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Donauschwäbischer Künstler von internationalem Ruf

Robert Hammerstiel in seinem Atelier in Ternitz/Pottschach

Robert Hammerstiel: Todesmarsch unter sengender Sonne (Acrylbild) Fotos: Walther Konschitzky

Robert Hammerstiel: Pietà profana, Mittelteil des Triptychons „Die Donauschwäbische Passion“ (Holzschnitt)

„Immer hatte ich gehofft, Mischi wieder zu treffen, hatte es gehofft, als die Leute aus dem Kudritzer Lager kamen, suchte ihn unter der Menge, suchte die ganze Kolonne ab, bis ans Ende, aber ich fand ihn nicht. Die Kolonne verteilte sich in den Häusern. Die Menschen legten sich nieder, und es wurde Nacht. Ich hoffte Mischi zu finden – aber er war schon seit einem halben Jahr tot, verhungert. Mir ist, als müßte ich laut in die Ebene hinausrufen: ‚Mischi, Mischi!‘, und ich höre das Echo und das schreckliche Wort ‚verhungert‘ zurückschallen… Hier gibt es keinen Schreibstift, keinen Zeichenstift, kein Papier. Aber wenn Gott mir beisteht und mich nicht verhungern läßt, wenn ich Bleistifte, Farben und Papier besitze, werde ich alles aufzeichnen, für dich Mischi, und auch für dich Jani.“

Lagerfahrung in der Kindheit prägte Leben und Werk

Dieses Zitat entstammt der 1999 unter dem Titel „Von Ikonen und Ratten“ erschienenen Autobiografie des Holzschneiders und Malers Robert Hammerstiel. Es ist das Buch eines langen Leidensweges des Kindes und Jugendlichen Robert Hammerstiel in jugoslawischen Internierungslagern in den Jahren 1944-1947. Als „Überlebender von vielen Toten“, wie er sich selbst bezeichnete, löste Hammerstiel das Versprechen des verzweifelten Lagerkindes ein, das er seinen toten Freunden Mischi und Jani gegeben hat. In zahlreichen Holzschnitten und Gemälden wie auch in dem genannten Buch verarbeitete er das in den Internierungs-lagern Erlebte: das Grauen, den Hunger, die Gewalt, das massenhafte Sterben. Die schlimmen, traumatischen Erfahrungen in seiner Kindheit haben Robert Hammerstiel und seine Kunst zeitlebens geprägt, sie sind mahnender Bestandteil seines Schaffens. Seine ungewöhnliche Biografie und sein künstlerisches Werk sind eng miteinander verwoben.

Am 18. Februar 1933 in Werschetz geboren, lernte Hammerstiel bereits in jungen Jahren die Härte des Lebens auf brutale Weise kennen: Im November 1944 wurde er zusammen mit seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder ins Lager Zichydorf interniert. Damit begann ein unvorstellbarer Leidensweg durch mehrere Lager, den er einmal in einem Interview kurz und bündig beschrieben hat: „Ich habe den Abgrund der Menschheit bereits als 12-Jähriger gesehen.“ Das Martyrium endete nach knapp drei Jahren, als der Familie die Flucht aus dem Lager Gakowa über Ungarn nach Österreich gelang. Die Suche nach einer Bleibe und nach Heimat im darniederliegenden Österreich gestaltete sich schwierig. Robert Hammerstiel verschlug es in die niederösterreichische Gemeinde Pottschach, die später der Stadtgemeinde Ternitz eingegliedert wurde. Hier gründete er eine Familie, hier lebte und arbeitete er bis an sein Lebensende. Zunächst machte er eine Bäckerlehre und ergriff den gleichen Beruf wie sein Vater, der 1950 aus der Kriegsgefangenschaft heimkehrte. Ab 1955 arbeitete er 24 Jahre lang unter härtesten Bedingungen in der Graugießerei des Ternitzer Stahlwerks.

Stahlarbeiter beschreitet künstlerischen Weg

Robert Hammerstiels große Leidenschaft war das Zeichnen und Malen. Sein Vater, der in Werschetz auch als Ikonen- und Schildermaler tätig war, hat ihn künstlerisch angeleitet und gefördert. 1958 erhielt Hammerstiel durch die Teilnahme an einem Wettbewerb des Österreichischen Gewerkschaftsbundes den Förderpreis für Malerei und damit die Möglichkeit, an der Wiener Kunstakademie neben seinem Brotberuf zu studieren. Zu seinen Lehrern zählten Gerda Matejka-Felden, Gerhard und August Swoboda sowie Robert Schmidt, der Hammerstiel in die Kunst des Holzschnittes einführte. Trotz schwierigster Rahmenbedingungen ist Robert Hammerstiel seiner Berufung gefolgt, er fand Anschluss an die Kunstszene und entfaltete ab 1972 eine rege Ausstellungstätigkeit. Mit seinen Werken, die oft die tragischen Erlebnisse seiner Kindheit spiegelten, verschaffte er sich Anerkennung in der österreichischen und internationalen Kunstszene. In Fortführung seines Buches „Von Ikonen und Ratten“ schildert Hammerstiel seinen weiteren Lebensweg, beginnend mit der Bäckerlehre, den Jahren als Ternitzer Stahlwerksarbeiter über seine Studien in Wien bis hin zum Durchbruch als international anerkannter Künstler, in dem Buch „Von klaren und blinden Spiegeln“ (2007).

Hammerstiels Oeuvre ist umfangreich und vielschichtig sowohl im Hinblick auf die Techniken als auch auf die Thematik. Hammerstiel war ursprünglich Zeichner, seine Anfänge liegen in der harten Sprache des Holzschnittes, die die Konzentration auf die Form, grobe Umrisse und Vernachlässigung von Details förderte – Ausdrucksmittel, zu denen er in seinem Spätwerk auch in der Malerei gefunden hat. In seinen Holzschnitten, mit denen Hammerstiel als Künstler bekannt wurde, setzte er sich mit seinen traumatischen Kindheitserlebnissen auseinander, was sich in einer dunklen, ja düsteren Farbpalette niederschlug. Später wandte er sich der Farbmonotypie zu, die ihm als eine Art Brücke vom Holzschnitt zur Malerei diente. Auch seine frühen Bilder waren farblich zurückhaltend, doch sie fanden lange Zeit weniger Aufmerksamkeit als seine Holzschnitte.

Wendepunkt im malerischen Werk nach New York-Reise

Das Jahr 1988 markiert einen deutlichen Einschnitt im Leben des Künstlers: Einerseits trat Hammerstiel, der nach einem Arbeitsunfall 1979 aus der Gießerei ins Büro versetzt worden war, seine Frühpension an und wirkte fortan freischaffend. Andererseits bewirkte ein Aufenthalt in New York einen Wendepunkt in seinem malerischen Werk. Von der amerikanischen Pop Art gefesselt, entdeckt er die Farbe neu und vereinfacht die Formen radikal. Seine Bilder sind fortan geprägt von einer lebendigen Farbigkeit und einer radikalen Reduktion der Form auf das Wesentliche. Hammerstiels Handschrift ist seit Ende der 1980er Jahre unverwechselbar und von großer suggestiver Wirkung.

„Die Antriebskraft für meine Malerei ist die innere Notwendigkeit, die Erfahrung meiner Vergangenheit und Gegenwart in eine Symbiose zu bringen. Meine Arbeit ist geprägt von Klarheit, Direktheit und Vereinfachung. Das Physiognomische ersetzte ich mehr und mehr durch flächige Formen, gestaltet in leuchtenden monochromen Farben“, schreibt Robert Hammerstiel in seiner künstlerischen Selbstcharakteristik. „Farbe und Form versetzen mich nicht nur in Euphorie, sondern sie geben mir die Möglichkeit, Statik und Bewegung in ein Gleichmaß zu bringen, das ich durch meine Arbeiten auszudrücken versuche“, so der Künstler.

Das Spezifische seiner Bilder sind die eingefügten, den Raum mehr oder weniger dominant besetzenden leuchtend-monochromen Figuren, die ganz von Innenleben und Gesichtern befreit und auf Haltung und Gestik reduziert sind. Ihre Schablonenhaftigkeit macht sie geheimnisvoll, ja unheimlich, es steckt etwas Magisches in Robert Hammerstiels Bildern. Die radikale formale und farbliche Reduktion steht für seine Konzentration auf das Elementare, das Wesentliche. Im „Weglassen von Nebensächlichem“ sah er die Essenz seines Schaffens. Seine auf Farbe und Form reduzierten Gestalten bewirken nur scheinbar eine Vereinfachung. Im Grunde verdichtet Hammerstiel die Figurationen zu geistigen Physiognomien. Durch die gesamte Bildkonzeption, die Stellung der Figuren zueinander gelingt es ihm, eine Narration aufzubauen, in der die Atmosphäre der Szene für den Betrachter spürbar wird. Die flächig ausgearbeiteten Figuren erzählen ihre Geschichte durch ihre Beziehung zu einem reduzierten Raum, durch die vom Künstler gewählte Perspektive, unterstützt von weiteren Motiven und Objekten.

Nahezu unüberschaubar ist die Vielzahl seiner Themen, die sich auch in den von Hammerstiel im Laufe seiner künstlerischen Laufbahn geschaffenen Holzschnitt- und Gemälde-Zyklen widerspiegelt. In seinen Werken knüpft er über all seine Schaffensphasen immer wieder an frühe Eindrücke und Motive aus seinem Banater Herkunftsraum an. Seine biografischen Erfahrungen waren in besonderem Maße Substanz und Antrieb für das künstlerische Schaffen. Im Mittelpunkt seines druckgrafischen Werks und seiner Bilder steht der Mensch mit seinen Gefühlen und Zuständen in bestimmten Lebensumständen, seinen Wünschen und Träumen. Leid, Einsamkeit, Entbehrung, Gewalt, Tod, aber auch Glaube, Hoffnung, Liebe, Mitgefühl, Freude, ebenso die Suche nach Glück, Geborgenheit und Heimat kommen in seinem Schaffen eindrucksvoll zum Ausdruck. Hammerstiel vermittelte unbeirrt seine humanistische Botschaft, ihm ging es immer um die menschliche Würde, um Frieden und Verständigung. Neben den Menschen waren es auch die urbanen Landschaften, von New York bis in seine Geburtsstadt Werschetz, die ihm immer wieder als Motiv dienten. Hinzu kommt sein Zyklus „Ich und die anderen. Hommagen an die Kunst“. In mehr als 150 Bildern beschäftigte sich Hammerstiel mit Werken von Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts, die wesentlich für ihn waren, die ihn inspirieren und berührten.

Ausstellungen und Ehrungen weltweit

Hammerstiels Werke waren in unzähligen Ausstellungen weltweit zu sehen und sind in vielen öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten. In den letzten Jahren hat der Künstler vor allem durch seine großen Einzelausstellungen im Leopold-Museum in Wien, das ihm als einzigem lebenden Künstler zwei Ausstellungen ausgerichtet hat, im Wiener Künstlerhaus, in der Albertina in Wien, in der Salzburger Galerie Gerlich oder in der Galerie Lehner in Wien sowie mit der malerischen Verhüllung des Wiener Ringturms von sich reden gemacht. 2007 war der 73 Meter hohe Bau an der Ringstraße für zehn Wochen mit einem 4000 Quadratmeter großen Gemälde von Hammerstiel verhüllt, das die Stationen des Lebens zeigte – mit den für ihn signifikanten abstrahierend-figurativen, in kräftigen Farben leuchtenden, stark reduzierten Schablonenfiguren.

Robert Hammerstiel wurde mit vielen nationalen und internationalen Preisen und Auszeichnungen geehrt. 1985 wurde ihm der Ehrentitel „Professor“ durch den österreichischen Bundespräsidenten verliehen. 1998 erhielt er das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst und vier Jahre später das Goldene Ehrenkreuz für Verdienste um das Land Niederösterreich. Die Gesellschaft bildender Künstler Österreichs (Künstlerhaus Wien) zeichnete ihn 2005 für sein Lebenswerk mit dem „Goldenen Lorbeer“ aus. Die Stadt Ternitz verlieh ihm 2013 die Ehrenbürgerschaft. Im Jahr 2002 wurde er zum ungarischen Kulturritter geschlagen, Papst Johannes Paul II. verlieh ihm 2005 den Ehrentitel „Ritter des Ordens des hl. Papstes Silvester“. Großer Anerkennung erfreute sich der Künstler in seinem Herkunftsland Serbien. Trotz aller negativen Erfahrungen trug er seine Heimat Banat stets im Herzen und fühlte sich seinem Geburtsort Werschetz immer eng verbunden. Er suchte das Gespräch, bemühte sich um das Zuschütten von Gräben und fühlte sich dem friedvollen Miteinander verpflichtet. Hammerstiel stellte mehrmals in Serbien aus, wurde 2006 Ehrenmitglied der Akademie für Wissenschaft und Kunst in Belgrad und 2009 Ehrenbürger der Stadt Werschetz. 2010 widmete ihm das Stadtmuseum Werschetz ein eigenes Museum, das im Weinbauerndorf Kudritz, dem Herkunftsort eines Großvaters des Künstlers, eröffnet wurde, im Jahr darauf wurde ein Robert-Hammerstiel-Saal als Dauerausstellung im Landesmuseum der Vojvodina in Neusatz eingerichtet.

Professor Robert Hammerstiel ist am 23. November 2020 nach kurzer schwerer Krankheit im 88. Lebensjahr im Landesklinikum Neunkirchen verstorben. Er war einer der bedeutendsten donauschwäbischen Künstler der Gegenwart und gehörte zur Elite der österreichischen Kunst- und Kulturszene. Hammerstiel genoss höchste internationale Reputation. Seine „Lager-Bilder – mit Schreib- und Zeichenstift festgehalten – sind ein Zeitzeugenbericht besonderer Art: ein Dokument zur Zeitgeschichte“, hält Walther Konschitzky fest. Und sie werden es bleiben, auch über den Tod des großen Künstlers hinaus, der ein beeindruckendes Oeuvre hinterlassen hat.