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Das Leben hat gewonnen, nicht der Tod

Grußwort zum Osterfest 2024 von Paul Kollar, Pfr. i.R.: Liebe Leser der Banater Post, liebe Landsleute! Der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland Theodor Heuss sprach 1950 von drei Hügeln, von denen das Abendland seinen Ausgang genommen habe: „Golgatha, die Akropolis in Athen und das Capitol in Rom“. Dieses Bild wird oft aufgegriffen, um die geistigen Wurzeln Europas zu beschreiben. Die Akropolis in Athen und das Capitol in Rom waren Zentren in mächtigen Weltreichen, die längst untergegangen sind.
Der Hügel Golgota scheint für manche der heutigen Europäer nicht ganz in die Reihe dieser drei zu passen. Und doch: Der Berg Golgatha steht für uns Christen als Todes- und Auferstehungsort Jesu Christi. Ohne Golgota / Golgatha auch kein Ostern. Hier erst wurde Ostern zum „Fest der Feste“ im Christentum. Hier ist Christus von den Toten auferstanden, Sünde und Tod wurden hier überwunden, das „neue Leben“ für alle wurde ermöglicht. Jeder einzelne Mensch ist eingeladen, sich im Glauben, in der Hoffnung und in Liebe mit Christus, dem kreuztragenden, gestorbenen und auferstandenen Menschensohn, aufzumachen, um in die ewige Herrlichkeit zu gelangen. Seit der Auferstehung Christi kann für die ganze Menschheit das „Reich Gottes der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude“ seine konkrete Form annehmen.
Der auf dem Golgota auferstandene Jesus begrüßt seine Jünger, als er ihnen erscheint, mit dem Gruß „Friede sei mit euch“ (Joh 20,19). Er sagt das mit dem hebräischen Wort „schalom“. Damit meint er nicht Frieden nach einem Krieg. Im Begriff „schalom“ schwingt eine viel größere Bedeutungsfülle mit.
Friede als „schalom“ umfasst und erfasst den ganzen Menschen. Den ganzen Menschen mit seinen drei Dimensionen: Leib, Seele und Geist, sowie mit seinen drei Grundkräften Gefühl, Wille und Verstand! Den ganzen Menschen mit dem Gesamtnetz seiner Beziehungen: den Beziehungen zu den Mitmenschen, zur übrigen Schöpfung und letztlich zu Gott.
Auf den Osterfrieden, den der Auferstandene als gemeinsame Wertegrundlage in die Welt brachte, dürfen wir uns berufen. Das Abendland, „Europa“ kann nicht nur unter geografischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Vielmehr sind es die historischen und kulturellen Wurzeln und Werte, die auf der Grundlage der christlichen Botschaft verbreitet wurden und die heute noch tragen. Es sind die Wurzeln und Werte, auf denen wir stehen und handeln. Angesichts der Fragen, die sich uns in den Weg stellen, wie man umzugehen habe mit den unzähligen Flüchtlingen, die in unser Land kommen. Angesichts der großen Uneinigkeit und Zerrissenheit, wie sie unter den Ländern Europas und ihren Gesellschaften vorzuherrschen scheint. Angesichts der Unsicherheit, dem das menschliche Leben überhaupt ausgesetzt ist – Naturkatastrophen, Pandemien, und, und, und … Auch angesichts von Krieg und Terror in der Ukraine sowie in den Ländern des Nahen Ostens, deren Auswirkungen bis in unser ganz eigenes Leben hineinreichen. Dahinter stecken Fragen über Fragen, an Europa und sogar an jeden von uns persönlich.
Ist der Blick auf das Reich Gottes, das der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude, das der Geborgenheit, nicht auch die Frage nach der Auferstehung und dem ewigen Leben, dem Leben nach dem Tod, wie sie uns von Ostern her beantwortet wird? Die Frage nach dem Überleben in dieser so undurchschaubar und unberechenbar gewordenen Welt?
Für uns donauschwäbische und Banater Landsleute ist diese Frage immer auch verbunden mit dem Blick in die eigene Geschichte.  

Unsere Vorfahren haben sich bei der Ansiedlung nicht in ein Land mit blühenden Landschaften aufgemacht. Die wüsten Landschaften nach nach den Kriegen gegen die Osmanen zu einer blühenden Landschaft werden zu lassen, war über Generationen mit enormer Leistung verbunden. Was die Siedler dabei unterstützt hat, diese Leistung zu erbringen, fußte auf den Beziehungen zu den Mitmenschen, zur Schöpfung – und letztlich zu Gott. Die Gotteshäuser und die darin verkündete Botschaft von dem Auferstandenen Christus, die Botschaft von der Hoffnung und der Liebe, die sinnvolles Leben erst möglich macht, gaben unseren Ahnen Antwort und das Gefühl von Heimat. Es sind die Stätten, es ist die Botschaft, wodurch unsere Vorfahren Kraft und Segen erhalten haben, um die Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert wurden, bewältigen zu können.
Diese Gotteshäuser sind, auch wenn sie oft nicht mehr so prägend erscheinen, nach wie vor wichtig für uns Banater Schwaben. Sie stehen heute in einem Europa, das auf die Beziehungen zu den Mitmenschen, zur Schöpfung und letztlich zu Gott weisen kann, und verkünden die Botschaft von dem Auferstandenen Christus.
Auf dieses Erbe können wir stolz sein. Wir freuen uns, dass die Verbindung zum Banat auch heute noch lebendig ist und dass wir die Kontakte zur alten Heimat pflegen können. Es sind nicht allein die Erinnerungen, die uns immer wieder zu Fahrten ins Banat bewegen, sondern es ist auch die Liebe zu unseren Vorfahren, deren letzte Ruhestätten sich dort befinden. Es ist die Hoffnung auf ein Wiedersehen in der Freude der Auferstehung und des Lebens, das uns Christus möglich macht.
Unsere und die geistigen Wurzeln Europas sind in dieser Botschaft von der Auferstehung und dem Leben durch Christus zu finden. Trotz mancher Unterschiede im Einzelnen, in den Traditionen und den kulturellen Besonderheiten auf dem europäischen Kontinent: Durch die Botschaft von der Auferstehung Jesus fand das Christentum – auch wenn es in unterschiedlichen Formen gelebt wird – ein Band, das uns in Europa zusammenhält.
Den Generationen, die totalitäre Regime erlebt haben, jene, die auf brutale Weise unter der Prämisse: „Es gibt keinen Gott!“ das Ausüben jeglicher Religiosausübung verboten haben, oder jene, die erklärten, Ewige Reiche sind durch den „Endsieg“ zu erreichen, müssen wir den Wert dieses Erbes nicht erklären.
Die Ostergeschichte wird uns erzählt, um um uns Mut zu machen, um uns Hoffnung auf das Leben zu geben. Mut und Freude, die mit dieser Hoffnung in Verbindung stehen, geben nicht nur die „himmelwärts“ weisenden, in allen Farben wunderschön blühenden Tulpen, Hyazinthen und Osterglocken. Mut und Hoffnung geben auch die Ereignisse, die wir als Landsleute mit denen, die im Banat geblieben sind, teilen. Sie alle zusammen formen ein buntes Bild gelebten Christentums im heutigen Europa. Drücken die Botschaft von Auferstehung und Leben auf ihre Weise aus. Ein Pontifikalamt in der Temeswarer Domkirche St. Georg zelebriert die Vielfalt, Authentizität und Freude vom Domplatz aus, sie wird getragen durch das Stadtzentrum bis hin zur orthodoxen Kathedrale, wie wir es bei den Temeswarer Kulturtagen im letzten Jahr erlebt haben, den bewundernswerten, vielfältig gestalteten Feierlichkeiten, aber auch bei den runden Jahresereignissen, bei den traditionellen Wallfahrten in Deutschland oder nach Maria Radna. All das ist Ausdruck unserer geistigen Wurzeln, sie sind in dieser Botschaft von der Auferstehung und dem Leben durch Christus zu finden.
Mitten im alltäglichen Leben können wir Menschen entdecken, dass dieses Reich, in das uns der Auferstandene einlädt, nicht nur eine ferne Verheißung bleibt, sondern schon mitten in unserem Leben und Zusammenleben lebendig ist. Ich denke ganz konkret an den Opa, der einen Baum pflanzt, der noch in der Generation seiner Urenkel blühen soll. Genauso an den alten Winzer, der einen Weinberg anlegt, aber auch an die Frau, die sich in der Gruppe, der Gemeinschaft, engagiert. Das ist nicht die Haltung: „Nach uns die Sintflut“, zu der uns eine Konsum- und Wegwerfgesellschaft ständig verleiten will. Dahinter steckt die Hoffnung, dass das Leben auch in dreißig oder fünfzig Jahren noch lebenswert ist. Dass die Botschaft des Auferstandenen eine Botschaft ist, die Zukunft schenkt. Selbst für die Kirchenfernen besteht der Traum, dass die Generation der Enkel und Urenkel eines Tages in Würde, Frieden und Gerechtigkeit zusammenleben kann. Im Banat hat man es über Generationen nicht anders gekannt.
Wir brauchen den Glauben an das Unglaubliche. Der Berg Golgatha steht für uns Christen als Todes- und Auferstehungsort Jesu Christi. Christus hat durch seine Auferstehung das Unglaubliche möglich gemacht. Auf diesem Glauben basiert das Erbe Europas – unser Erbe. Der Glaube ist für uns die Heimat hinter der „verlorenen Heimat“. Wir haben eine Heimat verloren, aber nicht den Glauben.
Die Ostergeschichte wird uns erzählt, um uns Mut zu machen, um uns Hoffnung zu geben. Unsere Osterbotschaft: Das Leben – nicht der Tod – hat gewonnen. Jesus hat gewonnen – er lebt. Und wir werden leben.
In herzlicher Verbundenheit wünsche ich allen Landsleuten und Lesern ein gesegnetes Osterfest.