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Freikauf der Rumäniendeutschen – Härtefälle und Bleibehilfen – Teil 2: Bleibehilfen (I)

Dr. Heinz-Günther Hüsch auf einer Tagung zum Thema Freikauf 2010 in Bad Kissingen. Foto: Wilhelm Ernst Roth

Das älteste Dokument aus dem Jahr 1954, in dem von rumänischen Geldforderungen für deutsche Aussiedler die Rede ist. Auf das Dokument stieß Ernst Meinhardt im Bundesarchiv in Koblenz.

Im zweiten Teil des Interviews geht es um Bleibehilfen für die Rumäniendeutschen. Etwa ab der zweiten Hälfte der siebziger Jahre verfolgte die Bundesrepublik im Falle der Rumäniendeutschen eine doppelte Strategie. Einerseits unterstützte sie diejenigen Angehörigen der deutschen Minderheit, die nach Deutschland ausreisen wollten, weil sie für sich und ihre Kinder im kommunistischen Rumänien keine Zukunft mehr sahen, andererseits wollte sie aber auch denjenigen helfen, die in Rumänien bleiben wollten. Bleibehilfen waren denn auch ein Thema, das Dr. Hüsch in den Verhandlungen mit seinen rumänischen Gesprächspartnern immer wieder ansprach. Bleibehilfen waren sogar Thema seines einzigen Gesprächs mit Staats- und Parteichef Nicolae Ceausescu. Letztlich ist aber jeder deutsche Vorstoß am rumänischen Widerstand gescheitert.

Deutschland will keine Arbeitskräfte

Frage: Herr Dr. Hüsch, die Familienzusammenführung war das eine große Kapitel, um das es in Ihren Verhandlungen mit der rumänischen Seite ging. Das andere waren Hilfen für diejenigen Rumäniendeutschen, die in ihrer Heimat bleiben wollten. Wie hat man sich die Bleibehilfen vorzustellen?

Dr. Heinz-Günther Hüsch: In den ersten Jahren meiner Tätigkeit haben Bleibehilfen keine Rolle gespielt. Mitte der siebziger Jahre waren wir bereits bei über 40000 Ausgereisten angekommen. Mit dem Anwachsen der Zahl der Aussiedler ist eine neue Zerreißung von Familien entstanden. Vor allen Dingen ältere Menschen konnten oder wollten nicht mehr ausreisen. Ihre Kinder waren bereits weg. So sind soziale Probleme entstanden. Das andere war: Die Bundesrepublik Deutschland wollte nicht unbedingt Aussiedler haben. Wir haben sie nicht ins Land geholt, um Arbeitskräfte zu bekommen, sondern es war umgekehrt eine Reaktion Deutschlands auf die Unfreiheit in Rumänien. Wir haben überlegt, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, den Zustrom etwas zu dämpfen. Zeitweilig belief sich die Zahl der Ausreiseanträge ja auf über 100000.

Eine Rolle spielte auch die Frage des „Deutschtums“. Die Erhaltung der deutschen Kultur lag uns am Herzen. Wir sahen, dass durch die massiven Ausreisen Kollateralschäden verursacht wurden. Schließlich gab es immer wieder Besuche aus Rumänien, namentlich aus der Evangelischen Kirche Siebenbürgens. Deren Vertreter führten Gespräche sogar mit Bundeskanzler Willy Brandt (SPD). Sie drängten darauf, die Bemühungen um die Ausreise der Rumäniendeutschen zu beenden. Sie sagten, wenn die Intellektuellen weg wären, würden auch die Gemeinden zusammenbrechen. Damit ginge alles den Bach runter. Viele evangelische Gemeinden würden nach und nach ihre Existenzgrundlage verlieren.

Bundesinnenminister Maihofer für Beendigung des Freikaufs

Unter dem Eindruck der Besuche von Vertretern der Evangelischen Kirche bei Willy Brandt hatte Bundesinnenminister Werner Maihofer eine Zeitlang erwogen, die Bemühungen um die Aussiedlung aus Rumänien abzubrechen. In einem Gespräch mit ihm habe ich ihn überzeugt, es nicht zu tun. Am Schluss sagte er, er folge nun doch meiner Auffassung. Unter Bundesinnenminister Gerhart Rudolf Baum (FDP), dem Nachfolger von Werner Maihofer, wurden zunächst intern Überlegungen angestellt: Kann man etwas gegen den Abwanderungsdrang unternehmen? Es wurde zunächst analysiert: Woher kommt der Drang zur Auswanderung? Ein Grund war die Familienzusammenführung. Aber diese Fälle waren nach der Definition des Roten Kreuzes praktisch erschöpft. Es wurden zunehmend mehr Fälle ökonomischer und freiheitlicher Motivation. Wir überlegten: Kann man gegen den Wunsch nach Auswanderung etwas unternehmen, ohne sich von der Sache zu verabschieden, also von der Unterstützung derjenigen, die trotz allem auswandern wollten?

Die deutsche Sprache in Rumänien erhalten

Bei unseren Überlegungen, Hilfen für diejenigen anzubieten, die in Rumänien bleiben wollten, spielten viele Faktoren eine Rolle. Es gab das Problem der unzureichenden Versorgung mit Gütern aller Art, vor allem des Grundbedarfs: Lebensmittel, Energie. Es gab das Problem der Gesundheitsversorgung, besonders alleinstehender und älterer Menschen. Bei Medikamenten herrschte chronische Unterversorgung. 1977 gab es in Rumänien zwei große Naturkatastrophen, die in unseren Überlegungen eine wichtige Rolle spielten: die verheerenden Überschwemmungen, die große Teile des Landes erfassten, und das Erdbeben mit Schwerpunkt in Bukarest. Es gab Hinweise, die deutschsprachigen Theater in Temeswar und Hermannstadt seien gefährdet. Wir wollten sie stützen. Darüber habe ich mit der rumänischen Seite gesprochen. Meine Gesprächspartner haben mir zugesichert, dass staatliche Zuschüsse gewährt werden. Es spielte eine Rolle, Schulmaterialien zu liefern, Liederbücher, um die deutsche Sprache zu erhalten. Wenn die Deutschen ihren Anschluss an Europa halten wollten, mussten sie auch sprachlich auf dem Laufenden bleiben. 1987/88 verschlechterte sich die Versorgungslage dramatisch. Es war ohnehin alles knapp. Aber in diesen Jahren hatte sich alles ungemein verschärft.

Altersheime und Sozialstationen in deutschen Siedlungsgebieten

Um 1984 überlegten wir verstärkt, ob es möglich wäre, Sozialstationen einzurichten. Unsere Vorstellung war, Altersheime zu bauen mit Pflegeeinrichtungen, mit medizinischer Versorgung, die wir finanziert hätten. Sie sollten aber nicht nur Deutschen zur Verfügung stehen, sondern allen. Uns war klar, dass wir Einrichtungen nur für Deutsche nie hätten durchbringen können. Das haben wir der rumänischen Seite auch immer gesagt. Aber wir haben auch hinzugefügt, dass wir in Gegenden gehen möchten, wo Deutsche leben. Unsere Bedingung war: Keine Zusammenarbeit mit einer kommunistischen Organisation, also weder mit der Partei noch mit sonst irgendeiner kommunistischen Stelle. Unsere Vorstellung war: Wir gründen eine Gesellschaft oder Institution, in deren Vorstand oder Aufsichtsrat die deutsche Seite einen Sitz erhält. Über diesen Sitz sollte sie die Geldströme lenken. Von der Bundesregierung bin ich auch beauftragt worden, ein Modell zu erarbeiten, habe das auch getan. Ich habe verschiedene Varianten entwickelt.

Bundeskanzler Kohl schweben Hilfen im Wert von Hunderten Millionen DM vor

Um der rumänischen Seite unsere Vorstellungen zu präsentieren, bin ich nach Bukarest geflogen. Ich sagte meinen Gesprächspartnern: „Wir machen Ihnen ein großes humanitäres Angebot – auf absolut geheimer Grundlage.“ Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hatte mich dazu ausdrücklich ermächtigt. Ihm schwebten Hilfen im Wert von Hunderten Millionen D-Mark vor. Mein Vorschlag sah folgendermaßen aus: Wir liefern hochwertige Nahrungsmittel nach Rumänien, sagen wir mal Fette, Arzneimittel, Vitamine, und lassen uns diese mit Lei bezahlen, also in rumänischer Währung. Die Lei werden auf ein Konto bei der Rumänischen Nationalbank eingezahlt. Wir sind ermächtigt, diese Lei zu verwenden, zum Beispiel für den Bau solcher Einrichtungen wie eben geschildert. Voraussetzung ist allerdings, dass wir kleine Gebinde liefern. Also, wir liefern nicht eine Tonne Öl, sondern tausend einzelne Liter Öl. Wir liefern an die immer noch existierenden Geschäfte vor Ort. Wir liefern deswegen in kleinen Gebinden, damit jeder etwas bekommt und die Lieferung nicht in die Vorräte der Armee oder der Nomenklatura wandert. Dass trotzdem etwas weggeschoben werden würde, war uns klar. Aber dieser Verlust wäre nicht ins Gewicht gefallen.

»Unerträgliche Verbohrtheit der Nomenklatur«

Frage: Wann genau haben Sie den Rumänen diesen Vorschlag unterbreitet?

Dr. Heinz-Günther Hüsch: Das war im Winter 1987/88. Ich bin eigens dafür nach Bukarest geflogen und habe darüber mit meinem damaligen Verhandlungspartner Ene alias Aristotel Stamatoiu (10) gesprochen. Er hat es in diesem Gespräch abgelehnt, etwas entgegenzunehmen. In dem darauffolgenden Gespräch habe ich unseren Vorschlag noch einmal aufgegriffen. Da hat er die Ablehnung wiederholt.

Frage: Warum? Das muss doch im Sinne der Rumänen gewesen sein. Sie wollten doch immer, zumindest nach außen hin, dass niemand ausreist, dass die Leute im Land bleiben.

Dr. Heinz-Günther Hüsch: Genau das ist der Widerspruch. Das ist die unerträgliche Verbohrtheit der Nomenklatura, dieser militärischen Bürokratie, dieser Funktionäre. Dieses kleinkarierte, engstirnige Denken. Rumänien hatte damals keinen Anschluss mehr an die internationale Welt. Die haben ja nicht gemerkt, was passierte in Europa und in der Welt.

Die Ablehnung unseres Vorschlags war uns absolut unverständlich. Wenn sie gesagt hätten, „Liefern Sie uns Antibiotika für 100000 D-Mark“, hätten wir auch das getan. Wir waren nicht dogmatisch festgelegt. Wir hatten Vorstellungen, wie es werden könnte. Wir hätten auf deutscher Seite eine GmbH gegründet, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Deren Mit-Geschäftsführer wäre ich geworden. Ich hatte schon Personal – nicht eingestellt, aber vor Augen –, also Leute, die sich in der Logistik auskannten. Ich hatte schon Bezugsquellen in Süddeutschland, also im Raum Regensburg, um die Transportwege um 500 Kilometer zu verkürzen. Wir wären auch bereit gewesen, eine rumänische Spedition einzuschalten. Aber alles wurde absolut und definitiv abgelehnt. Es ist alles an den Rumänen gescheitert.