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Temeswar 2023 – ein europäisches Festival

Dr. Bernd Fabritius, Präsident des BdV, Peter-Dietmar Leber, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben e.V., Dr. Swantje Volkmann, Kulturreferentin für den Donauraum gemeinsam mit Dominic Fritz, Bürgermeister der Stadt Temeswar. Foto: Dr. Bernd Fabritius

Bürgermeister Dominic Fritz im Dialog mit Michael Martens, Korrespondent für Südosteuropa der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Foto: Anita Maurer

Im Rahmen der Veranstaltung „Temeswar/Timisoara – Kulturhauptstadt Europas 2023“ stellte der Temeswarer Bürgermeister Dominic Fritz im Dialog mit Michael Martens, dem Korrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für Südosteuropa, in der deutschen Botschaft in Berlin die Stadt Temeswar und das Programm für das Kulturhauptstadt-Jahr 2023 vor. Mehr als 200 Gäste hatten sich im großen Festsaal versammelt, darunter viele Banater Schwaben aus Berlin und dem Bundesgebiet. Der Bundesvorstand unserer Landsmannschaft war durch den Bundesvorsitzenden Peter-Dietmar Leber und die Sprecherin der Heimatortsgemeinschaften im Bundesvorstand, Anita Maurer, vertreten, der Landesvorstand Berlin durch die Vorstandsmitglieder Hans Schmidt und Elisabeth Packi. Unter den Gästen war auch der BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius, die Kulturreferentin für den Donauraum Dr. Swantje Volkmann und Dr. Josef Sallanz (ein Banater Schwabe) von der Deutsch-Rumänischen Gesellschaft, aber auch Harald Berwanger, Leiter des Verbindungsbüros der SPD-Fraktion in Brüssel, aber vor allem Temeswarer. Alle wurden herzlich begrüßt von der Botschafterin Adriana-Loreta Stănescu, deren ebenfalls anwesender Stellvertreter Michael Fernbach ebenfalls ein Temeswarer ist, sowie von den Vertretern der Mitorganisatoren der Kooperationsveranstaltung, des Deutschen Kulturforums östliches Europa, Dr. Harald Roth und Dr. Ingeborg Szöllösi.

Zur Einstimmung auf das Abendprogramm spielte die junge Pianistin Daria Tudor von der Universität der Künste Berlin, wo sie als Dozentin für zeitgenössisches Lied unterrichtet, eine Ballade von George Enescu. Dr. Harald Roth, Direktor des Deutschen Kulturforums östliches Europa, hob in seiner Rede hervor, dass Temeswar nach Hermannstadt 2007 die zweite Stadt in Rumänien ist, die den Titel einer Kulturhauptstadt Europas behaupten darf und zugleich ist Temeswar unter den europäischen Kulturhauptstädten die dritte Stadt nach Pécs in Ungarn (2010) und Novi Sad in Serbien (2022) aus einem Gebiet mit donauschwäbischer Vergangenheit. Die Geschichte der Stadt, die seit Jahrhunderten für Freiheit, Fortschritt und Frieden sowie für das Zusammenleben von Bewohnern unterschiedlicher Herkunft, Kultur und Glaubens steht, ist hervorragend geeignet, für ein Jahr europäischer Treffpunkt der Kulturen zu sein.

Prof. Dr. Rudolf Gräf von der Universität Klausenburg stellte den Besuchern in einem spannenden historischen Abriss die vielseitige Geschichte der Stadt Temeswar im heutigen Westen Rumäniens vor. Sie führt zurück bis zur Geburtsurkunde von 1266, bereits 1362 erhielt sie den Titel einer „Civitas“. Die bunte, vielseitige Historie dieser Stadt zeigt die Spuren  zahlreicher Regierungen und Persönlichkeiten, wie der ungarischen Könige Robert von Anjou oder  János Hunyadi (Iancu de Hunedoara), des Szeklers György Dózsa (Gheorghe Doja), des Sultans Suleiman während der osmanischen Besetzung, der Habsburger Herrscher über gut zwei  Jahrhunderte, aber auch des rumänischen kommunistischen Regimes nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Kronland Banat mit seiner Hauptstadt Temeswar war ein „Experimentierland des Merkantilismus“ – so Gräf. Während die Gegenwartsgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts geprägt ist von den beiden Weltkriegen und vor allem der Aufteilung des Banats 1919, die aus Temeswar eine Stadt in Rumänien machte, war Temeswar 1989 auch die erste rumänische Stadt, wo bei der reformierten Kirche von Pfarrer Tökés die Revolution begonnen hat und die Befreiung von der kommunistischen Diktatur eingeleitet wurde. Gräf betonte, dass es im Banat, dessen Bevölkerung wie ein Vielvölkerstaat aufgebaut war, durchaus auch Nationalitätenkämpfe gab, die letztlich zum Untergang des Kronlandes führten. Durch seine Geschichte als Heimat verschiedener Ethnien und Religionen sei Temeswar prädestiniert als Treffpunkt der Kulturen.

Dem Vortrag, der mit Projektionen von Bildern aus alten Karten und Ansichten der Festung Temeswar untermalt war, folgte die Vorstellung von Programmpunkten und Perspektiven der Kulturhauptstadt 2023 durch Teodora Borghoff, der Kuratorin des Projektes „Temeswar 2023“, die anhand von verschiedenen Projektionsbildern erläuterte, was das von Bürgermeister Dominic Fritz ernannte Team für das nächste Jahr in Temeswar plant, um Besuchern und Interessenten ein möglichst buntes Programm anzubieten. Bürgermeister Dominic Fritz erinnerte daran, dass die Stadt ihre Bewerbung als Kulturhauptstadt im Jahr 2016 mit dem Slogan „Lass die Stadt durch Dich erstrahlen – Shine your light! Light up your city!“ in den Ring geworfen hatte. Nur wenige in der Stadt glaubten damals an den Sieg,  doch nun hat die Stadt ihre Chance, sich Europa zu präsentieren. Im Mittelpunkt des Vorhabens stehen drei Schwerpunkte: die Menschen der Stadt und der Region, die Orte und die verschiedenen Netzwerke. Die drei Theater der Stadt (das rumänische, das ungarische und das deutsche) werden ihre Spielpläne erweitern und „Eurothalia“ wird, wie bereits 2022, wieder stattfinden. Dazu kommt noch der 70. Jahrestag des Deutschen Staatstheaters, der zusätzlich gefeiert wird. Die Philharmonie „Banatul“ hat in ihrem Repertoire drei Schwerpunkte: (Banat-)Schwäbische Folklore, Spotlight Heritage und Moving Fireplaces. Das Kunstmuseum wird zwei große Ausstellungen von Constantin Brancusi und Victor Brauner zeigen. Eine historische Ausstellung, die bereits in Karlsruhe, der Partnerstadt Temeswars, zu sehen war, kommt 2023 nach Temeswar.

Für junge Besucher und Temeswar-Begeisterte wurde „European Echos“ mit einem „Open call“ gegründet, wo jeder neue Ideen einbringen kann und Initiativ-Vorschläge machen darf. Ergänzend zu dieser Vorstellung bat die Kuratorin Julian Vornab ans Mikrofon, den Bürgermeister der Partnerstadt Gera, die seit 25 Jahren gemeinsame kulturelle Programme mit Temeswar macht. „Eine Stadt ist so stark wie ihre Kultur“ - dieser Leitspruch eines „Leuchtturmprojekts“, das unter anderem gemeinsame Konzerte der Symphonien der beiden Städte beinhaltet, sei der Stolz der Stadt Gera, „ein kleiner Teil der Kulturhauptstadt Temeswar“ zu sein!

Teodora Borghoff rief dazu auf, bei den Projekten mitzuwirken und übergab ihrerseits das Wort an Simion Giurca, den Leiter des Vereins zur Bewerbung Temeswars (Asociatia pentru Promovarea Timisoarei). In freier Rede erzählte er begeistert über die „Seele Temeswars“ und verwies auf die Aussage im Artikel eines Reporters vom deutschen Magazin „Stern“, dass Temeswar wohl alle Vorurteile bricht, die man über Rumänien haben kann. Er griff das Bild Gräfs von Temeswar als historischem Treffpunkt der Ethnien und Kulturen als zentrales Charakteristikum der Stadt auf. Zweitens ist die Stadt aber auch ein Informations- und Entwicklungszentrum und drittens ist sie immer als Vorbild für Freiheit und gegen Korruption aufgetreten mit einer „intellektuellen Europa-Bewegung“. Als Beispiel erwähnte er Phänomene wie die Literatur der „Aktionsgruppe Banat“, die den Weg für eine Banater Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller geebnet hatte. Diese war einst Schülerin des Temeswarer Lenau-Lyzeums gewesen, ebenso wie der spätere Nobelpreisträger für Physik Stefan Hell. Solche Beispiele gehörten für Giurca zur „Seele der Stadt“, wie auch auf dem eingeblendeten Projektbild im Hintergrund zu lesen war: „Für manche eine kleine Stadt, für andere eine große Seele“. Giurca verwies auf das im Stadtbild sichtbare europäische Erbe der Stadt - die Oper des österreichischen Architektenbüros Helmer und Fellner, den barocken Dom, die zahlreichen Paläste, die alte Bierfabrik - und überhaupt sei es die Stadt der Premieren, der ersten elektrischen Straßenbeleuchtung Europas, der Modernität auf vielen Ebenen, die von Bürgermeister Fritz nun erfolgreich weitergeführt wird. Die neuen Straßenbahnen sind nur eines der Beispiele, wie die Stadt modernisiert und attraktiver gestaltet wird. 

Den Höhepunkt des Abends bildete jedoch der Dialog von Bürgermeister Dominic Fritz mit dem Südosteuropakorrespondenten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Michael Martens. Martens hat die Stadt in diesem Jahr besucht und stellte gleich zu Beginn dem Bürgermeister die erste „naive“ Frage eines Ausländers: Wie man denn nun die Stadt auf deutsch nennen sollte: Temeswar, Temeschwar oder Temeschburg? Fritz erklärte die Herkunft der Bezeichnungen und meinte, man könne den einen wie auch den anderen Namen verwenden. Martens zeigte sich verwundert, dass man in den Buchhandlungen der Stadt keinen einzigen Temeswarer Stadtführer (der jüdische Stadtführer von Getta Neumann ist vergriffen) findet, anders als das etwa in Novi Sad der Fall war. Dominic Fritz gab den Schwachpunkt zu, versprach jedoch, dass man dabei sei, Abhilfe zu schaffen. Martens sprach Dominic Fritz auch auf die Schwierigkeiten bei seiner Amtsführung an. Dem Deutschen ohne jede Wurzeln im Banat, der sich eher durch Zufall in Temeswar „verliebt“ hat und dort hängen geblieben ist, wird „Transparenz-Besessenheit“ vorgeworfen. Seine vielen Kritiker machen ihn persönlich verantwortlich für fehlende Krippenplätze, fehlende Lehrkräfte an den Schulen, das Abschalten des Heizkraftwerkes usw. 

Dominic Fritz gab zu, dass es im städtischen Alltag viele Probleme gibt, die jedoch ihre Ursache vor allem in der Misswirtschaft der früheren Stadtregierung hätten. Der Schuldenberg, den er bei der Amtsübernahme vorgefunden hat, verhindere so manches Projekt. Sein wohl größtes Anliegen sei die digitale Verwaltung, ein Prozess, der Menschen und Technik zusammenbringen soll in der Stadt. Eine Schonzeit habe man dem Bürgermeister von 
Temeswar bei den großen Projekten nicht eingeräumt. Fritz betonte, dass die heutige „Instant-Mentalität“ sofort Ergebnisse sehen möchte. Er verweist aber auch auf „kleine Veränderungen“ wie das Anbringen von Blumen am Rathaus, die sich bezahlt machen. Ein Manko für ihn sei der Mangel an Rückendeckung aus der Hauptstadt, er kämpfe deshalb oft allein auf breiter Front. Andererseits lobte er sein engagiertes dynamisches junges Team von sechs Beratern, von denen einige im Saal mit dabei waren, die ihn tatkräftig unterstützten. Auf die Schlussfrage des Journalisten: „Was erwarten Sie?“ antwortete Dominic Fritz, der in seiner Rede immer wieder von „wir Banater“ sprach, dass er dieses „einjährige europäische Festival“ als Chance sehe, den Transformationsprozess der Stadt zu vollziehen und er äußerte die Hoffnung, dass sich die Kultur als Motor der Entwicklung erweisen möge. Die Aufgabe als Kulturhauptstadt sei für Temeswar, das bereits lange vor dem vereinten Europa den europäischen Geist aufgrund der Vielfalt in der Einheit selbst in Krisenzeiten vorgelebt hatte, eine einzigartige Chance, „dass unsere Geschichte Europa inspirieren kann!“ Die letzten Worte des Bürgermeisters waren daher ein Aufruf an das Publikum: “Besuchen Sie uns in Temeswar!“

Die anschließenden Gespräche beim kalten Büffet mit kulinarischen Spezialitäten aus dem Banat und aus Rumänien offenbarten, dass sich im Publikum zahlreiche Kenner der Stadt, Banater und Temswarer, etliche ehemalige Lenauschüler, befanden, aber auch solche, die Temeswar nicht kennen, deren Interesse jetzt erst durch diese mitreißende Präsentation geweckt worden ist. Bürgermeister Fritz stand immer im Mittelpunkt. Seine entgegenkommende, aufmunternde, optimistische Art weckte das allgemeine Interesse an dieser „Mutmachgeschichte“ (Fritz) Temeswars!