zur Druckansicht

„Freiraum und Eigen-Sinn“: Spiegelungen 1/2019

In den kommunistisch regierten Staaten Zentral- und Südosteuropas ließen sich trotz repressiver Maßnahmen von Seiten der politischen Macht gewisse Freiräume schaffen. Auf unterschiedlicher Art und Weise ist es Menschen gelegentlich gelungen, der staatlichen Zensur zu entgehen beziehungsweise diese zu umgehen, um sich im (kleinen) Kollektiv oder individuell „eigen-sinnig“ zu äußern oder zu verhalten. Die neueste Ausgabe der Zeitschrift „Spiegelungen“ (Heft 1/2019) widmet sich unter dem Titel „Freiraum und Eigen-Sinn“ diesem vielschichtigen Thema, das aus einer interdisziplinären Perspektive untersucht wird.

Die Studien über Reisen durch den Eisernen Vorhang nach Ungarn in den 1950er Jahren, die seit 1980 bestehende slowenische Kultband „Laibach“, das „eigen-sinnige“ Handeln lokaler freiwilliger Feuerwehren in der Vojvodina, kaisertreue Motzen in Siebenbürgen, transnationale kirchliche Beziehungen zwischen „Ost“ und „West“ und rumäniendeutsche Minimalprosa nähern sich aus ganz unterschiedlichen Richtungen der Frage nach mehr oder weniger zugänglichen und sichtbaren Freiräumen in der Zeit des Kommunismus. Besonders hervorzuheben ist die Studie der Literaturwissenschaftlerin Christina Rossi „Minimalprosa als operatives Versteck. Literarische Strategien deutscher Schriftsteller in Rumänien der 1980er-Jahre“. Diese literarische Gattung ermöglichte es, durch Verdichtung und Absurdität – trotz Zensur und ideologischer Verengungen – schreibend Freiräume zu generieren und diese gleichzeitig in europäische Kontexte des engagierten Schreibens  sowie des Widerstands zu integrieren.

Aus dem wissenschaftlichen Teil der Zeitschrift ist unbedingt der Beitrag von Christine Chiriac „Vorbild oder Feind? Die deutsche Minderheit in rumänischen Geschichsschulbüchern von 1910 bis 2013“ zu nennen. Die Autorin, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Georg-Eckert-Institut für Internationale Schulbuchforschung in Braunschweig tätig ist, nimmt exemplarisch sechs rumänische Geschichtsschulbücher für die gymnasiale Oberstufe  unter die Lupe und untersucht die Art und Weise, wie die deutsche Minderheit darin dargestellt wird. „Welches Bild zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgegriffen wird, welches dominiert und wie es gewertet wird, ist unter anderem durch politische Einflüsse bedingt“, so Chiriac. Überspitzt ließe sich der Wandel in den sechs Schulbüchern wie folgt zusammenfassen: „An die Stelle des ‚Mit- und Nebeneinanders‘ von 1910 tritt 1939 ein starkes ‚Nebeneinander‘, dann wird die Minderheit 1947 verteufelt, 1979 instrumentalisiert, 2000 ignoriert und 2013 beklagt.“

Der Literaturteil der Zeitschrift umfasst Prosatexte von Felicitas Hoppe, Cornelius Scherg, Frieder Schuller und Hellmut Seiler sowie Lyrik von Franz Hodjak, Nora Iuga, Hellmut Seiler und Richard Wagner. Illustrationen von Astrid Hodjak begleiten die Texte.

Im Feuilleton stehen diesmal vor allem die Bukowina und die Zips im Fokus – darunter einige Erinnerungen und Rückblicke. Mit der Laudatio Joachim Wittstocks auf Nora Iuga, die den „Spiegelungen“-Sonderpreis für Lyrik 2017 bekommen hat, oder den augenzwinkernden Texten des in Czernowitz lebenden Malers und Grafikers Oleg Lubkivskyj ist ansprechende Abwechslung angezeigt.

Rezensionen, eine Chronik der Ereignisse in Bezug auf deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas, Mitteilungen aus dem die Zeitschrift „Spiegelungen“ herausgebenden Institut für deutsche Kultur und
Geschichte Südosteuropas (IKGS) sowie Hinweise auf Neuerscheinungen des Instituts ergänzen wie immer das Lektüreangebot der 250-seitigen Halbjahresschrift.

Die Zeitschrift „Spiegelungen“ ist über den Buchhandel oder direkt beim Verlag Friedrich Pustet (E-Mail verlag@pustet.de, Tel. 0941 / 920220) als Einzelheft oder im Abonnement zu beziehen.