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„Mein Bestreben war immer, menschliche Not zu lindern“ (Teil 2)

Dr. Heinz Günther Hüsch siegniert (s)ein Buch. Foto: Marius Koity

Das Buch ist leider ausverkauft.

Nicht zu fassen!

Ich nehme an, Sie verstehen das besser als deutsche Journalisten ohne rumänischen Hintergrund.

Die Realität waren doch damals Westpakete für Rumänien. 

Die haben mich genau in der Zeit tatsächlich auch beschäftigt. Es wurden ja normierte Pakete nach Rumänien geschickt. Aber die rumänischen Machthaber waren immer für eine Überraschung gut, intellektuell nicht erklärbar. So wurden eines Tages, ganz plötzlich, die Waggons mit diesen Paketen vom rumänischen Zoll nicht mehr abgefertigt und die guten Lebensmittel verdarben auf irgendeinem Bahnhof. Das nahm einen erheblichen Umfang an. So wurde ich gebeten, das mal anzusprechen. Und als Ceauşescu mit den Hungernden im Ruhrgebiet kam, habe ich nahezu wörtlich gesagt: „Herr Präsident – oder Herr Generalsekretär, ich habe das variiert –, wenn Sie deutschen Arbeitern Pakete schicken wollen, werden wir keine Einwände erheben. Aber warum verbieten Sie unsere Pakete für Ihre Bevölkerung?“ Damit war er erledigt. Er sagte: „Eure Pakete sind in Ordnung. Die müssen nur richtig adressiert werden.“ Der deutsche Versandhändler hatte tatsächlich einen Fehler gemacht, der dann behoben wurde. Das lief dann wieder. Bei dieser Gelegenheit konnte auch erreicht werden, dass die aus heiterem Himmel unterbundene Medikamentenversorgung über die Kirchen wieder erlaubt wird. 

Bleiben wir bei den Kirchen. Waren Belange der evangelischen oder katholischen Christen jemals ein Thema für Sie? 

1967/1968, als die ersten Gespräche im Hinblick auf meinen späteren Auftrag geführt wurden, hatte Staatssekretär Gerd Ludwig Lemmer die Überlegung, Operationen im Zusammenhang mit den Rumäniendeutschen über die Kirchen laufen zu lassen. Er war evangelisch und wollte seinen Teil über die evangelische Kirche leisten und ich sollte mich über meine Kontakte in den Vatikan um die katholische Seite kümmern. Ich war bei Kardinal Josef Frings Messdiener und mein Vater war mit ihm zusammen in der Schule, und man dachte, das könnte helfen. Aber schon die ersten Verhandlungen erbrachten, dass der Umweg über die Kirchen nicht zielführend ist, schon weil die Securitate selbst die im Raum stehenden Gelder haben wollte. 

Worauf ich aber hinaus will: Haben Sie jemals Projekte wie Kirchengebäude- oder Kirchenorgelsanierungen angesprochen? 

Solche Dinge haben in meinen 313 Verhandlungen mit der rumänischen Seite keine Rolle gespielt. 

Hatten Sie Gelegenheit, Kirchen der Rumäniendeutschen zu besuchen? 

Die Rumänen haben immer wieder versucht, mich irgendwohin einzuladen. So haben sie mich einmal nach Kronstadt in die Schwarze Kirche gebracht. Mir war aber der Hintergrund dieser Fahrt nicht ganz klar und ich hatte kein gutes Gefühl. Ich wurde auch mal in die Moldauklöster gebracht. Der rumänische Gedanke war da reciprocitate, Gegenseitigkeit. Rumänische Funktionäre wollten von uns also die Bundesrepublik gezeigt bekommen, das war ein ständiger Wunsch. Andererseits hatten wir tatsächlich ein Interesse daran, insbesondere Hardlinern zu zeigen, wie ein freies Land funktioniert, was Wohlstand bedeutet, wie man eine Industriegesellschaft organisiert. 

Was hat man Ihnen in Rumänien noch gezeigt? 

So schön waren diese Reisen nicht. Im Donaudelta war ich zum Beispiel noch. Es gibt übrigens ein Abhörprotokoll meiner Übernachtung in den Moldauklöstern, in welchem so wichtige Sachen wie jene dokumentiert sind, dass ich nachts geschnarcht und mich morgens elektrisch rasiert hätte. Stellen Sie sich einmal diese Blödheit vor! Einmal sollte ich auf Bärenjagd gehen. Nicht mit mir! Ich war ja noch sechs Monate im Krieg und hatte mir am Ende geschworen: Ich schieße nie wieder auf Lebendes ohne Not. 

Und was haben Sie den Rumänen in Deutschland gezeigt? 

München zum Beispiel. Meine Söhne, die mich immer als Sicherheitsleute in Rumänien begleitet hatten, haben Gäste, die sich ausdrücklich dafür interessiert haben, zu den Edelsteinen nach Pforzheim gebracht. Andere Rumänen wollten angeln. Wir haben hier in Neuss mal geangelt oder in der Eifel Forellen. Unsere Gäste hatten durchaus auch weiche Seiten, aber nicht in Bukarest. 

Waren Sie mal privat im kommunistischen Rumänien? 

Ja. Das muss 1969 gewesen sein, vierzehn Tage, um Ostern. Da sind wir mit der ganzen Familie, mit meiner Frau und unseren fünf Kindern, in einem Volkswagenbus über Arad, Hermannstadt, Kronstadt und Bukarest bis zur Schwarzmeerküste und wieder zurück gefahren. Ich wollte mir einen Eindruck vom Land verschaffen. Das war eine abenteuerliche Reise. Obwohl wir privat unterwegs waren, sind wir wohl ständig beobachtet worden. Meine Kinder haben sich in den Hotels einen Spaß daraus gemacht, die Telefonhörer aufzuschrauben und nach Abhörwanzen zu suchen. 

Zurück zu den Rumäniendeutschen. Spielten die deutschen Schulen in Ihren Verhandlungen eine Rolle? 

Wir hatten zum Beispiel einen Versuch mit Lehrmaterialien für die deutschen Schulen in Rumänien angesprochen. Es ging zunächst um Fächer wie Kunst, also bewusst nichts Politisches. Wir hatten auch reine Schulmaterialien angeboten, weil es in Rumänien ja auch an Schulheften, an Papier im Allgemeinen mangelte. Wir sind trotzdem gescheitert. Reaktion der Rumänen: „Kommt nicht in Frage.“ Die Securitate wollte uns einfach nicht heran lassen an die deutschen Schulen. Dabei waren unsere Angebote spätestens seit Innenminister Baum dazu gedacht, das Leben der Deutschen, die in Rumänien verbleiben wollten, zu erleichtern. Es ging uns nie darum, jemanden gegen seinen Willen aus Rumänien zu holen. Grundsätzlich mussten und wollten wir als Bundesrepublik allen Gruppen der Rumäniendeutschen gerecht werden: jenen, die ausreisen wollten; jenen, die in der Heimat bleiben wollten; und jenen, die aus welchem Grund auch immer zurück bleiben mussten. Es sind ja nicht alle frohen Herzens nach Deutschland gekommen, das wissen Sie besser als ich. 

Was hatten Sie im Bereich Kultur noch versucht? 

Wir hatten technische Ausstattungen für das deutsche Theater in Temeswar und das Theater mit deutscher Abteilung in Hermannstadt angesprochen. Ergebnis: Ablehnung. Begründung der rumänischen Seite: „Die Theater bekommen vom rumänischen Staat genug Geld.“ Was mal erreicht wurde, ist, dass einem rumäniendeutschen Chor die bundesdeutsche Zelter-Plakette verliehen werden konnte [Männergesangverein Großpold, gegründet 1881, Auszeichnung 1984 – Anm. d. Verf.]. An die Details der Verhandlungen kann ich mich aber nicht mehr erinnern. Im Bereich Kultur hatten wir durchaus die Gegenseitigkeit im Blick. So hatten wir zum Beispiel eine große Ausstellung zeitgenössischer rumänischer Kunst in der Bundesrepublik angeboten. Aber das ist im Sande verlaufen. Im Bereich Kultur gab es tatsächlich viele deutsche Vorstellungen, wobei diese Angelegenheiten nicht zu meinen Kernaufgaben gehörten. 

Hatten Sie über rumäniendeutsche Schriftsteller wie Herta Müller und andere zu verhandeln?

Nur am Rande, eher im Kapitel Dissidenten, das ist aber nie vertieft worden. Meine Aufgabe war es, möglichst viele Ausreisen zu erreichen, und da konnte ich es mir nicht leisten, meine Verhandlungspositionen zu schwächen, indem ich unnötige Konflikte schaffe. 

Waren die rumäniendeutschen Zeitungen ein Thema für Sie?

Nein. Ich kannte den „Neuen Weg“, habe aber jegliche Kontakte mit Journalisten vermieden. 

Inwiefern waren Sie mit Fragen des Erhalts deutscher Siedlungen beziehungsweise mit den Auswirkungen des „Programms zur Systematisierung der Dörfer“ aus den 1980ern beschäftigt? 

Das war in den erwähnten Verhandlungen über einen eventuellen Kohl-Besuch in Rumänien eine Fragestellung. Diesem Programm wurde einerseits widersprochen, andererseits wurde im Hintergrund die Forderung aufgestellt, den betroffenen Deutschen sofort die Ausreise zu erlauben. Das Dorf Gottlob war damals ein Stichwort. Wobei es für die deutsche Seite lange Zeit unklar war, inwiefern die Systematisierungspläne ernst gemeint oder nur ein Trick waren. 

Gab es in Ihren Verhandlungen irgendwelche Dreiecksgeschäfte unter Einbeziehung der DDR? 

Wenn es denn je solche Geschäfte gab, dann war ich nicht daran beteiligt. 

Neben den Kopfpauschalen für die ausreisewilligen Deutschen gab es von der rumänischen Seite Sonderwünsche wie bestimmte Jagdwaffen und eine Zahnarztpraxis für das Innenministerium, was Sie bei früheren Gelegenheiten erzählt haben. Was gab es da noch? 

Ein wichtiges rumänisches Anliegen war die Benutzung des Rhein-Main-Donau-Kanals. Rumänische Schiffe konnten auf der Grundlage des 1919er Friedensvertrages von Versailles die Donau und den Rhein befahren, aber nicht den Wasserweg dazwischen, weil er erst viel später entstanden ist. Die Fragestellung war nicht ohne, befanden wir uns doch auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Die Rumänen haben die gewünschte Erlaubnis aber bekommen, es förderte den Handel und konnte uns nicht schaden. 

Welche Forderungen gab es noch? 

Kriegsreparationen.

Nicht wahr! 

Doch. Haben wir abgewiesen. Rumänien war ja bis August 1944 Bündnispartner Hitlerdeutschlands – was soll es da für Kriegsreparationen geben?! Man wollte auch Entschädigungen für Opfer medizinischer Versuche in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, für Juden also – dabei war Rumänien selbst verantwortlich für entsprechende Deportationen. Dann behauptete man, es gebe Rumänen, die vom Dritten Reich politisch verfolgt worden seien, und dafür wollte man Entschädigungen – die eigene Sicherheitspolizei hatte man ausgeblendet. Beutekunst wurde angesprochen. Meines Wissens gab es da aber keine Fälle. Es gab aber Unklarheiten zum Verbleib rumänischer Kunst, die König Michael I. bei seiner Flucht mitgenommen haben soll. Da konnten wir nicht helfen, er lebte ja in der Schweiz. 

Gab es politische Forderungen? 

Wir sollten die antirumänischen Demonstrationen unterbinden, die es gelegentlich vor der rumänischen Botschaft oder vor dem Dom in Köln gab. Und wir sollten der deutschen Presse, insbesondere dem Sender Europa Liberă, einen Maulkorb verpassen. Soweit kommt’s noch! 

Hatte Rumänien Wirtschaftshilfen verlangt? 

Lieferungen von Koks, um 1970 herum, als es in Rumänien wohl eine Koksmangellage gab. Man wollte von uns 50000 Tonnen Koks. Man hatte Zement im Tausch angeboten. Es kam kein Geschäft zustande. Volkswagen sollte Autos und Focke-Wulf Flugzeuge in Rumänien bauen. Das wurde bei uns auf Staatssekretär-Ebene geprüft. Und verworfen. Man wollte Kredite. Erst wollte man zehn Millionen von mir persönlich. Dann sollte ich 100 Millionen vermitteln. Schließlich waren es 300 Millionen D-Mark, die dann über die Kreditanstalt für Wiederaufbau gewährt wurden.

In der Schulbibliothek des Großsanktnikolauser Lyzeums konnte ich in den 1970ern eher Bücher aus west- als aus ostdeutscher Produktion ausleihen und die Schulbibliothekarin Frau Voichiţă erzählte immer, die seien „de la inundaţie“, also eine bundesdeutsche Spende nach der Marosch-Überschwemmung von 1970 gewesen. War diese Spende auch Ihrer Vermittlung zu verdanken? 

Es gab in den 1970ern zwei große Naturkatastrophen in Rumänien, in die wir involviert waren, erst die Überschwemmungen und dann das Erdbeben von 1977. Ich kann mich an beide Fälle erinnern. Sowohl bei der Flut als auch beim Erdbeben hat die Bundesrepublik mit x Millionen geholfen. Wenige Tage nach dem Erdbeben beispielsweise kam die rumänische Seite auf mich zu und bat um Hilfe. Unsere Antwort war: „Machen wir, im Prinzip. Reicht eine Bedarfsliste ein.“ Die kam dann auch kurzfristig, und war wie schon nach den Überschwemmungen lang, war aber etwas durchwachsen. So wurde auch ein Sender im Sinne eines elektronischen Systems als humanitärer Bedarf angegeben. Das haben die Rumänen natürlich nicht bekommen. Ich selbst habe in der Botschaft in Köln drei Stromgeneratoren aus Bundeswehr- und Bundesgrenzschutzbeständen übergeben. 

Gab es je Post oder Dankesgesten von Menschen, welchen Sie zur Ausreise verholfen haben? Pflegen Sie Kontakte zu Rumäniendeutschen? 

Bis ich darüber sprechen durfte, kannte mich ja keiner. Ich war immer quasi undercover in Rumänien. Nicht einmal meine besten Freunde wussten davon und meine Frau nicht alles. Bonn war als Hauptstadt der alten Bundesrepublik ein geschwätziges Dorf, aber nichts von meiner Tätigkeit ist nach außen gedrungen. Was „Der Spiegel“ mal berichtete, war Stochern im Nebel. Später haben sich mir gegenüber immer wieder Mal Leute als Rumäniendeutsche zu erkennen gegeben, bis in die vergangenen Tage. So gibt es hier in Neuss einen Taxifahrer, der aus dem Banat stammt und der mich immer mal fahren wollte. Kleine Gesten gibt es also schon. Etwas Besonderes war, als mir die Landsmannschaft der Banater Schwaben 2014 die Prinz-Eugen-Nadel verliehen hat. Da muss ich sagen, das hat mich sehr gerührt. Das war auf dem Heimattag in Ulm, vor beinahe 4000 Leuten. Man erhob sich mir zu Ehren zwei Mal. Am Ende der Veranstaltung kamen mehrere Menschen auf mich zu und es ist mir eine ältere Dame in besonderer Erinnerung geblieben, die mir mit Tränen in den Augen wortlos die Hand gedrückt hat. Ansonsten korrespondiere ich noch zum Beispiel mit Hannelore Baier in Hermannstadt, mit Ernst Meinhardt in Berlin, mit Luzian Geier in Augsburg. Carmen Livia Vidu und Rudolf Herbert vom Deutschen Staatstheater Temeswar waren in Vorbereitung des Stücks „Menschen. Zu verkaufen“ bei mir. Răzvan Georgescu aus Temeswar, der den Dokumentarfilm „Ein Pass für Deutschland“ gemacht hat, ist mir in guter Erinnerung. Hansi Schmidt und ich hatten uns mehrmals gegenseitig besucht. 

Was war eigentlich Ihr Antrieb, mitten im Kalten Krieg die risikoreiche Aufgabe eines bundesdeutschen Emissärs für Rumänien zu übernehmen? 

Ich bin Anwalt. Und ich war ja nicht nur in Rumänien unterwegs. Ich war auch mit Einzelfällen in Afrika, in Burundi und in Uganda, beschäftigt. Mein Bestreben war immer, menschliche und existenzielle Not zu lindern. Möglicherweise hat, als die Wahl auf mich fiel, eine Rolle gespielt, dass ich Rheinländer mit dem entsprechenden Gemüt bin.
War den Rumänen Ihre Qualifikation als Rheinländer bewusst?

Weiß ich nicht. Glaube ich nicht. 

Spielte für Ihren Einsatz der katholische Glaube eine Rolle?

Ich bin kein guter, aber ein überzeugter Katholik.

Dr. Hüsch, als letzte Frage: Was passiert eigentlich mit Ihrem Archiv, mit diesem Schatz für die rumäniendeutsche und rumänische Geschichtsforschung? 

Es geht um mittlerweile rund 60 Ordner, die sich in meinem privaten Besitz befinden. Über deren Verbleib wird, das ist geregelt, zu gegebener Zeit mein Sohn Cornel entscheiden.