zur Druckansicht

25 Jahre Temeswarer Deutscher Literaturkreis „Stafette“

Manche Literaten bezeichnen den Temeswarer deutschen Literaturkreis als „Phänomen“, andere wiederum sprechen von einer einzigartigen Erscheinung in Ostmitteleuropa. Der 1992, nach der massenhaften Auswanderung der Deutschen aus dem Banat, gegründeten literarischen Vereinigung ist es nämlich gelungen, die beachtliche literarische Tradition dieses Landstrichs weiterzuführen, indem sie kontinuierlich junge Schreibende fördert und sich eine neue Autorengeneration etablierte. Das Bemerkenswerte daran: die meisten entstammen der Mehrheitsbevölkerung und bedienen sich der in der Schule erlernten deutschen Sprache als literarisches Ausdrucksmittel. Und viele gehen mit dieser Sprache meisterhaft um.

Bezogen auf das Gründungsjahr stünde 2017 das 25-jährige Jubiläum der „Stafette“ an. Da aber das Jubi-läum im Rahmen der alle zwei Jahre stattfindenden Kulturtage des Demokratischen Forums der Deutschen in Temeswar begangen werden sollte, wurde die Feier vorgezogen. Mit der Veranstaltung „25 Jahre Literaturkreis ‚Stafette‘“, die am 21. und 22. Oktober 2016 im „Karl Singer“-Festsaal des Adam-Müller-Guttenbrunn-Hauses stattfand, wurde gleichzeitig das neue Arbeitsjahr 2016/2017 des Literaturkreises eröffnet, das im Zeichen des Jubiläums stehen wird. Auf dem Programm standen ein Symposium, Buchvorstellungen und Autorenlesungen. Die Veranstaltung gestaltete sich nicht nur zu einem Stelldichein der Autoren, mit dabei waren auch zahlreiche treue Freunde dieser Literaturvereinigung, Gäste aus dem Inland und Ausland (Deutschland, Österreich und Ungarn). Sie alle wurden von der Ehrenvorsitzenden der „Stafette“, Dr. Annemarie Podlipny-Hehn, willkommen geheißen. Die Gründerin und verdienstvolle langjährige Vorsitzende des Literaturkreises moderierte den ersten Veranstaltungstag.

Symposium

Den besonderen Stellenwert des Literaturkreises „Stafette“ im rumäniendeutschen Literatur- und Kulturbetrieb unterstrich auch die Anwesenheit hochkarätiger Ehrengäste: Ovidiu Ganţ, Abgeordneter der deutschen Minderheit im Parlament Rumäniens; Lucian Manuel Vărşăndan, Staatssekretär im Kulturministerium Rumäniens (mittlerweile wieder Intendant des Deutschen Staatstheaters Temeswar); Christiane Cosmatu, Unterstaatssekretärin im Departement für Interethnische Beziehungen der Regierung Rumäniens; Prof. Dr. Cornel Ungureanu, Vorsitzender der Filiale Temeswar des Rumänischen Schriftstellerverbandes; Johann Schuth, Präsident des Verbandes Ungarndeutscher Autoren und Künstler; Prof. Dr. Sorin Gădeanu, Leiter des Literaturkreises „halb neun“ der Universität Wien; Dr. Johann Fernbach, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat; Erwin Josef Ţigla, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen; Dr. Peter Wassertheurer, Präsident der Deutschen Weltallianz. In ihren Grußworten würdigten die Redner die erfolgreiche Tätigkeit des Literaturkreises, dem es gelungen sei, durch gezielte Nachwuchsförderung und das Heranreifen einer jungen Autorengeneration den Fortbestand der deutschsprachigen Literatur im Banat nach der Wende zu sichern. Einig waren sich die Redner auch in der Einschätzung, dass die Erfolgsgeschichte der „Stafette“ eng mit dem Wirken von Dr. Annemarie Podlipny-Hehn verknüpft ist. Als „Spiritus rector“ und Faktotum habe sie sich in den letzten 24 Jahren mit ganzer Kraft, voller Beharrlichkeit und Leidenschaft dem Projekt „Stafette“ gewidmet. Dafür wurde ihr Dank und Anerkennung gezollt. Weitere Grußworte sprachen die Vorsitzende des Literaturkreises „Stafette“, Henrike Brădiceanu-Persem, sowie dessen ältestes Mitglied Ignaz Bernhard Fischer, Vorsitzender des Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten.

„Heimat, Sprache, Identität und Zukunft“ waren die Eckpunkte der Festrede von Michael Fernbach, Berater im Departement für Kultur des Präsidialamtes von Rumänien. Obwohl ihm seine berufliche Tätigkeit fern seiner Heimatstadt Temeswar nicht mehr erlaubt habe, aktiv bei der „Stafette“ mitzuwirken, „war und ist das Gefühl der Zugehörigkeit, der Verbundenheit zur ‚Stafette‘ unverändert“, bekannte Fernbach. Die „Stafette“ wurde „zur Heimat vieler Schreibender unterschiedlicher Generationen und Genres“, auch für Schüler und Studenten, die ihre ersten Schritte auf literarischem Terrain wagten. So mancher habe in der Sprache eine Heimat gefunden und im Literaturkreis „eine Gemeinschaft, die offen ist und in der man akzeptiert wird“. Fernbach unterstrich die pädagogische Aufgabe des Kreises: Gerade den jungen Schreibenden werde ein Sprachgefühl, das Rüstzeug zur Auseinandersetzung mit Literatur sowie ein Verständnis für die literarische Tradition des Banats vermittelt. Die „Stafette“ habe seit ihrer Gründung bis heute, „jenseits ihrer Bindung zur Minderheit, sich als Forum für all jene verstanden, die in deutscher Sprache schriftstellerisch tätig sein möchten“. Von der Beibehaltung dieses eingeschlagenen Weges, aber auch von einer besseren Vernetzung der Mitglieder und dem Ausbau der Online-Präsenz hänge die Zukunft der „Stafette“ ab, so Fernbach.

In ihrem Vortrag ließ Dr. Annemarie Podlipny-Hehn 25 Jahre „Stafette“ in geraffter Form Revue passieren. Das Hauptziel des Literaturkreises, das Interesse der jungen Generation für deutsche Literatur und Kultur, für die Pflege der deutschen Sprache und für kreative künstlerische Gestaltung zu wecken und dadurch eine junge deutschschreibende Autorengeneration zu etablieren, sei erreicht worden, resümierte die langjährige Leiterin der „Stafette“. Man könne stolz auf die Verwirklichungen sein, zu denen sie die Lesungen im In- und Ausland, die stetige Präsenz im Kulturleben Temeswars und Rumäniens, die zahlreichen Sammelbände des Kreises und Einzelbände der Mitglieder, die Preise und Ehrungen, mit denen „Stafette“-Autoren bedacht wurden, die Aufnahme etlicher Mitglieder in den Rumänischen Schriftstellerverband und den Exil-P.E.N. deutschsprachiger Länder sowie die Beziehungen zu Autoren und Vereinigungen in verschiedenen Ländern zählte.

Zur Publikationstätigkeit des Literaturkreises „Stafette“ referierte anschließend Walter Tonţa, verantwortlicher Redakteur der „Banater Post“ (München), wobei er ausschließlich die in der „Stafette“-Buchreihe erschienenen Publikationen in den Blickpunkt rückte (etliche Mitglieder veröffentlichten Bücher auch außerhalb dieser Reihe). Die bis Ende 2015 herausgegebenen 65 Buchtitel ließen auf eine bemerkenswerte Publikationstätigkeit der „Stafette“ schließen, die ihren Niederschlag in 23 Jahrbüchern und 42 Eigenbänden der „Stafette“-Autoren fand. Der Referent ging zunächst auf die Sammelbände ein, in denen etwa 135 Autoren aller Generationen, im Alter von 10 bis 90 Jahren, zu Wort gekommen sind. Die Analyse zeige, dass sich in 24 Jahren ein „harter Kern“ von rund 30 Autoren herausgebildet hat. Die Sammelbände seien ein „Spiegelbild der Banater deutschen Literaturlandschaft nach der Wende“, aber auch Chroniken des jeweiligen Schaffensjahres. Nach einer Phase des Suchens und Reifens seien einzelne, darunter auch viele junge Autoren ab 1999 mit eigenen Bänden an die Öffentlichkeit getreten. Wie der Referent aufzeigte, sind Lyrik-, Prosa- und Dramatikbände in der Hochsprache, Lyrik- und Prosabände in banatschwäbischer Mundart sowie Sachbücher mit einer breitgefächerten Thematik erschienen.

Buchvorstellungen

Im Laufe des Nachmittags wurden die fünf Neuerscheinungen vorgestellt, mit denen die „Stafette“ zu
ihrem Geburtstag aufwartete. Der Schriftsteller und Journalist Balthasar Waitz präsentierte den neuesten Sammelband des Literaturkreises, eine Jubiläumsanthologie, die auf über 300 Seiten eine repräsentative Auswahl der Werke von 30 Autoren aller Generationen und einen Querschnitt durch das literarische Schaffen der „Stafette“-Mitglieder bietet. Waitz charakterisierte die Anthologie als „Höhepunkt der Verlegertätigkeit des Duos Annemarie Podlipny-Hehn und Dagmar Şiclovan im Jahr 2016“.

Petra Curescu, 1983 in Temeswar geboren, seit ihrem zehnten Lebensjahr Mitglied der „Stafette“ und heute Fachärztin für Onkologie, legte 2016 ihren dritten Gedichtband vor. Sie sei „die beste zeitgenössische deutschsprachige Lyrikerin des Banats“, sagte ihr Schriftstellerkollege Robert Tari bei der Präsentation des Bandes „Gegenbild“. Ihre Texte seien intelligent, spielten bewusst mit der Sprache, sie seien – wie die Autorin – schlagfertig und von der Stimmung her düster, traurig, pessimistisch. Curescu habe etwas zu sagen, sie gaukle den Lesern nichts vor, so Tari.

Benjamin Burghardts Debütband „Katzbuckeln“ wurde von Balthasar Waitz vorgestellt. Der Lyriker wurde 1970 in Großsanktnikolaus geboren, studierte Maschinenbau und ist derzeit in der Privatwirtschaft beschäftigt. Seine ersten Gedichte sind 2012 im Sammelband der „Stafette“ erschienen. Seine Kurzgedichte kreisten um Alltagsthemen, um das Ausloten des eigenen Gefühlslebens oder um die Liebe, die intime Sphäre zwischen Ich und Du, betonte Waitz. Der Autor, der offensichtlich zu den Sinnsuchern zähle, gehe das Risiko ein, seine Gefühlswelt zu entblößen und tue dies in schlichtem, aufrichtigem Ton.

„Barentsburg“ ist der Titel des dritten Buches des 1987 in Temeswarer geborenen Autors Robert Tari. Er studierte Germanistik und arbeitet seit über zehn Jahren als Journalist für die Deutsche Sendung von Radio Temeswar und für deutschsprachige Printmedien, nun ist er in der Privatwirtschaft tätig. Tari stellte sein Theaterstück „Barentsburg“ selbst vor. Wie sein 2010 erschienenes Theaterstück „Die Jötunnsleyer“ ist auch dieses für Kinder und Jugend-liche geschrieben. Es handelt von einem Mädchen, die eine Maschine gebaut hat, die Wünsche erfüllen kann. Diese wird sofort von ihren Freunden schamlos ausgenutzt, weshalb die kleine Bergstadt Barentsburg Kopf steht.

Den neuen Kurzprosaband „Menschen und andere Träume“ des 1950 in Nitzkydorf geborenen Autors Balthasar Waitz, eine „Säule des deutschsprachigen kulturellen Lebens und der ‚Stafette‘“, stellte der
Literaturwissenschaftler Dr. Walter Engel vor. Waitz habe seinen eigenen Erzählstil gefunden, mit dem Band „Krähensommer“ (2011, eine zweite Auflage ist 2016 erschienen) sei ihm „ein wirklich großer Wurf gelungen, der ohne Weiteres im deutschen Sprachraum seinen Platz hat“. Mit dem neuen Band setze der Autor diese Erzähllinie fort, verlagere aber den Raum des Geschehens in die Stadt. Es gehe um Menschen, deren Biografien die Umbruchzeit verändert hat. Waitz schildere Biografien und Charaktere einfühlsam, mit einer unglaublichen Natürlichkeit, einer gewissen Lockerheit und dem ihm eigenen Humor, so Engel.

An die Buchpräsentation schlossen sich jeweils Lesungen der Autoren an. Während Curescu, Burghardt und Tari aus ihren neu erschienenen Bänden lasen, bot Balthasar Waitz einen Auszug aus dem Romanmanuskript mit dem Arbeitstitel „Das rote Akkordeon“.

Es folgten zwei weitere Buchvorstellungen von Gästen der Jubiläumsveranstaltung. Peter Wassertheurer, promovierter Historiker aus Wien, präsentierte seinen in diesem Jahr erschienenen Lyrikband „Gegenüber der Grenze“ und las mehrere Texte daraus. In diesen Gedichten, die in einem Zeitraum von zehn Jahren entstanden sind, arbeitet der Autor seine Erfahrungen und Empfindungen, die er bei seinen Reisen durch die Länder Südost- und Osteuropas gewonnen hat, literarisch auf. Es geht dabei um das Schicksal der deutschen Minderheiten, um verlassene Landschaften und Dörfer, die Wassertheurer in stimmungsvollen Gedichten und einer bildhaften Sprache beschreibt.

Anschließend lud Christel Ungar-Ţopescu, Chefredakteurin der deutschen Sendung des rumänischen Fernsehens TVR, zu einem mit Musik untermalten Lyrikabend ein. Sie stellte ihren neuen zweisprachigen Gedichtband vor, der unter dem Titel „Rot/Roșu“ in diesem Jahr erschienen ist. Ihre Schwester Beatrice Ungar übertrug die Gedichte ins Rumänische. Franz Kattesch und Simona Vintilă, Schauspieler am Deutschen Staatstheater Temeswar, trugen einige der Liebesgedichte auf Deutsch und Rumänisch vor.

Autorenlesungen

Am Vormittag des zweiten Tages kamen die Geburtstagskinder zu Wort, die von nah und fern angereist waren, um das 25-jährige Bestehen ihres Literaturkreises gemeinsam zu feiern und im Rahmen einer von Henrike Brădiceanu-Persem moderierten Lesung Kostproben ihres Schaffens zu bieten. Die von Alexander Gerdanovits, Lorette Brădiceanu-Persem, Lucian Manuel Vărşăndan, Henrike Brădiceanu-Persem, Michael Fernbach, Balthasar Waitz, Petra Curescu, Benjamin Burghardt, Robert Tari, Bianca Barbu, Arthur Funk, Alexandrina Paul, Else von Schuster, Dietlinde Huhn, Ignaz Bernhard Fischer und Helen Alba-Kling vorgetragenen Texte vermittelten einen Eindruck von der Bandbreite und Vielfalt der Genres, Themen und Ausdrucksformen, derer sich die „Stafette“-Mitglieder bedienen. Als Gast las die ungarndeutsche Autorin Angela Korb aus Budapest.

Zum Abschluss der Jubiläumsveranstaltung wurde ein buntes Kulturprogramm mit Liedern und Tänzen aus dem Banat geboten. Mit von der Partie waren die Jungendtanzgruppen „Buntes Sträußchen“ aus Großsanktnikolaus und „Edelweiß“ aus Detta, die Seniorentanzgruppe „Bunter Herbstreigen“ aus Temeswar sowie der „Temeswarer Liederkranz“, der sein Programm unter das Motto „Mosaiksteine der Temeswarer Kulturgeschichte“ stellte. Durch das Programm führte in Guttenbrunner Kirchweihtracht Martina Nenadov, Schülerin der 7. Klasse der Lenauschule.