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Vom Kaiser geadelt, von den Kommunisten verjagt: 25. Todestag von Baron Franz von Neumann

Stadionbanner mit dem Konterfei des Klubgründers. Foto: Prosport

Die Kapitäne Martin Peters (links) und Mircea Petescu tauschen unter den Blicken des bundesdeutschen Schiedsrichters Gerhard Schulenburg die Wimpel vor dem Spiel UTA − Tottenham Hotspur. Foto: Viorel Muscă

„Der Klügere gibt nach, aber nicht auf.“ (Rupert Schützbach)

Baron Franz von Neumann ist seit einem Vierteljahrhundert tot, sein Name in Arad trotzdem allgegenwärtig. Das neue Stadion trägt seinen Namen. Im Fanblock schwenken die Anhänger bei jedem Spiel weiß-rote Klubfahnen mit dem Konterfei des Adeligen. Wer war dieser Mann und warum ist er so lange nach seinem Tod weiterhin so populär?

Geboren wurde er am 16. Oktober 1910 in Arad, das damals zum Königreich Ungarn gehörte. Seine jüdischen Vorfahren zogen Mitte des 19. Jahrhunderts aus der Slowakei nach Arad, wo sie mehrere Betriebe gründeten: eine Spiritus- und Hefefabrik, eine Dampfmühle sowie einen Textilbetrieb. Die Spiritusfabrik wurde zur größten in der ganzen Monarchie. Aber nicht nur Betriebe ließen die Neumanns bauen, sondern auch prunkvolle Gebäude, die das Stadtbild Arads bis heute prägen. Unter anderem finanzierten sie den Bau des Kulturpalastes.

Am 29. September 1913 verlieh der österreichische Kaiser und ungarische König Franz Joseph I. einigen Neumanns den Titel eines Barons. In der Urkunde heißt es: „Die Würde eines Barons mit dem Namenspräfix Végvár wird verliehen an Neuman Adolf Senior, Neuman Daniel, Neuman Adolf Junior und ihre gesetzlichen Erben in Anerkennung erworbener Verdienste in wirtschaftlicher und karitativer Hinsicht.“

29 Jahre vorher hatte der Monarch bei einem Besuch in Arad einige Industrieanlagen besichtigt und war von jenen der Neumanns beeindruckt. Wohl deshalb verlieh er ihnen den Adelstitel. Eine große Ehre! Denn Franz Joseph war nicht großzügig mit solchen Verleihungen. Die Neumanns schrieben ihren Familiennamen schon vor der Verleihung nur noch mit einem n am Ende, nachdem sie heimlich zum Katholizismus konvertiert waren. Ein geschickter Schachzug, denn Neuman kam im Ungarischen besser an als die deutsche Schreibweise Neumann. Ich verbleibe wie bisher bei letzterer, also der ursprünglichen Namensform.

Alfred, der Vater des späteren UTA-Barons Franz, war der Sohn von Daniel Neumann. Ferenc oder Feri, wie Franz genannt wurde, besuchte das römisch-katholische Gymnasium in Arad und wurde 1928 von der Familie nach England geschickt, um an der Technischen Universität in Manchester Textiltechnik zu studieren. Während dieser Zeit sympathisierte er mit dem englischen Fußballverein Arsenal London, was sich auf seine spätere Tätigkeit bei UTA auswirken sollte.

Mit 25 Jahren übernahm Baron Feri in Arad die Leitung der Familienbetriebe. Er war sehr beliebt bei seinen Arbeitern, für die er stets ein offenes Ohr hatte. Sein tägliches Ritual begann um sechs Uhr im Textilbetrieb ITA, wo er alle Abteilungen besuchte. Im Schlepptau sein Sekretär, der sich eifrig Notizen von den Gesprächen des Barons mit den Angestellten machte, um ihnen bei ihren Anliegen zu helfen. Zwei Stunden später ging's weiter zur Spiritus- und Hefefabrik, um 11 Uhr war der Adelige wieder bei ITA.

Dieser Betrieb schien ihm ans Herz gewachsen zu sein. Er war ein Mann mit Führungsqualitäten sowie Organisationstalent und ließ eine Wohnsiedlung mit zehn Etagengebäuden für viele der 7000 Arbeiter bauen. Der Strom- und Wasserverbrauch wurde vom Betrieb subventioniert. Einmalig in Rumänien genauso wie die Gründung von Kindergärten in Fabriknähe. Selbst um den Zeitvertreib der Arbeiter kümmerte sich der Baron. So entschloss er sich, 1945 den Sportverein ITA (die spätere UTA) mit 18 Abteilungen zu gründen, darunter Fußball als Aushängeschild und 1946 ein Stadion gleich neben der Wohnkolonie erbauen zu lassen, damit die Angestellten es nicht weit bis zu den Spielen haben.

Die Mannschaft hatte er in einem halben Jahr zusammen, das Stadion war in acht Monaten fertig. Zum Vergleich: An der jetzigen Arena wurde sechs Jahre lang gebaut. Um seine Spielstätte je rascher bezugsfertig zu haben, lieh sich der Adelige acht Milliarden Lei, weil er eine solch hohe Summe nicht zur Verfügung hatte. Als großer Bewunderer von Arsenal wählte Baron Feri deren Vereinsfarben Weiß und Rot für seinen neuen Klub. Den Stadionrasen ließ er mit seinem Privatflugzeug aus England einfliegen. Er kaufte die besten Spieler aus Klausenburg, Großwardein und anderen Städten. Kein Wunder, dass ITA schon zwei Jahre nach der Gründung souverän ihren ersten rumänischen Meistertitel gewann und ihn in der folgenden Saison 1947/48 nicht nur verteidigte, sondern auch den Rumänienpokal holte und das Double schaffte. In der ersten Meistermannschaft standen sieben Ungarn sowie jeweils zwei Banater Schwaben und Rumänen. Übrigens: Der Rumänienpokal 1948 ist die einzige Originaltrophäe, die sich in den Klubvitrinen befindet. Alle anderen Pokale sind in den Wirren der Zeit verschwunden, es existieren nur noch Kopien davon.

Zu den beiden ersten Meistertiteln trug Torschützenkönig László Bonyhádi entscheidend bei. 1948 stellte er mit 49 Treffern einen Rekord auf, der selbst von Ion Oblemenco, Florea Dumitrache, Dudu Georgescu oder Rodion Cămătaru nicht gebrochen werden konnte und bis heute Bestand hat. Diese 49 Tore erzielte Bonyhádi in 25 Spielen und kam auf einen Schnitt von knapp zwei Treffern pro Partie. Überragend!

Weitere bekannte UTA-Spieler waren die Banater Schwaben Josef Petschovszky aus Temeswar und der Arader Johann Reinhardt sowie die Ungarn Gyula Lóránt aus Kőszeg, der 1954 mit den Magyaren Vize-Weltmeister in der Schweiz werden sollte, sowie Adalbert Kovács aus Temeswar, Bruder des berühmten Trainers von Ajax Amsterdam Stefan Kovács. Ohne das Geld des Barons wären diese Klassespieler niemals nach Arad gekommen. Als Prämie für das Double bekam jeder Kicker von ihm ein Fahrrad geschenkt.

Feri von Neumann war ein weltgewandter Mann, 1,75 Meter groß, schlank, viersprachig (Deutsch, Ungarisch, Rumänisch, Englisch). Wegen seines attraktiven Aussehens galt er als Frauenheld. Umso mehr verwundert es, dass er kein öffentliches Leben als Partyheld und Playboy führte, sondern stets diskret agierte.

Nach der Machtübernahme der Kommunisten begann sich der Wind zu drehen. Noch saß der Baron fest im Sattel. Wegen seiner Popularität glaubte er, dass ihm nichts passieren und seine Arbeiter zu ihm stehen würden, für die er so viel getan hatte. 1947 kam es zu Streiks in seinen Betrieben, angestachelt von den Kommunisten. Sie brachten den Gewerkschaftsführer der Textilfabrik um und unterwanderten die Syndikate. Der Baron begann zu ahnen, was ihm blühen wird. Deshalb versuchte er noch schnell, seine Fabriken an Franzosen zu verkaufen. Doch daraus wurde nichts, weil diese von den anstehenden gesellschaftlichen Veränderungen Wind bekommen hatten.

1948 war es soweit. Die Betriebe, das Stadion sowie die Immobilien des Adeligen wurden verstaatlicht und zu Volkseigentum erklärt. Am 11. Juni befand sich Franz von Neumann in seinem Büro in der Textilfabrik, als drei Genossen mit Schirmmützen eintraten und ihm befahlen: „Übergeben Sie Schlüssel sowie Dokumente und verlassen Sie den Betrieb.“ Der Baron stand auf und fragte: „Und meine Briefmarkensammlung?“ „Legen Sie diese in den Safe zurück“, forderten die Apparatschiks. Für den Adeligen brach eine Welt zusammen. Auf einen Schlag hatte er alles verloren, was seine Vorfahren in Jahrzehnten auf- und er ausgebaut hatte.

Baron Feri tauchte für zwei Monate bei Bekannten unter. Vergebens! Er konnte nicht länger im Land bleiben. Seine Verhaftung drohte. Deshalb flüchtete er mit dem Fahrrad in einer Nacht- und Nebelaktion ohne Gepäck über die Grenze nach Ungarn, unterstützt von einer Familie aus Petschka. Über Budapest ging՚s nach Salzburg, wo er 1952 heiratete. Im gleichen Jahr emigrierte das frischvermählte Paar nach New York.

„Das ganze Leben ist ein ewiges Wiederanfangen“, meinte der österreichische Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal. So war es auch bei Franz von Neumann. Aus Verbitterung über das in Rumänien erlittene Unrecht legte er den Namen Neumann ab, behielt nur das Adelsprädikat „Francis de Végvár“. Er brach alle Beziehungen zu seinem geliebten Arad ab, wollte selbst von UTA nichts mehr wissen. Trotzdem unterstützte er seinen ehemaligen Torjäger Bonyhádi, der in die USA ausgewandert und dem Alkohol verfallen war. Baron Feri blieb dem Fußball aber verbunden und flog regelmäßig nach München zu den Spielen des FC Bayern.

In der Neuen Welt war Franz von Neumann als Geschäftsmann tätig, bekam einen Sohn und eine Tochter. Er starb am 26. August 1997 im Alter von 86 Jahren in Naples, wo er begraben ist. 2008 besuchten Gerti und ich während einer Rundreise durch Florida das Städtchen an der Küste des Golfes von Mexiko, circa 170 Kilometer von Miami entfernt. Damals wusste ich nicht, dass der Baron dort begraben ist. Sonst hätte ich seine letzte Ruhestätte aufgesucht und ihm meine Reverenz erwiesen. Ich hole es mit dieser Kolumne anlässlich seines 25. Todestages nach. Mein Vater, der aus der Arader Gegend stammte und zeitweise in der Maroschstadt gearbeitet hat, erzählte mir schon als Kind von den Betrieben des Barons.

Die UTA-Fans haben im vergangenen Jahr vor dem Meisterschaftsspiel gegen FCU Craiova eine sehenswerte Choreografie anlässlich seines 111. Geburtstags im Stadion veranstaltet, ihn mit Leuchtkörpern, Sprechchören, flackernden Fackeln und Spruchbändern gefeiert. Anwesend waren seine beiden Enkel. Jaqueline reiste aus New York an, Charles lebt mittlerweile als Geschäftsmann in Arad, wo er seine Ehefrau kennengelernt hat. Wenige Tage vorher war die Bronzestatue von Baron Feri in Lebensgröße im Stadion platziert worden – sitzend auf der Tribüne (siehe „Banater Post“, Nr. 20 vom 20. Oktober 2021). Die Arena wurde am 22. Februar 2005 nach ihm benannt. Seine Erben überließen sie der Stadt Arad kostenlos mit der Bedingung, dass sie seinen Namen tragen solle.

Da sich Franz von Neumann von UTA losgesagt hatte, ist fraglich, ob die Anekdote mit dem Telegramm stimmt, das er 1970 aus den USA mit Glückwünschen für UTA anlässlich des Rauswurfs von Welt- und Europapokalsieger Feyenoord Rotterdam nach Arad geschickt haben soll (siehe „Banater Post“, Nr. 21 vom 5. November 2020).

Zwei Jahre nach der Sensation gegen die Holländer (die ich in einer sechsteiligen Serie vom 15. September bis 15. Dezember 2020 in der „Banater Post“ gewürdigt habe) erzielte die alte Dame UTA mit dem Einzug als erste rumänische Mannschaft ins Viertelfinale des UEFA-Pokals ihren letzten internationalen Erfolg. Die Weiß-Roten hatten sich als Meisterschaftsvierter für den Europapokal qualifiziert und legten einen Erfolgslauf hin. Nach 4:1/1:3 gegen Austria Salzburg, 1:1/2:1 über Zagłębie Wałbrzych aus Polen sowie 3:0/0:1 gegen die Portugiesen von Vitória Setúbal hatte UTA die Runde der letzten Acht erreicht. In ihr wartete mit Tottenham Hotspur der erste englische Verein, der in Arad gastierte.

Dort gewannen die Briten am 7. März 1972 das Hinspiel mit 2:0. Für UTA war mehr drin. „Statt uns auf Rasen vorzubereiten, haben wir in arabischen Staaten auf Sand gekickt. Das hat unsere Mission gegen die Engländer erschwert“, erinnerte sich Mittelfeldregisseur Flavius Domide. Den Gästen gelangen vor dem Seitenwechsel zwei Eckballtore. „Wir haben in der Abwehr gepennt“, kritisierte Verteidiger Gábor Bíró. „Leider nutzten wir zehn klare Chancen nicht, darunter eine von mir.“ Doch UTA gab sich nicht geschlagen und ging im Rückspiel zwei Wochen später in London durch Domide sogar in Führung. Ein aus Arader Sicht regulärer Treffer von Atilla Kun wurde annulliert, ehe den Hausherren zehn Minuten vor Schluss der Ausgleich zum 1:1-Endstand gelang. Damit zogen sie ins Halbfinale ein und gewannen später den begehrten Pokal. In der nächsten Spielzeit qualifizierte sich UTA als Vize-Meister erneut für den UEFA-Cup, flog aber im Herbst 1972 gegen die Schweden von IFK Norrköpping mit 1:2/0:2 schon in der ersten Runde raus. Es war der letzte Europapokalauftritt der Arader. Seither sind fünfzig Jahre vergangen.

Und wie es zurzeit aussieht, wird es mindestens genauso lange dauern, bis UTA wieder international spielen wird. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe am 2. November standen die Arader als Vorletzter auf einem Abstiegsplatz in der 1. Liga – zum ersten Mal seit dem Wiederaufstieg vor zwei Jahren. Aus 16 Spielen holten sie nur 16 Punkte, aus den letzten sechs gar nur einen. Deshalb wurden die Gehälter blockiert. 

Für einen Auswärtssieg brauchte die Mannschaft fast ein Jahr. Kein Wunder, denn sie ist unproduktiv (nicht mal ein Tor pro Spiel), undiszipliniert („Spitzenreiter“ mit sechs Roten Karten in sieben Partien). Die Fans sind mit der Vereinsführung zerstritten, weil diese die Übernahme des mit zwei Millionen Euro verschuldeten Klubs durch eine Arader Investorengruppe verhindert. Der mit 13000 Euro Monatsgehalt teuerste Fußballer ist ein Totalausfall, hat nur einmal durchgespielt und ein Tor erzielt.

Verständlich, dass der Trainer gefeuert wurde. Jetzt haben die Arader den vierten Coach in neun Monaten, also alle zwei Monate einen anderen. Der neue Trainer ist ein alter Bekannter. Er trat vor neun Monaten bei UTA nach einer Minusserie von zehn sieglosen Spielen zurück – und ist jetzt wieder da. Eine Posse! Das wäre so, als würde Jogi Löw nach seinem Rücktritt als Bundestrainer wieder zur deutschen Nationalmannschaft zurückkehren.

Egal, ob im Himmel oder im Stadion – es ist keine gute Zeit für den Baron. Wenigstens Trost gibt es. Er kommt vom irischen Schriftsteller Oscar Wilde: „Alles wird am Ende gut, und wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“

Kommen Sie gut durch die Zeit!