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Tag der Heimat in Berlin: „Das Gute gewinnt, aber das Böse stirbt nicht“

BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius spricht beim Festakt zum Tag der Heimat 2022 in der Französischen Friedrichstadtkirche. Bildquelle: BdV/Bundesfoto

Festredner Dr. Rafał Dutkiewicz, ehemaliger Stadtpräsident von Breslau Bildquelle: BdV/Bundesfoto

Vertreter der Landsmannschaft der Banater Schwaben bei der Kranzniederlegung an der Ewigen Flamme (von links): Ernst Meinhardt, Vorsitzender des Landesverbandes Berlin/Neue Bundesländer, Dr. Maria Werthan, Präsidentin des Frauenverbandes im BdV, Bundesvorsitzender Peter-Dietmar Leber, Barbara Hehn, Vorsitzende des Kreisverbandes Erlangen der Landsmannschaft, Kreisvorstandsmitglied Werner Hehn Foto: privat

Ganz im Sinne des diesjährigen Leitwortes „Vertriebene und Spätaussiedler: Brückenbauer in Europa“ konnte am 27. August 2022 erstmals ein prominenter Festredner aus Polen beim Tag der Heimat des Bundes der Vertriebenen begrüßt werden. BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius freute sich, dass der langjährige Breslauer Stadtpräsident Dr. Rafał Dutkiewicz in die Französische Friedrichstadtkirche nach Berlin gekommen war, um zu den deutschen Heimatvertriebenen, Aussiedlern und Spätaussiedlern sowie zu Partnern aus dem Bereich der deutschen Minderheiten, aus Politik, Diplomatie, Kultur und Gesellschaft zu sprechen.

Zunächst aber sprach der BdV-Präsident selbst und hieß neben Dutkiewicz als Ehrengäste Bernard Gaida als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten (AGDM) in der Föderalistischen Union europäischer Nationalitäten (FUEN), Wolodymyr Leysle als Vorsitzenden des Rates der Deutschen der Ukraine (RDU) sowie Oberkirchenrat Joachim Ochel als Vertreter der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) herzlich willkommen. 

Mit einem Blick auf das Leitwort stieg der BdV-Präsident in den thematischen Teil seiner Rede ein. Sehr deutlich stellte er heraus, dass in den Heimatvertriebenen das Vertrauen auf ein einträchtiges Miteinander der Völker tief verwurzelt sei, und sprach von der „Überzeugung, dass Frieden nur durch Verständigung und gegenseitige Empathie gelingen und gesichert werden“ könne. In diesem Zusammenhang erinnerte er an die Charta der deutschen Heimatvertriebenen als ein „Dokument der Versöhnungsbereitschaft und des Racheverzichts“. Eine wichtige Lehre aus der Vergangenheit sei die langjährige Forderung des BdV, „dass Vertreibungen und ethnische Säuberungen endlich international zu ächten sind“, was Fabritius erneut deutlich artikulierte.

Aktuelle politische Anliegen des BdV

Mit einem Schwenk in die aktuelle Politik erinnerte Fabritius daran, dass die Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser den BdV als ein „wichtiges Sprachrohr in die deutsche Politik“ bezeichnet habe, dessen Themen ihren selbstverständlichen Platz in ihrem Ministerium hätten. Die Freude darüber sei jedoch getrübt, weil im kulturpolitischen Bereich die notwendige „Unterstützung der Politik, der Regierung und der gesamten Gesellschaft“ gerade aktuell noch ausbaufähig sei. So seien die Projektmittel im Bereich der Kulturförderung nach § 96 des Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetzes in diesem Jahr um eine Million Euro gekürzt worden. Dies bezeichnete der BdV-Präsident als „Missachtung der Sache und auch des gesetzgeberischen Auftrages“. Er forderte dazu auf, „die Kultur der deutschen Heimatvertriebenen angemessen zu fördern“ und verwies auf positive Beispiele bei der Förderung durch die Länder.

In einem nächsten Schwerpunkt ging Fabritius auf die vom Bund der Vertriebenen immer wieder geforderte Generationengerechtigkeit im Rentenrecht für Aussiedler und Spätaussiedler ein. Für den Verband und die von ihm vertretenen Menschen bleibe es das Ziel, die 1996 eingeführten ungerechten Kürzungen im Fremdrentenrecht rückgängig zu machen. Der im aktuellen Bundeshaushalt eingeplante Härtefallfonds sei ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung, schließe aber in seiner derzeitigen Zielrichtung alle Aussiedler aus, obwohl für diese der Vertrauensschutz in besonderem Maße gelte. „Die Gefahr ist akut, dass durch eine nicht oder schlecht durchdachte gesetzliche Regelung eine Spaltung unseres Personenkreises und eine erneute Benachteiligung der Aussiedler eintritt“, warnte der BdV-Präsident. 

Unterstützung für deutsche Minderheiten

Mit einem thematischen Brückenschlag zu den deutschen Minderheiten in der Ukraine und in Russland erklärte er im Folgenden, dass angesichts des Krieges auch viele der rund 33000 Deutschen in der Ukraine nun zu Opfern von Gewalt, Vertreibungen und Heimatverlust würden. Für diejenigen, die in Deutschland Sicherheit suchen, müsse die Politik gewährleisten, „dass den deutschstämmigen Personen ein der Ausnahmesituation angemessenes Aufnahmeverfahren ermöglicht wird“. Währenddessen würden die rund 400000 Deutschstämmigen, die noch immer in Russland leben, in zunehmendem Maße aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit drangsaliert und ausgegrenzt. Es gelte, auch ihnen die notwendige politische Unterstützung zu gewähren. In Polen wiederum habe die derzeitige Regierung den muttersprachlichen Unterricht für die Angehörigen der dortigen deutschen Minderheit von drei auf eine Wochenstunde und die finanzielle Förderung des Unterrichts um fast 10 Millionen Euro gekürzt. Dies bedrohe die Minderheit in ihrer Existenz. Fabritius forderte: „Dieses Thema muss Angelegenheit der Bundesregierung auf höchster Ebene bleiben und mit Nachdruck und diplomatischem Klartext vertreten und gelöst werden.“ 

Zum Ende hin dankte der BdV-Präsident „allen unseren Mitstreitern in den Landes- und Kreisverbänden, in den Landsmannschaften und Kulturgruppen“ und versicherte, dass die Arbeit der Vertriebenen weiterhin gebraucht werde. 

Breslau – eine europäische Metropole

Festredner Dr. Rafał Dutkiewicz begeisterte die Anwesenden mit einem eindrucksvollen Bekenntnis zu Frieden, Menschenrechten und Europa. Beginnend mit einer Abwandlung des Tucholsky-Zitates „Jeder anständige Berliner kommt aus Breslau“ erklärte er, in der heutigen Zeit müsste es heißen „Jeder anständige Berliner kommt nach Breslau“, nur um dann zu betonen: „Heute ist jedoch ein ziemlich anständiger Breslauer nach Berlin gekommen“.

Dutkiewicz nahm das Publikum anschließend auf eine zeithistorische Reise zu den europäischen Wurzeln Breslaus mit. Vom Tataren-Ansturm im Mittelalter über das fatale Schicksal von 170000 Zivilisten in der sogenannten Festung Breslau 1945 über den berühmten Hirtenbrief der polnischen Bischöfe im Jahr 1965 bis zur heutigen Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine zeichnete der ehemalige Stadtpräsident das Bild einer Stadt, die schon immer einen europäischen Charakter hatte und in der Geschichte oft eine „Stadt der Vertreibungen“, aber auch eine „Stadt der Versöhnungen“ war. Breslau sei „wahrscheinlich die einzige Großstadt der Welt, in der die Bevölkerung 100 Prozent ausgetauscht wurde“, so Dutkiewicz mit Blick auf das Ende des Zweiten Weltkrieges.

Nun sei es „im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts“ erneut der Fall, dass Breslau „zu einer Stadt der Vertreibungen“ werde. Etwa bei fünf Millionen Flüchtlingen, die die Ukraine aufgrund des russischen Angriffs und der prekären Sicherheitslage verlassen mussten, lägen aktuelle Schätzungen. Viel schlimmer sei jedoch die humanitäre Katastrophe vor Ort. Es sei daher ein Gebot der Vernunft wie des Mitgefühls, der Ukraine humanitäre Hilfe zukommen zu lassen. „Die Ukraine hat das Recht und die Pflicht sich zu verteidigen. Europa und die Welt sind hingegen verpflichtet, die Ukraine zu unterstützen – auch mit Waffenlieferungen“, konstatierte Dutkiewicz. 

Russlands Staatschef Wladimir Putin könne es „nicht ertragen, dass eine Nation, der er das Recht auf eine eigene Identität abspricht, ihren eigenen demokratischen, pro-westlichen Entwicklungsweg wählen will“. Putin wolle das sowjetische Imperium wiederherstellen und die moderne Weltordnung niederreißen. Er sei sich sicher, betonte Dutkiewicz, dass die Pläne des russischen Staatschefs weit über die Ukraine hinaus gingen. „Ich möchte Ihnen sagen: Das Gute gewinnt. Ich möchte Ihnen aber auch sagen: Das Böse stirbt nicht. Das Böse kann vernichten und die Welt über Jahre hinweg verwüsten“, sagte der Festredner.

Dass dem russischen Gebaren nur eine entschiedene und geeinte Antwort der westlichen Staatengemeinschaft entgegenstehen könne, betonte Dutkiewicz entschieden. „Die Nation heute und in Zukunft kann sich nur übernational verwirklichen, in unserem Fall im Rahmen der Europäischen Union“, so der ehemalige Stadtpräsident von Breslau.

Ehrenplakette 2022 an Bernard Gaida

Im würdigen Rahmen des Tages der Heimat wurde die Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen für das Jahr 2022 auf einstimmigen Beschluss des Präsidiums an Bernard Gaida für seine Arbeit als Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten (AGDM) verliehen. BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius machte deutlich, dass das Leitwort „Vertriebene und Spätaussiedler: Brückenbauer in Europa“ das verständigungspolitische Engagement besonders betone. Zugleich weise die Arbeit der deutschen Minderheiten alle Merkmale eines Einsatzes als Brückenbauer über Grenzen hinweg auf. Dabei sei die Einbindung der Jugendorganisationen ein zentraler und wichtiger Aspekt, dem sich die AGDM unter der Leitung von Bernard Gaida verschrieben habe. „Die AGDM leistet einen unschätzbaren Beitrag zur kollektiven Selbstversicherung aller deutschen Minderheiten, zum Kulturerhalt und zur Bewahrung der kulturellen Identität. Dafür danken wir Ihnen heute, indem wir Sie stellvertretend auszeichnen und ehren“, so der BdV-Präsident in seiner Laudatio. 

Sichtlich bewegt dankte Bernard Gaida für die Auszeichnung. Er verstehe die Ehrung als Anerkennung der Arbeit von Tausenden ehrenamtlichen Mitarbeitern der deutschen Volksgruppen in vielen Ländern Europas und Zentralasiens. Ihn freue es besonders, die Ehrung unter dem diesjährigen Leitwort entgegennehmen zu dürfen, denn auch die Minderheiten verstünden sich als Brückenbauer. Die Förderung der Deutschen im Ausland sei nicht nur eine moralische Pflicht, sondern auch eine gute Investition, betonte Gaida. Zum einen kämen immer wieder junge Menschen, die einer deutschen Minderheit angehören, zum Studium oder Arbeiten nach Deutschland, zum anderen wüsste die deutsche Industrie bei Direktinvestitionen im Ausland die Angehörigen der Minderheit aufgrund ihrer Sprachkenntnisse und Identität sehr zu schätzen. Ohne Unterstützung aus Deutschland könnten die Minderheiten nicht überleben, so Gaida. Insgesamt sei daher mehr Engagement, eine vereinfachte und höhere Förderung und ein Dialog auf Augenhöhe notwendig. Es dürfe nicht geschehen, dass die Minderheiten verschwinden, „still und fast unbemerkbar“. Dann würden die Brücken auf einmal fehlen.

Emotionales Grußwort von Wolodymyr Leysle

Von existenziellen Problemen anderer Art berichtete der RDU-Vorsitzende Wolodymyr Leysle in einem hochemotionalen Grußwort. Noch einige Tage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine hatte er der Deutschen Allgemeinen Zeitung in Kasachstan in einem Interview versichert, es gebe für die Krise nur eine diplomatische Lösung. Kurz darauf saß er mit seiner Familie bei den Schwiegereltern sechs Wochen lang im umkämpften Sumy fest. Immer wieder habe sich die Familie wegen des Raketenbeschusses im Keller in eine vermeintliche Sicherheit bringen müssen. Leysle dankte dem BdV für die Spendenaktion, von der viele Landsleute profitiert hätten, und der AGDM für die organisatorische Unterstützung bei der Flucht innerhalb der Ukraine und in die Nachbarländer. Große Sorge bereite ihm die Zerstörung der Infrastruktur in seinem Heimatland. Drastisch schilderte er die Vernichtung von Wohnhäusern und Kulturerbe: „Das ist die grausame Realität in der Ukraine.“ Neben der Linderung von Notlagen sollten internationale Hilfen daher auf den Wiederaufbau ausgerichtet sein, mahnte Leysle.

Einfühlsame Gedenkworte von Oberkirchenrat Ochel

Einfühlsam nahm Oberkirchenrat Joachim Ochel in seinem Geistlichen Wort die Stimmung der Veranstaltung auf. Das „unsichtbare Fluchtgepäck“ thematisierend, zeigte Ochel Parallelen in der Bibel auf. Gleich zweimal werde bei den Propheten ein damals gängiges Sprichwort zitiert: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden.“ Solche nicht auf den ersten Blick zu erkennenden Zusammenhänge zwischen „dem Tun oder Schicksal der Väter und Mütter und dem Ergehen der Kinder“ zeigten sich in der Menschheitsgeschichte immer wieder. Bei Gott werde diese Schuld- und Schicksalsverstrickung begrenzt, „weil jeder und jede Einzelne in einem eigenen, individuellen Verhältnis zu Gott steht“, so der tröstende Gedanke.

Mit dem traditionellen Totengedenken des Bundes der Vertrieben zum Tag der Heimat leitete Ochel in ein bewegendes gemeinsames Gebet des Chorals „Verleih uns Frieden“ über, das danach von den Potsdamer Turmbläsern musikalisch aufgegriffen wurde.

Totengedenken an der Ewigen Flamme

Im Anschluss an den Festakt in der Französischen Friedrichstadtkirche ließen die höchsten Staatsämter, die Bundesländer, einige Bundesparteien, der BdV, die Landsmannschaften und BdV-Landesverbände zu Ehren der Toten Kränze am Mahnmal der deutschen Heimatvertriebenen niederlegen. Worte des Gedenkens sprachen der Berliner Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen Andreas Geisel, Staatssekretär a.D. Rüdiger Jakesch, Vorsitzender des BdV-Landesverbandes Berlin sowie BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius. Letzterer erinnerte „an die Millionen Zivilisten aus allen deutsch besiedelten Regionen in Ost-, Mittel- und Südosteuropa, die von Flucht und Vertreibung, Deportation und Zwangsarbeit betroffen waren“. Leider sei das Thema angesichts der weltpolitischen Lage wieder hochaktuell. „Ich wünschte mir, es hätte beides nicht gegeben: Weder die Vertreibungen von damals noch die immer wiederkehrenden Ausbrüche von Konflikten und Gewalt von heute, die erneut zu Vertreibungen führen“, so der BdV-Präsident.