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Ein Banater Schwabe Königsfriseur in Ägypten

Johann Zahner wirkte in jungen Jahren als Friseur am Hof des türkischen Vizekönigs in Kairo. Foto: Donautal-Magazin, 41/1988

Johann Zahners Eltern mit seiner Schwester Margarethe. Fotos: H. Ritter

Abbas II. Hilmi, der letzte Khedive von Ägypten (1892-1914)

Margarethe Dinzer, Johann Zahners jüngste Schwester, im Jahr 1991

Das einstige Gemeindehaus von Kleinomor existiert heute nicht mehr. Foto: HOG

Nein, die Kleinomorer hatten keinen König wie die Sackelhausener in der Person des Andreas Gebhardt (so bei Heinrich Lauer und Anton Peter Petri; im 1976 erschienenen Heimatbuch von Sackelhausen wird er als Josef Gebhardt angegeben), der „König von Timor“ war. Timor ist die größte der Kleinen Sundainseln. Aber wir Kleinomorer hatten immerhin einen Königsfriseur im ägyptischen Kairo, der dem Machthaber von dort sehr nahe stand und ihm sogar „an die Gurgel“ durfte. Sein Name: Johann Zahner. Zahner war etwa im gleichen Alter wie König Gebhardt von Timor (geboren 1884) und erblickte 1888 in Klek (Bégafõ), im heutigen serbischen Teil des Banats, das Licht der Welt. Seine Eltern waren Johann Zahner, geboren 1859 in Klek, und Katharina Zahner, geborene Keppler. Sie stammte ebenfalls aus Klek und war in Kleinomor als „Bet-Motter“ (Gebetsmutter, Vorbeterin in der Kirche) bekannt. Bäsl Kättl ist 1954 in Kleinomor im Alter von 88 Jahren gestorben.

Die Familie Zahner gehörte zu den Erstsiedlern von Omori puszta (Kleinomor). Johann Zahner senior ist im Kaufvertrag von 1897 als Zahner János verzeichnet. Zuerst hat die Familie im benachbarten Breschtea (Brestye/ Breștea) gewohnt, wo laut Pfarrmatrikel den Eheleuten Zahner am 19. Februar 1897 Tochter Barbara, sechs Monate alt, gestorben ist. Sohn Georg Zahner erblickte bereits im neuen Wohnort Omori puszta am 18. Juni 1898 das Licht der Welt.

Unter dem Titel „Banater Königsfriseur in Kairo“ ist im Donautal-Magazin Nr. 41 vom 1. September 1988 ein interessanter Beitrag aus der Feder von Franz Mecher über Johann Zahner erschienen. Mecher schreibt: „Johann Zahner hat im Knabenalter seine Eltern als Binnensiedler in Kleinomor erlebt, er war das dritte von sechs Kindern. Ein ehemaliges Großgut hat sich vor seinen Augen in einigen Jahren in eine neue Ortschaft verwandelt.“

Dazu zwei Anmerkungen: Bei dem Großgut, auf dem es zur Gründung von Omori puszta, dem späteren Kleinomor kam, handelte es sich um die Schlichter-Pußta. Was die Anzahl der Kinder der Eheleute Zahner betrifft, so waren es nicht sechs, sondern neun gewesen. Das habe ich von der jüngsten Schwester Johann Zahners, Margarethe Zahner, verheiratete Dinzer, erfahren. Drei der neun Kinder der Eheleute Johann und Katharina Zahner sind allerdings bereits im Kindesalter gestorben, sechs haben das Erwachsenenalter erreicht: Andreas (geb. 1883 in Klek) war viele Jahre Gastwirt in Kleinomor; Paul (geb. 1886 in Klek) ist nach Amerika ausgewandert; Johann (geb. 1888 in Klek), der Königsfriseur; Magdalena (geb. 1892 oder 1893 in Klek) war mit Michael Sonntag verheiratet; Georg (geb. 1898 in Kleinomor) hat später in Temeswar gelebt, und Margaretha (geb. 1900 in Kleinomor). Sie hat ihren Lebensabend bei der Familie ihrer Tochter Maria Janzer in Buchdorf (Bayern) verbracht, wo sie im hohen Alter von 97 Jahren das Zeitliche segnete.

Johann Zahner hat von 1894 bis 1897 die Volksschule in Klek und von 1897 bis 1900 in Kleinomor besucht. Von 1900 bis 1903 war er Friseurlehrling bei Heinrich Schiff in Detta. 1903 legte er seine Gesellenprüfung ab, ein Jahr darauf zog er nach Budapest und wirkte hier beim Hoffriseur Dorits (vgl. Anton Peter Petri: Biographisches Lexikon des Banater Deutschtums, 1992, Spalte 2133).  Heinrich Schiff, der Lehrmeister Johann Zahners, erblickte am 2. September 1866 in Detta das Licht der Welt und verstarb hochbetagt ebenda am 1. August 1956. Schiff wirkte etwa seit 1890 bis 1940 in seinem Geburtsort als Friseurmeister. Er hat viele bekannte Friseure ausgebildet, wie z.B. Othmar Schiff (geb. 1881 in Detta, gest. 1947 in Wien), der von 1910 bis 1914 Hoffriseur in der Wiener Hofburg war, und Rudolf Schiff (geb. 1885 in Detta, gest. 1964 in Wien), Kammerfriseur an der Wiener Oper.

In Budapest lernte Johann Zahner den ägyptischen Khediven Abbas II. Hilmi kennen, der ihn überzeugen konnte, mit ihm als Königsfriseur nach Kairo zu gehen. Das war etwa 1905. Abbas II. Hilmi wurde am 14. Juli 1874 in Alexandria geboren. Nach dem Tod seines Vaters Muhammad Taufik (Taufiq), der von 1879 bis 1892 in Ägypten herrschte, wurde er, kaum 18-jährig, osmanischer Khedive (türkischer Vizekönig) in Ägypten. Der Thronwechsel lieferte der britischen Besatzungsmacht den Vorwand, die versprochene Räumung Ägyptens erneut zu verschieben. Abbas II. Hilmi hat aber versucht, sich dem britischen Einfluss zu entziehen und eine mehr selbständige Politik zu betreiben. In seiner Zeit wird am Nil der Assuan-Staudamm errichtet. Baubeginn war 1899, die feierliche Einweihung fand am 10. Dezember 1902 statt. Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges erklärte Großbritannien Ägypten zum Protektorat, da die Türkei an der Seite Deutschlands in den Krieg eingetreten ist. Der türkenfreundliche Abbas II. Hilmi wird 1914 durch seinen Onkel Husain Kamil ersetzt, der als „Sultan von Ägypten“ jedoch nur eine passive Rolle spielte.

Zwischen dem vierzehn Jahre älteren Vizekönig Abbas II. Hilmi und seinem Hoffriseur Johann Zahner entwickelte sich mit der Zeit so etwas wie eine lockere Freundschaft, wenn man das so sagen kann. Jahrelang begegneten sie einander fast täglich und hatten ein sehr gutes Verhältnis. Und doch kam es zum Zerwürfnis. Genaues darüber ist nicht bekannt. Es heißt aber, dass es durch die Schwangerschaft der Lebensgefährtin Zahners, Dori Katharina Feil, Tochter eines Dresdener Hotelbesitzers, die höchstwahrscheinlich ebenfalls in Diensten des Khediven in Kairo stand, dazu gekommen sei. Der Vizekönig wollte die junge Frau ins Ausland bringen, Johann Zahner aber stand zur Mutter seines ungeborenen Kindes. Abbas II. Hilmi und sein Friseur haben sich in gegenseitigem Respekt getrennt und Zahner ist zurück nach Budapest gezogen.

Wann genau es zum Bruch zwischen den beiden gekommen ist, steht nicht fest. Sicher ist nur, dass Johann Zahner nicht bis 1914 in Diensten von Abbas II. Hilmi stand, wie Dr. Petri das in seinem Lexikon angibt, also bis in das Jahr, in dem der Khedive von den Briten abgesetzt wurde. Zum Zerwürfnis zwischen Zahner und seinem Dienstherren muss es aber schon viel früher gekommen sein, denn Paul, der erstgeborene Sohn Johann Zahners, erblickte bereits 1910 in Kairo das Licht der Welt. Zahner muss mit Frau und Sohn Paul Ägypten schon vor 1914 verlassen haben. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der zweite Sohn der Eheleute, Wilhelm (Willi) Zahner, bereits 1913 in Budapest zur Welt gekommen ist.

Johann Zahner, der mehrere Sprachen gesprochen hat (deutsch, mad-jarisch, arabisch, englisch, französisch und italienisch), wurde 1919 in Budapest ein Opfer der „Spanischen Grippe.“ Die große Pandemie von 1918/19 verlief in mehreren Wellen und kostete insgesamt schätzungsweise mehr als 20 Millionen Menschen das Leben, also weit mehr als der Erste Weltkrieg, dessen Verluste weltweit mit 10 Millionen beziffert werden. Die so genannte „Spanische Grippe“, die eigentlich von China ausgegangen war, erreichte im Juli 1918 auch das Deutsche Reich. Ein prominentes Opfer dieser Grippe war der österreichische Maler Egon Schiele (gestorben am 31. Oktober 1918 in Wien). In den verschiedenen Ländern wurden 15 bis 50 Prozent der Bevölkerung von der Grippe erfasst. Etwa ein Prozent der Erkrankten fiel ihr zum Opfer, vor allem Erwachsene zwischen 20 und 45 Jahren. Johann Zahner war 31, als er der Seuche erlag, gerade mal knapp drei Jahre nach dem tragischen Freitod seines Vaters 1916 in Kleinomor.

Dr. Anton Peter Petri gibt in seinem „Biographischen Lexikon des Banater Deutschtums“ den 7. Mai 1888 als Geburtsdatum und den 25. September 1919 als Sterbedatum Johann Zahners an. Ich kann diese Daten weder bestätigen, noch widerlegen, auch kenne ich die Quelle nicht, der diese Angaben entstammen. Skeptisch bin ich jedenfalls, was das Todesdatum Johann Zahners betrifft, und das aus zweierlei Gründen. Erstens glaube ich kaum, dass die Virusgrippe, die im Juli 1918 Mitteleuropa erreichte, im Herbst 1919 noch grassierte. Und zweitens stimmt das Sterbedatum im September nicht mit den Aussagen von Margarethe Dinzer, der Schwester Zahners, überein. Johann Zahner nannte seine jüngste Schwester Greti (er war zwölf Jahre älter als sie) liebevoll „meine kleine Türkin“. Anlässlich eines Gesprächs, das ich am 3. Oktober 1991 mit der damals 91-Jährigen in Buchdorf geführt habe (auch das Foto ist damals entstanden), sagte Bäsl Gretl zu mir: „Mein Bruder hat aus Budapest geschrieben, dass eine neue Krankheit ausgebrochen ist. Unsere Mutter hat dann gesagt: 'Wirst sehen, dass er stirbt!' Und so war es auch. Am 7. Februar 1919 ist ein Telegramm aus Budapest mit der Nachricht gekommen, dass Hans gestorben ist.“

Es ist aber auch gut möglich, dass Bäsl Gretl sich nicht mehr genau erinnern konnte, wann die Todesnachricht aus Budapest bei der Familie in Kleinomor eingetroffen ist, denn die Erinnerung kann uns manchmal in die Irre führen. Unser Gehirn ist eben nicht für lückenlose Aufzeichnungen gemacht. Viel Erlebtes verblasst mit der Zeit, anderes wieder bleibt uns ein Leben lang gegenwärtig. Wenn man älter wird, zählt nicht mehr, wie es wirklich war, sondern wie man es in der Erinnerung hat. Ich nehme aber an, dass Dinzer Gretl, so wurde sie in Kleinomor genannt, genau wusste, was sie sagte. Ich glaube kaum, dass sie, die im November 1919 geheiratet hat, den Sterbemonat ihres Bruders vergessen bzw. verwechselt hat. Sie hat sich sogar das genaue Datum gemerkt, nämlich den 7. Februar. Und außerdem hätte sie womöglich, wenn ihr Bruder Hans erst im September 1919 gestorben wäre, wegen der anstehenden Trauerzeit, ihre Hochzeit verschoben und nicht bereits zwei Monate nach dessen Hinscheiden geheiratet. Aber das sind alles nur Mutmaßungen.

Die Ehefrau Johann Zahners, Dori Katharina Zahner, geb. Feil, ist ebenfalls in Budapest im Alter von nur 40 Jahren verstorben, so Franz Mecher. Beide sind in Budapest beerdigt, aber nicht in einem gemeinsamen Grab, sondern in zwei Gräbern, eines in Buda, das andere in Pest, wie Margarethe Dinzer zu berichten wusste.

Und Abbas II. Hilmi? Er wurde, wie bereits erwähnt, 1914 von den Engländern abgesetzt und starb am 20. Dezember 1944 in Genf in der Schweiz.

Paul und Willi, die beiden Söhne Johann Zahners, weilten als Kinder oft bei ihren Großeltern in Kleinomor. Mir wurde gesagt, dass Willi mit seiner Großmutter sogar einmal in Amerika gewesen ist. Seine erste Ehefrau lernte er in Bukarest kennen. Maria (Mimi) Zahner war sechs Jahre älter als er (geb. 1907) und stammte aus Siebenbürgen. Die Eheleute Willi und Mimi Zahner wohnten in Temeswar-Josefstadt. In der Nachkriegszeit lebte Mimi einige Jahre in Kleinomor. Wie ich von Elisabeth Moor, geb. Repp, erfahren habe, war sie gelernte Schneiderin. Sie hat das Brautkleid von Lissi genäht. Aber nicht um Geld, der Arbeitslohn war auf Mimis Wunsch eine Hochzeitstorte! Nach ihrer Trennung von Willi ehelichte Maria Zahner in Detta Peter Häusler und verstarb ebenda 1982.

Die zweite Ehefrau von Willi Zahner war Barbara (Wetti) Zahner, geb. Kunz, aus Birda, die er während der Zeit ihrer Deportation in Russland kennengelernt hat. Die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland erfolgte 1974. Willi Zahner ist am 30. Dezember 1992 in Würzburg im Alter von 79 Jahren gestorben. Sein Bruder Paul segnete bereits 1974 in Budapest das Zeitliche. Kleinomor existiert nicht mehr und an Johann Zahner, den Hoffriseur des ägyptischen Vizekönigs, erinnert sich heute kaum noch jemand.