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Kindheits- und Sommertage in Sanktpeter und Nitzkydorf

Gemeinsames Familienfoto anlässlich der Tauffeier bei Familie Kräuter. Foto: privat

Unsere Eltern begannen als jungverheiratete Lehrer ihren beruflichen Weg an der Dorfschule in Nitzkydorf. Sie arbeiteten mit Fleiß und Begeisterung und blieben dem Dorf und den freundlichen, geselligen Menschen auch nach ihrer Versetzung nach Temeswar und Glogowatz immer verbunden.

Später zogen unsere Großeltern väterlicherseits nach Nitzkydorf, weil ihre Tochter Anna dort mit dem Tierarzt Dr. Kräuter verheiratet und ebenfalls als Lehrerin tätig war. Sie ist meine Taufpatin und ich war unglaublich stolz auf meine junge, herzliche Godi, die ein großes Talent im Umgang mit uns Kindern hatte, uns immer ernst nahm und ein echtes Vorbild war.

Einmal im Jahr, in den Sommerferien, durfte ich mit meiner Schwester die Verwandten in Nitzkydorf besuchen und ausgiebig mit unserem jüngeren Cousin und seiner kleinen Schwester spielen und besonders auch mit den „angeheirateten“ Geschwisterkindern unvergessliche Ferientage verbringen.

Es gab dort im Sommer viel Gutes aus Feld und Garten, wir bekamen Melonen, frisches Gemüse und Obst zu essen und es wurden Vorräte eingekocht - es roch nach Marmelade und eingekochten Tomaten.

Die Gassentürchen waren nie abgeschlossen, wir kannten sogar die Namen der Hunde, die zwar bellten, uns aber nur begrüßen wollten. Oft spielten wir auf der Straße mit den Nachbarskindern, jeder konnte mitmachen und wurde zu Familienfesten in die Höfe hineingerufen, um ein Stück Kuchen zu essen oder mit auf das Bild zu kommen, wenn die Verwandten aus Deutschland Fotos machten.

Viele junge Leute lernten ein Instrument spielen und oft wurden den Gästen sowohl Volksmusik als auch Schlager mit dem Akkordeon vorgespielt. Auch Proben für „Bunte Abende“ und Theateraufführungen fanden oft statt, bei denen wir begeistert zuschauten.

Sonntags gingen wir zur Kirche. Schon der Weg dahin war schön und die Erwachsenen begrüßten sich erfreut; der Gottesdienst war auf eine schlichte Art feierlich, es wurden die bekannten Gebete gesprochen und Lieder gesungen, es klang alles so vertraut...

Nach dem Familienessen durften wir - schön angezogen - ins Dorf ein Gefrohrenes essen gehen und später sogar ins Kulturheim, in den Saal bei Köhls, der für Festtage, für Hochzeiten, für Kinovorführungen und für Tanzveranstaltungen aller Art genutzt wurde.

Es war wirklich etwas Besonderes, dass wir dorthin mitgehen durften. Auf der Bühne spielten die Musikanten, ringsum an den Wänden waren Stühle aufgestellt, auf denen die Zuschauerinnen (die Mütter, Großmütter und Tanten) Platz nahmen und an den beiden Ausgängen standen die jungen Leute, alle diejenigen, die nach der Allgemeinschule schon schulfrei waren und die meist nach den Ferien in die Arbeit und auf weiterführende Schulen (oder Hochschulen) nach Lugosch oder nach Temeswar gingen.

Manche von ihnen kannte ich noch aus dem Kindergarten, andere waren aus der Verwandtschaft oder Kameradschaft unserer Cousins, sie waren freundlich und forderten uns sogar zum Tanz auf.

Wir waren sehr stolz, dass wir dort zum ersten Mal öffentlich zum Tanzen gehen durften, denn bisher hatten wir nur zu Hause auf Radiomusik Tanzschritte geübt und in Glogowatz an Fasching in der Nachbarschaft mit anderen Kindern getanzt, später in den Ferien mit den Jugendlichen „in der Reih“ in Großsanktpeter, aber nie in einem richtigen Saal wie hier!

Wir durften jetzt auch manchmal von Nitzkydorf mit dem Zug nach Busiasch fahren, um dort zu baden und den Tag im Kurpark zu verbringen, was immer ein besonderes Erlebnis war.

Ich erinnere mich an einen solchen Ausflug, als wir mit Seppi und Mari geplant hatten, in den Kurort zu fahren und unsere Tante uns etwas Besonderes zur Jause mitgeben wollte. Es sollte eine Überraschung sein, deshalb durften wir nicht in die Sommerküche reinschauen, doch das Backen dauerte etwas länger als geplant. Wir machten uns also auf den ziemlich langen Weg zum Bahnhof, um den Mittagszug nicht zu versäumen. Als wir bereits die Fahrkarten gelöst hatten und der Zug schon zu hören war, kam die Tante mit ihrem Fahrrad angebraust und gab uns ein Körbchen mit heißem Kuchen mit. Es waren die besten Rahmschnecken meines Lebens und diese liebevolle Geste und den besonderen Ferientag in Busiasch habe ich nie vergessen: wir badeten in sprudelndem Wasser, wir aßen Rahmschnecken und tranken Mineralwasser direkt aus der Quelle!

So viele schöne Begegnungen, Besuche und Familienfeste, aber auch Schicksalsschläge, Krankheiten und Todesfälle reihten sich in den Jahren aneinander, wir waren zwar jung, aber nicht naiv, denn wir verstanden, dass es in jeder Familie Probleme und Schwierigkeiten geben kann, dass Licht und Schatten eben zum Leben gehören ... gerade deshalb waren die unbeschwerten Sommertage in Nitzkydorf so wertvoll. Die Gastfreundschaft, der Zusammenhalt, die Tapferkeit, mit der den täglichen Herausforderungen begegnet wurde, all dies zu erleben, war später im Leben hilfreich, denn Nitzkydorf war durchaus keine „Kiste, in der man geboren wird, heiratet und stirbt“, wie es in einem Google-Eintrag zu lesen ist.

 

In die Reih‘

In Sanktpeter, dem Dorf unserer Friedrich-Großeltern, gab es neben der Kirche eine Schule mit zwei Klassenzimmern und es gab zwei Lehrerinnen, die entweder die erste und dritte, oder die zweite und vierte Klasse zusammen unterrichteten. Es passten immer alle Grundschüler in diese beiden Klassenräume. Ab der fünften Klasse fuhren die Kinder dann täglich nach Perjamosch oder sie wohnten im Internat. Unsere Eltern waren Lehrer in Glogowatz, unweit von Arad, dort gingen wir auch zur Schule, aber ein Schuljahr verbrachten wir in Sanktpeter. Es war das schönste Jahr meiner Schulzeit, wir bekamen Simultanunterricht, wurden gut behandelt, lernten gemeinsam und übten ein Sozialverhalten, das über die Schulzeit hinaus absolut selbstverständlich im Dorf war.

Es gab keine Konkurrenz und keine sozialen Unterschiede, die kleinen Zwistigkeiten wurden schnell beigelegt und alle spielten zusammen, wie auch alle mehr oder weniger eifrig zum Religionsunterricht zum Dorfpfarrer gingen. Die Zeit verging und wir gehörten ganz einfach dazu.

Am Sonntagvormittag trafen wir uns nach dem Gottesdienst vor der Kirche, und dort verabredete man sich, wohin man am Nachmittag „in die Reih“ ging. Es wurde abgesprochen, bei welchem Mädchen wir uns alle trafen, und wir verbrachten dann einige Stunden zusammen, mit Erzählen oder mit Gesellschaftsspielen, und wenn Besuch aus dem Westen kam, wurden diese Jugendlichen mitgebracht. Unmerklich sind die Jahre vergangen und als wir schulfrei waren, gingen wir am Abend in die Reih'...

Diese Zusammenkünfte waren etwas ganz Besonderes, denn jetzt trafen wir uns zum Tanzen, im Sommer in den Höfen, wo manchmal nur Windlichter aufgehängt wurden, und im Winter in den Küchen oder Sommerküchen, wo Stühle und Bänke im Kreis aufgestellt waren, damit es in der Mitte Platz zum Tanzen gab. In den meisten Häusern gab es bereits elektrischen Strom, aber in manchen, wie bei unseren Großeltern, gab es nur die schönen, alten Petroleum-Hängelampen, die ein warmes, gedämpftes Licht verbreiteten, das recht romantisch sein konnte. Und es gab wunderbare Musik, die meistens von Andres, einem begnadeten Akkordeon-Spieler, für uns gespielt wurde. Er war der Mittelpunkt, er konnte sowohl traditionelle schwäbische und böhmische Volksmusik, Walzer und Polkas spielen, als auch romantische Lieder und Schlager aus der Hitparade von Radio Luxemburg, die er mit seinem unglaublichen Gehör nachspielte und textsicher sang. Alle Mädchen himmelten ihn heimlich an, aber nur selten bekamen wir einen Tanz mit ihm bei der Damenwahl, denn er tanzte nur manchmal, wenn Walter oder Hans mal das Akkordeon nahmen. Erst ein paar Jahre später hatten zwei oder drei Familien einen Plattenspieler oder ein Tonbandgerät, so dass auch der Musikant öfter mal zum Tanzen kam, aber eigentlich waren er und sein Akkordeon nicht zu überbieten!! Manchmal kamen Schulkameraden und Jugendliche aus Nachbardörfern in unsere Reih' und auch sie durften mittanzen, was in anderen Ortschaften durchaus nicht selbstverständlich war.

Die Erinnerungen an diese wunderbaren Tanzabende gehören zu den schönsten Erlebnissen jener Zeit, weil wir mit zur Dorfjugend gehörten, weil jeder mit jedem kameradschaftlich umging und weil nicht danach gefragt wurde, aus welcher Familie wir kamen und in welche Schule oder welche Arbeit wir gingen. Wir waren auf eine bescheidene, selbstverständliche Art alle gleich. Ohne viel darüber nachzudenken, lebten wir in der Gegenwart und nur durch die zunehmenden Besuche aus Deutschland, Österreich und Amerika oder die Abschiedsfeiern für Familien, die „den Pass“ bekommen hatten, kam manchmal eine wehmütige und irgendwie sehnsüchtige Stimmung auf.

Tief im Inneren hofften wir, dass diese Zeit nie vorüber geht. Aber Trennungen blieben nicht aus. Plötzlich war nach den Sommerferien in der Schule ein vertrauter Klassenkamerad nicht mehr da, und wir konnten nicht begreifen, dass es nicht nur ein Weggehen in andere Länder gab, sondern ein Weggehen für immer! Es war unbegreiflich, dass jemand schon in jungen Jahren den Tod findet, dass er nie wieder tanzen und singen würde.

Inzwischen fehlen leider schon viele der damaligen Klassenkameraden und Leute aus der Reih', aber sie sind unvergessen.

Wir haben uns im Laufe der Zeit, auch nach der Auswanderung, hier in Deutschland immer wieder getroffen, haben bei Heimatsortstreffen miteinander getanzt und das Lied „Wahre Freundschaft“ zum Abschied gesungen, aber auch über Grenzen und Jahrzehnte hinweg werde ich die Sonntage in Sanktpeter und die Klassentreffen in dankbarer Erinnerung behalten... und die Jugendfreunde von damals...