sich allmählich mit der Banater deutschen Literatur befasst habe. „In meiner Zeit am Temeswarer Germanistik-Lehrstuhl habe ich vom alten Franz Liebhard und natürlich von Dr. Johann Wolf entscheidende Anregungen für meine Beschäftigung mit der Banater deutschen Literatur- und Pressegeschichte bekommen. Dass ich aber über die Zeitschrift ‚Von der Heide‘ eine Anthologie mit monographischer Studie herausgegeben habe, war auf eine Anfrage des Kriterion Verlags Bukarest zurückzuführen. Damit legte ich den Grundstein für meine Dissertation, die zunächst Prof. Dr. Stefan Binder betreute, die ich aber erst 1981 bei Prof. Dr. Dietrich Harth in Heidelberg einreichen und bei Julius Groos publizieren konnte. Die Arbeit war bereits 1979 in Temeswar fertig. Wegen meines Ausreiseantrags wurde ich dann auf einer Sitzung an der Uni als ‚ideologisch unzuverlässiges Element‘ und gar als ‚Abenteurer‘ abgestempelt, der es nicht verdient, im
sozialistischen Rumänien zu promovieren. Bei der Arbeit an der Dissertation über ‚Das literarische Schrifttum im Spiegel der Banater deutschsprachigen literarisch-kulturellen Periodika (1840-1939)‘ stieß ich dann auf Themen und Autoren der Region, über die ich weiter forschte und publizierte, so über Josef Gabriel d. Ä. und über Josef Gabriel d. J., über Otto Alscher und Peter Barth, aber auch über die Beziehungen der Banater Schriftsteller zu ihren siebenbürgisch-sächsischen Kollegen.“

Zwei weitere Beiträge legen Zeugnis vom Verständnis und Engagement Walter Engels für seine Banater Landsleute ab. Es handelt sich um die mit großem Erfolg bedachten Festansprachen, die er am Auswanderer-denkmal in Ulm anlässlich der Heimattage der Banater Schwaben 1986 und 2004 gehalten hatte. Sinnigerweise tragen sie die Titel „Heimatverlust und Heimatgewinn“ und 18 Jahre später „Brücke sein zwischen Ländern und Kulturen“. Damit stellt Engel weitere Facetten seiner Person unter Beweis: zum einen sein Talent als Redner, zum anderen die Gabe, politische Zusammenhänge zu erkennen und zu artikulieren. Der in Engels Schriften ansonsten eher sachliche Ton ist hier einer gefühlvollen, subjektiv gefärbten Diktion gewichen.

Studien und Aufsätze
Die zweite Sektion des Buches umfasst Studien und Aufsätze, neun zur rumäniendeutschen Literatur und drei zu den deutsch-rumänischen
Literaturbeziehungen. Maßstäbe, auch theoretischer Art, setzt die Studie „Überlegungen zur Regionalliteratur der Banater Deutschen. Aspekte einer regionalen rumäniendeutschen Literaturgeschichtsschreibung“, erstveröffentlicht in dem bereits erwähnten Sammelband „Kulturraum Banat“. Damit schaltet sich der Autor in die europaweit geführte Diskussion um den Standort von Regionalliteraturen ein, unter besonderer Berücksichtigung der rumäniendeutschen, zumal der Banater Literatur und bringt ins Gespräch die These von einem Literaturtransfer bzw. von dem dialektischen Spannungsfeld zwischen beschleunigter Europäisierung einerseits und Besinnung auf die Region andererseits.

Ohne die anderen Beiträge herabzustufen, möchte ich aus dieser Sektion noch die Aufsätze „Literarische Kontakte zwischen Siebenbürgen und dem Banat. Austausch zwischen Autoren und Beiträge in Literaturzeitschriften“, sodann „Die Mundart als Refugium in Zeiten der Diktatur. Banatschwäbische Mundartdichtung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ und „Pionierleistung im rumänisch-deutschen Literaturaustausch. Die Monatsschrift „Romänische Revue“ (1885-1894)“ hervorheben, auf die aus naheliegenden Platzgründen nicht näher eingegangen werden kann – die Titel und Untertitel sprechen aber für sich.

Profile und Porträts
Wenden sich die Beiträge der vorhin genannten Sektion vorwiegend an den Fachmann, so dürften die Aufsätze des folgenden Abschnitts „Profile und Porträts“ auch den philologisch nicht vorgebildeten „Durchschnitts-leser“ ansprechen. Der Kultur- und Literaturfreund findet hier Bekanntes und viel Unbekanntes über die Banater Adam Müller-Guttenbrunn, Josef Gabriel d. Ä., Josef Gabriel d. J., Otto Alscher, Peter Barth, Franz Liebhard, Nikolaus Engelmann, Hans Diplich, Rudolf Hollinger, Stefan Heinz-Kehrer, Josef Zirenner, Franz Kumher, Franz Heinz, Petre Stoica, Cornel Ungureanu wie auch über den Wahlbanater Viktor Orendi-Hommenau, den Siebenbürger Wolf von Aichelburg und den Bukowiner Alfred Kittner. Mit großem Interesse und Einfühlungsvermögen habe ich den Aufsatz „Eine verhinderte Universitätskarriere. Der Hochschullehrer Dr. Johann Wolf (1905-1982)“ (wieder)gelesen und mich in die Zeit und die Umstände, von denen der Aufsatz berichtet, zurückversetzt. Einen Beitrag über diesen hervorragenden Pädagogen und für viele Banater Philologen richtungsweisenden Wissenschaftler findet man auch in der folgenden Sektion.

Gespräche über Literatur
Sie trägt den Titel „Gespräche über Literatur und Kunst“. Die meisten Beiträge stammen aus den frühen siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus der Feder des damaligen  Journalisten Walter Engel. Das Zusammenstellen dieser Sektion rund 40 Jahre später dürfte mit einer besonderen emotionalen Note befrachtet sein. Der Autor eröffnete mir nämlich in einem Gespräch – vor langen Jahren, noch in Temeswar – , dass er den Plan hege, zu den „Werkstattgesprächen mit Schriftstellern“ (1962) des deutschen Autors Horst Bienek (1930-1990) ein Pendant aus dem kleinen rumäniendeutschen Literaturbetrieb zu publizieren. Dazu ist es damals nicht gekommen, das alte Desiderat wird aber jetzt gewissermaßen erfüllt. Engel ergänzt die Sammlung von Gesprächen – bei manchen Autoren wird sogar der Terminus „Werkstattgespräch“ verwendet – mit Schriftstellern (Zoltán Franyó, Franz Liebhard, Wolf von Aichelburg, Hans Kehrer, Arnold Hauser, Joachim Wittstock, Christian Mauer, Ilse Hehn) mit solchen, in denen die Gesprächspartner Beziehungen zur deutschen Kultur aus Rumänien haben. So kommen die Hochschullehrer Dr. Johann Wolf und Eva Marschang, die Verlegerin und Kulturpolitikerin Hedi Hauser, der Bühnenbildner Helmut Stürmer, die Schauspielerin Margot Göttlinger zu Wort. Interviews führte Walter Engel auch mit dem Gastregisseur Rudolf Penka und dem rumänischen Dichter Marin Sorescu. Rezenteren Datums sind Engels Gespräche mit Richard Wagner, Helmut Braun, dem Verleger und Biographen der bedeutenden Bukowiner Dichterin Rose Ausländer, und mit dem Temeswarer Universitätsprofessor und Literaten Cornel Ungureanu. Der Wert dieses Kaleidoskops kleinerer Schriften liegt nicht zuletzt in ihrem dokumentarischen Charakter als Zeitzeugen;
spätere literatur- und kulturgeschichtliche Betrachtungen über die Rumäniendeutschen werden auf diese Beiträge nicht verzichten können.

Einen besonderen Stellenwert innerhalb dieser vierten Sektion nimmt wohl das Interview mit Günter Grass ein, das der damals 27-jährige Walter Engel mit dem bereits weltbekannten Schriftsteller und späteren Literaturnobelpreisträger in Hermannstadt führte. Souverän stellte der Kulturredakteur der „Hermannstädter Zeitung“ dem berühmten Gast Fragen zum Bekanntheitsgrad des rumäniendeutschen Schrifttums in der Bundesrepublik, zu dem Verhältnis von Grass zur Gruppe 47, zu dem Kritiker Marcel Reich-Ranicki, zum Nobelpreis. Ein willkommener Farbtupfer im Gesamtkontext des Buches „Blickpunkt Banat“.

Rezensionen und Kritiken
„Rezensionen und Theaterkritiken“ ist die fünfte Sektion des Bandes betitelt. Sie legt Zeugnis davon ab, wie prompt Walter Engel auf die tagesaktuellen Fakten im kulturellen Leben der Banater und Siebenbürger Deutschen reagierte, seien es nun Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt oder Theateraufführungen der beiden deutschen Bühnen in Temeswar bzw. Hermannstadt. Fein säuberlich gegliedert sind die insgesamt 27 Buchbesprechungen in Belletristik und Sachbücher, deren Autoren ausnahmslos Rumäniendeutsche oder Rumänen sind. Das Theater ist für Walter Engel neben der Literatur ein bedeutender Faktor im Kulturleben der Deutschen aus Rumänien.

Im Anhang findet man ein Nachwort von Walter Engel, in dem er Einblicke in die „Werkstatt“ der Entstehung dieses Buches gewährt, Dank-sagungen an die Förderer dieses Unterfangens ausspricht, darunter für die Bereitstellung der Fotos. Man hätte sich mehr davon gewünscht. Ein beeindruckendes Personenverzeichnis über 13 Seiten erleichtert das Nachschlagen in diesem Band.

Engels Buch liest sich leicht, man hat Freude beim Lesen. Die akkurat formulierten Fußnoten und das umfangreiche Quellenverzeichnis zum Abschluss entsprechen höchsten Ansprüchen einer wissenschaftlichen Publikation. Mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass sich Walter Engel auch und gerade mit diesem Buch als eine Instanz ersten Ranges auf dem Gebiet der Banater Kultur erweist.   

Walter Engel: Blickpunkt Banat. Beiträge zur rumäniendeutschen Literatur und Kultur. München: Landsmannschaft der Banater Schwaben, 2013. 566 Seiten (Banater Bibliothek; 11). ISBN 3-922979-67-X. Preis 28 Euro. Zu beziehen bei der Landsmannschaft der Banater Schwaben.