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Die Temeswarer Zigarettenfabrik - Einst ein Industrieprachtbau, heute zu einem Schandfleck verkommen

Ansicht der ehemaligen Temeswarer Zigarettenfabrik von der Begabrücke aus Fotos: Walter Altmayer

Verkaufsladen für Gebrauchtmöbel aus Deutschland in der ehemaligen Zigarettenfabrik

Die war einst die größte Tabakwarenfabrik Ungarns sowie die zweitgrößte und -älteste Fabrik in der Branche der Tabakblätterveredlung im Habsburger Kaiserreich, nach der in Fiume. Gebaut wurde das erste Industriegebäude von Privatunternehmern in der Zeitspanne 1846 bis 1848 in der Josefstadt.
Die Gründe, die zur Errichtung der Tabaksmühle (ungarisch dohány malom) führten, waren zu einem die große Nachfrage nach Zigarren-, Pfeifen- und Kautabak. Auch Zigaretten wurden immer gefragter, nachdem die Russen ihre „Mahorka“ in den Schützengräben in der Zeit der russisch-türkischen Kriege erfunden hatten. Sie drehten und umwickelten den geschnittenen Pfeifentabak aus der Hosentasche mit einem Zeitungspapierstreifen, zogen diesen über die feuchte Zunge und fertig war die „Mahorka“, die Vorgängerin der heutigen Zigarette. Sie ließ sich besser proportionieren und auch schneller und einfacher rauchen als die Tabakpfeife. Die gemütliche Brenndauer einer Zigarette war zur Zeiteinheit der „Zigarettenpause“ geworden.
Weitere Gründe, die Zigarettenfabrik in Temeswar zu bauen, waren zum anderen die tüchtigen Bauersleute mit Erfahrungen im Obst-, Wein- und Ackerbau sowie im Gemüseanbau, der ertragreiche Boden und nicht zuletzt das Klima, welches den Anforderungen der Tabakpflanzen entsprach.
Die frostempfindlichen Tabakpflanzen wurden auf Mistbeeten (Warmbeeten) gezogen und nach den Eisheiligen (Pankratius, Bonifatius, Servatius und Urban) in Reihen auf dem Ackerfeld gepflanzt. Sie wuchsen schnell und im selben Sommer wurden die Blätter geerntet. Sie reiften über einen längeren Zeitraum von unten nach oben und deshalb wurden zuerst die unteren Blätter  abgeerntet. Es dauerte mehrere Wochen bis in den Spätsommer hinein, bis auch die oberen Blätter reif waren. Die Blätter waren reif, wenn sie gelblich durchsichtige Flecken (Ölflecken) aufwiesen. Das Abernten begann früh morgens, solange es noch kühl war, und nur bei trockenem Wetter. Danach mussten die Tabakblätter zum Trocknen aufgefädelt werden. Man sah Frauen mit langen Nadeln in Gruppen sitzen, umgeben von grünen Tabakblätterballen. Sie reihten die geernteten Blätter auf Schnüren auf. Dabei gab es immer etwas zu erzählen. Die „Tuwakschnier“ mit den aufgefädelten Blättern wurden anschließend zum Trocknen aufgehängt. Sie wurden je nach Anforderungen unterschiedlich getrocknet. Der getrocknete Tabak wurde von den Agenten der Zigarettenfabrik aufgekauft, wobei die Qualität ein wichtiges Preiskriterium war.
Eine Nebeneinnahme nicht weniger Tabakbauern war das Schwärzen. Es war das Zurückhalten getrockneter Tabakblätter – seltener zum Schmuggel, eher für den Eigenbedarf. Zivilgekleidete Fremde durchstreiften die Dörfer und fragten auf der Straße spielende Kinder nach Tabakverstecken ihrer Eltern, Großeltern und Nachbarn. Ich erinnere mich noch, wie wir als Kleinkinder daheim unseren Groß- und Urgroßvätern beim Schneiden der Tabakblätterrollen zusahen. Beliebte Verstecke waren Hundehütten, Taubenschläge usw. Daher der in Lenauheim für das Versteck gebräuchliche Ausdruck: „em Pitzi sei Loch“.
Die Rohware wurde in der Fabrik zu Endprodukten weiterverarbeitet. Die Fabrik wurde um 1900 umgebaut und erheblich erweitert und erreichte eine Fläche von 26380 Quadratmetern. Im Jahr 1909 produzierte sie 1300 Tonnen feinen Pfeifentabak, 1000 Tonnen gewöhnlichen Pfeifentabak, 350 Tonnen Zigaretten und 117 Tonnen Zigarren.
Bis zum Ersten Weltkrieg stellten hauptsächlich die Frauen aus der Josefstadt und der Mehala das Arbeitspersonal. Mit ihrem Fingerspitzengefühl und ihrer Geschicklichkeit waren Frauenhände für filigrane Arbeiten stets sehr begehrt. Es waren ca. 2000 Frauen – mit doppelt so vielen Händen –, die um das Jahr 1900 jährlich mehr als 200 Millionen Zigaretten und Zigarren fertigten beziehungsweise drehten.
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Tabakindustrie Staatsmonopol und die Zigarettenfabrik mit neuen Betriebsanlagen ausgestattet. Nach dem letzten Weltkrieg spezialisierte sie sich hauptsächlich auf die Zigarettenproduktion. Unter den zwölf Marken waren Amiral, Carpați cu/fără filtru, Mărășești, Naționale und Snagov die bekanntesten.
Die Zigarettenfabrik mit ihren Bauten von 1900 blieb ein historisches Industriedenkmal jener Zeit, das nach der Wende bankrott privatisiert wurde. Das Unternehmen schloss seine Pforten im Jahr 2003.  Heute ist die Fabrik nur noch ein Schandfleck des einstigen Industrieprachtbaus. Laut dem ehemaligen Vizebürgermeister von Temeswar und kurzzeitigen Direktor der Zigarettenfabrik Adrian Orza „sind die sehr massiven Wände, der Grund, weshalb das Gebäude schwer zu schleifen ist“ (zitiert nach Adevărul vom 5. November 2016).
Gegenwärtig sind einige Räume als Lager- und Verkaufshallen sowie Werkstätten vermietet.