Als regelmäßiger Besucher des Hauses des Deutschen Ostens (HDO) und Teilnehmer an den HDO-Studienreisen ist Dietmar Rennich gewissermaßen ein Urgestein im Veranstaltungsleben des Hauses. Am 23. November 2023 stand er nun selbst im Zentrum eines Programmpunktes, als er im Gespräch mit Dr. Renate von Walter an einem Erzählcafé teilnahm. Dieses Veranstaltungsformat rückt an ausgewählten Donnerstagnachmittagen Personen ins Rampenlicht, deren Leben mit berichtenswerten Ereignissen und interessanten Hintergründen aufwarten können.
Mit der Einladung von Dietmar Rennich, der als Banater Schwabe (Lenauheim) im sozialistischen Rumänien aufgewachsen war, bevor er als Erwachsener nach Deutschland floh, setzte das HDO die diesjährige Programmreihe „Temeswar 2023: Die Kulturhauptstadt kommt nach München“ fort. Mehrere Veranstaltungen waren gemeinsam mit dem Kulturwerk Banater Schwaben e.V. realisiert worden, das auch dieses Mal präsent war.
Familiensaga unter härtesten Bedingungen
Nach der Begrüßung durch Patrizia Erkenberg, die gemeinsam mit Dr. Lilia Antipow das HDO vertrat, begann Dietmar Rennich seine Erzählung mit einem kurzen Abriss über seine Herkunftsregion. Mit der Flucht eines Teils der Banater Bevölkerung vor der Roten Armee 1944, an der auch die Familien seiner Eltern teilnahmen, setzte dann die Familiensaga ein, die er in den kommenden eineinhalb Stunden entfaltete. Sie steht zwar exemplarisch für das Schicksal der dortigen deutschen Bevölkerung, besticht aber gleichzeitig mit erzählenswerten individuellen Nuancen und Geschichten. Zwar wurde seinen Vorfahren durch die besagte Flucht das Los erspart, zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert zu werden, doch warteten mit der Rückkehr in die Heimat im Mai 1945 andere Schicksalsschläge auf sie. Nicht nur folgte die Enteignung durch das kommunistische Regime, sondern 1951 auch die Deportation in die unwirtliche Bărăgan-Tiefebene, wohin „unzuverlässige Elemente“, sprich: aus ideologischen Gründen verdächtigte, oft ethnischen Minderheiten angehörende Personen, die nahe der jugoslawischen Grenze wohnten, zwangsumgesiedelt wurden. Dort, unter härtesten Bedingungen, lernten sich seine Eltern, die aus Lenauheim und Perjamosch stammten, kennen – und dort erblickte er selbst 1954 das Licht der Welt. Da seine Eltern 1956 zurückkehren durften, fehlt ihm jede Erinnerung an die Zeit dort. Dennoch war es ein eigenartiges Gefühl, schilderte Rennich fesselnd, als er 1979, während des Studiums des Maschinenbaus in Bukarest, an den Ort seiner Geburt zurückkehrte. Und noch dazu, als er dort inmitten der Steppe, wo die Deportierten gelebt oder vielmehr überlebt hatten, tatsächlich den Grabstein seiner Ururgroßmutter entdeckte.
Nach der Heimkehr konnte sich seine Familie ein Leben in Lenauheim aufbauen. Das während der Deportation von rumänischen Kolonisten aus dem „Altreich“, der Moldau und der Walachei, besetzte Haus hatten sie ab 1958 wieder vollständig für sich. Mit den Rumänen, die von nun an im zuvor fast ausschließlich deutsch besiedelten Dorf wohnten, entwickelte sich, wie Rennich es formulierte, ein friedliches Zusammenleben, das allerdings mehr nebeneinander und weniger miteinander erfolgte. Richtig Rumänisch lernte er bezeichnenderweise erst während des Militärdienstes und natürlich während des Studiums in Bukarest. Die Schulbildung war ihm in Temeswar zuteil geworden – eine Stadt, an die er gerne zurückdenkt und in die er auch öfter zurückkehrt, wie zuletzt in diesem Jahr der Kulturhauptstadt.
Außergewöhnliche Flucht aus Rumänien
Es war 1984, als ihm die Flucht aus Rumänien in die Bundesrepublik gelang. Die Umstände waren außergewöhnlich, wie die Überschrift des Artikels schon andeutet. Denn es war eine Müllpresse, die ihm den Weg nach Westen ermöglichte. Das aus Deutschland kommende, für die Türkei bestimmte Fahrzeug blieb just in Rumänien liegen und wurde vom ADAC nach einiger Zeit zurück in die Bundesrepublik transportiert – mit zehn blinden Passagieren an Bord. Rennich hatte den Wunsch, Rumänien in Richtung Deutschland zu verlassen, bereits länger gehegt. Als Gründe führte er verschiedene Aspekte an. Zum einen war die Auswanderung bereits im Gange, die Gemeinschaft der Deutschen vor Ort befand sich in Auflösung. Alle blickten in die Richtung der Bundesrepublik, mit der sich auch er stark identifizierte. Dazu hatten Radiosendungen der Deutschen Welle und des Bayerischen Rundfunks sowie verschiedene nach Rumänien gelangte Zeitschriften entscheidend beigetragen. Und wer unter den Deutschen hätte sich schon dem sozialistischen Rumänien verbunden gefühlt? Hinzu kam die wirtschaftliche Misere, die das Leben zunehmend erschwerte. Für ihn persönlich spielte auch eine gewisse Reiselust eine Rolle – die engen, erdrückenden Bedingungen in Rumänien hinter sich zu lassen und mehr von der Welt zu sehen. Eine direkte Gefahr durch den rumänischen Staat bzw. insbesondere durch den Geheimdienst, die Securitate, war für ihn nicht gegeben gewesen, denn: „Man wusste, was man durfte und was man nicht durfte“, so Rennich. Freunde, die es bereits nach Deutschland geschafft hatten, versorgten ihn mit dem nötigen Bargeld, um die Kontaktperson, die ebenfalls von ihnen vermittelt wurde, bezahlen zu können. Diese sorgte im August 1984 für den Fluchtweg in der Müllpresse. Jede Person wurde entsprechend eingeschmiert, damit die Hunde an der Grenze nicht anschlügen. Schwere Stunden des Wartens verbrachten sie an den Grenzen zu Ungarn sowie zu Österreich. Aber auch ein längeres Stillstehen in Budapest in glühender Augusthitze zählte zu den kritischen Momenten der Flucht.
In Deutschland empfingen ihn seine Freunde und sorgten für eine Unterkunft und alles Weitere. Die noch fehlenden Dokumente schmuggelte ein Freund bei nächster Gelegenheit in einer Kühltasche aus Rumänien heraus. Nach einem Zwischenaufenthalt in Münster wurde er ab 1986 in München ansässig, wo er als Ingenieur bei der Bahn beschäftigt war. Und Deutschland? Wie erlebte er das erträumte Land? Die Vorstellungen und die Realität hätten wenig miteinander gemein gehabt, musste Rennich zugeben. Er habe die Flucht jedoch nie bereut. Auch nicht, als er 1989 als nunmehr deutscher Staatsbürger zurück in die alte Heimat fuhr. In der neuen Heimat war er trotz mancher Hürden, die sich ihm in Gesellschaft, Bürokratie und Beruf stellten, längst angekommen und fest verwurzelt.