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Jubiläumsfeier im Geburtsort Adam Müller-Guttenbrunns: Gedenktag im Zeichen eines neuen Miteinanders

Gastgeber, Ehrengäste und Trachtenpaare bei der Jubiläumsfeier zum 100. Todestag von Adam Müller-Guttenbrunn in dessen Geburtsort. Fotos eingesandt von Hiltrud Leber

Die Theatergruppe des Forums zeigte Szenen aus Guttenbrunns Roman „Meister Jakob und seine Kinder” , bearbeitet von Stefan Heinz-Kehrer.

Die Banater Rosmareiner hatten für ihren Tanz-Auftritt die Guttenbrunner Tracht angezogen.

Von einem Ort in Siebenbürgen ist uns überliefert, dass die evangelischen Gläubigen vor dem Betreten der Kirche zum sonntäglichen Gottesdienst links der Eingangstür stets innehielten. Sie verneigten sich leicht, dann erst betraten sie die Kirche. Warum sie das taten, wusste man nicht mehr, es war halt so. Viele Jahre später entdeckte man bei Sanierungsarbeiten an dieser Kirche, genau an der Stelle, an der sich die Gottesdienstbesucher immer verneigten, ein Marienbildnis. Es stammte aus der vorreformatorischen Zeit … 
Zum 100. Todestag des Dichters
Es ist vielleicht vermessen, diese Geschichte als Einleitung für einen Bericht über eine Gedenkveranstaltung zum 100. Todestag von Adam-Müller-Guttenbrunn in seinem Heimatort heranzuziehen. Vermessen deshalb, weil die Erinnerung an den größten Mann der Gemeinde noch präsent ist, weil das Geburtshaus eine Gedenktafel ziert, es im Ort eine gleichnamige Schule gibt, ein Adam Müller-Guttenbrunn Museum, eine Büste im Park und die Ortsbewohner von heute sehr wohl noch was mit dem Namen dieser Persönlichkeit anfangen können. Aber natürlich drängt sich die Frage auf, was der Schriftsteller Müller-Guttenbrunn uns heute bedeutet, den ausgewanderten und den verbliebenen Deutschen, den Rumänen oder den im Banat lebenden Minderheiten? Wir halten an solchen Gedenktagen inne, manche verneigen sich vielleicht innerlich vor dem produktiven und kämpferischen Schriftsteller, aber immer weniger kennen sein Leben und Werk. Umso erfreulicher, dass gleich fünf Veranstalter sich zusammengetan hatten, um vor allem der jungen Generation im Banat den Schriftsteller, seine Heimat und sein Werk näherzubringen: die Heimatortsgemeinschaft Guttenbrunn, die Gemeinde Zăbrani, die römisch-katholische Pfarrei, das Demokratische Forum der Deutschen im Banat und die Landsmannschaft der Banater Schwaben.
Vereint im Geist Müller-Guttenbrunns
Am 4. August, einem dieser heißen Hochsommertage im Banat, fanden sich Vertreter dieser Institutionen und Vereine im Geburtsort des Schriftstellers, den er zum Teil seines Namens machte, ein. Treffpunkt der Gäste war das Adam Müller-Guttenbrunn Museum gegenüber der Kirche. Der Arader Kreisforumsvorsitzende Michael Szellner hatte sich einen besonderen Einstieg in seine Führung ausgedacht. Er beschwor den Geist Müller-Guttenbrunns, um dann im ersten Stock des Museums, am Schreibtisch des Schriftstellers, einen „Vetter Adam“ in der Gestalt des Dreispitzers Gottfried Gaug begrüßen zu können und mit ihm ein Zwiegespräch über die Zeit des Schriftstellers zu beginnen. Vor allem die anwesenden Schüler hatten ihren Spaß dabei. „Bisher fuhren sie in das Adam Müller-Guttenbrunn Haus nach Temeswar, hatten jedoch nur eine vage Vorstellung davon, wer und was sich hinter dem Namen verbirgt“, sagte Dietlinde Huhn. Nach dem Besuch des AMG-Museums war das jedoch anders. Sie berichteten den anderen, die nicht dabei waren. Adam Müller-Guttenbrunn war ihnen jetzt ein Begriff. 
Bürgermeister Dan Codrean würdigte die Persönlichkeit des Schriftstellers und unterstrich die Bedeutung des Adam Müller-Guttenbrunn Museums für seine Gemeinde. Ähnlich äußerte sich der anwesende Vertreter der Kulturbehörde des Kreisrates Arad. Als Vertreter der Familie Müller-Guttenbrunn, die heute in Österreich lebt, aber auch eine Recyclinganlage in Schöndorf in der Nähe von Guttenbrunn betreibt, nahm deren Geschäftsführer Michael Gromen an der Eröffnung des Gedenktages teil. Seitens der Gemeinde Guttenbrunn hatte sich Anca Artimon in enger Zusammenarbeit mit der HOG-Vorsitzenden Hiltrud Leber organisatorisch eingebracht. Der Gemeinderat mit Bürgermeister Dan Codrean und Pfarrer Ioan Cadarean waren die unterstützende Kraft, oft nur im Hintergrund. 
Eine wahrhaft europäische Begegnung fand am späten Nachmittag im vollbesetzten Kulturheim von Guttenbrunn statt. Es nahmen teil: zwei Jugendvolkstanzgruppen des Deutschen Forums (aus Temeswar und Großsanktnikolaus), eine Erwachsenenvolkstanzgruppe des Forums aus Temeswar, eine rumänische Volkstanzgruppe aus Guttenbrunn und eine Laientheatergruppe des Forums unter der Leitung von Karina Reitsch, Lehrerin an den deutschen Schauspielklassen der Temeswarer Musikfakultät. Sie hatte einige Szenen aus Adam Müller-Guttenbrunns „Meister Jakob und seine Kinder“ in der Dramatisierung von Stefan Heinz-Kehrer in schwäbischer Mundart einstudiert. Die Einführungen in die jeweiligen Szenen wurden in rumänischer Sprache vorgetragen. Unter den 200 Gästen befanden sich viele Ortsbewohner, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren: Mitglieder des Gemeinderates, Ortsbewohner, die nach dem einen oder anderen ehemaligen Bewohner in Deutschland fragten und rumänische Jugendliche aus dem Ort, die mit einigen Volkstänzen aufgetreten sind. Es waren der katholische Pfarrer und sein griechisch-katholischer Amtsbruder da, Teilnehmer eines Schreibseminars des Stadtschreibers aus Deutschland mit Katharina Martin-Virolainen und Oleg von Riesen und die offiziellen Vertreter des Deutschen Forums, Vorsitzender Dr. Johann Fernbach, die Vorsitzende der AMG-Stiftung Erna Paler und Walter Altmayer vom Heimatbüro des Hilfswerks und der Landsmannschaft in Temeswar, der Direktor der deutschen Altenheime und Sozialstationen im Banat, Helmut Weinschrott, Edith Singer und Dietlinde Huhn, die Leiterinnen der beiden Volkstanzgruppen des Deutschen Forums. 
Ein Fest der Begegnung
Aus Reschitza war Cristian Chioncel vom Vorstand der Banater Berglanddeutschen angereist, von den Sathmarer Schwaben Adalbert Császár, Deutschlehrer in Sathmar. Tanzlehrer Hansi Müller, HOG-Vorsitzender Hans Pless mit Frau, Kreisvorsitzender Helmut Kierer mit Frau, Diözesanarchivar Claudiu Călin, Rundfunkredakteurin Astrid Weisz, BZ-Redakteur Siegfried Thiel, der Musiker Franz Hoffner – sie alle wollten an diesem besonderen Tag hier sein. Die Banater Rosmareiner hatten für ihren Auftritt im Kulturheim die Guttenbrunner Tracht angezogen. „Sehr viele Trachten habe sie aus Deutschland von ausgewanderten Guttenbrunnern, von Erwin Berg erhalten“, sagte Edith Singer. Schön hergerichtet, einige sicher hundert Jahre alt, diese Trachten sind wieder im Banat, werden dort getragen und gezeigt. Als die Jungen die verschiedenen Kirchweihhüte ablegten, auf dem Bühnenrand reihten, entwarfen sie damit unbewusst ein symbolträchtiges Bild eines untergegangenen Jahrhunderts.
Die Tracht in neuem Kontext
Kein Wunder, dass sich Grete Weidmann, eine ehemalige und im Ort verbliebene Lehrerin, die der Gruppe mehrere Trachten gespendet hatte, und die HOG-Vorsitzende Hiltrud Leber bemüßigt sahen, ganz spontan den unterschiedlichen Hutschmuck zu deuten. Es bleibt eine Herausforderung, historische Trachten in neuen Zusammenhängen zu sehen und zu erleben. Was man den Trägerinnen und Trägern uneingeschränkt zugestehen muss, sie tragen sie mit Stolz, und sie wissen, dass sie damit eine Geschichte, unsere Geschichte im Banat verkörpern. Ich weiß, manchen fällt es schwer, das anzunehmen, aber wer sich unvoreingenommen diesen jungen Leuten nähert, wird es bestätigt finden. Dr. Johann Fernbach, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen im Banat würdigte in seinem Grußwort die Persönlichkeit Adam Müller-Guttenbrunns und appellierte an die Gemeinde, ihrem großen Sohn ein ehrendes Gedenken zu bewahren. Über die verschiedenen Bezüge in der Biografie und dem Werk Adam Müller-Guttenbrunns zu seinem Heimatort und zu den Banater Schwaben sowie deren Bedeutung bis in unsere Tage referierte der Bundesvorsitzende unserer Landsmannschaft Peter-Dietmar Leber. An den Romanen Adam Müller-Guttenbrunns richteten sich Generationen von Banater Schwaben auf, vor und nach dem Ersten Weltkrieg, aber selbst nach dem Zweiten Weltkrieg in Rumänien, als „Meister Jakob und seine Kinder“ in Temeswar und auf den Bühnen der schwäbischen Dörfer aufgeführt oder einige Werke von ihm neu aufgelegt wurden. Nach der politischen Wende 1989 konnte das Deutsche Forum einige Romane ins Rumänische übertragen und herausgeben. Einen besonderen Punkt setzten die drei eingangs erwähnten Volkstanzgruppen, die schwäbische und rumänische Volkstänze darboten. Am Abend, als die Gemeinde Guttenbrunn alle Mitwirkenden und Gäste zum Abendessen eingeladen hatte, sollten sie wieder tanzen, diesmal in Jeans und Shirts, nach den aktuellen Hits, aber auch die bekannten Gemeinschaftstänze, die Jugendliche überall tanzen, wenn sie in den Jugendorganisationen von Landsmannschaft und Forum organisiert sind. Im Gespräch mit dem einen oder anderen offenbarten sich interessante Lebensläufe. 
Die Spuren bleiben im Ort
Viele haben deutschsprachigen Unterricht an den Schulen in Neuarad, Temeswar oder Großsanktnikolaus gehabt, manche studieren im deutschsprachigen Ausland, werden Informatiker oder Volkswirte. Sie treten selbstbewusst, aber nicht überheblich auf. Die besondere Prägung, die man erfährt, wenn man sich in einer Gruppe einbringt und einordnet, ist gut zu erkennen. Das ist bei den Jugendgruppen unserer Landsmannschaft nicht anders. Manchmal bringen sich auch die Eltern ein, so jene der Rosmareiner. Warum nur die Kinder zu Proben zu bringen und dann danebenstehen? Nein, sie wollten es selbst probieren, es machte ihnen Spaß und sie blieben dabei. 
In der Katholischen Kirche von Guttenbrunn zelebrierte Ortspfarrer Ioan Cadarean, der unsere Mundart leidlich spricht, eine heilige Messe. Assistiert wurde er von Pfarrer Gabor Czánk. Vielen Nutzern der sozialen Medien ist er als Maler naiver Bilder aus dem Leben der Banater Schwaben bekannt. Sie hätten schon längst eine eigene Ausstellung verdient. Vor dem Ambo in der Taufkirche Adam Müller-Guttenbrunns stand ein von Magdalena Binder gemaltes Portrait des Dichters. Zwei Jugendpaare aus Temeswar ließen es sich nicht nehmen, in der Ortstracht am Gottesdienst teilzunehmen. 
Auch Pfarrer Cadarean rief die wichtigsten Stationen im Leben des Schriftstellers in Erinnerung. Zugleich unterstrich er die gute Zusammenarbeit von Pfarrgemeinde, Heimatortsgemeinschaft und Gemeinde Guttenbrunn im Hinblick auf zukünftige Projekte. Im Hof des ehemaligen Pfarrhauses hatte er mit Unterstützung der Caritas Lippa und Familie Tehei ein Zelt aufgestellt, wo sich die Gäste nach dem Gottesdienst bei Kaffee und Kuchen austauschten. Im ehemaligen Pfarrhaus will er einige Gästezimmer einrichten und überhaupt ist er voller Zukunftspläne und mit einem ansteckenden Optimismus versehen. Im Hinblick auf die 300-Jahr-Feier der Ansiedlung der Deutschen in Guttenbrunn, die im kommenden Jahr stattfinden wird, ist diese Einstellung sicher von Vorteil. Die einstige Odenwälder Siedlung im Banat ist längst eine Siedlung der Rumänen, viele von ihnen sind nach der Wende aus anderen Landesteilen zugezogen. Und trotzdem ist noch sehr vieles da, was an die Nachkommen der Odenwälder erinnert, sei es in der Kirche, sei es im Straßenbild oder auf dem Friedhof, sei es in den Erzählungen der Ortsansässigen von der Zeit vor 1990. Und deshalb sei mal wieder an die Worte von Josef Jerger, dem langjährigen Vorsitzenden der Donaudeutschen Landsmannschaft in Rheinland-Pfalz erinnert, der uns Banater Schwaben vor Jahren in Frankenthal folgenden Satz ins Stammbuch geschrieben hatte: „Wie froh wären wir Donauschwaben, wenn wir wenigstens noch eine zu renovierende Kirche in unseren einstigen Dörfern hätten.“ 
Rückblickend bleibt festzustellen, dass dieser Gedenktag in Guttenbrunn vornehmlich ein Tag der Begegnung gewesen ist. Menschen unterschiedlicher Herkunft und Konfession und unterschiedlichen Alters kamen zusammen, zeigten, was ihnen eigen ist und versuchten, sich einer Persönlichkeit zu nähern, die ihre Wurzeln in diesem Ort, in dieser Region hatte. Was von seinem Schaffen überdauert hat, bezieht sich ebenfalls auf die Menschen aus und in dieser Region. Für manchen war es deshalb eine Annäherung an die eigene Geschichte. Erfreulich, dass Mitwirkende und Gäste das Verbindende herausstellten.