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Dichter einer versunkenen Lebenswelt (Teil1)

Josef Gabriel d.J. im Alter von etwa 35 Jahren

Das Geburtshaus von Josef Gabriel d.J. in Mercydorf

Im Zeugnis für das Schuljahr 1926/27 an der Landwirschaftsschule Ladenburg sind die Leistungen der Schüler in allen Fächern dokumentiert. Hier ein Auszug von der ersten Seite mit den Noten für Betragen und Fleiß samt Durchschnittsnote. Josef Gabriel steht unter Ziffer 11.

„Nebst seinem Stand eine freie Kunst zu üben, verschönert das Leben und gefällt Gott und den Menschen.“ Diesen Leitgedanken setzte Josef Gabriel (1853-1927), später „der Ältere“ genannt, seinen ersten Gedichten voran. Die Dichtkunst mit dem bäuerlichen Dasein und der dörflichen Gemeinschaft zu verknüpfen, war von aller Anfang an der Sinn seines Schreibens. Er konnte Ende des 19. Jahrhunderts nicht ahnen, dass sein Dichten und sein Wirken als Volkskundler eine besondere Bedeutung für die literarische und traditionsbewusste Eigenständigkeit der Banater Schwaben gewinnen sollte. Heute gehört sein Werk wie jenes seines Enkels Josef Gabriel des Jüngeren zum unverlierbaren banatschwäbischen Literatur- und Kulturerbe.

Josef Gabriel der Jüngere wurde 1907 in Mercydorf geboren und hat wie sein Großvater „Pflug und Feder“ mit der gleichen Gewandtheit geführt. Doch bei aller Identifikation mit der banatschwäbischen Lebenswelt, die in seiner Dichtung eindrucksvoll aufscheint, ging sein Selbstverständnis als Dichter weit hinaus über jenes seiner Vorgänger in der Banater Heimatdichtung.

Sein Werk konnte er nicht vollenden, denn er verstarb in seinem vierzigsten Lebensjahr als Opfer der Russlanddeportation. An sein Schicksal und an seine herausragende dichterische Leistung soll hier aus Anlass der fünfundsiebzig Jahre seit seinem Tod erinnert werden.

Ausbildungsjahr in Deutschland

Die biographischen Lexika bieten nur spärliche Angaben über Josef Gabriel d. J., wobei die Russlanddeportation des Dichters in den Publikationen des sozialistischen Rumäniens mit keinem Wort erwähnt werden durfte. Dr. Anton Peter Petri nennt als Quelle für seine Angaben im „Biographischen Lexikon des Banater Deutschtums“ (1992) eine Mitteilung von Hans Diplich, dem frühen Förderer und Dichtergefährten Gabriels. Auf eingehendere Recherchen über Leben und Werk Josef Gabriels d.J. stützt sich Luzian Geier in seiner biographischen Reihe „Kleines NBZ-Lexikon. Banatdeutsche Persönlichkeiten“ (Folge 59, NBZ vom 6. Juni 1982).

In seinem Heimatort Mercydorf besuchte Gabriel die Volksschule und arbeitete sodann in der väterlichen Bauernwirtschaft, die er 1936 übernehmen sollte. Wohl im Blick auf diese bäuerliche Zukunft belegte er einen einjährigen Lehrgang an der traditionsreichen Landwirtschaftsschule in Ladenburg bei Mannheim, gegründet 1868. Gabriels Jahr in Deutschland – 1926/27, nicht 1927/28 wie bisher angenommen – dürfte ihm nicht nur eine wichtige, theoretisch fundierte Einführung in den Beruf des Landwirts vermittelt haben. Es hat dem neunzehnjährigen Bauernjungen gewiss Anregungen für seine Allgemeinbildung mitgegeben. Dies ist dem Zeugnis-Auszug für das „58. Schuljahr 1926/27“ zu entnehmen, aufbewahrt im „Zeugnisbuch der Landwirtschaftsschule Ladenburg a.N. 1919-1943“ (Kreisarchiv Rhein-Neckarkreis). Darin sind die Schüler des Jahrgangs mit ihren Lernergebnissen aufgelistet.

In der alphabetischen Reihenfolge steht unter Ziffer 11: Gabriel, Josef; Heimatort: Mercydorf; Bezirksamt: Rumänien. Die Schüler kamen fast ausschließlich aus den ländlichen Ortschaften der Bezirke Mannheim und Weinheim. Josef Gabriel war der einzige aus dem Ausland unter den im Auszug aufgelisteten zwanzig Mitschülern, und er gehörte zu den Besten seines Jahrgangs. Dass er neben den landwirtschaftlichen Fächern wie Acker- und Pflanzenbau, Gemüse- und Obstbau u.a. auch im Fach Deutsch zu den Spitzenschülern zählte, lässt nicht nur auf seine sprachliche Begabung schließen, sondern auch auf das beachtliche Niveau der Banater deutschen Schulen.

Aus eigener Kraft eignete sich Josef Gabriel d.J. eine literarische Bildung an, so dass seine Gedichte in der Hochsprache sich an bewährte poetische Formen der deutschen Literatur anlehnten und anspruchsvolle poetische Gestaltungsmittel auch in seiner Mundartdichtung wirksam wurden. Sein hoher poetischer Anspruch ließ eine Doppelexistenz als Bauer und Dichter nicht in voller Harmonie zu. Er fügte sich anscheinend in das Unvermeidliche.

Diesen Zwiespalt lässt sein frühes Gedicht „Eingebung“ (Banater Monatshefte, 8/1935) vermuten. Ein tiefgreifendes Lebensbild, geprägt von Melancholie und Resignation, von einer emotionalen Weltsicht, die auch einem großen Teil seiner Heimatgedichte eigen ist:

 

Mit stolzen Augen schreiten wir ins Leben,

Begehren Einlass, wo ein Lorbeer steht,

Und wo aus Hallen groß ein Glänzen geht,

Und müssen uns doch anderem ergeben

 

Und müssen Dingen, die so täglich sind

wie Staub, die Kraft von unsern Stunden geben.

Wir schaun zur Schale hin und sagen:Leben!

Schwer wiegt dies Wort, umhaucht von Rauch und Wind,

 

und prägt sich tief in unsere Angesichter.

Bis wir um Letztes wissen, offenbar,

bis unsre Herzen still wie ein Altar,

an dem erloschen sind des Festtags

Lichter.

Literarischer Hoffnungsträger

In den dreißiger Jahren gehörte Gabriel d.J. zur jungen Dichtergeneration um Hans Diplich, Rudolf Hollinger, Hans Wolfram Hockl und anderen, die in der Zeitschrift „Banater Monatshefte“ publizierten und der einheimischen deutschen Literatur neue Impulse gaben. Zu den programmatischen Zielen der „Banater Monatshefte“ gehörten die Förderung der einheimischen deutschen Literatur und Kultur, die Besinnung auf eigene Tradition und Geschichte (Ansiedlungszeit) und damit die Stärkung des nationalen Bewusstseins der Banater Deutschen.

Josef Gabriel d.J. blieb vom herrschenden Zeitgeist nach dem Ersten Weltkrieg und auch in den dreißiger Jahren nicht unberührt. Politische Tendenzdichtung war ihm jedoch fremd. Es ging ihm vielmehr um den Fortbestand der tradierten banatschwäbischen Lebenswelt, mit der er sich identifizierte und der er sein dichterisches Schaffen widmete. Ein tief empfundenes Heimatgefühl durchzieht denn auch sein gesamtes lyrisches Werk. Die tiefe Verwurzelung und organische Zugehörigkeit des Bauern zu dem von ihm mit äußerster Anstrengung erworbenen und mitgestalteten Banater Land spricht aus vielen seiner Gedichte in der Hochsprache, die gesammelt in den Bänden „Saatgang“ (1939) und „Am Heidebrunnen“ (1943) erschienen sind.

Das Dorf wird von Gabriel als Lebensgemeinschaft angesprochen. Nicht selten wird die Beharrlichkeit, der Fleiß des Bauern zur Tugend der Gemeinschaft erhoben und gepriesen. In solchen Gedichten sind Zuversicht und Zukunftsglaube bestimmend („Erntedank“). Doch der Fortbestand einer intakten Welt des pflügenden, säenden und erntenden Bauern wird in seinen hochsprachlichen Gedichten auch angezweifelt: „Gabriel spürte instinktiv, dass die altfränkischen Daseinsformen des schwäbischen Dorfes in Auflösung begriffen waren, ohne den historischen Aspekt dieser Erscheinung nach Ursache, Ursprung und Entwicklungsrichtung zu erkennen.“ (Erich Lammert: Wohlklingende Strophen. In: NBZ, 4. Oktober 1970)

Saat und Ernte können als Grundmotive von Gabriels Lyrik bezeichnet werden. Sie benennen wesentliche Momente des bäuerlichen Jahresablaufs und des Daseins schlechthin. Die Ernte erscheint als Fest der Arbeit, als Erfüllung eines schaffensreichen Jahres. Doch ist sie nicht nur Anlass zu reiner Freude, sondern auch zu dunkler Vorahnung: „Es steht der Bote/des Todes am Stoppelsaum und Hagedorn.“

Als exemplarisch für Gabriels dörflich-bäuerliche Dichtung kann sein Gedicht „Der Schnitter“ gelten, mit dem er seinen Band „Saatgang“ eröffnet. Es vermittelt ein abendliches Stimmungsbild auf dem ab-geernteten Ackerfeld. Mensch und Natur sind in eins verwoben. Der „Schnitter“ hat sein Tagwerk vollbracht und lässt seinen Blick über das Stoppelfeld gleiten, auf dem die „Garbenkreuze dunkeln“:

….

Der Schnitter lehnt an seiner Sense Schaft,

Zu seinen Füßen liegen Krug und Napf.

Er trank daraus, es trank der Tag von seiner Kraft.

Ein Stoppelfeld liegt unter seinem Stapf.

 

Der Schnitter denkt: Der Tag hat abgeschirrt.

Und nimmt die Sense, schultert sie und geht

Dem Dorfe zu, dem Haus, das unbeirrt

Gefügt, in seiner Welt dasteht.

 

In weiteren Gedichten Gabriels wird das Motiv des Schnitters zunehmend assoziiert mit dem Gefühl der Vergänglichkeit und letztlich mit Todesahnung. Im deutschen Volkslied „Es ist ein Schnitter, der heißt Tod“ wird das Bild des Schnitters aus der realen bäuerlichen Welt transponiert in eine imaginäre todbringende Erscheinung, Schnitter und Tod werden eins. Dieser Umdeutung des Schnitter-Motivs begegnen wir auch in Gedichten Gabriels („Der Schnitter Tod“), wobei er damit verbunden die gefährdete Existenz der schwäbischen Dorfgemeinschaft beklagt und an die Siedlungsgeschichte erinnert, so in „O Herr“:

Oftmals schon hielt seitdem der Schnitter seine Küre,

Und Särge standen da und Kinderlachen klang um Wiegen,

Geschlechter gingen ein und aus durch seine Türe,

Gleich einem Quell, der fließt – o Herr muss er versiegen?

 

Gnad´uns, o Herr, das Feld, auf dem wir

Wurzel schlugen

Es ruft um Kraft, um Hände fleht es,

mütterlich im Werben.

Das Haus, das uns gestampft ward, reißt

und durch die Fugen

Zieht Kälte ein und vorzeitiges Sterben.

Das hochsprachliche Werk Josef Gabriels d.J. ist hier keineswegs vollständig skizziert. Dazu gehören empfindsame Natur- und Liebesgedichte, balladeske Dichtungen über historische Gestalten (Prinz Eugen) oder nach Sagen und Mythen (Hagen aus dem Nibelungenlied).

Einen dritten Gedichtband, den er 1944 in Vorbereitung hatte, konnte er infolge der Russlandverschleppung nicht mehr abschließen. Die maschinengeschriebene Sammlung, die ich in den siebziger Jahren noch in Temeswar kurz einsehen konnte, trägt die Überschrift „Gedichte von Josef Gabriel d.J., Mercydorf, im März 1944“.

Erst zwei Jahrzehnte nach seinem Tod wurde erstmals sein in der Mundart verfasster Gedichte-Zyklus „’s schwowisch Johr“ in der Anthologie „Schwowische Gsätzle ausm Banat“ (1969) veröffentlicht.