zur Druckansicht

Archäologische Spurensuche in Neubeschenowa

Die Schwarzwäldergasse vom ehemaligen Friedhofshügel aus gesehen. Foto: Thorsten Muth

Die frisch renovierte barocke Pfarrkirche Sankt Wendelin (1751) in Neubeschenowa Foto: Thorsten Muth

Fundstücke: Hölzerne Anhänger eines Rosenkranzes (18. Jahrhundert; Banater Nationalmuseum Temeswar)

Hinter fast jedem Tor in Dudeştii Noi, der banatschwäbischen Ortschaft Neubeschenowa, lauert ein wachsamer Hund und kommentiert fremde Spaziergänger mit wildem Gebell. Hier und da ergreift ein Frosch die Flucht ins frische Aprilregenwasser der Straßengräben, im Hintergrund kräht sich Federvieh die Seele aus dem Hals. Das Land-idyll, für jede glaubhafte Beschreibung schon beinahe zu klischeehaft, wird nur von den Fords, Dacias und VWs getrübt, die vor den Häusern in der blassen Sonne warten. Mehr als elf Jahre sind seit meinem letzten Besuch vergangen, doch nun wandere ich endlich wieder die vom frischen Gras und gelben Löwenzahn eingerahmten Dorfstraßen entlang.

Langgestreckte Bauernhäuser säumen die ehemalige Schwarzwäldergasse, einstöckig, aber nicht niedrig, streng parallel zueinander. Ihren Namen hat die Straße von den damaligen Bewohnern, die aus dem südwestdeutschen Hotzenwald gekommen waren und um die Mitte des 18. Jahrhunderts hier angesiedelt wurden. Die aufständischen „Salpeterer“ aus Görwihl, Birndorf und Herrischried, die gegen das Kloster St. Blasien aufbegehrt hatten, verschlug es im Gegensatz zur großen Mehrheit der Siedler in Neubeschenowa nicht aus freien Stücken ins Banat: Zweimal im Jahr schwappte der sogenannte „Temeswarer Wasserschub“ aufsässige Leibeigene, Landstreicher und andere bei der Obrigkeit unbeliebte Personen die Donau hinunter, wo sie neben zehntausenden anderen Menschen in einem der am Reißbrett geplanten deutschen Dörfern der Banater Heide, mit ihren breiten, schnurgeraden Straßen, ein neues Zuhause fanden.

Ein Zufallsfund von historischer Bedeutung

Was die meisten der heutigen Neubeschenowaer nicht wissen dürften: Die süddeutschen Erstansiedler haben in der Schwarzwäldergasse nicht nur gelebt, sondern sie wurden auch ganz in der Nähe begraben. Am unteren Ende der Straße, die heute Strada Dealului heißt und deren Verlängerung sich den Hügel hinauf zu einem gerade entstehenden Wohngebiet zieht, stießen Arbeiter beim Straßenbau auf menschliche Überreste. Als immer mehr Knochen zum Vorschein kamen, holte man sich fachkundige Hilfe aus Temeswar.

Professor Dan Leopold Ciobotaru (Jg. 1968) kann seinen Frust kaum verbergen: „Man hat uns leider erst sehr spät gerufen, die neue Straße war bereits fertig geteert.“ Der Chef-archäologe des Banater Nationalmuseums empfängt mich im ersten Stock der Maria-Theresia-Bastion, wo sich gleich mehrere Wissenschaftler ein Büro teilen, zum Gespräch. Einige Etagen unter uns, im Kellergeschoss der altehrwürdigen österreichischen Festung, lagern die Gebeine aus Neubeschenowa. Genauere Untersuchungen sollen Antworten auf eine ganze Reihe von Fragen geben: Wie haben sich die ersten Banater Schwaben ernährt, wie groß waren sie und wie alt sind sie geworden? Und woran sind sie gestorben?

Die Studie wird voraussichtlich erst nächstes Jahr fertig sein, doch Ciobotaru gewährt mir schon jetzt ein paar Einblicke. An seinem Computer zeigt er mir Luftaufnahmen und Bilder der Ausgrabungsarbeiten, die zwischen Oktober 2020 und Mai 2021 stattgefunden haben. Die Größe des ehemaligen Friedhofs ist erstaunlich: Das Team des Museums sowie eine Gruppe von Archäologen der Temeswarer Universität konnten auf beiden Seiten der Strada Dealului etwa 300 Skelette lokalisieren. Schätzungen zufolge sind auf dieser Fläche zwischen 1748 und 1838 ganze 500 Bestattungen erfolgt, bis Pest und Cholera mehr als 200 Menschen dahinrafften und die Einweihung des neuen, bis heute benutzten Friedhofs nötig machten. Grabsteine sind keine erhalten, vermutlich wurden damals ausschließlich Holzkreuze verwendet.

Keine Metallknöpfe oder Ledersohlen

Aus den Erkenntnissen der Archäologen lassen sich nicht nur Rückschlüsse auf das Leben und Sterben der Erstansiedler ziehen, sondern auch auf ihre Traditionen. Professor Ciobotaru war erstaunt, dass die Verstorbenen alle ohne Schuhe bestattet worden waren: „Sohlen und andere lederne Bestandteile bleiben über Jahrhunderte erhalten. Während solche Überreste in Gräbern der damaligen Zeit häufig entdeckt werden, haben wir in Neubeschenowa nichts dergleichen gefunden.“ Auch Metallknöpfe hätten weitgehend gefehlt, berichtet Ciobotaru. „Die Toten wurden sehr ärmlich begraben.“ Der erfahrene Archäologe führt diese Entdeckungen allerdings nicht auf die katastrophalen Lebensumstände der ersten Siedler zurück, sondern vermutet vielmehr einen religiösen Hintergrund. Bei der Anwerbung von Auswanderungswilligen durch die Wiener Hofkammer war vor allem der katholische Glaube ausschlaggebend gewesen, mehr noch als die deutsche Sprache. Persönliche Grabbeigaben, wie sie bei orthodoxen Rumänen heute üblich sind, waren den frommen katholischen Erstansiedlern von Neubeschenowa fremd. Nur in einem einzigen Fall sei man an einer Fundstelle auf zwei bronzene Ringe gestoßen. Ein Stück weiter wurde ein metallenes Medaillon geborgen, es zeigt Maria und das Jesuskind auf der einen Seite und den gegeißelten Christus auf der anderen (die „Banater Post“ berichtete im Dezember 2021). Selbst Kreuze oder Rosenkränze seien selten gewesen. Von einer einzigen Kette sind jedoch mehrere hölzerne Anhänger erhalten: Hände und Füße, ein Herz, ein Abendmahlkelch, jeweils nur einen Zentimeter groß. Rosenkränze mit solcherlei Christussymbolen seien im 18. Jahrhundert im süddeutschen Raum verbreitet gewesen, erfahre ich.

Dan Ciobotaru macht mich am Ende noch auf die beiden Tannen aufmerksam, die in einem Innenhof der Schwarzwäldergasse in die Höhe ragen. Die Bäume seien typisch deutsch, behauptet er, erinnerten sie die frühen Banater Schwaben doch an ihre waldreiche Heimat. Heute würden sie allerdings seltener: „Orthodoxe Rumänen denken bei Tannen an einen Friedhof und wollen diese Bäume deshalb nicht vor dem eigenen Haus haben.“

Mit den Schwaben, ihren Tannen und den deutschen Namen im Stuck der Häusergiebel, die mittlerweile zusehends seltener werden, verschwindet auch viel Wissen um die Geschichte des Ortes. Das zeigt sich auch am Beispiel der jüngsten Ausgrabungen: Obwohl es sich bei der Entdeckung des hiesigen Erstansiedler-Friedhofs um einen Zufallsfund handelt, so war die ungefähre Lage doch schon immer bekannt. Bereits meine Großmutter wusste zu berichten, wie in ihrer Jugend manchmal Knochen auf dem Hang zum Vorschein kamen. Unweit der Fundstelle bewirtschafteten ihre eigenen Großeltern Weingärten. Auch auf Spuren des Weinbaus vergangener Tage stießen die Archäologen, außerdem fanden sie am oberen Ende des Hanges Siedlungsspuren aus der Bronzezeit. Knapp dreitausend Jahre Geschichte, versammelt auf engstem Raum.

Ein Dorf im Wandel

Neubeschenowa hat in den letzten zwanzig Jahren einen Aufschwung erfahren. Während Kommunen wie Großjetscha, Billed oder auch Nitzkydorf (Heimatort von Herta Müller) mit stetigem Schwund zu kämpfen haben, entstehen hier Gewerbegebiete und Neubausiedlungen. Die Nähe zur Großstadt, die ihren Speckgürtel immer weiter ausbreitet, hat dabei zweifellos geholfen. Während sich Temeswar anlässlich seines Titels der Europäischen Kulturhauptstadt 2023 bemüht, den Gästen von nah und fern ein möglichst vielseitiges und reiches Programm zu bieten, hat Neubeschenowa mit der ältesten Barockkirche des Banats seinerseits ein wichtiges Ziel auf die touristische Landkarte gesetzt. Die Kirche St. Wendelin (1751) wird zurzeit umfassend saniert, die Altäre sind zur Restauration ausgebaut worden. Eineinhalb Millionen Euro kostet das Projekt, das neben der renovierten Kirche auch ein brandneues Ortsmuseum im ehemaligen Pfarrhaus und einen angrenzenden öffentlichen Park mit Pavillon umfasst. Alles befindet sich noch unter Konstruktion. Ein Drittel des Geldes hat die Gemeinde selbst gestemmt, der Rest kam von der EU. Mit etwas Glück lockt die Ortschaft bald Tagesausflügler an.

Das Wohngebiet, welches oberhalb vom ehemaligen Friedhofshang entsteht, zählt erst eine Hand voll Häuser, doch die neuen Straßen tragen schon Namen. Strada Amsterdam und Strada Berlin, ein Stück weiter: Strada Kiev und Strada Moscova. Die Hoffnung auf ein geeintes Europa ist hier in den Boden geteert, ein trauriges Ausrufezeichen in Zeiten des Ukraine-Krieges und der Flüchtlingsströme. Wanderungsbewegungen, ob die Flucht vor kriegerischer Verwüstung oder die Suche nach einem besseren Leben, waren stets Teil der gemeinsamen europäischen Geschichte. Nur wenige Meter entfernt, auf dem alten Erstansiedler-Friedhof, endeten viele der Schicksalsfäden, die sich seit jeher über den Kontinent gespannt haben. Wo genau die Überreste unserer Ahnen nach Abschluss der Untersuchungen ihre allerletzte Ruhe finden werden, ist noch nicht abschließend geklärt. Aber sie sollen in einem Sammelgrab bestattet werden, in Banater Erde, in der sie ursprünglich gebettet worden waren.