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Nikolaus Lenau – der unsterbliche Dichter (Teil 2)

Büste des Dichters Nikolaus Lenau im Lenaumuseum in seinem Geburtsort Lenauheim. Foto: Nikolaus Dornstauder

Graf Alexander von Württemberg und seine Dichterfreunde im Garten Justinus Kerners in Weinsberg. Von links: Theobald Kerner, Nikolaus Lenau, Gustav Schwab, Graf Alexander von Württemberg, Karl Mayer, Justinus Kerner, Friederike Kerner, Ludwig Uhland, Karl August Varnhagen von Ense (kolorierter Stich nach einem Ölgemälde von Heinrich von Rustige)

Mit ein Grund zur „Flucht“ aus dem beengten Wien war auch die Enttäuschung des Dichters nach seiner Liebesbeziehung zu Bertha Hauer, einem armen, 15-jährigen Mädchen, „ohne eigentliche Bildung, aber mit Anlagen, die sie der schönsten Bildung fähig machen“. Anfangs stolz auf die ihm von dieser Jugendliebe geschenkte Tochter Adelheid Magdalena Niembsch (1826-1844), bezweifelte Lenau bald seine Vaterschaft und trennte sich 1828 von Bertha Hauer und Tochter:

Nun ist’s vorüber; in den Tagen,
Als ihr Betrug ins Herz mir schnitt,
Hab ich das süße Kind erschlagen,
Und mit dem Leben bin ich quitt.
Nicht mehr zum Lustschloß umgelogen,
Scheint mir die Erde, was sie ist:
Ein schwankes Zelt, das wir bezogen
− Tod habe Dank! − auf kurze Frist.“
                                                (Unmuth)

Mit dem Gedicht „Jugendträume“, gezeichnet „N. Niembsch“, trat Lenau in dem von Johann Gabriel Seidl in Wien herausgegebenen Almanach „Aurora. Taschenbuch für das Jahr 1828“ erstmals an die Öffentlichkeit. Im November 1828 druckte das Illyrische Blatt in Laibach das „Reiterlied“ von ihm ab.
Am 24. Oktober 1829 starb Lenaus über alles geliebte Mutter, bei der er sich unendlicher Gegenliebe erfreuen durfte. In Gedichten wie „Der offene Schrank“, „Der Traum“ und „Der Seelenkranke“ findet der tiefempfundene Schmerz seinen Widerhall:

Ich trag’ im Herzen eine tiefe Wunde,
Und will sie stumm
bis an mein Ende tragen;
Ich fühl’ ihr rastlos immer tiefres Nagen,
Und wie das Leben bricht
von Stund’ zu Stunde.
                       (Der Seelenkranke)

Den unaufhörlich Suchenden verband bis zu seinem Lebensende eine innige Freundschaft mit Anastasius Grün (Alexander Graf von Auersperg), seinem späteren Biographen. Beziehungen des Dichters zu Gleichgesinnten wie Eduard von Bauernfeld, Franz Grillparzer, Ferdinand Raimund, Ernst Freiherr von Feuchtersleben, Johann Gabriel Seidl (1804-1875), Karl Johann Braun von Braunthal (1802-1866), Friedrich Witthauer (1793-1846), Ludwig August Ritter von Frankl (1810-1894), Josef Klemm (1821-1882) und anderen befruchteten sein geistiges Schaffen. Es darf nicht verschwiegen werden, dass Franz Grillparzer hin und wieder zynische Äußerungen in Richtung Lenaus Schwermut und Träumereien von sich zu geben bemüßigt war.

Ausgedehnte Wanderungen durch die Alpen

Mit Schwager Anton Xaver Schurz und Fritz Kleyle unternahm Lenau ab 1826 Wanderungen durch das Hochgebirge: ab Vöslau über das Triestingtal nach Pottenstein, dann über Berndorf nach Gutenstein, damals ein „arg verfallenes Felsennest“, bis zum Schneeberg. Ein Jahr später führte die Wanderung von Berndorf über Hernstein nach Starhemberg und Gutenstein wieder zum Schneeberg. Nach nächtlicher Wanderung, beim Anblick einer Burgruine, ist Lenaus Gedicht „Vergänglichkeit“ entstanden:

Vom Berge schaut hinaus ins tiefe Schweigen
Der mondbeseelten schönen Sommernacht
Die Burgruine; und in Tannenzweigen
Hinseufzt ein Lüftchen, das allein bewacht
Die trümmervolle Einsamkeit,
Den bangen Laut: ‚Vergänglichkeit!‘

Kuhschneeberg, das wildromantische Höllental, die Preiner Alpen bis hinunter nach Gloggnitz hinterließen ihre poetischen Spuren, andernmals ging es über Gießhübl nach Heiligenkreuz: „Vor Heiligenkreuz betraten wir das lieblichste Wiesenwäldchen, das ich mein Lebtag sah. Niembsch, auch ganz entzückt davon, wollte Ähnliches gesehen haben bei Tübingen, und er erinnerte sich lebhaft Uhlands, Mayers und Schwabs. In Heiligenkreuz rief Niembsch ein paarmal aus: ‚Wenn (Justinus) Kerner bei uns doch wäre! Der würde aufjauchzen: Das ist zu lieb.‘“ (zitiert nach Anton Xaver Schurz: Lenaus Leben, S. 305 f.) Die Eindrücke dieser bis zum Hochschwab fortgesetzten Wanderung wurden im Gedicht „Weib und Kind“ verewigt:

Ein schwüler Sommerabend war’s, ein trüber,
Ich ging fußwandernd im Gebirg allein,
Und ich bedachte mir im Dämmerschein,
Was mir noch kommen soll, was schon vorüber.

Auf diesen ausgedehnten Wanderungen ins Hochalpine Niederösterreichs und im Salzkammergut lernte Lenau nette Menschen kennen, schloss Freundschaft mit dem Dichter Mathias Leopold Schleifer (1771-1842) und verliebte sich in die Gmundener Lehrerstochter Nanette Wolf, der er das Gedicht „An meine Rose“ widmete:

Frohlocke, schöne junge Rose,
Dein Bild wird nicht verschwinden,
Wenn auch die Gluth, die dauerlose,
Verweht in Abendwinden.

Der engen Freundschaft mit dem jungen polnischen Adeligen Nikolaus Boloz von Antoniewicz (1801/1804-1885), mit dem Lenau unter einem Dach wohnte, verdankt der Dichter die Anregung zu seinen „Polenliedern“, in denen sich Lenaus revolutionärer Geist bestätigt findet.

In der 1830 in Karl Spindlers Damenzeitung (München) publizierten Allegorie „Glauben, Wissen, Handeln“ sowie in dem in der Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode veröffentlichten Gedicht „Die Werbung“ zeichnet der Dichter erstmals mit dem Pseudonym „Lenau“.

Nach einer Erkrankung bricht der Dichter vor seinem letzten Examen das Medizinstudium ab, ohne es trotz späterer Versuche in Heidelberg je abzuschließen.

Nach dem Tod seiner Großmutter (23. September 1830) fällt Lenau ein kleines Vermögen zu und es scheint, als wäre der Dichter fortan finanziell abgesichert.

Rastlos zwischen Wien und dem Schwäbischen

Die Reisetätigkeit des Dichters zwischen Wien und dem Schwäbischen wird ab August 1831 intensiv. Oft weilt Lenau bei Justinus Kerner (1786-1862) in Weinsberg, im Hartmann-Reinbeckschen Haus in Stuttgart, wo er in Emilie Reinbeck (1794-1846), der Dame des Hauses, eine aufmerksame Gastgeberin und während seiner späteren Krankheit eine hingebungsvolle Pflegerin findet.

Lenau verliebt sich in Charlotte Gmelin („Schilflottchen“), eine Nichte von Gustav Schwabs Frau, und auf Schloss Serach bei Esslingen war Lenau häufiger Gast des Grafen Alexander von Württemberg (1801-1844), wo er vom Grafen und dessen ungarischer Frau, der Gräfin Helene von Festetics-Tolna (1812-1886), liebevoll „Graf Miklós“ gerufen wurde. Alexanders Schwester Marie von Württemberg (1815-1866) zählte zu den zahlreichen Verehrerinnen Lenaus und der Dichter ließ sie als Königstochter Marie in seinem „Faust“ in die Literatur eingehen.

Später sollte Lenau an einer traurigen Auseinandersetzung, nämlich als Sekundant Alexanders in dessen Duell mit dem Geliebten seiner Frau, teilhaben. Er fühlte sich aber wohl inmitten des Schwäbischen Dichterkreises mit Justinus Kerner, Ludwig Uhland (1787-1862), Alexander Graf von Württemberg, Gustav Pfizer (1807-1890), Karl Mayer (1786-1870) u.a.

Gustav Schwab (1792-1850) ebnete Lenau den Weg zum Cotta-Verlag, eine der einflussreichsten Institutionen jener Zeit, nachdem Schwabs Morgenblatt für gebildete Stände einige Lenau-Gedichte veröffentlicht hatte. Aus dieser Zeit stammen Gedichte wie „In der Schenke“, „Am Grabe eines Ministers“ (Anspielung auf Fürst Metternich), „Das Posthorn“ u.a.

Nach dem erfolglosen Wiederaufnahmeversuch des Medizinstudiums in Heidelberg gibt es der Dichter endgültig auf: Er war eben für keinen bürgerlichen Beruf geeignet, trieb es ihn doch wie Faust dazu, sich alles Wissen aneignen zu wollen, um sein berufliches Scheitern einzugestehen. Diesbezüglich äußerte der Dichter die Meinung, dass er als Mediziner wohl einzelnen Menschen helfen, durch seine Dichtung jedoch die ganze Menschheit erfreuen könne.

Trotz starker Zuneigung zu Charlotte Gmelin entschloss sich der „Europamüde“, die grenzenlose Freiheit in den nordamerikanischen Weiten zu suchen. Im Sommer 1832 reiste er über Amsterdam und Baltimore nach Pittsburgh und erwarb in Crawford County (Ohio) einen zirka 162 Hektar großen Landbesitz, der später verpachtet wurde.

Aber auch in den Urwäldern und Weiten der Neuen Welt findet der Rastlose nicht das „wahre Glück“. Seine Sympathie für die Indianer und deren Heimat findet ihren Niederschlag in der Dichtkunst: „Der Indianerzug“, „Der Niagara“, „Der Urwald“, „Das Blockhaus“. Für die Zuwanderer findet Lenau jedoch kein Verständnis: „Die Bildung der Amerikaner ist bloß eine merkantile, eine technische. Hier entfaltet sich der praktische Mensch in seiner furchtbarsten Nüchternheit. […] Der Amerikaner kennt nichts, er sucht nichts, als Geld.“ Und weiter urteilt der Dichter: „Diese Amerikaner sind himmelanstinkende Krämerseelen.“

Nach der großen Enttäuschung Amerika kehrte der Dichter nach dem Besuch der Niagara-Fälle über New York und Bremen im Juli 1833 nach Europa zurück und über Württemberg gelangte er im September nach Wien.

Mittlerweile war 1832 bei Cotta sein erster Gedichtband („Gedichte“) erschienen und Lenau ein bekannter Mann geworden. Dementsprechend wurde er überall – auch in Wien – bestens aufgenommen.

Arbeit am „Faust“ und den „Albigensern“

1833 setzte eine arbeitsreiche Zeit ein: Lenaus Arbeit an seinem „Faust“. Am 27. November 1833 schrieb der Dichter an Justinus Kerner: „(...) schreibe gegenwärtig einen Faust, wo sich Mephistopheles nicht übel macht. Da hab’ ich endlich einen Kerl gefunden, auf den ich meinen ganzen Höllenstoff ablagern kann (...).“ Dass auch Goethe einen „Faust“ geschrieben hat, stört Lenau nicht, denn „Faust“ sei kein Monopol Goethes, so der nüchterne Kommentar des Dichters.

Gleichzeitig mit Lenaus Arbeit am „Faust“ tritt im Leben des Dichters eine schicksalsbestimmende Wende ein: Er lernt die Base seines Jugendfreundes Fritz Kleyle, Sophie von Löwenthal (1810-1889), die Frau seines Freundes Max, ebenfalls literarisch und zwar in Sachen Dramatik tätig, kennen. Sophie, Mutter von drei Kindern und treue Ehegattin, und Lenau wissen von Anbeginn, dass ihre Liebe hoffnungslos bleiben muss, was den Dichter in zermürbende Seelenzustände versetzt. Der durch dieses Schicksal hervorgerufene Schmerz widerspiegelt sich auch in vielen Sophie gewidmeten Gedichten wie „An die Entfernte“, „Das dürre Blatt“, „Der schwere Abend“, „Der schwarze See“, „Verlorenes Glück“, „Traurige Wege“ – schwermutgetränkte Lyrik eines Zerrissenen:

Diese Rose pflück ich hier,
In der fremden Ferne;
Liebes Mädchen, dir, ach dir
Brächt ich sie so gerne!
[...]
Rosen wecken Sehnsucht hier,
Dort die Nachtigallen,
Mädchen, und ich möchte dir
In die Arme fallen!“
                   (An die Entfernte)

Besondere Beachtung gefunden haben die sogenannten „Liebeszettel“, die Briefe des Dichters an
Sophie, die viele Generationen von Literaturforschern beschäftigt haben, gesteht doch der Dichter selbst: „Wer mich kennen will, muss diese Zettel gelesen.“ Sophie gegenüber bekennt der Dichter unter anderem, dass er ohne sie „keinen Savonarola geschrieben hätte“.

Für den Dichter bedeutete die Auseinandersetzung mit dem Savonarola-Stoff eine religiös-politische Herausforderung, gleichzeitig auch eine durch seine abgrundtiefe, doch aussichtslose Liebe zu Sophie selbstauferlegte Askese. Der florentinische Dominikanermönch Girolamo Savonarola (1452-1498) wird als Predigerrebell dem Papst und dem Hause Medici zu gefährlich und endet als Ketzer auf dem Scheiterhaufen. In seinem 1837 erschienenen epischen Gedicht zeichnet Lenau den Ordensmann als Streiter für den rechten Glauben und Vertreter einer geistigen, lebensfeindlichen Welt. Dem Dichter wurde unchristliche Haltung vorgeworfen, doch wertete man in den „Berliner Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik“ das Werk als eine Abrechnung mit der absolutistischen Herrschaft im damaligen Österreich.

Obwohl von Unruhe zwischen Wien und Schwaben hin- und her-gepeitscht, brütet der Dichter über neuen Stoffen, den „Albigensern“. Darin werden Ereignisse aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts sprachgewaltig poetisiert: die Vernichtung der südfranzösischen Bewegung der Albigenser durch Papst Innozenz III. Gleich den von der katholischen Lehre abweichenden, sich für Enthaltsamkeit und Armut einsetzenden Albigensern, die letztendlich den unausweichlichen Ruin erleiden mussten, wird auch der in seiner Liebe zu Sophie zur Askese verbannte Dichter eine Gemeinsamkeit mit den „Helden“ seiner episch-dramatischen Dichtung im gemeinsamen Schicksal erahnt haben.

Im Schlussgesang lässt Lenau die sich ihrer historischen Rolle für die Nachwelt bewusst werdenden Albigenser noch einmal zu Wort kommen:

Geteiltes Los mit längstentschwundnen Streitern
Wird für die Nachwelt unsre Brust erweitern,
Daß wir im Unglück uns prophetisch freuen
Und Kampf und Schmerz, sieglosen Tod nicht scheuen.
So wird dereinst in viel beglücktern Tagen
Die Nachwelt auch nach unserm Leide fragen.

In der Bergwelt des Salzkammergutes sucht Lenau im Sommer 1839 seelische Erholung und körperliche Frische, während er in Wien die ambivalente, belastend-beglückende Beziehung zu Sophie durch die Bekanntschaft mit der Sängerin Karoline Unger (1805-1877) abzuschwächen versucht. Der „vorübergehend“ beglückte und Heiratsabsichten hegende Dichter sollte um eine Enttäuschung reicher werden. Nicht nur, dass die voreilige und selbstbewusste Diva ihr Bildnis mit dem Namenszug „Karoline v. Strehlenau, geborene Unger“ geschmückt hatte, auch Sophie von Löwenthal erhob „Einspruch“ gegen diese Verbindung.