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»Die Leidensgeschichte Banater Deportierter hat mich zutiefst berührt« (II)

Erika Vora signiert im Nischbach-Haus in Ingolstradt die für ihre Interviewpartnerinnen bestimmten Exemplare. Foto: Helmut Graf

Interview mit Prof. Dr. Erika Vora (USA), Autorin des Buches »Silent no More«

Es ist anzunehmen, dass Sie hier auch Banater Schwaben kennengelernt haben und so alles seinen Lauf nahm.

Über das Kulturamt der Stadt Ingolstadt lernte ich Franziska und Helmut Graf kennen. Von ihnen habe ich zum ersten Mal von den Banater Schwaben und ihrem Schicksal erfahren. Franziska lud mich ins Nischbach-Haus ein, wo sich alle ehemaligen Russland- und Baragan-Deportierten versammelt hatten. Das, was sie mir erzählten, hat mich tief beeindruckt. Damals hatte ich nicht genügend Zeit, um all die Geschichten aufzuzeichnen, und so kam ich zwei Jahre später wieder. Ich wurde in diesem Haus – eine wunderbare Einrichtung – sehr gastfreundlich aufgenommen, und Familie Graf, mit der ich mittlerweile freundschaftlich verbunden bin, stand mir immer zur Seite. Fünf Tage lang, von morgens bis abends, haben wir aufgezeichnet. Jede meiner Gesprächspartnerinnen hatte eine herzergreifende Geschichte zu erzählen, die mich tief berührte. Einmal beim Zuhören und Wochen später zuhause, als ich die Aufzeichnungen abhörte, transkribierte und übersetzte. Es war eine  schwierige, höchst belastende Situation. Ich konnte nicht länger als eine Stunde am Tag an dem Buch arbeiten, denn immer wieder trieb mir das Gehörte die Tränen in die Augen. Unglaublich, was diese Frauen – und nicht nur sie – mitmachen mussten. Trotz emotionaler Belastung wollte ich das Buch so schnell wie möglich zu Ende bringen, damit es viele der Befragten noch zu Lebzeiten erreicht.

Was war die Motivation für dieses Buch? Zu welchem Zweck haben Sie es geschrieben?

Es war mir wichtig, anhand von authentischen Erlebnisberichten deutscher Frauen, die Flucht, Vertreibung und Deportation in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit überlebt haben, eine „lebendige Geschichte“ vorzulegen. Und es ging mir darum, auf das Unrecht hinzuweisen, das Millionen Deutschen widerfahren ist, und auf ihre bitteren, leidvollen Erfahrungen aufmerksam zu machen. 33 Angehörige der Erlebnisgeneration kommen in dem Buch zu Wort, ebenso viele Einzelschicksale sind darin festgehalten. Nachdem diese Menschen jahrzehntelang schweigend mit ihrem Trauma lebten, haben sie nun endlich ihr Schweigen gebrochen, um im Namen von Millionen deutscher Opfer – meist Frauen, Kinder und ältere Menschen – zu sprechen, da diese keine Stimme mehr haben. Dieses Buch musste herausgebracht werden. Wir sind es denen schuldig, die zu Tode gekommen sind. Und wir sind es den Überlebenden schuldig, deren Leidensfähigkeit, Stärke und Mut, deren ungebrochener Lebenswille bewundernswert und achtunggebietend sind.

Die Erfahrungen jener Zeit, in der das Unterste zuoberst gekehrt worden ist, haben tiefe Wunden gerissen, die niemals heilen werden. Aber trotz allem – und das ist bemerkenswert – war bei keiner meiner Interviewpartnerinnen ein Gefühl des Hasses und der Rache den Peinigern gegenüber aufgekommen. Sie beherzigten, ohne es zu wissen, Mahatma Gandhis Ausspruch: „Auge um Auge – und die ganze Welt wird blind sein“.

Welche Wirkung erhoffen Sie sich von dem Buch, das sich ja vornehmlich an die amerikanische Leserschaft wendet?

In den Vereinigten Staaten weiß man so gut wie nichts über dieses dunkle Kapitel in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Selbst gebildete Leute – und durch meine Tätigkeit an der Uni kenne ich viele – haben keine Ahnung davon, was den Deutschen widerfahren ist, welch schweres Schicksal sie zu ertragen hatten. Diese Unwissenheit ist sogar bei den Deutsch-Abteilungen der amerikanischen Universitäten anzutreffen. Allgemein werden die Deutschen im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg ausschließlich als Täter wahrgenommen, als diejenigen, die den Holocaust verursacht und zu verantworten haben. Der Holocaust war natürlich ein furchtbares Verbrechen, das nicht vergessen werden darf. Zur Kenntnis genommen und nicht vergessen werden sollte aber auch das Schicksal von Millionen unschuldiger Deutscher, die keineswegs unter die Kategorie Täter fallen. Diese Menschen waren genauso Opfer des Krieges wie jene anderer Völker. Das Buch will dazu beitragen, das in der amerikanischen Öffentlichkeit vorherrschende Täter-Opfer-Bild zu korrigieren.

Um mit einem solchen Thema hier an die Öffentlichkeit zu treten, bedarf es Mut. Die ersten Reaktionen auf das Buch waren vorwiegend positiv. Ich habe bisher eine einzige Lesung bestritten, die sehr gut besucht war. Weitere Lesungen sind geplant. Erfreulich ist auch die Tatsache, dass das Buch dank Professor Molefi Kete Asante von der Temple University in Philadelphia in dessen Master-Programm aufgenommen wurde.  

Professor Asante, der Sie zu diesem Buch ermutigt hat, äußert sich lobend dazu: „Erika Vora hat wieder ein mutiges und herzzerreißendes Buch geschrieben. Die darin enthaltenen Schilde-rungen sind wahrheitsgetreue Erlebnisberichte deutscher Opfer und beleuchten eine Geschichte, die zu lange verborgen blieb.“

Dr. Asante ist Professor für African American Studies und ein international anerkannter Wissenschaftler. Er war der Meinung, es sei notwendig, diese auf authentischen Zeugnissen fußende lebendige Geschichte zu erzählen, um unser Verständnis des Zweiten Weltkrieges zu vervollständigen. Für seinen weisen Rat und seine Ermutigung bin ich ihm sehr dankbar. Professor Assante arbeitet bereits mit dem Buch in seinem Master-Programm. Es ist eines von fünf Büchern, die zur Pflichtlektüre der Studierenden gehören.

Frau Professor Vora, wir wünschen Ihrem Buch eine breite Leserschaft und bedanken uns für das Gespräch.