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Banater Germanistin, Hochschullehrerin, Forscherin (1)

Dr. Maria Josefa Rosl Pechtol, geb. Schütz, um 1960

Temeswar-Josefstadt 1937, im Hof des Schütz-Hauses, Sterngasse Nr. 12: stehend (von links): die Schütz-Geschwister Stefan, Melinda und Rosl zwischen den Eltern Katharina und Dr. Josef Schütz; sitzend: Dr. Anton Schütz (aus Budapest zu Besuch), die Großeltern Magdalena und Heinrich Schütz und die „Kodi“ Magdalena Schütz.

Zum 100. Geburtstag von Dr. Maria Pechtol, geborene Schütz - Jubiläen sind Anlässe, sich an Menschen zu erinnern, die durch Leistung und Mensch-Sein eine angemessene, ehrende Würdigung verdienen. Meistens ist dieses eine Leben zugleich Spiegelbild einer ganzen Epoche.

Die Verdienste von Dr. Maria Pechtol liegen im Bereich der im Titel hervorgehobenen, eng miteinander verquickten Betätigungsfelder. Einige Artikel gehen auf ihr nachhaltiges Wirken ein. Die vorliegende Würdigung verdankt ihre Fülle an neuen Einblicken dem glücklichen Umstand, dass ihr Nachlass an originalen Dokumenten nicht im Container landete, dass sie ihn mir überlassen hat, er somit ausgewertet werden konnte (vgl. „Quellen“ am Ende des Textes). Zudem habe ich lebendige Erinnerungen an sie – sie als meine Lehrerin und (in späten Jahren) ich als ihre Vertraute. Ein großes Wort, das ich dankbar ausspreche.

In Anton Peter Petris „Biographischem Lexikon des Banater Deutschtums“, 1992 erschienen, ist sie unter dem Namen Maria Josefa Rosl Schütz-Pechtol erfasst.

Familiäres Umfeld und Werdegang

Geboren wurde Maria Rosl Schütz am 6. Oktober 1918 in Temeswar. Der Vater, Dr. Josef Schütz, und die Mutter, Magdalena geb. Hess, stammten aus Mastort, einer Gemeinde im damals noch ungeteilten Banat, Teil der k. u. k. Doppelmonarchie Österreich-Ungarn; heute gehört Mastort zu Serbien [Novi Kozarci]. Ihr Vater, seine beiden Brüder und andere Verwandte sind ebenfalls in Petris Lexikon aufgenommen. Nicht oft kommen gleich mehrere außerordentliche Begabungen in einer einzigen Familie vor, zumal in einer Ausprägung wie bei ihrem Vater und dessen Brüdern Anton und Hans. (Anm. 1)

In Temeswar unterrichtete Dr. Josef Schütz in beeindruckender Bandbreite einige der in Anmerkung 1 angeführten Fächer, und zwar vom Ende des Ersten bis Ende des Zweiten Weltkrieges: 1918-1936 am Deutschen Realgymnasium, später auch am Deutschen römisch-katholischen (Knaben-)Lyzeum, dessen Direktor er war (1926-1942). Nach 16 Jahren wurde er durch das Berlin-hörige Schulamt in Kronstadt „aus diesem Amt entfernt“ (Petri). Sein Einfluss auf die heranwachsende deutsche Jugend – auch auf Tochter Rosl – war bedeutend und nachhaltig. Prägend war auch der enge Zusammenhalt innerhalb der großen Familie. Für die Schulzeit – von der Grundschule bis zum Abitur – ist lediglich der Umstand zu erwähnen, dass Maria Rosl Schütz nach Absolvieren des Untergymnasiums von den deutschen Einrichtungen des Notre-Dame-Klosters in das rumänische Notre-Dame-Lyzeum hinüberwechselte (1928-1936), weil es nur da ein Obergymnasium für Mädchen gab.

Die 1930er Jahre waren ideologisch zunehmend vom Einfluss der nationalsozialistischen Erneuerungsbewegung bestimmt. Dr. Josef Schütz, der damals noch erster Obmann des Deutschen Lehrerverbandes war (seit 1930), sorgte dafür, dass seine zwei Töchter (Anm. 2) in den aufeinanderfolgenden Schuljahren 1935/36 und 1936/37 in Schwäbisch Gmünd am Auslandsdeutschen Seminar St. Loreto als Schülerinnen teilnahmen. Die Mädchen kamen unter anderem aus dem
rumänischen Banat, aus Jugoslawien (dem serbischen Banat und der Batschka), der Tschechoslowakei und Südtirol. Im Zeugnis, das Maria Rosl Schütz beim Abschluss des Seminars vom Leiter der Schule [einer Haushaltsschule], Spiritual R. Eisenbart, übergeben wurde, sind die Unterrichtsfächer aufgelistet: Religion, Volks- und Lebenskunde, Geschichte, Stammeskunde, Rassenkunde,
Erziehungslehre, Singen, Maschinenschreiben, Kurzschrift, Turnen, Volkstanz, Feier-, Fest-, Freizeitgestaltung in der Familie, im Leben der Pfarrgemeinde und Jugendgruppen.

Es  ist nicht schwer, in dieser „Verschickung“ eine Aktion zu erkennen, die einerseits das Festhalten am
angestammten Deutschtum deutlich macht, die sich aber andererseits ebenso deutlich von den Fanatikern in der Erneuerungsbewegung absetzen will, gerade durch das Bekenntnis zum christlichen Glauben. Dr. Josef Schütz ist in einer Reihe mit dem Banatia-Direktor Josef Nischbach und Dr. Hildegardis Wulff zu sehen, der Priorin des Benediktinerinnen-Klosters in der Temeswarer Elisabethstadt. Sie war die Initiatorin dieses Bildungsprojektes.

Die obige Aufzählung der Unterrichtsfächer zeigt auffallend ähnliche, geradezu parallel laufende
Wege, auf denen die beiden Bewegungen ihre so anders gearteten Ziele zu erreichen trachteten: Beide setzten auf zeitgemäße Bedürfnisse und Vorlieben in der Freizeitgestaltung, dienten gleichzeitig der Ausbildung nahezu derselben praktischen Fertigkeiten, aber eben in einem anderen Geist.

Von Maria Rosl Schütz skizziert Spiritual Eisenbart ein erstes Charakterbild: Mit Eifer und Entschlossenheit griff sie jede theoretische wie praktische Arbeit an. Sie konnte vermöge ihrer Vorbildung und ihrer guten Anlagen in kurzer Zeit vieles in sich aufnehmen. Als ehrlicher Kamerad war sie in der Gemeinschaft geschätzt.

Die ganze Tragweite dieser Erziehungsmaßnahme im christlichen Sinne ist Maria Rosl Schütz-Pechtol erst im Laufe der folgenden Jahre bewusst geworden. Darüber geben hinterlassene Schriften Auskunft.
Zurück in Temeswar, trat sie ihre erste Stelle als Sekretärin in der „Banatia“ an (15. August 1937 – 31. Dezember 1940). 1941-1944 studierte sie an der Universität in Wien: Germanistik, Latein, Philosophie, Geschichte, Französisch und Rumänisch. Sie promovierte zum Dr. phil.; am 11. März 1944 verteidigte sie ihre Dissertationsschrift „Die Geschichte des Temeswarer deutschen Theaters im 18. und 19. Jahrhundert“. Gutachter waren die Professoren Josef Nadler und Richard von Kralik.

Einige Monate nach dem Umschwenken Rumäniens (23. August 1944), dem gemeinsamen Vormarsch der russischen und rumänischen Truppen Richtung Westen, gehörte auch sie zu den nach Russland zu Aufbauarbeiten deportierten Deutschen aus Rumänien. Über die im Lager Zeleni Gorod / Kriwojrog verbrachten fünf Jahre „Verschleppung“ hat sie geschwiegen. Es gibt immerhin einen kurzen, lesenswerten Bericht von ihr („Onkel Fritz“) – erschienen 1994 in dem von Fritz Breihofer herausgegebenen Buch „Die Deportation der Schäßburger in die UdSSR“.

Nach Russlanddeportation endlich Lehrerin

Zwei Monate nach ihrer Heimkehr aus Russland, mitten im Schuljahr, im Februar 1950, trat Dr. Maria Rosl Schütz ihre erste Stelle als Lehrerin an. An der Temeswarer „Deutschen Pädagogischen Lehrerbildungsanstalt“ [DPL] musste sie anfangs als Mädchen für alles einspringen, doch während der folgenden drei Schuljahre konnte sie sich mit vollem Elan dem Fach Deutsch widmen – und
ihren Schülern. Sie unterrichtete hauptsächlich in den zahlenmäßig starken Jahrgängen I und II A der Abteilung für die Ausbildung von Lehrern und Lehrerinnen sowie in den Kindergärtnerinnen-Klassen II und III. Diese kurze Zeit sollte sich als (glückliches) Intermezzo erweisen. In ihrer Lehrerlaufbahn hat sie nämlich einen frühen, herben Einschnitt hinnehmen müssen: Ende der Schulferien, knapp vor Beginn des neuen Schuljahres, wurde sie aus dem Lehramt entlassen. Sie war zum selben Zeitpunkt nicht die einzige Lehrkraft, der dies widerfuhr. Die Mitteilung war denkbar knapp und eindeutig: Ohne einen Grund zu benennen, wird ihr die Versetzung ab sofort (1. September 1953) an einen (nicht genannten) neuen Wirkungsort in Siebenbürgen eröffnet. Falls diese Anordnung nicht binnen fünf Tagen durchgeführt sei, bedeute dies die Auflösung des Arbeitsvertrags mit dem Unterrichtsministerium. Umsonst konnte sie auf einen ernsten Hinderungsgrund hinweisen: drei alte Leute im gemeinsamen Haushalt, die auf sie angewiesen waren. Prompt wurde sie entlassen. Ihre Dienstzeit an der DPL hat sich somit nicht bis 1958/59 ausgedehnt, wie da und dort angegeben wird.
Bald darauf trat sie eine Stelle in der Buchhaltung des Industrieunternehmens „Tehnometal“ an, wo sie zum Haupt-Rechnungsführer [calculator principal] aufsteigen konnte.

Die Frage, was hinter der 1953 verordneten Strafversetzung und Entlassung steckte, steht damit im Raum und will beantwortet werden. Sie selbst (Aufzeichnungen auf Kassette) vermutete dahinter die Denunziation einer Kollegin – beruhend auf Missgunst und nicht gerechtfertigter, kleinlicher Eifersucht. Anzeigen solcher Art bedurften jedenfalls eines geeigneten politischen Klimas, um wirksam zu werden. Die vielen politischen Prozesse während der 1950er Jahre, die ständige Suche der Regierung und ihrer Helfershelfer nach möglichen Klassenfeinden spiegeln die unsicheren Verhältnisse, waren typisch für die herrschende Diktatur. Die Versetzung „unzuverlässiger“ Lehrkräfte aus grenznahen Ortschaften ins Landesinnere war eine der Aktionen, die der Umerziehung dienen sollten. Aufschlussreich sind diesbezüglich die Mitteilungen von Nikolaus Schauermann (1920-2003), ein ebenfalls Betroffener, damals Lehrer in Lovrin (Brief an mich vom 1. Oktober 1997).

Hochschullehrerin am Germanistiklehrstuhl

Ab Januar 1958 beginnt Dr. Maria Rosl Schütz, inzwischen verheiratet mit Erwin Pechtol, ihre Laufbahn als Hochschullehrerin. Am Germanistiklehrstuhl der Universität Temeswar bleibt sie bis zu ihrer Pensionierung 1973. Zur Universität erhoben wurde die seit 1948 bestehende „Pädagogische Hochschule“ [Institutul Pedagogic] mit den Fakultäten Mathematik-Physik (seit 1948) und Philologie (seit 1956) im Oktober 1962.

Dr. Maria Pechtol gehört zu den Hochschullehrern der Gründungsjahre. Neben Dr. Stefan Binder, Leiter des Lehrstuhls, Dr. Johann Wolf und den ehemaligen Studenten Yvonne Lu-cuţa, Peter Kottler, Christina Stanciu und Edith Delmondo-Jentner trug sie wesentlich zur starken Gewichtung der sprachwissenschaftlichen Ausbildung an der Temeswarer Germanistik bei. Sie widerspricht allerdings Meinungen, die die Temeswarer Germanistik auf eine solche Profilierung festlegen (gemeint: reduzieren) wollen. Sie argumentiert: „Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, gute Mittelschulkräfte auszubilden. Dieses Ziel kann nur so erreicht werden, wenn man dem Studenten eine vielseitige germanistische Ausbildung vermittelt. Grammatik und Literatur wird so vorgetragen, dass der Student von allem ein solides Gerüst mitbekommt, das er dann in der Schule oder auf einem anderen Posten, als Verlagslektor, Journalist, Übersetzer usw., ausbauen kann. Wichtig ist ja nicht, alles zu können, das kann nämlich niemand, sondern zu wissen, wo das Notwendige zu finden und wie es zu verwenden ist.“ (Das Gespräch wurde für die Sonderseite Universitas der „Neuen Banater Zeitung“ [NBZ] geführt, erschienen im Mai 1971. Ihr Gesprächspartner: Franz Schleich, wie die oben Genannten und Dr. Hans Gehl einer ihrer ehemaligen Studenten.)

Der Stoff, den Dr. Maria Pechtol vermittelte, war der anspruchvollste, schwierigste, der während der ersten vier Semester im Lehrplan stand. Schwerpunkte waren: Vergleichende Grammatik der germanischen Sprachen und Geschichte der deutschen Sprache, unter Miteinbeziehung der indoeuropäischen Grundlagen und der späteren Interferenzen zwischen den lebenden (modernen) Sprachen. Von Wien brachte sie beste Voraussetzungen mit, dieses Fach zu unterrichten, das durchaus auch auf solide Kenntnis der deutschen Literatur von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert zurückgreifen musste.

Da die Uni-Bibliothek damals, insbesondere hinsichtlich der sehr jungen philologischen Fakultät, überaus schwach bestückt war, sahen sich die Lehrkräfte dazu genötigt, Lösungen zu finden. So verfasste sie zusammen mit Dr. Hans Weresch und Dr. Stefan Binder eine in zwei Bänden herausgebrachte Auswahl deutscher Texte von den ältesten Zeiten bis ins 17. Jahrhundert (Timişoara: Universitätsdruckerei, 1958 – Bd. I, 119 Seiten, Bd. II, 109 Seiten, lithographiert). Die Sammlung war ein zwingend notwendiges Behelfsmaterial, einsetzbar sowohl im sprachwissenschaftlichen als auch im literaturgeschichtlichen Bereich. Ihre Vergleichende Grammatik der germanischen Sprachen (Timişoara: Universitätsdruckerei, 1974, 116 Seiten) ist erst nach ihrer Pensionierung erschienen.

Anmerkungen

1. Anton Schütz (1880-1953), Dr. theol., Dr. phil., Dr. psych. (letzteren erworben in Würzburg), Pater des Piaristenordens, war Dekan der Theologischen Fakultät in Budapest, ebenda in den 30er Jahren Rektor der Universität, wo er Jahrzehnte hindurch Dogmatik unterrichtete. Herausgeber vieler theologischer Schriften.
Johann Schütz (1885-1953), Dr. med.; als landesbester Abiturient seines Jahrgangs erhielt er von Kaiser Franz Joseph I., gleichzeitig König von Ungarn, einen Ring. War in Budapest ein viel gefragter Arzt, Direktor des Krankenhauses der Handelsangestellten.
Josef Schütz (1886-1960), Dr. phil., Pädagoge, der sich mit erstaunlicher Leichtigkeit acht Sprachen angeeignet hat. Neben Latein, Griechisch, Germanistik, Hungaristik, Englisch, Französich Russisch, Finnisch studierte er Philosophie, Logik, Psychologie, Pädagogik, Ästhetik. (Gymnasialklassen, wie seine Brüder, in Szegedin, Kecskemét, Hochschule in Budapest). Er promovierte 1910 bei dem Finno-Ugristen Dr. Josef Szinnyei mit „Summa cum laude“. Im Anschluss an den Militärdienst wirkte er von 1911 bis 1914 in Fiume als Gymnasiallehrer und erlernte in dieser Zeit Italienisch. Auch diese Sprache beherrschte er so, dass sie später zu den Fächern gehörte, die er unterrichtete. Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg. Auf Grund seiner schweren Kopfverletzung (Operation in Wien, „Abdeckelung“ mit einem Hundeknochen) konnte er seiner Berufung an die Universität in Budapest nicht Folge leisten. – Nachtrag zu den eingangs skizzierten beruflichen Stationen: Da ihm Ende des Zweiten Weltkriegs (irrtümlich) die Pension entzogen worden war, ließ er sich 1950 für den Schuldienst reaktivieren, so dass ihn manche der Leser noch als Lehrer erlebt haben: Bis 1956 unterrichtete er an der Baufachschule Deutsch und Geschichte, zwischen 1956-58 am nachmaligen Nikolaus-Lenau-Lyzeum Latein.
2. Maria Josefa Rosl hatte zwei ältere Geschwister; sie war das einzige Kind aus der zweiten Ehe des Vaters; die Mütter – Maria und Katharina – waren Schwestern; Marias Erstgeborene war Melinda (Meli), geb. 1914; wenige Tage nach der Geburt des Sohnes Stefan starb Maria Schütz.