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„Mitgenommen – Heimat in Dingen“

Blick in die Ausstellung. Foto: HDO

„Mitgenommen – Heimat in Dingen“ lautet der Titel der am 11. Juni im Haus des Deutschen Ostens (HDO) München eröffneten Ausstellung. Damit will das HDO seinen Beitrag zum Gedenkjahr 2015 leisten, das im Zeichen der Erinnerung an das Ende des Zweiten Weltkriegs und den Beginn von Flucht, Vertreibung und Deportation der Deutschen aus dem östlichen Europa vor 70 Jahren steht. Kern der Ausstellung sind unterschiedlichste Dinge des alltäglichen Lebens, die bei Flucht und Vertreibung mitgenommen werden konnten, und die mit diesen Erinnerungsstücken verbundenen persönlichen Schicksale. Die vom Haus selbst konzipierte und erarbeitete Ausstellung entstand unter Einbeziehung und in enger Zusammenarbeit mit Betroffenen oder ihren Nachkommen, die – einem Aufruf des HDO folgend – im Flucht- und Vertreibungsgepäck mitgenommene „Dinge“ leihweise zur Verfügung gestellt und die damit verknüpften berührenden Geschichten übermittelt hatten. An diesen Gegenständen hängt die individuelle Erinnerung an das erlittene Unheil und die verlorene Heimat, und deshalb haben sie für ihre Besitzerinnen und Besitzer heute noch einen hohen ideellen und emotionalen Wert. „Mitgenommen“ sieht die eine oder andere Leihgabe aus, aber gerade dies symbolisiert eindrucksvoll das persönliche Erleben und Schicksal der Menschen, die vor 70 Jahren infolge von Flucht und Vertreibung ihrer angestammten Heimat, ihres Hab und Gutes verlustig geworden sind.

Zur Eröffnung der Ausstellung im Adalbert-Stifter-Saal des Sudetendeutschen Hauses konnte der Direktor des HDO, Prof. Dr. Andreas Otto Weber, zahlreiche Gäste begrüßen, darunter Ministerialdirigent Eugen Turi in Vertretung der Bayerischen Staatsministerin für Arbeit und Soziales, Familie und Integration Emilia Müller, der Schirmherrin der Ausstellung, Josef Zellermeier MdL, stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landtagsfraktion und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Vertriebene, Aussiedler, Partnerschaftsbeziehungen, Vertreter der Landsmannschaften – unter anderem auch der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben, Peter-Dietmar Leber – sowie die Leihgeberinnen und Leihgeber und deren Angehörige.

Die Ausstellung „Mitgenommen – Heimat in Dingen“ setze um, was die alte Weisheit „Worte belehren, Beispiele reißen mit“ zum Ausdruck bringe, so Ministerialdirigent Eugen Turi in seinem Grußwort. Jedes einzelne Exponat spreche für sich und könne „Bände und Geschichten unendlicher Art“ erzählen; es bündele „die gesamte Geschichte des furchtbaren Leids von Flucht, Vertreibung und Heimatverlust und zwar jeweils aus einer ganz individuellen, eigenen Sicht“. Zudem gehe von jedem Objekt der Ausstellung „eine höchst aktuelle Botschaft an uns alle: Vertreibung war, ist und bleibt Unrecht“, sagte Turi.

HDO-Direktor Prof. Dr. Andreas Otto Weber bot in einem anschließenden Vortrag einen fundierten und systematischen Überblick über das der Ausstellung zugrundeliegende Thema, wobei er Flucht und Vertreibung der Deutschen in den Kontext des Zweiten Weltkriegs, der nationalsozialistischen Eroberungs-, Besatzungs- und Vernichtungspolitik im Osten Europas sowie der europäischen Zwangsmigrationen vor und nach 1945 einbettete.

Auf die Flucht der Deutschen vor der Roten Armee aus den östlichen Regionen des Deutschen Reiches und den im Zweiten Weltkrieg eroberten Gebieten folgte eine massenhafte Zwangsmigration von bisher nicht gekannten Dimensionen, verdeutlichte Professor Weber. Er wies sowohl auf die sogenannten „wilden Vertreibungen“ als auch auf die im Potsdamer Abkommen beschlossenen „organisierten Vertreibungen“ der deutschen Bevölkerung aus den bisherigen deutschen Ostprovinzen östlich der Oder-Neiße-Linie, aus dem Sudetenland und aus Ungarn hin. Insgesamt sei von etwa zwölf Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen auszugehen, die bis etwa 1950 in die vier Besatzungszonen Deutschlands kamen. Wie Professor Weber hervorhob, hätten diese nicht viele materielle Dinge mitnehmen können, aber ein immaterielles „Fluchtgepäck“ mitgebracht: Brauchtum und Traditionen, Dialekte, zum Teil eine andere Konfession als die Einheimischen, eine andere Berufsstruktur und politische Bildung. Damit hätten die Flüchtlinge und Vertriebenen ihre neue Heimat nachhaltig verändert – Veränderungen, die bis heute in der Gesellschaft und in der Siedlungsstruktur zu sehen seien.

Motor der Entstehung sowohl der Ausstellung wie auch des im Münchner Volk Verlag erschienenen Begleitbandes war vor allem die stellvertretende Direktorin des HDO, Brigitte Steinert. Zusammen mit Patricia Erkenberg hat sie die einzelnen Geschichten und die Tafeltexte vorbereitet und redigiert, mit den Leihgebern kommuniziert und den Entstehungsprozess der Ausstellung begleitet. Darüber berichtete Steinert zum Schluss der Eröffnungsfeier, die mit zwei Klavierstücken von Franz Liszt umrahmt wurde. Für seine meisterhafte Interpretation erhielt der Konzertpianist und Dirigent Neville Dove, musikalischer Leiter an der Königlichen Oper in Kopenhagen, langanhaltenden Applaus.

Die privaten Erinnerungsstücke werden zusammen mit den dazugehörigen Geschichten in drei Räumen im HDO teils in Vitrinen, teils offen präsentiert und von Ausstellungstafeln begleitet. Der Teddybär aus dem Rucksack eines kleinen Brünner Mädchens, der in Ungarn von einer aus Serbien geflüchteten donauschwäbischen Familie erworbene Blechteller, die Truhe mit doppeltem Boden oder die Wanduhr aus Karlsbad, die Schlüssel vom „Zuhause“ in Oberschlesien, der von einer frisch vermählten Ehefrau aus Nordböhmen gestaltete Kalender für das Jahr 1945 oder das in ein Nudelbrett eingearbeitete und aus Siebenbürgen herausgeschmuggelte Kinderporträt – diese und viele andere im Flucht- und Vertreibungsgepäck mitgenommenen Gegenstände sind in der Ausstellung zu sehen.

Die ehemaligen donauschwäbischen Siedlungsgebiete sind nur durch zwei Leihgaben von Heinz Birg vertreten. Das hängt auch damit zusammen, dass die Ausstellungs-gestalter keinen Einfluss auf die
regionale Herkunft der Leihangebote genommen haben. Der in München lebende Architekt und Zeichner Heinz Birg stammt aus dem Banater Ort Heufeld. Als Sechsjähriger floh er 1947 mit seiner Familie aus einem serbischen Internierungslager nach Ungarn. In Baja erwarb seine Großmutter einen Blechteller, um die dort angebotene kostenlose Suppe überhaupt essen zu können. Dieser Teller wird in der Ausstellung ebenso gezeigt wie ein von seinem Urgroßvater hergestellter Ziegelstein. Diesen hatte Birg 1964, bei seinem ersten Besuch als Tourist in Jugoslawien, im Hof seines Geburtshauses gefunden und mit nach München genommen.

Die Ausstellung „Mitgenommen – Heimat in Dingen“ im Haus des Deutschen Ostens, Am Lilienberg 5, 81669 München, läuft noch bis zum 9. Oktober und kann Montag bis Donnerstag von 10 bis 20 Uhr sowie Freitag und in den Ferien von 10 bis 15 Uhr besucht werden. Das Begleitbuch zur Ausstellung kostet 14,90 Euro und kann im HDO erworben oder über den Buchhandel bezogen werden.