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Lenau und das Posthorn – eine Zeitreise (Teil 2)

„Der Postillon“, Vertonung des Lenau-Gedichts von Heinrich Weidt für Männerquartett mit obligatem Posthorn; Partitur (Titelblatt und Ausschnitt) Quelle: Sammlung Schiller

Anton Ritter (1862-1917) aus Marienfeld war der letzte Postillon zwischen seinem Heimatort und Mokrin. Quelle: Robert Rohr, Unser klingendes Erbe, Band 1, S. 153

Johann Schiller mit einem Posthorn am Lenau-Brunnen in Bisingen-Steinhofen neben der Bronzefigur des Postillons Foto: Agneta Schiller

Das 16 Strophen lange Gedicht erhielt seine endgültige Fassung während Lenaus Aufenthalt in Amerika. Kurz nach seiner Rückkehr nach Stuttgart veröffentlichte er es im „Morgenblatt für gebildete Stände“ (Nr. 177 vom 25. Juli 1833, Seite 7 f.). Diese Kulturzeitschrift erschien im berühmten Verlagshaus Cotta (Stuttgart/Tübingen), einem der einflussreichsten deutschen Verlage dieser Zeit. Bei Cotta war 1832 auch Lenaus erste Lyriksammlung „Gedichte“ erschienen, der zwei Jahre später eine zweite, vermehrte Auflage folgte. Diese enthielt auch das Gedicht „Der Postillon“, das bis in die neueste Zeit zu Lenaus bekanntesten Dichtungen gehört.

Die ersten Strophen enthalten eine lebendige atmosphärische Beschreibung jener lauen Frühlingsnacht, in der sich der Dichter auf einer Reise mit der Postkutsche ins südliche Württemberg befand:

Lieblich war die Maiennacht,

Silberwölklein flogen,

Ob der holden Frühlingspracht

Freudig hingezogen.

 

Schlummernd lagen Wies՚ und Hain,

Jeder Pfad verlassen,

Niemand als der Mondenschein

Wachte auf der Straßen.

Erst ab der fünften Strophe tritt der Postillon, die Hauptgestalt des Gedichts, in Erscheinung. Er hat weder ein Auge für das „blühende Revier“ noch ein Ohr für die „stillen Räume“. Ihm geht es nur darum, schnell voranzukommen:

Feld und Wald im raschen Zug

Kaum gegrüßt – gemieden,

Und vorbei wie Traumesflug

Schwand der Dörfer Frieden.

Als sich die Postkutsche dem Kirchhof in Steinhofen nähert, wird der Postillon „stiller jetzt und trüber“. Er hält die Rosse an und wendet sich an die Reisenden:

„Halten muß hier Roß und Rad,

Mag՚s euch nicht gefährden!

Drüben liegt mein Kamerad

In der kühlen Erden!

 

War ein herzlieber Gesell,

Herr, ՚s ist ewig Schade;

Keiner blies das Horn so hell,

Wie mein Kamerade.

 

Hier ich immer halten muß,

Dem dort unter՚m Rasen

Zum getreuen Brudergruß

Sein Leiblied zu blasen.“

Die Reisenden werden nun Zeuge einer ergreifenden Totenehrung des Postillons für seinen dort zur letzten Ruhe gebetteten Kameraden:

Und dem Friedhof blies er zu

Frohe Wandersänge,

Daß es in die Grabesruh

Seinem Bruder dränge.

 

Und des Hornes heller Ton

Klang vom Berge wieder,

Ob der todte Postillon

Stimmt՚ in seine Lieder.

Auf Lenau hinterließ diese Begebenheit einen unvergesslichen Eindruck:

Weiter ging՚s durch Feld und Hag

Mit verhängtem Zügel;

Lang mir noch im Ohre lag

Jener Klang vom Hügel.

Mit seinem Gedicht „Der Postillon“ hat Lenau dem Postkutscher, auch Postillon genannt, und dem Posthorn ein kleines dichterisches Denkmal gesetzt. Er muss von der Persönlichkeit des Postillons und seiner Blaskunst wohl sehr beeindruckt gewesen sein. Durch seine unzähligen Reisen (besonders zwischen Wien und Stuttgart, aber auch durch Württemberg), die ausschließlich mit der Postkutsche erfolgten, ist ihm das Posthorn als Reisebegleitinstrument ans Herz gewachsen.

Lenau hatte bereits in einem früheren, weniger bekannten Gedicht mit dem Titel „Das Posthorn“ die Rolle dieses Instruments in einer poetisch rührenden Weise dargestellt. Der Erstdruck des 1831 entstandenen Gedichts erfolgte in Lenaus Debütband „Gedichte“, erschienen 1832 im Cotta-Verlag Stuttgart/ Tübingen.

In der ersten Strophe ahnt man noch nicht, dass es ums Posthorn geht, es ist noch in weiter Ferne:

Still ist schon das ganze Dorf,

Alles schlafen gangen,

Auch die Vöglein im Gezweig,

Die so lieblich sangen.

Der Dichter bereitet dem Posthorn vorsichtig den Auftritt vor, in den nächsten Strophen besingt er den Mond, den Bach und bringt sich selbst ein. Erst in der sechsten Strophe lässt er das Posthorn klingen:

Ferne, leise hör’ ich dort

Eines Posthorns Klänge,

Plötzlich wird mir um das Herz

Nun noch eins so enge,

um in der zehnten Strophe sich schon von ihm zu verabschieden:

Schon verhallt des Hornes Klang

Ferne meinem Lauschen,

Und ich höre wieder nur

Hier das Bächlein rauschen.

Lenau muss wohl von diesem Blechblasinstrument und seinen Signalen sehr angetan gewesen sein, was in beiden Gedichten zum Ausdruck kommt. Obwohl das Posthorn nur fünf Naturtöne hervorbringen kann (mit einem Tonloch kann der Tonumfang etwas erweitert werden), wusste Lenau als versierter und leidenschaftlicher Geiger die Kunstfertigkeit der Postillone zu schätzen. Er erlebte auf seinen Reisen verschiedene Postillone und erkannte dank seiner Musikalität jeden einzelnen an der Art des Blasens.

An dieser Stelle ein kleiner persönlicher Einschub: Anlässlich des 200. Geburtstags des Dichters konnte ich als Teilnehmer eines internationalen Symposiums des Deutschen Literaturarchivs Marbach bei einer anschließenden Exkursion der Lenau-Stätten in Weinsberg auch Justinus Kerners (1786-1862) Gartenhaus besichtigen, wo Lenau oft bis in die Nacht hinein das Geigenspiel pflegte. Die Klänge waren mit ein bisschen Fantasie noch greifbar. Lenau, der in Württemberg eine zweite Heimat gefunden hatte, wurde im schwäbischen Dichterkreis um Justinus Kerner enthusiastisch aufgenommen: „Niembsch ist freilich ein großer neuer Genius. Er versprach herzukommen, und dann musst Du auch kommen. Ihr könnt im Alexanderhäuschen im großen Garten wohnen, das drei Piecen hat, die man einheizen kann“, schrieb Kerner an Karl Mayer (1786-1870) im Januar 1832. Seinen Namen „Alexanderhäuschen“ erhielt das romantische Gartenhaus nach Alexander Graf von Württemberg (1801-1844), der ebenfalls dem Dichterkreis angehörte. Auch in dessen Schloss Serach bei Esslingen war Lenau ein gern gesehener Gast, zumal der Graf sein feurigster Verehrer war und mit ihm Weltschmerz und Schwermut teilte. Unweit des Schlosses, in der Lenauanlage, steht seit 1903 eines der größten Lenau-Denkmäler, ähnlich denen in Lenauheim und im Schillerpark in Wien. Das Denkmal mit der Büste Lenaus auf einem Steinpostament ist ein Werk des Stuttgarter Bildhauers Emil Kiemlen (1869-1956).

Man kann die Tonerzeugung auf dem ventillosen Posthorn, das mit Tonlöchern versehen ist, auch mit der Flugfähigkeit der Hummel vergleichen: Sie kann wegen des Verhältnisses der Körpergröße zu den Flügeln nur eingeschränkt fliegen, aber trotzdem fliegt sie. Freilich erfordert die Blastechnik einen versierten Posthornbläser, der mit einer geübten Ansatztechnik das Instrument zu bedienen vermag.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kamen auch Posthörner mit zwei oder sogar drei Tonlöchern auf – ähnlich den Naturtrompeten und Naturwaldhörnern. Nach der Erfindung des Ventilsystems (Dreh- beziehungsweise Pumpventile) um 1814, dauerte es nicht lange, bis auch das Posthorn mit Ventilen ausgestattet wurde. So konnten auch die Posthornbläser den ganzen Tonumfang im Ambitus dieses Instruments melodisch spielen beziehungsweise Lieder vortragen.

Das Instrument fand allmählich auch Eingang in die Kunstmusik. Zahlreiche Komponisten schrieben auch für das Posthorn. Leopold Mozart (1719-1787) komponierte eine Postsinfonie. Sein Sohn Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) nahm sich ebenfalls des Posthorns an und schrieb 1779 die sogenannte Posthorn-Serenade (Serenade für Orchester No. 9 in D-Dur), in welcher er eine der schönsten Melodien erklingen lässt, die jemals für das Naturposthorn komponiert wurden. In einer Sinfonie von Michael Haydn (1737-1806) findet sich im Trio des Menuetts ein Posthornsolo. Ludwig van Beethoven (1777-1827) komponierte 1795 Zwölf Deutsche Tänze für Orchester für die Redoute (Maskenball) der Pensionsgesellschaft bildender Künstler Wiens. Der zwölfte Tanz endet mit einer Coda als virtuosem Posthornsolo.

Mit der Erfindung der Ventile folgten weitere Komponisten dem Beispiel Mozarts und Beethovens, so Gustav Mahler (1860-1911). In seiner 3. Sinfonie in d-Moll ist im dritten Satz in einem ersten langen Trio ein Posthornsolo zu hören, und auch im zweiten Trio erklingt dieses Instrument.

Im 19. Jahrhundert, in der Zeit der Romantik, entstanden etliche Vertonungen von Gedichten, unter anderem auch zwei Vertonungen von Lenaus Gedicht „Der Postillon“: zum einen von dem in Wien tätigen Theaterkapellmeister und Komponisten Adolf Müller (1801-1886) für Sopran, Klavier und obligates Posthorn (op. 44, 1841), zum anderen von Heinrich Weidt (1824-1901), der von 1867 bis 1872 als Kapellmeister und Opernkomponist in Temeswar wirkte, für Männerquartett mit obligatem Posthornsolo (op. 69).

Zu Nikolaus Lenaus 220. Geburtstag habe ich beide Gedichte, „Der Postillon“ und „Das Posthorn“, für Erzähler, Rezitator und Posthorn eingerichtet. Die Uraufführung fand am 29. Mai dieses Jahres als Gedenkfeier am Lenau-Brunnen in Steinhofen statt.

Hier in Steinhofen, einem Ortsteil der Gemeinde Bisingen, erhielt Lenau die Inspiration zu seinem Gedicht „Der Postillon“. Das von ihm aufgegriffene Motiv zieht sich durch die jüngere Geschichte Steinhofens. Ein Steinrelief, auf dem die Postkutsche mit dem das Posthorn blasenden Postillon dargestellt ist, umrahmt von den Versen der zwölften Strophe aus Lenaus „Postillon“ („Halten muß hier Roß und Rad! / Mag’s euch nicht gefährden: / Drüben liegt mein Kamerad / In der kühlen Erden!“) zierte ab 1922 das Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, das bis 1956 vor der Steinhofener Kirche stand. Danach wurde es ersetzt durch das heutige Kriegerdenkmal für die Toten beider Weltkriege. Als selbstständiges Lenaudenkmal hängt das Relief heute am Fuß des Kirchhügels. Die Steinhofener widmeten Lenau ein weiteres Denkmal: 1981 wurde die von dem Tuttlinger Bildhauer Roland Martin geschaffene Bronzefigur „Der Postillon“ am Lenau-Brunnen eingeweiht.