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Auf Tarzans Spuren durch die Welt (Teil 1)

Als Schwimmer blieb Johnny Weissmüller unbesiegt. Foto: imago

Die Freiheitsstatue in New York Foto: Helmut Heimann

Die Statue des größten Weissmüller-Konkurrenten Duke Kahanamoku am Waikiki-Strand auf Hawaii. Foto: Helmut Heimann

Der Name von Johnny Weissmüller zieht sich wie ein roter Faden durch mein ganzes Leben. Als ich erstmals von ihm erfuhr, war ich ein Knirps von 13 Jahren. Wie groß war meine Freude, als ich vom Carl Habel Verlag aus Darmstadt das Buch „Schicksalsstunden des Sports“ (Redaktion Bodo Harenberg) nach Großjetscha geschickt bekommen habe. Ich hatte den Verlag angeschrieben und darum gebeten. Es war eines von vielen Sportbüchern, die ich als Kind von deutschen Verlagen kostenlos ins Banat erhalten habe. Das Buch schildert Höhepunkte aus siebzig Jahren Sportgeschichte, vollbracht von Cassius Clay, Eusébio, Bob Beamon, Rod Laver, Jesse Owens, Pelé, Armin Hary, Sonny Liston, Eddy Merckx, Alwin Schockemöhle, Paavo Nurmi, Gerd Müller, Toni Sailer oder Max Schmeling, um nur einige der porträtierten siebzig Sportler zu nennen. Namen, die auf der Zunge zergehen. Ihre Glanzleistungen fesselten mich so sehr, dass ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte.

„Tu erst das Notwendige, dann das Mögliche, und plötzlich schaffst Du das Unmögliche.“    (Franz von Assisi)

Eine Geschichte zog mich besonders in ihren Bann. Sie hieß „Der Schwimmer, der Tarzan wurde“ von Hermann Heckmann und handelt von Johnny Weissmüller. Die restlichen 69 Frauen und Männer aus dem Buch sorgten ebenfalls für Glanzleistungen. Aber Weissmüller allein wurde vom Sport- zum Filmstar. Das beeindruckte mich, obwohl ich damals noch nicht wusste, wer dieser Tarzan eigentlich war. Und schon gar nicht, dass er aus Freidorf unweit meines Geburtsortes Großjetscha stammt.

Ich stürzte mich auf die Geschichte und obwohl sie wegen der alphabetischen Reihenfolge der Porträtierten zur drittletzten im Buch gehörte, las ich sie als erste. So erfuhr ich, wie der kleine Johnny zum Schwimmen kam. Weil er zu klein für sein Alter und kränklich war, verordneten ihm die amerikanischen Ärzte Schwimm-unterricht. Vater Peter musste das wasserscheue Kind an die Hand nehmen, damit es in den am Haus in Windber (Pennsylvania) vorbeifließenden Bach stieg. Das geschah in den USA, wohin Familie Weissmüller  wie viele andere Banater Schwaben, 1905 ausgewandert ist.

Zunächst ging Johnny mit einem Gummiring ins Gewässer, machte vorsichtige Arm- und Beinbewegungen. Als die Familie aus Windber ins donauschwäbische Viertel nach Chicago umzog, begann der Junge im nahen Michigansee zu schwimmen. Manchmal auf Zeit, indem er die Taschenuhr weglegte, losschwamm und nach der Rückkehr auf die Zeiger blickte, um zu sehen, wie lange er für die zurückgelegte Strecke gebraucht hatte.

Mit 13 Jahren wollte er Schwimmunterricht in einem Chicagoer Verein nehmen, aber der Trainer jagte den schmächtigen, körperlich unterentwickelten Jungen weg und verspottete ihn. Doch Johnny gab nicht auf, ging zu einem anderen Klub und wurde aufgenommen. Trainer William „Bach“ Bachrach begann, ihn zu trimmen und der Junge machte rasch Fortschritte. Kein Wunder, dass er ein Jahr später an der amerikanischen Juniorenmeisterschaft teilnahm. Mit 16 Jahren trainierte er bereits täglich sechs Kilometer, ein für die damalige Zeit beachtliches Pensum. Ein Jahr später schwamm er die ersten Bestmarken. Mit 18 Jahren hatte er schon zwölf Weltrekorde aufgestellt. Ein Schwimmstern war am Firmament aufgegangen.

Ebenfalls mit 18 knackte Johnny in Kalifornien eine Schallmauer: An jenem 9. Juli 1922 spürte er, dass er es schaffen würde und sagte zum Trainer: „Bach, ich werde heute den Weltrekord verbessern. Pass auf, dass die Zeitnehmer alles richtig machen.“ Karl Morgenstern schrieb 1974 in „Die Zeit“: „Im exakt 100 Yards langen Bassin von Alameda kraulte Johnny Weissmüller 58,60 Sekunden über 100 m Freistil. Es war ein Rennen mit einer Wende und wurde zum legendenumwobenen Rechenexempel für die Kampfrichter: 100 Meter in einem 100-Yards-Bassin zu schwimmen und von dieser kuriosen Distanz auch noch die korrekte Zeit festzuhalten, ist gar nicht so einfach. Doch diese 58,60 Sekunden wurden Sportgeschichte.“ Johnny Weissmüller ist als erster Mensch auf der Welt die 100 Meter Kraul in weniger als einer Minute geschwommen. Er hatte einen Rekord für die Ewigkeit aufgestellt.

Am kommenden 9. Juli werden es hundert Jahre seit Weissmüllers Fabelleistung. Bis heute wurde seine Bestmarke 39-mal verbessert. Sie liegt zurzeit bei 46,91 Sekunden und damit 11,69 Sekunden unter Weissmüllers Rekord, was seine historische Leistung umso mehr unterstreicht. Ihn schwimmen zu sehen, sei „ästhetischer Genuss“ gewesen, beschrieb ein österreichischer Sportfotograf Weissmüllers Stil. Weil er den Kopf hoch aus dem Wasser hielt, mit weiten Armschlägen und paddelnden Füßen schwamm, wurde er „menschlicher Schwertfisch“ genannt. Besonders spektakulär ist sein starkes Finish gewesen.

Für Weissmüller war dieser Meilenstein der Schwimmgeschichte Startschuss zu einer Bilderbuchkarriere als Sportler und danach Schauspieler. Er holte fünfmal Gold im Schwimmen bei zwei Olympischen Sommerspielen (1924 in Paris, 1928 in Amsterdam) sowie einmal Olympiabronze im Wasserball. Was ihn von allen anderen Sportlern bis auf den heutigen Tag unterscheidet: Er hat jeden offiziellen Wettkampf gewonnen. Unglaublich, aber wahr! Weissmüller errang 52 amerikanische Meistertitel und schwamm 67 Weltrekorde. Das schaffte also jemand, dem die Ärzte als kränklichem Kind eine Lebenserwartung von höchstens 30 Jahren prophezeit hatten. Und der es später auf ein Gardemaß von 1,91 Meter sowie 90 Kilogramm bringen sollte. Ein Berg von einem Mann!

Drei Jahre nach dem Buch „Schicksalsstunden des Sports“ fiel mir ein anderes in die Hände, eher ein Büchlein. Es hatte 98 Seiten, ist 1974 im Bukarester Kriterion-Verlag erschienen, wurde von Ludwig Schwarz herausgegeben und hieß „Der Sonne nach. Banater Schwaben durchreisen, entdecken, erleben die Welt“. Ich hatte das Bändchen in der Großjetschaer Buchhandlung gekauft. Beim Durchblättern stieß ich auf die Geschichte „Johnny Weissmüller – Olympiasieger und Tarzandarsteller“ von Nikolaus Berwanger. Darin hat der damalige Chefredakteur der „Neuen Banater Zeitung“ enthüllt, dass Weissmüller in Freidorf geboren wurde. In den „Schicksalsstunden des Sports“ wurde Windber in den USA als Geburtsort angegeben. „Noch vor fünf Jahren war die Freidorfer Abstammung Weissmüllers allerdings nicht so selbstverständlich. Viele zweifelten daran und setzen alle Gerüchte über sein Geburtsjahr und seine Herkunft in Umlauf“, schrieb Berwanger, der selbst in Freidorf zur Welt gekommen war. Dort fand er den endgültigen Nachweis über Weissmüllers Geburtsort: „Ich sah es schwarz auf weiß in den Matrikeln der örtlichen Pfarrei.“ Tarzan ist einer von uns – wie stolz ich darauf war!

Berwanger holte mich 1984 als jungen Sportredakteur zur NBZ. Es war seine letzte Amtshandlung. Im August des gleichen Jahres reiste er zu Besuch nach Deutschland und blieb dort. Wir sollten uns nicht mehr sehen. Als ich vor zwanzig Jahren das einzige NBZ-Treffen im Schlosshotel Molkenkur in Heidelberg organisierte, war Niki, wie er von Freunden genannt wurde, seit dreizehn Jahren tot. Gott hab ihn selig.

Die abenteuerlichen Geschichten in dem Büchlein über die Banater Weltreisenden regten damals meine jugendliche Fantasie an. Solche Reisen wie der Hatzfelder Julius Wiskotschill, der auf seinen zahlreichen Fahrten durch vier Kontinente 250000 Kilometer zurücklegte, oder der Sackelhausener Andres Gebhardt, der zum König in der Südsee wurde, wollte ich auch mal machen. Dabei die fernsten Länder sehen und den Duft der großen weiten Welt in vollen Zügen einatmen. In Rumänien konnte ich das nur in meinen heimlichen Träumen oder bestenfalls mit dem Finger auf der Landkarte tun. Aber nach der Auswanderung sollte es endlich klappen.

Bei unserer Reiseplanung gehen meine Lebenspartnerin Gerti und ich demokratisch vor. Jeder notiert seine Wunschländer auf Zettel. Diese kommen in eine improvisierte Lostrommel, und eine neutrale Person zieht daraus das Reiseland fürs betreffende Jahr. Urlaub per Auslosung – ein spannendes Ritual, bei dem die Vorfreude jedes Mal groß ist. So handhaben wir es seit 25 Jahren und waren während unserer Fernreisen auf sechs Kontinenten. Dabei stellten wir fest, dass es neben dem Heimweh auch ein Fernweh gibt. Und dass beide unlöschbar brennen können.

Als Weltenbummler sind wir oft auf die Spuren von Johnny Weissmüller gestoßen. Ohne dass wir eine spezielle Tarzan-Reise gebucht hätten, weil es so etwas noch nicht gibt. Obwohl dies bestimmt ein Renner werden könnte. Denn wer kennt Johnny Weissmüller nicht? Den berühmtesten Tarzan-Darsteller der Filmgeschichte. Und den bekanntesten Banater Schwaben aller Zeiten.