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Und über uns der blaue endlose Himmel (3)

Das Deportiertendorf Dalga: Im Vordergrund der Hausgarten eines Banater Landsmannes, rechts die Häuser für hilfsbedürftige Alte, und links ein Teil der Dorfanlage.

Begräbnis im Baragan, meist ohne geistlichen Beistand.

Reste eines Baragan-Friedhofs. Fotos: Verfasser

Bei Regenwetter und nach der Schneeschmelze waren alle Wege und Straßen so aufgeweicht, dass man nur mit Gummistiefeln und die Fuhrwerke mit drei bis vier vorgespannten Pferden durch den aufgeweichten Schlamm durchkam.

Die größte Zahl der Arbeitsplätze war in der Landwirtschaft auf den in der Nähe gelegenen Staatsgütern. Die Deportierten wurden hauptsächlich bei der Arbeit auf den Reis- und Baumwollplantagen eingesetzt, zumal der Stand der Mechanisierung in diesem Bereich zu jenem Zeitpunkt noch unterentwickelt war. Besonders bei der Reisaussaat und den Pflegearbeiten in den schlammigen Reisfeldern wie auch bei der Baumwollernte waren billige Arbeitskräfte gefragt. Von Fall zu Fall hatten Handwerker das Glück, eine Anstellung in Werkstätten zu finden oder als Mechaniker oder Traktorfahrer beschäftigt zu werden. Die Entlohnung war gering. Hätte es nicht die großen Hausgärten gegeben, wäre die Lebensmittelversorgung zu einem Problem geworden. In befohlener Gemeinschaftsarbeit mussten Lehmziegel geschlagen und ein Haus für die Miliz, ein Rathaus, eine Schule, ein Ambulatorium, ein Konsumladen und einige Wohnhäuser für alleinstehende alte und kranke Menschen gebaut werden.

In den ersten Wochen nach unserer Ankunft im Baragan gab es überhaupt keine Verbindung zur Außenwelt. Ein regelmäßiger Postverkehr war erst später möglich, und auch dieser war nicht zuverlässig. Nicht selten kam es vor, dass die von den Verwandten im Banat geschickten Pakete verlorengingen oder geraubt wurden. Relativ zufriedenstellend war der Transport von sogenannten Bahnpaketen. Diese Sendungen wurden von der Rumänischen Eisenbahn befördert und mussten am nächstgelegenen Bahnhof abgeholt werden. Grundsätzlich waren Besuche von auswärts verboten. Fanden sie trotzdem statt und wurde man erwischt, wurde der Gastgeber bestraft, und der Besucher – meist waren es Verwandte aus dem Banat – musste sofort das Dorf verlassen. Die wenigen mitgenommenen Rundfunkgeräte wurden gleich bei der Ankunft konfisziert, oft auch die Fahrräder von der Miliz in Besitz genommen und zu „Dienstfahrzeugen“ umfunktioniert. Sobald das Rad dann defekt war, wurde es dem Besitzer zurückgegeben.

Die schlimmste Jahreszeit war der Winter mit dem aus nordöstlicher Richtung (Crivat) wehenden kalten Wind und den langanhaltenden Schneestürmen. So wurden beispielsweise Anfang Februar 1954 ganze Straßenzüge und die Häuser mit angewehtem Schnee zugedeckt. Auch an unserem Haus musste der Nachbar ein Fenster freischaufeln, durch welches wir hinauskrochen, um den Schnee wegzuschaufeln, der bis über unser Hausdach reichte. Um an die Eingangstür zu gelangen, gruben wir einen Tunnel durch den festgewirbelten Schnee. Jeden Winter hatten wir mit tagelangen Schneestürmen zu tun.

Anfangs nahm die Weltöffentlichkeit von dieser Deporation kaum Notiz. Zwar behandelte der Deutsche Bundestag in einer Debatte am 17. Oktober 1951 diese unmenschliche Aktion, konnte aber damit keinem helfen. In jener Debatte behaupteten die ganz linksgerichteten Parteien gar, dass es im Osten überhaupt keine Deportationen gebe und alles Gerede über Verschleppungsmaßnahmen „Propaganda gegen den Sozialismus sei“. Erst nach Stalins Tod und nachdem sich doch noch Proteste in der Weltöffentlichkeit häuften und Rumänien zur Einhaltung der Menschenrechte angemahnt wurde, änderte sich das Schicksal der Deportierten. In der zweiten Hälfte des Jahres 1955 begann man mit der Aufhebung des Zwangsaufenthaltes. Doch vielen freigewordenen Familien verbot man die Rückkehr in die in der Grenzzone gelegenen Dörfer. So blieben die meisten bis 1956 und kehrten mit der Masse der Freigewordenen heim. Alle Kosten, die mit der Rückkehr ins Banat verbunden waren, mussten von den Heimkehrenden bezahlt werden. Nach der Ankunft „Zuhause“ begann für viele Familien ein weiterer Leidensweg. Nicht selten waren die Wohnhäuser von rumänischen Kolonisten besetzt oder man hatte Häuser und Wirtschaftsgebäude der Deportierten den in der Zwischenzeit gegründeten Kollektivwirtschaften zugewiesen und darin Büroräume, Kantinen, Lager-räume usw. eingerichtet. In vielen Fällen dauerte es Jahre, bis die Geschädigten ihre Wohnhäuser wieder zurückbekamen. Viele fanden ihre Häuser in einem stark ruinierten Zustand vor und mussten große Anstrengungen machen, bis diese wieder hergerichtet waren. In so manchen Fällen mussten sich die Banater Schwaben wieder ans Ziegelschlagen und Hausbauen machen.

Im Baragan hingegen zerfielen die meisten Häuser. Das Holzmaterial, die Türen und Fenster wurden gestohlen. Der Wind und das Wetter taten das übrige, so dass in kurzer Zeit mehrere Ortschaften ganz verschwanden. Auch der Staat war daran interessiert, die Spuren dieser menschenverachtenden Siedlungspolitik zu beseitigen. Ganze Dorfanlagen wurde plattgemacht und in Ackerfelder umgewandelt. Heute kann man kaum die Orte ausmachen, an denen einst hunderte Menschen gelebt haben. Selbst die in jener Zeit entstandenen Friedhöfe sind größtenteils verschwunden. Es gibt Fälle, in denen die Nachkommen der in der Steppe Beerdigten in den Jahren nach der Befreiung in Nacht-und-Nebel-Aktionen die sterblichen Überreste ihrer Toten ausgegraben, heimlich ins Banat geschafft und hier in Familiengräbern beerdigt haben. Für sie war es eine Form des persönlichen Abschließens mit einem Kapitel kommunistischer Willkürherrschaft in Rumänien. Viele der von der Deportation Betroffenen trugen jedoch noch Jahrzehnte die Baragan-Last mit sich.

Allmählich heilten die Wunden, die Narben jedoch bleiben ein Leben lang.