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In privaten Fotoalben geblättert

Die Ausstellung „Die Alltagsgeschichte der Deutschen im Banat im 20. Jahrhundert“ wurde im Rahmen der Heimattage der Banater Deutschen am 2. Juni auf dem Domplatz in Temeswar eröffnet

Die Schautafeln „Kindheit im Banat“ (oben) und „Deportation in die Sowjetunion“ (unten)

Foto: Radio Temeswar/ADZ

Foto: Radio Temeswar/ADZ

Wer sind die Banater Schwaben? Wie lebten sie im 20. Jahrhundert? Wie siedelten und wohnten sie? Welchen Erwerbstätigkeiten gingen sie nach? Wie verbrachten sie ihre Freizeit? Welche Ereignisse wurden in der Familie gefeiert? Welche Rolle spielten Glaube und Religion im Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft? Welche Traditionen und Bräuche wurden gepflegt? Wie wandelte sich das Alltagsleben der deutschen Bevölkerung im Banat im 20. Jahrhundert und wie entwickelten sich die interethnischen Beziehungen in der Region? Antworten auf all diese Fragen gibt die Ausstellung „Die Alltagsgeschichte der Deutschen im Banat im 20. Jahrhundert in Fotos aus Familiensammlungen“, die im Rahmen der Heimattage der Banater Deutschen am 2. Juni auf dem Domplatz in Temeswar eröffnet wurde. 
Die Ausstellung ist Teil des Projekts „Alltagsleben und interethnisches Zusammenleben im Banat im 20. Jahrhundert“, das im vergangenen Jahr vom Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der LMU München durchgeführt und durch das Kulturwerk Banater Schwaben aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales gefördert wurde. Sie wurde in Zusammenarbeit mit dem Demokratischen Forum der Deutschen im Banat und dem Archiv der römisch-katholischen Diözese Temeswar realisiert und durch das Departement für interethnische Beziehungen der Regierung Rumäniens gefördert. 
Das Projekt wurde von Dr. Corneliu Pintilescu vom Geschichtsinstitut „George Bariţiu“ der Rumänischen Akademie in Klausenburg koordiniert. Der aus Kronstadt gebürtige Historiker, zu dessen Forschungsschwerpunkten die Geschichte der deutschen Minderheit in Rumänien im 20. Jahrhundert zählt, hatte bereits vor einigen Jahren ein ähnliches Forschungsprojekt, ebenfalls in der Trägerschaft des IKGS, geleitet, als dessen Ergebnis die Ausstellung „Die Alltagsgeschichte der Siebenbürger Sachsen im 20. Jahrhundert in Fotos aus Familiensammlungen“ entstanden ist. 
Das Projektteam begab sich auf Feldforschung in Städte und Dörfer des Banats, um Fotos aus privaten Sammlungen zusammenzutragen und mittels Interviews mit Angehörigen der deutschen Minderheit Familiengeschichten aufzuzeichnen und die Fotos als Träger des generationenübergreifenden Gedächtnisses der betreffenden Familien in ihren Entstehungskontext einzuordnen. Der Ertrag dieser Forschungsetappe waren rund 650 Bilder und Dokumente, letztere zum Teil mit Seltenheitswert, die digitalisiert und in eine Datenbank eingepflegt wurden. Etwa die Hälfte davon wurde für die Ausstellung ausgewählt, wobei darauf geachtet wurde, einerseits die großen Themen des Alltagslebens abzudecken, andererseits alle Regionen – Heide, Hecke und Bergland – wie auch Stadt und Land gleichermaßen zu berücksichtigen. Die zweisprachig (rumänisch und deutsch) konzipierte Ausstellung umfasst 60 Schautafeln und ist in 13 Abschnitte gegliedert. 
Am Beginn steht eine kurzgefasste Geschichte der Deutschen im Banat von ihrer Ansiedlung im 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Diesem einführenden Teil folgt der Abschnitt „Der Blick der ‚kleinen Leute‘ auf die ‚große Geschichte‘“, in dem das der Ausstellung zugrundeliegende Konzept erläutert wird. Dieses orientiert sich an der Alltagsgeschichte im Sinne des deutschen Historikers Alf Lüdtke (1943-2019). Im Hintergrund der „großen Geschichte“, die auf Eliten oder Institutionen, auf herausragende historische Persönlichkeiten, Ereignisse oder Prozesse fokussiert ist, spielt sich stets auch jene der „kleinen Leute“ ab. Es ist die Geschichte des Alltagslebens, die eine alternative Sicht zur sogenannten „großen Geschichte“ bietet. Die Ausstellung verfolgt das Ziel, Aspekte der Alltagsgeschichte der Banater Deutschen im 20. Jahrhundert anhand von privatem Bildmaterial darzustellen und über die in den Fotos gespeicherten individuellen Erinnerungen Zugänge zum kollektiven Gedächtnis der Gruppe zu schaffen.
Der Abschnitt „Gemeinschaften, Schicksale und Familienarchive“ ist einigen Familiengeschichten der Menschen gewidmet, die mit Fotografien aus ihren persönlichen Sammlungen zur Ausstellung beigetragen haben. Aus den vorgestellten Sammlungen von Pia Brînzeu, Marlen Heckmann Negrescu, Dietlinde Huhn, Elisabeth Kappel, Renée Renard, Katharina Weimann und Helene Wolf stammt der Großteil der gezeigten Bilder. Eine beträchtliche Anzahl von Fotos stellten auch Bianca Barbu (aus der Sammlung ihres Großvaters Julius Galfy) sowie das Temeswarer Diözesanarchiv zur Verfügung.
Die folgenden Sektionen der Ausstellung greifen die verschiedensten Aspekte des Alltagslebens auf und zeigen exemplarisch, wie Kindheit im Banat in verschiedenen Zeitabschnitten vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1980er Jahre erlebt wurde, welche besonderen Ereignisse (Namenstage, Taufen, Erstkommunion, Hochzeiten usw.) im Familienkreis gefeiert wurden, wie die Leute in den Dörfern und Städten wohnten, welchen Freizeitbeschäftigungen die Stadtbevölkerung nachging und welche Unterhaltungsmöglichkeiten es auf dem Land gab, welche Wirtschaftszweige in den verschiedenen Regionen prägend waren und wie sich die Arbeitswelt darstellte, welche Rolle der Schule und der Kirche bei der Bewahrung der kulturellen Identität der Gemeinschaften zukam, schließlich welche Bräuche im Jahreslauf gepflegt wurden.
Zwei weitere Sektionen richten den Fokus auf die Auswirkungen bedeutender historischer Ereignisse, also der „großen Geschichte“, auf das Alltagsleben der Deutschen aus dem Banat. Hierzu zählen die beiden Weltkriege sowie die Deportationen in die Sowjetunion und in die Bărăgan-Steppe. Diese mit viel Leid und Trauer verbundenen Kapitel der jüngsten Geschichte der Banater Deutschen sind in der Ausstellung diejenigen, die am meisten berühren. So auch der Fall des in die Sowjetunion verschleppten Peter Prinz, der mittels eines Interviews mit seiner Enkelin Renée Renard sowie Fotos und Dokumenten aus ihrer Sammlung dokumentiert wird.
Durch die Ausstellung sollten, so die Projektbeschreibung, „breitere Teile der Öffentlichkeit in die Geschichte des Alltagslebens der Deutschen im Banat sowie in das vielfältige kulturelle Erbe des Banats eingeführt werden“. Angesichts ihres durchdachten Konzepts, ihres beträchtlichen Umfangs, ihrer anspruchsvollen Ästhetik und nicht zuletzt ihrer Präsentation auf einem der belebtesten Plätze der Kulturhauptstadt Temeswar ist ihr dies durchaus gelungen. Man könnte die Ausstellung auch beim Heimattag der Banater Schwaben nächstes Jahr in Ulm zeigen.