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Traditionsgetränk und Maulbeerkunde

Beim Maulbeerschütteln Fotos: HOG Alexanderhausen

Nikolaus Stefan (Seeler Klos) und Johann Grawisch sen. beim Schnapsbrennen in Alexanderhausen im Jahr 1965

Maulbeeren – ein Geschmack der Kindheit. Foto: Annemarie Probst

Welche prägnanten Erkennungsmerkmale kommen Ihnen sofort in den Sinn, wenn Sie an Alexanderhausen denken?
Für die meisten von uns bleibt die zweitürmige Kirche unserer Dorfmitte das eindeutigste Sinnbild, das von der Gemeindeverwaltung anerkannte Wahrzeichen als Erinnerung an die Banater Schwaben. Aufzählen könnte man noch die Kartoffel und den Maulbeerbaum. Vieleicht schwelgen gedanklich einige schon entlang der Gassen und strammen Bäumen; erinnern sich an das Sammeln der Maulbeerbaumblätter zur Zucht des Seidenspinners, an die Gaumenfreude saftig reifer Früchte, an die blauen Finger und Flecken auf dem Boden. Ja, für viele Jahrzehnte war er uns ein stiller, selbstverständlicher Alltagsbegleiter, zu jeder Jahreszeit war er eine Pracht: Der Maulbeerbaum.
Der Maulbeerbaum – Morus – gehört zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Bereits 2600 Jahre v. Chr. wurde er in China aufgrund seiner Blätter als wichtige Basis für die Seidenraupenzucht erwähnt und von den Griechen wurden die Maulbeeren als Nahrung der Götter verehrt. Der Baum wurde im 18. Jahrhundert nach Europa gebracht und Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Alexanderhausen die ersten dieser Bäume entlang der bekannten geradlinigen Straßenseiten in jeweils zweier Reihen gepflanzt.
Es waren drei Sorten bekannt: weiß, rosa und dunkelblau (die süßeste). Die Blütezeit ist von Mitte bis Ende Mai, die Früchte reifen Ende Juni/Anfang Juli innerhalb von zwei Wochen. Das harte Holz des imposanten und pflegeleichten Baumes, der eine Höhe von 6 bis 15 Meter erreichen kann, ist u.a. zum Fassbau geeignet.
Die Bäume wurden bis zur breiten, dichten Krone mit Kalk getüncht, was dem Dorf einen sehr gepflegten Eindruck verlieh. Vor jedem Haus standen durchschnittlich 5 bis 6 Bäume. Vereinzelt standen sie auch in einigen Höfen als Schattenspender, sodass man tatsächlich innerhalb des Dorfes ca. 2700 Bäume zählen konnte.
Auch der rasch wachsende Akazienbaum ist zu erwähnen, der Bau- bzw. Brennholz und den besonders guten Akazienhonig lieferte. Die anderen Obstbäume waren nur für den Eigenbedarf gedacht und hatten für das Dorf keine große Bedeutung. Bei der Ansiedlung diente die Maulbeerbepflanzung als Zusatzeinkommen durch die Seidenraupenzucht (Seidenspinner). Die Raupen ernährten sich von den Blättern des Baumes und im Herbst wurde aus den Früchten Raki gebrannt. Im Frühjahr bekam jedes Schulkind 2-3 Gramm winzig kleiner Raupen, welche innerhalb von 6 Wochen so groß wurden, dass man für die weitere Raupenzucht einen großen Raum benötigte, um diese unterzubringen. Die kleinen Raupen konnten anfänglich noch von den Kindern versorgt werden, später musste die ganze Familie beim Blätterpflücken helfen. Die Kokons wurden nach Qualität und Gewicht bei einer Sammelstelle abgegeben und honoriert. 
Das Lustigste am Rande: In der Reifezeit der Beeren gab es große Probleme mit den Gänsen. Diese saßen unter den Bäumen und stürzten sich auf jede herabfallende Beere. Am Abend gab es mehr betrunkene Gänse als Männer! Aber im Gegensatz zu den Männern fanden sie auch in diesem Zustand nach Hause. Zum Einsammeln der Beeren hatte jede Familie 2-3 Hanftücher von 6 mal 5 Meter Größe, welche der im Dorf ansässige Weber anfertigte. Diese wurden unter die Bäume gelegt und durch Schütteln mit Stangen (ähnlich der Olivenernte), vom Boden aus oder in schwindelerregender Höhe, lösten sich die Früchte und fielen herab. Leider ist bei so einer Arbeit im Jahr 1975 unser Landsmann Mathias Sieber (Hausnummer 382) abgestürzt und seinen Verletzungen erlegen.
Nach der Ernte wurden die Früchte dann in große Fässer gefüllt. Nach 3-4 Wochen Gärung konnte dann 150 Liter Maische zum Brennen gebracht werden. Bis 1945 gab es drei Brennereien im Ort: jene von Jakob Billi, Johann Henzl und Peter Oberthen. Nach 1945 überdauerte nur die Oberthen-Brennerei, und eine neu gegründete auf der Wiese Richtung Knees war zu vermerken. Von einem Kessel Maische konnte man mit 18 bis 20 Liter 32-prozentigem Raki rechnen und im Durchschnitt mit 3 Kesseln pro Familie.
Der Maulbeerraki war zwar qualitativ mit dem aus Aprikosen, Birnen oder Pflaumen nicht zu vergleichen, aber Essen und Trinken sind bekanntlich Geschmacks- und Gewohnheitssache. Ein bekannter Alexanderhausener, der eine hochqualitative Auslese in Deutschland probierte, sagte: „Der Wein ist gut, habe aber schon einen besserer getrunken“ – und meinte damit seinen eigenen.
Da die Bäume nach 100 Jahren langsam abstarben und nicht mehr ersetzt wurden, ist deren Anzahl stark geschrumpft. Sie wurden entfernt und durch Pflaumenbäume ersetzt. Die Pflaumenbäume sind jedoch für den Straßenrand ungeeignet, denn diese sind zu niedrig und hinderlich beim Gehen. Nach 1980 beschloss die Regierung den Anbau von Gemüse, Kartoffeln, Rüben und Luzerne zwischen den Bäumen, um die Agrarproduktion zu erhöhen. 
Was die Trinkgewohnheit im Banat anbelangt, wo mehrere Nationalitäten lebten, war der Barack Palinka (aus Aprikosen) bei den Ungarn, bei den Serben der Slivovitz und bei den Rumänen der Pflaumenraki (Țuică) beliebt. Diese sollten aber 60 Prozent Alkohol aufweisen.
Die Banater Schwaben haben weniger Raki getrunken, nur vor dem Essen ein kleines Gläschen (Stampl), beim Essen Wein oder Schorle (Spritzer). Die Frauen tranken so gut wie keinen Alkohol, man sagte, sie bekämen „rote Haare“ davon. Obwohl 1718 in Rumänien die erste Bierfabrik in Temeswar gebaut wurde, gab es selten Bier. Nur an den zwei politischen Feiertagen, am 1. Mai und 23. August gab es für die Arbeiterklasse Bier. Das war wohl die einzige Freude an diesen Tagen. Da es in Alexanderhausen wenig Reben gab, wurden im Herbst in Marienfeld oder Triebswetter Getreide gegen Trauben getauscht und so konnte man selbst 300 bis 400 Liter Wein herstellen.
Die Antwort einer hundertjährigen Frau, auf die Frage, weshalb sie sol alt wurde, lautete: „Zur besseren Verdauung trinke ich Bier, bei Appetitlosigkeit trinke ich Wein, bei niedrigem Blutdruck trinke ich Rotwein, bei hohen Blutdruck Cognac und wenn ich erkältet bin, nehme ich Slibowitz.” „Und wann trinken Sie Wasser?”- „Eine so schwere Krankheit hatte ich noch nie!“