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»Der lange Weg nach nirgendwo«

Sammlung von Zeitzeugenberichten über die Russlanddeportation in rumänischer Sprache erschienen

Die Deportation der Rumäniendeutschen in die Sowjetunion stand nach der Wende von 1989 in Rumänien nur selten im Fokus der Wissenschaft und Publizistik. Einschlägige Bücher in rumänischer Sprache sind rar. Außer den beiden von Hannelore Baier 1994 und 2003 herausgegebenen Bänden – eine Quellenedition und eine Sammlung von Erlebnisberichten und Dokumenten – beschränkt sich die Literatur zur Russlanddeportation auf Zeitungs- und Zeitschriftenaufsätze und wenige Studien in Sammelbänden. 2010 erarbeitete die Behörde für das Studium der Securitate-Akten eine Wanderausstellung, die über 200 Dokumente zur Russlanddeportation präsentierte und in mehreren Städten des Landes gezeigt wurde.

Das erste umfangreichere in Rumänien realisierte Forschungsprojekt „Das Gedächtnis der Zwangsarbeit der in die UdSSR deportierten Deutschen aus Rumänien“ wurde Ende vergangenen Jahres finalisiert. Träger des über das EU-Programm „Europe for Citizens“ finanzierten Projekts war der Rumänische Verein für Politische Ökologie, zu dessen Kooperationspartnern die Universität „Aurel Vlaicu“ Arad, das Demokratische Forum der Banater Berglanddeutschen und die Landsmannschaft der Banater Schwaben zählten. Die Ergebnisse wurden auf einer internationalen wissenschaftlichen Tagung Anfang November 2012 in Arad präsentiert und in einer Publikation veröffentlicht.

Der Band „Lungul drum spre nicaieri. Germanii din Romania deportati in URSS“ (Der lange Weg nach nirgendwo. Die in die UdSSR deportierten Deutschen aus Rumänien) wurde von Lavinia Betea, Cristina Diac, Florin-Razvan Mihai und Ilarion Tiu herausgegeben und ist im Verlag Cetatea de Scaun (Targoviste) erschienen. Es handelt sich im Wesentlichen um eine Sammlung von Erinnerungsberichten ehe-maliger Russlanddeportierter, die von den Mitgliedern des Projektteams und Studenten der Arader Universität im Banat und in Deutschland aufgezeichnet wurden. Demnach lässt sich der Band der Kategorie „Oral History“ zuordnen, die auch als „Geschichte von unten“ bezeichnet wird.

Das umfangreichste Kapitel, „Die Erinnerung der Deportierten“, umfasst 34 Schilderungen von Be-troffenen; davon wurden 13 mit Unterstützung der Landsmannschaft in München, Ingolstadt und Landshut aufgezeichnet. Obwohl jeder einzelne Zeitzeugenbericht ein ganz persönliches Schicksal spiegelt, vermitteln die Erzählungen in ihrer Gesamtheit ein umfassendes Bild vom kollektiven Schicksal der zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportierten Südostdeutschen. Wie ein roterFaden ziehen sich die Grenz- und Extremerfahrungen, die die Betroffenen gemeinsam geteilt haben, durch sämtliche Erlebnisberichte: die mehrwöchige Odyssee des Transportes in die sowjetischen Arbeitslager, harte körperliche Arbeit, Hunger, Kälte, schlechte Unterkünfte, lebensbedrohliche Krankheiten, Willkür der Lagerleitung, seelische Nöte, plagendes Heimweh. Der Leser vermisst in diesem Kapitel steckbriefartige Angaben zu den interviewten Personen.

Entgegen seiner ursprünglichen Absicht hat das Forschungsteam neben den unmittelbar Betroffenen auch deren Nachkommen – die Kinder- und Enkelgeneration – befragt, um in Erfahrung zu bringen, was und wie über die Deportation der Eltern oder Großeltern erinnert wird. Elf diesbezügliche Interviewaufzeichnungen wurden in den Band aufgenommen. Darüber hinaus enthält der Band eine längere einführende Studie der Herausgeber, einen Beitrag von Erwin Josef Tigla, dem Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Banater Berglanddeutschen und des Kultur- und Erwachsenenbildungsvereins „Deutsche Vortragseihe Reschitza, über die Kultur des Gedenkens an die Deportation im Banater Bergland und einen dokumentarischen Anhang. Aufschlüsse über die politische, juristische und wirtschaftlich-soziale Lage der deutschen Minderheit gibt eine hier abgedruckte Denkschrift ihrer Vertreter vom April 1946. Das Werk ist nur spärlich und ausschließlich mit Grafiken von Anton Ferenschütz illustriert und lässt ein Literaturverzeichnis vermissen.

Trotz einiger Schwächen stellt der hier vorgestellte Band als Sammlung historischer Quellen eine gute Dokumentationsbasis für weitere Forschungen dar.    

Lavinia Betea, Cristina Diac, Florin-Razvan Mihai, Ilarion Tiu: Lungul drum spre nicaieri. Germanii din Romania deportati in URSS. Targoviste: Ed. Cetatea de Scaun, 2012. 306 Seiten. ISBN 978-606-537-130-9.