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Ein Held der „goldenen Generation“

Josef Leretter in seinem Haus in in Kehl-Auenheim. Foto: Victoria Hof

Als UTA am letzten Januarsamstag das Erstliga-Heimspiel gegen OSK Sepsi Sfintu Gheorghe mit 2:1 gewonnen hatte, sagte der Trainer der Arader, Mircea Rednic: „Das ist heute für uns ein schöner und zugleich ein trauriger Tag.“ Vor dem erfolgreichen Match war im von knapp 10 000 Zuschauern besuchten Francisc-Neumann-Stadion eine Gedenkminute abgehalten worden – für den am Vortag in einem Temesvarer Seniorenheim verstorbenen ehemaligen UTA-Spieler Josef Leretter. Lauter Beifall ertönte auf den Rängen, nachdem der Stadionsprecher gesagt hatte: „Wir nehmen Abschied von einem der großen Spielführer der UTA, von einem der großen Helden einer goldenen Generation der Alten Dame. Gehe wohlbehalten, Josef Leretter! Die Alte Dame bedankt sich bei Dir für alles, was du ihr gegeben hast und wird immer aufschauen zu dem Platz, der im rot-weiß gefärbten Pantheon dir gehört.“
Im Juli wäre Josef Leretter 91 Jahre alt geworden. An den Fußballer, der aus Ferdinandsberg (Otelul Rosu) stammte, knüpfen sich in Arad lebendige Erinnerungen wegen der großen Erfolge, die UTA mit ihm errungen hatte. Leretter gehörte neben Flavius Domide, Ladislau Brosovszky, Mircea Petescu, Mircea Axente, Florian Dumitrescu oder Gábor Biró zu den Größen der Mannschaft der einstigen Textilfabrik, die unter Trainer Coco Dumitrescu rumänischer Meister in den Jahren 1969 und 1970 geworden war. Der Mittelfeldspieler und spätere Innenverteidiger war der Kopf der Elf, die 1970 sensationell den Titelverteidiger im Europapokal der Landesmeister, Feyenoord Rotterdam, aus dem Wettbewerb warf. Als Kapitän hatte „Loli“, wie Leretter von seinen Freunden genannt wurde, UTA in der Spielzeit 1971/72 zudem bis ins Viertelfinale des Uefa-Pokals geführt. Erst als 34-Jähriger war Leretter 1967 von Poli Temesvar nach Arad gewechselt. Vor einigen Jahren erzählte er einem Temesvarer TV-Sender: „Die UTA-Verantwortlichen haben mir damals den Kopf verdreht und mir 15000 Lei angeboten, wenn ich nach Arad komme.“ In Arad erlebte Leretter bis 1973 seine sportliche Glanzzeit. Als er mit 40 Jahren seine Karriere beendete, hatte er 375 Erstliga-Spiele absolviert und 112 Tore erzielt. In Rumänien gilt er noch heute als ein Vorbild des Fairplays, um den sich die Legende rankt, nie eine gelbe Karte erhalten zu haben.
Mit seiner zweiten Frau Alexandra, einer aus Arad stammenden Zahnärztin, zog es ihn Anfang der 90er Jahre nach Deutschland, das Ehepaar ließ sich im südbadischen Kehl nieder. Im Stadtteil Auenheim, wo sie sich ein schönes Häuschen bauten, erlahmte Leretters Interesse am Fußball. Lieber ging der Rentner allein angeln. Eine andere Leidenschaft war das Reisen: Die Leretters fuhren durch Europa, sie waren in Israel und Südafrika. Beim Besuch einer Tulpenausstellung in den Niederlanden suchten sie eine Pension für eine Nacht. Die erste hatte kein freies Zimmer, die zweite, die dritte und die vierte auch nicht. Der fünfte Herbergen-Besitzer, bei dem sie anklopften, verlangte ihre Ausweise. Ein kurzer Blick darauf, dann guckte der Hotelier „Loli“ Leretter an und fragte: „Waren Sie mal Fußballer?“ Offensichtlich erinnerten sich auch Holländer an ihn. UTA Arad traf 1970 im Europapokal der Landesmeister auf Titelverteidiger und Weltpokalsieger Feyenoord Rotterdam, trainiert vom legendären Österreicher Ernst Happel. Vor dem Hinspiel hatte die niederländische Zeitung „Het Vrije Volk“ ein Porträt der Arader Mannschaft veröffentlicht und Leretter als ihren erfahrenen Abwehrstrategen vorgestellt. Im Hinspiel ging der Außenseiter aus Arad in Rotterdam in Führung, dem späteren Vizeweltmeister von 1974 und 1978, Wim Jansen, gelang der Ausgleich für Feyenoord. Die Niederländer stürmten wütend, UTA mit Kapitän Leretter im Abwehrzentrum verteidigte jedoch das 1:1 bis zum Schlusspfiff. „Es wäre das achte Weltwunder, wenn wir in Arad ausscheiden“, tönte dennoch Happel, der zuvor behaupet hatte, er wisse gar nicht, wo Arad liege. Zwei Wochen später wurde aus Arad zum ersten Mal ein Fußballspiel im Fernsehen live übertragen. Im Stadion waren doppelt so viele Zuschauer, wie die kleine Arena fasste. Erneut zerbrach der Sturmlauf der Niederländer an der von Leretter dirigierten Abwehr, das Spiel endete 0:0. UTA hatte den großen Favoriten aus dem Rennen geworfen. In der Geschichte Arads ist dieser 30.September 1970 ein Tag der Glorie geblieben, für die älteren UTA-Fans ist "Loli" Leretter ohne zu übertreiben schon deshalb unsterblich. Zwei Jahre später führte Leretter, mittlerweile 39, seine Mannschaft bis ins Viertelfinale des Uefa-Pokals. Austria Salzburg, Zaglebie Walbrzych aus Polen und Vitoria Setubal aus Portugal scheiterten an den Aradern, erst der spätere Sieger Tottenham Hotspurs war für UTA zu stark. In London gelang den Aradern immerhin ein 1:1 wie zuvor in Rotterdam. Ein Jahr später beendete Leretter seine Karriere.
Auf das Ende des sozialistischen Regimes wartete Leretter danach als Ingenieur in Temeswar, immer wieder versuchte er sich dort ohne spektakuläre Erfolge als Trainer. Die Wende von 1989 führte ihn in ein neues und ruhigeres Leben. Leretter und seine Frau verbrachten schöne Jahre in Deutschland, sie fanden hier gute Freunde. Bis ins hohe Alter wirkte Leretter körperlich fit, allerdings ließ sein Gedächtnis allmählich nach.
Ein schwerer Schicksalsschlag ereilte ihn 2022, als seine fürsorgliche Frau bei einem Verkehrsunfall starb. Leretter ließ sich überzeugen, nach Temeswar zurückzukehren, wo die Kinder seiner Frau als Zahnmediziner erfolgreich sind. Dort verstarb er am 26. Januar.