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„Mein Bestreben war immer, menschliche Not zu lindern“ (Teil 1)

Dr. Heinz Günther Hüsch im Gespräch Foto: Marius Koity

In Anerkennung seiner außerordentlichen Verdienste um die Volksgruppe der Banater Schwaben verlieh die Landsmannschaft der Banater Schwaben Dr. Heinz Günther Hüsch im Rahmen der Festkundgebung zum Heimattag 2014 in Ulm die Prinz-Eugen-Nadel, die höchste Auszeichnung unseres Verbandes. Foto: Archiv BP

Dr. Heinz Günther Hüsch, Jahrgang 1929, blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Der Rechtsanwalt und Gründer einer Kanzlei mit heute neun Juristen saß für die CDU im Stadtrat von Neuss (1956-2009), im Landtag von Nordrhein-Westfalen (1966-1976) und im Bundestag (1976-1990), war Schützenkönig und Jeck. Und wenn er heute noch Journalisten und Historiker in seinem Haus am Blutturm in Neuss empfängt, dann ist es vor allem wegen seiner langjährigen Tätigkeit als Verhandlungsführer der Bundesrepublik Deutschland mit dem kommunistischen Rumänien in der Frage der auswanderungswilligen Banater Schwaben, Siebenbürger Sachsen und Angehörigen der weiteren rumäniendeutschen Bevölkerungsgruppen. Dabei genoss er, was heute nicht mehr so selbstverständlich ist, das Vertrauen der vier Bundeskanzler von Kurt Georg Kiesinger (CDU) über Willy Brandt und Helmut Schmidt (beide SPD) bis Helmut Kohl (CDU) sowie von mindestens acht Bundesvertriebenen- und Bundesinnenministern mit wahrscheinlich noch mehr Staatssekretären des damaligen politischen Farbenspektrums.

Herr Dr. Hüsch, Sie haben mal geäußert, „vieles, aber noch lange nicht alles“ von dem erzählt zu haben, was Sie zwischen 1968 und 1989 als bundesdeutscher Verhandlungsführer mit Vertretern des rumänischen Staates, insbesondere der Securitate erlebt haben. Was wäre denn noch zu berichten? 

Es ist so, dass es im Verlauf dieser 22 Jahre Situationen und Themen gab, über die ich nicht sprechen möchte. Neben den rund 226000 notifizierten Ausreisefällen gab es auch etwa 200 Sonderfälle, persönliche Schicksale, und der Anstand gebietet es, darüber nicht zu sprechen. Ich habe da eine einzige Ausnahme gemacht, das ist der Fall des Banater Handballers Hansi Schmidt, und ich habe deshalb darüber gesprochen, weil er selbst veröffentlicht hat und damit einverstanden war, dass ich mich äußere, wenn ich gefragt werde. Es gibt auch eine Reihe von Haftfällen, die sind beispielsweise im Buch „Acţiunea ‚Recuperarea‘“ von 2011 aufgeführt, aber dazu will ich nichts weiter sagen. Ich habe hier zwar die Erlaubnis zu sprechen, aber nicht über alles.

Sie haben sich in der Vergangenheit über den relativ spektakulären Haftfall Ion Nanu geäußert. 

Ja, der rumänische Spion, der in Stuttgart eine Handelsfirma unterhielt und im Kölner Raum verhaftet wurde und dem man nachsagte, er habe sich für Raketentreibstoff interessiert. Das war damals im Hintergrund ein relativ langer Prozess. Für eine Lösung in unserem Sinne mussten ja auch die deutschen Stellen, der Bundesanwalt, überzeugt werden. Da hat sich damals Innenminister Werner Maihofer sehr eingeschaltet, nach anfänglichem Zögern. Er hatte mich gefragt, was ich ihm empfehlen würde. Ich hatte vorgeschlagen, einen Austausch zu versuchen, aber die Rumänen müssen dafür zahlen. Und der Preis war eben zwanzig Familien, deren Ausreise bis dahin nicht nur nicht erlaubt, sondern ausdrücklich abgelehnt worden war. Später hat man mir gesagt, dass neunzehn dieser Fälle erledigt wurden und dass der 20. Fall keiner mehr war. Es kam ja immer wieder mal vor, dass sich Verhältnisse änderten, aus den verschiedensten Gründen. Es gab ja auch Personen, die dann doch nicht ausreisen wollten.

Wurde denn bei den Ausreisefällen jemals ein Unterschied zwischen Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen gemacht? Hatte man sich jemals um so etwas wie eine Parität zwischen den einzelnen rumäniendeutschen Siedlungsgruppen bemüht? 

Darauf konnten wir als Bundesrepublik keinen Einfluss nehmen. Es war ja anfänglich die Vorstellung der deutschen Bürokratie, wir könnten Listen übergeben, und die Rumänen arbeiten sie ab. Es gab ja über die Jahre eine Reihe von Politiker-Besuchen in Rumänien und jeder nahm so eine Liste mit. Die sind von meinen Verhandlungspartnern aber nicht beachtet worden. Ich kann mich daran erinnern, dass Bundespräsident Karl Carstens eine solche Liste übergeben hat, wo sich dann Monate später herausstellte, dass überhaupt nichts passiert ist. Daraufhin habe ich wegen dieser Liste interveniert. Das heißt, ich habe sie in einer Verhandlung angesprochen. Sie soll dann noch weitgehend abgearbeitet worden sein. 

Waren denn solche Listen für die Ausreisewilligen überhaupt förderlich? 

Ach! Sie brachten nichts. Den allermeisten Politikern, aber auch Wirtschaftsvertretern, die solche Listen in Rumänien übergeben haben, war ja nicht bekannt, dass über die Ausreisen an ganz anderer Stelle mit entsprechenden Vereinbarungen verhandelt wurde. Solche Listen gehörten zum Dekor offizieller Westbesuche im Ostblock und haben höchstens in Ausnahmefällen etwas genützt. Die Realität war eine andere. Mit den Rumänen wurden ja Zahlen vereinbart, nicht Namen. 

Sie selbst hatten keine Vorlieben für Banater Schwaben oder Siebenbürger Sachsen? 

Nein, nein. Ich hatte jeden Kontakt zu konkreten Personen vermieden. Ich durfte mich unter keinen Umständen angreifbar machen. Ich hatte damals auch keinen Kontakt mit den Landsmannschaften. Deren Vertreter sprachen eher mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Er war so etwas wie der Vertraute der Landsmannschaften, zu Recht. Genscher hat sich in dieser Sache wirklich, ja, ein Krönchen verdient. 

Was ist über Ihre langjährigen Ausreise-Verhandlungen noch nicht gesagt? 

Ich kenne manche Veröffentlichung auch in rumänischer Sprache, aber nicht alles, was dazu publiziert wurde, Wahres und Unwahres. Der Grund, weswegen ich von Innenminister Wolfgang Schäuble zum 3. Juni 2009 von meiner Schweigepflicht entbunden wurde, war ja, dass unter den Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen die abenteuerlichsten Dinge kursierten. Schäuble, ich kannte ihn persönlich, hatte nach meiner Anfrage jemanden beauftragt, die Akten, die im Geheimarchiv in Koblenz liegen, zu überprüfen, und nach rund anderthalb Jahren kam dann die Freigabe. 

Gibt es denn etwas, was Ihnen besonders am Herzen liegt und Ihres Wissens noch nicht dokumentiert wurde? 

Es gibt in der Tat etwas, was ich zwar schon mal erwähnt habe, aber bei keinem Journalisten auf Interesse gestoßen ist. Meine Gesprächspartner waren ja von der Securitate. Das wussten wir am Anfang nicht, haben es aber vermutet, und irgendwann bestanden darüber keine Zweifel mehr. Es wurde uns auch klar, dass Verhandlungsführer wie der General, der sich gern als Drăgan vorstellte, auf rumänischer Seite eng bei Ceauşescu waren. Ein Dolmetscher hatte uns mal auf ein Foto des Nixon-Besuches von 1969 in Bukarest hingewiesen, da stand er unmittelbar hinter Ceauşescu. Uniformierte haben mir salutiert, als er uns mal in das Staatsratsgebäude eingeladen hatte, bei ihm merkten wir also, dass er ein Mann mit Befugnissen ist. In den inoffiziellen, vorbereitenden Gesprächen, meistens mit Dolmetscher, war alles etwas einfacher, aber die Bedingung war, dass aus diesen Gesprächen später nicht zitiert wird. Warum? Wenn wir offiziell in Bukarest verhandelt haben, gab es ja die Abhörwanzen, und so waren die rumänischen Gesprächspartner in den offiziellen Verhandlungen immer rigide, strenger. Marcu zum Beispiel war mitunter cholerisch, aufbrausend, er schlug schon mal mit der Faust auf den Tisch und so Mätzchen. Inoffiziell war das anders. Und da gab es eine erstaunliche Liste von Fragen, über die wir geredet haben und die teils von rumänischer Seite, teils von uns angeschnitten wurden. 

Zum Beispiel? 

Das begann mit den Kriegsgräbern deutscher Soldaten. Ich habe dieses Thema angesprochen und in einer späteren Verhandlung kam von rumänischer Seite der Hinweis: „Sie können Ihre offizielle Delegation entsenden.“ Es kam dann zu einer Vereinbarung über die deutschen Kriegsgräber in Rumänien, was es vorher wohl nicht gab. Ich war danach nicht mehr mit diesem Thema befasst, ich war ja kein deutscher Verwaltungsbeamter. Mit mir ist in diesem Fall und auch in einigen anderen Angelegenheiten, abstrakt formuliert, nur vereinbart worden, dass etwas vereinbart wird, und damit war meine Aufgabe erfüllt. 

Sind denn in den Bereichen Kultur und Bildung Dinge angesprochen worden? 

Etwas Besonderes war die Idee der Entwicklung eines deutsch-rumänischen Wörterbuches. Ich hatte das auch Bundeskanzler Helmut Kohl als offizielles Kooperationsprojekt empfohlen. 

Gab es da einen Bedarf? 

Wir hatten beobachtet, dass die Rumäniendeutschen Goethedeutsch sprechen. Das ist zwar ein schönes Deutsch, aber ein abgeschottetes Deutsch, nicht das Gegenwartsdeutsch, und da denken Sie bitte vierzig Jahre zurück. Inzwischen spielt das wohl nicht mehr die Rolle. Schöngeistige Literatur in deutscher Sprache gab es ja in Rumänien, aber keine technische und keine nennenswerte sozialwissenschaftliche Literatur, und da wollten wir ansetzen. Es sollte etwas Umfassendes werden, es ging uns um Sprachpflege. Vorbild waren uns die dicken deutsch-englischen Wörterbücher, Sie kennen bestimmt diese Schinken. Ich hatte vorgeschlagen, das Thema auf deutscher Seite zum Gegenstand diplomatischer Verhandlungen zu machen und auch bei den Rumänen zu platzieren. 

Und, haben die Rumänen angebissen?

Angebissen haben sie bei den Kriegsgräbern aus dem Zweiten Weltkrieg, vermutlich weil das eine unverfängliche humanitäre Frage war. 

Gab es im humanitären Bereich auch Verhandlungen mit dem Ziel, das Leben der Rumäniendeutschen zu erleichtern? 

Wir hatten nach einer Zeit beobachtet, dass ein Teil der Deutschen in Rumänien verbleiben will und dass die Ausreisen zu neuen Familientrennungen geführt haben. Es blieben vor allem alte Leute und sozial nicht so starke Familien zurück. So gab es unsererseits Vorstellungen und das Angebot, in Rumänien soziale Einrichtungen für die Deutschen zu entwickeln, wie auch immer man das organisiert hätte. Als Gerhart Baum Innenminister wurde, gab es auf meinen Vorschlag die Überlegung, dass die Bundesrepublik Sozialstationen finanziert. Baum war sehr operativ denkend, der hatte Weitblick. Sein Vorgänger, Maihofer, sah da eher Ost-West-Konfliktpotenzial, das es zu vermeiden galt.

Sollte da ein bestimmtes bundesdeutsches Muster umgesetzt werden – Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Diakonie? 

Ich bin tatsächlich gebeten worden zu überlegen, wie man das anstellen könnte. Für uns war klar, dass wir da keine Sonderrechte für die Rumäniendeutschen erreichen können, aber auch, dass wir ein solches Projekt nicht mit einer kommunistischen Organisation machen würden. Wir hätten solche Sozialstationen mit dem gesamten Paket des bundesdeutschen Sozialwesens bis hin zur medizinischen Betreuung eingerichtet. Und wir hätten wahrscheinlich versucht, solche Einrichtungen in Siebenbürgen an die evangelische Kirche und im Banat an die katholische Kirche anzubinden, denn in den Kirchgemeinden hatte man ja jeweils einen Überblick zu den in Frage kommenden Leuten. Wir hätten es versucht. Wir wären mit ein bisschen Mitwirkung im Vorstand einer entsprechenden Organisation zufrieden gewesen. Wir sind da aber leider im schwammigen Vorfeld stecken geblieben. 

Weil? 

Ablehnung. Strikte Ablehnung von der rumänischen Seite. Wir haben dieses Angebot immer wieder unterbreitet, mit Zähigkeit. Und es gab immer wieder ein Nein. 

Wurde das irgendwie begründet? 

Ja, mit: „In Rumänien sind alle gut versorgt.“ Da haben die Rumänen nicht einmal gefragt, wie viel Geld uns das alles wert gewesen wäre. 

Wie viel denn?

Darüber mussten wir nie nachdenken.

Es gab ja vonseiten der Bundesrepublik auch offiziell humanitäre Angebote. 

Ich gehe mal auf das Jahr 1988 ein. Da gab es verschiedene Horrormeldungen aus Rumänien und Bundeskanzler Kohl hatte mich beauftragt, nach Bukarest zu fliegen, um Rumänien ein großes humanitäres Angebot zu machen. Kohl hat das umfangmäßig mir gegenüber nicht genau beschrieben, mir aber erklärt: „Um Geld brauchen Sie sich nicht zu kümmern. Ich sorge dafür.“ Ich war damals im Innenausschuss des Bundestages für Haushaltsfragen zuständig und habe auf die Deckungserfordernis hingewiesen. Die Sache sollte aber nichtöffentlich angegangen werden, ansonsten wäre sie wohl zerredet worden.

Wie hat Bukarest reagiert? 

Da war Angelache der rumänische Verhandlungsführer. Der hat sich das angehört. Und direkt zurückgewiesen. Das war auf dem Flughafen in Bukarest. Ich stand damals so unter Zeitdruck, dass wir in den zwei-drei Stunden zwischen der Landung und dem Rückflug ein und derselben Maschine verhandelt haben. Wir haben das Angebot in einer späteren Verhandlung noch einmal unterbreitet. Da war Angelache der Meinung, dass alles nur dazu gedacht sei, Rumänien in ein schlechtes Licht zu stellen. Schließlich hat mich Kohl direkt zu Ceauşescu entsendet und in diesem Gespräch Ceauşescu – Hüsch war ich schon beauftragt, direkte Absprachen darüber zu treffen, wie wir das organisieren könnten. Ich hatte mir schon Gedanken über Personal und Logistik gemacht. Kohl schwebte vor, mehrere hundert Millionen D-Mark aufzuwenden. 

Mehrere hundert Millionen D-Mark? Nur für Rumänien? 

Ja. Rumänien hat dieses Geld aber nie erreicht. 

Was war Kohls Motivation? 

Kohl hatte eine politische Witterung. Das kann man intellektuell nicht erklären, aber bei einem guten Politiker zählt immer auch die Nase. Kohl hatte mir gesagt: „Im Ostblock bewegt sich was.“ Stichwort Gorbatschow. Aber es gab zwei Hardliner. Das waren Honecker in Berlin und Ceauşescu in Bukarest. „Die beiden Herren halten sich fest.“ Kohlsche Formulierung. Wenn es uns gelingen würde, auf humanitärem Weg Aufweichungen und Entwicklungen in Bukarest herbeizuführen, dann würde sich das auch auf Ostberlin auswirken. Das war die Überlegung. Kohl dachte sehr historisch. Gerade deswegen hatte Kohl auch die Befürchtung, dass aus unruhigen Minderheiten schnell größere Probleme erwachsen könnten. Es gab dann kein Probleme. Die Rumäniendeutschen waren klüger. Aber die Geschichte lehrt, dass ein solches Risiko bestand, und Kohl wollte es möglichst nicht eingehen. Kohl fürchtete außerdem, dass die deutsche Gesellschaft zu egoistisch werden und bald kein Verständnis mehr für humanitäre Leistungen haben würde. Es war sein kritischer Blick auf die Verfasstheit der deutschen Wohlstandsgesellschaft um 1988. 

Kohl wollte also so früh und so still wie möglich Pflöcke einschlagen, damit das Rumänienprojekt funktioniert? 

Ja. Das Ganze sollte so aufgebaut werden, dass es nicht zu einer Beschämung Rumäniens kommt. Deshalb hatte ich Kohl den Vorschlag gemacht, dass wir Rumänien nichts schenken, sondern Ceauşescu Lebensmittel, Medikamente und so weiter auf Lei-Basis verkaufen sollten. Mit Lei konnte man ja damals international nichts machen. Wir hätten unsere Lei bei der Rumänischen Nationalbank thesauriert und dieses Geld in einem weiteren Schritt für Sozialleistungen gezielt zu Gunsten der Rumäniendeutschen ins Spiel gebracht. Wir hatten da beispielsweise die erbärmlichen Renten im Hinterkopf, mit welchen viele Rumäniendeutschen auskommen mussten. 

Rumänien wollte trotzdem nicht? 

Nein. Nicht einmal im direkten Gespräch mit Ceauşescu im Oktober 1988, als es vordergründig um die Bedingungen eines Staatsbesuchs von Kohl in Rumänien ging. Das war ein Gespräch von vierzig-fünfzig Minuten, und als sich Ceauşescu darüber mokiert hatte, dass die Bundesrepublik irgendwelche Zusagen nicht einhalten würde, habe ich als Gegenargument unsere wiederholten Angebote der humanitären Hilfe angesprochen. Da merkte ich, dass ihm das Thema geläufig war. 

Und? 

Ceauşescu sagte sinngemäß: „In Rumänien hat jeder genug. Ich überlege vielmehr, der Not leidenden Arbeiterschaft im Ruhrgebiet Pakete zu schicken.“