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Büste im Temeswarer Rosengarten enthüllt

Wilhelm Mühle. Ölgemälde von Ferenczy József (Detail)

Die Büste von Wilhelm Mühle wurde am 2. August im Temeswarer Rosenpark enthüllt.

Der Temeswarer Rosengarten im Sommer 2013. Fotos: Clara Basica

Hätte man vor einigen Jahren unter den Bewohnern Temeswars eine Umfrage oder, wie man es jetzt nennen würde, ein „Brainstorming“ zum Thema Wilhelm Mühle durchgeführt, wäre wahrscheinlich nur den Vertretern der älteren Generationen das eine oder andere dazu eingefallen. Wahrscheinlich hätten sich einige erinnert: „Da war doch eine Straße in der Elisabethstadt, neben der Kirche am Lahovari-Platz, die Wilhelm Mühle hieß“.

In den alteingesessenen Familien Temeswars konnte man sich an die Gärtnereien der Familie Mühle und Niemetz erinnern, zum Teil wurde dieses Wissen – wie ich immer wieder feststellen konnte – auch an die folgenden Generationen weitergegeben. Die Bewohner der Elisabethstadt wurden auch durch die Grabstätte der Familie Mühle im Friedhof an der heutigen Rusu-Şirianu-Straße an Wilhelm Mühle erinnert. Möglicherweise hat man im Vorübergehen auch die Inschrift an der Friedhofskapelle gelesen, die besagt, dass Wilhelm Mühle zu ihrem Errichten beigetragen hat.

Verblassende Erinnerung

Heute kann man auch beim Eingang zur Herz-Jesu-Kirche in der Elisabethstadt lesen, dass der Kunstgärtner Wilhelm Mühle auf einen Teil seines Grundstückes für den Bau der Kirche verzichtet hat. Aus einem Dokument, das im Archiv der Diözese Temeswar aufbewahrt wird, geht hervor, dass es sich hierbei um das für den Bau des Ordenshauses der Salvatorianer und dessen Nebengebäude benötigte Grundstück handelt.

In den kommunistischen Jahren waren die Machthaber bestrebt, alles, was an die Geschichte Temeswars erinnerte, dem Vergessen preiszugeben. Gehörte man der Familie Mühle an, wurde man gelegentlich „freundlich“ darauf angesprochen, dass man zur Bourgeoisie gehört hatte, außerdem gab es gewisse Bereiche, wie z. B. das Lehramt, die einem als Beruf vorenthalten wurden. Zum Glück zählt aber Temeswar zu den Städten, deren Geschichte, dank seiner Einwohner, nicht dem Vergessen und der Entstellung historischer Fakten anheimgefallen ist. Als die Wilhelm-Mühle-Straße umbenannt wurde – für kurze Zeit hieß sie „Patrice Lumumba“, sie wurde aber meines Wissens nie so genannt und nachher der Straße „1. Dezember“ angegliedert –, erschien in der Zeitung „Die Wahrheit“ ein sehr schöner Artikel von Erich Pfaff, dem nachmaligen Direktor der Nikolaus Lenau-Schule, der sein Bedauern darüber zum Ausdruck brachte, dass man mit der Neubenennung der Straße die Erinnerung an eine Persönlichkeit auslösche, die einiges für Temeswar getan hat. Auch Eduard Schneider veröffentlichte einen beeindruckenden Artikel in der „Neuen Banater Zeitung“ vom 4. Januar 1970 unter dem Titel „Bekannt in Europa. Vom Wirken der Familie Mühle in Temeswar“. Beide Artikel waren in jenen Zeiten ein Zeugnis von Zivilcourage.

Nach der Wende konnte man sporadisch verschiedene Beiträge in der rumänischen Presse lesen, die sich mit Wilhelm und Arpad Mühle befassten. Generell wurde erwähnt, dass es zu großem Teil ihr Verdienst war, dass Temeswar den Beinamen „Stadt der Rosen“ erhielt. Der Hintergrund ist, dass sowohl Wilhelm als auch Arpad Mühle begeisterte Rosenzüchter und Kenner der Landschaftsarchitektur waren und sich beide um die Entstehung der Parkanlagen verdient gemacht haben, die wie ein grüner Gürtel die Stadt umgeben.

Wilhelm Mühle und Wenzel Franz Niemetz wurden mit dem Entwurf und der Ausführung eines Rosengartens, einer Parkanlage in englischem und französischem Landschaftsstil wie auch mit der Schaffung von Blumenarrangements betraut, die anlässlich der Südungarischen Industrie- und Landwirtschaftsausstellung 1891 in Temeswar entstanden sind. An der Gestaltung des für die Ausstellung bereitgestellten Geländes und der Blumenarrangements haben auch andere bedeutende Gärtner der Stadt Temeswar mitgewirkt. Szekernyés János führt diese an: Agátsy Benedek, Szavost Alfonz, S. Spiegel, Mauthner Ödön. Kaiser Franz-Joseph persönlich besuchte die Ausstellung. Als Ausdruck seiner vollen Zufriedenheit verlieh er Wilhelm Mühle das „Goldene Kreuz mit Kronenorden“, gleichzeitig wurde er zum Hoflieferanten des Wiener Hofes ernannt.

Kunstgärtner von Rang

Wer aber war Wilhelm Mühle? Er wurde 1845 in Kulm (dem heutigen Chlumec) in Böhmen geboren. Die Familie Mühle, die aus der Oberlausitz nach Böhmen gekommen war, besaß einen Tagesschurf in Teplitz-Schönau (heute Teplice), der aber in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts von den Teplitzer Quellen überschwemmt worden war. Joseph Mühles Söhne mussten aus diesem Grund, was die Wahl ihrer Berufe betraf, umdenken. Nach dem Abschluss des Gymnasiums in Teplitz-Schönau wurde Wilhelm Mühle in Böhmen zum Gärtner ausgebildet und setzte seine Ausbildung in Deutschland fort, wobei der Schwerpunkt auf der Dendrologie, der Lehre von den Bäumen und Gehölzen, lag.

1864 kam er ins damalige Banat, in die Ortschaft Sankt Georgen an der Bega (dem heutigen Žitište in der Wojwodina). Er arbeitete als Obergärtner auf dem Gut der Adelsfamilie Kiss, wo ihm seine ausgezeichneten Kenntnisse der Dendrologie und Landschaftsarchitektur zugute kamen. Nach Temeswar kam er etwa zwei Jahre später und wurde von Wenzel Franz Niemetz, Inhaber einer großen Gärtnerei in der Elisabethstadt, als Obergärtner eingestellt. 1869 heiratete er dessen Tochter Josephine, 1876 gründete er sein eigenes gärtnerisches Unternehmen. Wilhelm und Josephine Mühle hatten zwei Söhne, Arpad und Wilhelm jun., die später ebenfalls den Gärtnerberuf erlernten. Arpad Mühle wusste in der Zeitung „Temesvári hírlap“ zu berichten, dass sein Vater sich am Anfang seiner Laufbahn in Temeswar um die Gärten des Generals Scudier gekümmert habe. Da dieser mit seinen Leistungen sehr zufrieden war, habe er sich dafür eingesetzt, dass Mühle zum Starten seines Unternehmens eine finanzielle Unterstützung aus öffentlichen Mitteln bekomme.

Das Grundstück der Gärtnerei lag, wie auch die Gärtnerei der Familie Niemetz, in der Elisabethstadt zwischen dem damaligen Grundhausplatz (später Lahovari-Platz, heute Nicolae Bălcescu) und dem Vasile-Pârvan-Boulevard. Das Haus der Familie Mühle stand an der Ecke Boulevard Mihai Viteazul (der ehemaligen Bischofsstraße) / Boulevard Victor Babeş. Die Villa wurde von dem bekannten Wiener Architekten Oskar Reinhardt entworfen. Im Garten standen außer einem Ginkgo-Biloba-Baum, dessen Wurzeln von Wilhelm Mühle junior aus Japan mitgebracht wurden, ein imposanter türkischer Haselnussbaum und zwei seltene Blutbuchen, die aber beide nicht überlebt haben. Zu Lebzeiten von Wilhelm und Arpad Mühle war der Garten an sich ein Park mit vielen exotischen Pflanzen, mit Staudengarten und natürlich mit Rosen der verschiedensten Sorten. Obzwar viele dieser Pflanzen den Zweiten Weltkrieg und die Jahre der Not danach überlebt haben, gibt es sie wahrscheinlich jetzt nicht mehr.

Zu Wilhelm Mühles Zeiten wurden Blumen und Gemüse gezüchtet, die Glashäuser waren für die damalige Zeit ungewöhnlich groß, es gab auch eine Baumschule nahe zur „Roten Tscharda“, wo später eine Paprikafabrik gebaut wurde. Im gärtnerischen Unternehmen ging es nicht nur um den Kauf und Verkauf von Pflanzen und Sämereien, sondern auch um die Erprobung neuer Methoden betreffend die Auswahl und Lagerung der Pflanzensamen (dafür stand ein ganzes Gebäude zur Verfügung) und die Entwicklung neuer Schutzmaßnahmen die Pflänzlinge und jungen Pflanzen betreffend. In dem von Vasile Ciupa und Lucian-Vasile Szabó verfassten Buch „Temeswarer Rosen. Aus der Geschichte der Rosen im Banat“ (Temeswar 2011) wird das gärtnerische Unternehmen ein „Forschungs- und Produktionskomplex“ genannt.  Hier wurde mit modernen Methoden, Installationen und Gartenmaschinen gearbeitet.

Wilhelm Mühles Blumenarrangements und -gebinde waren sehr gefragt und durften bei keiner feierlichen Gelegenheit fehlen. Seine Ehefrau Josephine Mühle hatte ein ausgeprägtes floristisches Talent und trug mit Sicherheit mit ihren Ideen zum Erfolg ihres Ehegatten bei. Eine von ihm gezüchtete Rosensorte widmete er seiner Frau und gab ihr den Namen „Mme. Josephine Mühle“. Im Mühle-Haus in der Alba-Iulia-Straße war ein Blumengeschäft, wo Blumenarrangements, aber auch Blumen- und Gemüsepflänzlinge sowie Zierbäume und Zierbüsche angeboten wurden. Nach der Enteignung des Hauses durch den Staat wurde im gewesenen Blumengeschäft ein Musikladen eingerichtet. Heute trägt das Mühle-Haus den Namen „Casa cu flori“ und die neuen Besitzer haben dort ein Restaurant und eine Cafeteria eingerichtet. Im ehemaligen Salon meiner Urgroßmutter kann man auf stilvollen Stühlen sitzen, die sich kaum von denen unterscheiden, die einmal dort gestanden haben, und über die Geschichte des Hauses und der Familie lesen, die einst dort wohnte.

Wilhelm Mühle befasste sich auch mit Fachliteratur. Seine „Rosenzeitung“ erschien sechsmal jährlich. Auch die Broschüre „Ratschläge“, ein 1903 erschienener Leitfaden für den Gartenbau, war beliebt bei Gartenfreunden. Zahlreiche seiner Artikel erschienen in Fachzeitschriften.

Elena Miklosik schreibt über Wilhelm Mühles Lebensende: „Während er in seinen von ihm geliebten Gärten arbeitete, erlitt er einen Schlaganfall, der zu einer Lähmung führte, doch blieb er noch ein ganzes Jahr in der Elisabethstadt inmitten seiner Blumen. Er ließ sich erst in seinen letzten Lebenstagen in das Haus in der Innenstadt überführen, wo er in der Nacht vom 14. auf den 15. September 1908 im Alter von nur 63 Jahren starb.“ Die gleiche Autorin hält auch fest: „Am Ende des 19. Jahrhunderts gelangte die Kunst der Rosenzucht in Temeswar zu einem Höhepunkt, den es mehreren Gärtnern, auch den Gärtnern der Familie Mühle, verdankte. Die neu geschaffenen Gartenlandschaften trugen auch dazu bei, dass Temeswar mit der deutschen Stadt Erfurt, die schon damals beispielgebend für Gartenbaukunst war, verglichen wurde.“

Ehrenbürger von Temeswar

Zu meiner großen Überraschung erhielt ich eines Abends einen Anruf von der Ehefrau meines mittlerweile verstorbenen ältesten Bruders Dr. Johann Mühle. Sie teilte mir mit, dass man in Temeswar vorhabe, eine Büste von Wilhelm Mühle im Rosengarten aufzustellen. Die Nachricht hatte sie über Otto Nowy, einen ehemaligen Klassenkollegen meines Bruders, erreicht. Wir wurden gebeten, Fotografien zu schicken, um die Büste lebensgetreu gestalten zu können.

Vor meiner Ausreise nach Deutschland hatte ich fast alles, was ich an wichtigem Material über die Familie besaß, dem Kunstmuseum in Temeswar überlassen. Ein großes Ölgemälde meines Urgroßvaters, vom Maler Ferenczy József angefertigt, ist zwar im Temeswarer Museum, man hätte aber gerne auch Fotos aus seiner Jugend gehabt, die ich sofort nach Temeswar schicken konnte. Es war der Wunsch des Bildhauers Aurel-Gheorghe Ardeleanu, der die Büste schaffen sollte. Dazu muss gesagt werden, dass er sich dieser Aufgabe voll und ganz gewidmet hat. Er hat mir in jeder Arbeitsphase Fotos über das Internet zukommen lassen, um sicher zu sein, dass er auf dem richtigen Weg ist. Ardeleanu hat mir erzählt, dass es für ihn ein ehrenvoller Auftrag war, diese Büste anzufertigen, die ihm dann ja auch sehr gut gelungen ist. Für ihn scheint der künstlerische Prozess eine symbolische Bedeutung gehabt zu haben, eine Handlung, die eine vergangene Zeit heraufbeschwören kann oder besser gesagt, den Geist jener Jahre, als Temeswar eine blühende Stadt war und berechtigterweise ihren festen Platz in Europa hatte.

Zu meiner Genugtuung konnte ich feststellen, dass uns nach all den vielen Jahren des Schweigens so viele Temeswarer hier und dort zu diesem Thema angesprochen haben. Was mich noch mehr beeindruckt hat, war die Tatsache, dass hunderte von Jugendlichen eine Nachtwache mit brennenden Kerzen vor der ruinierten Mühle-Villa gehalten haben. Auch für sie war es sicher eine symbolische Handlung, eine Hommage an die Vergangenheit der Stadt gepaart mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Am 2. August 2013 fand schließlich die Enthüllung der Büste im Rosengarten statt. Bürgermeister Nicolae Robu und Nicolae Vlad, Vorsitzender der Seniorenvereinigung des Munizipiums Temeswar, deren Mitglieder sich mit Initiativen zur Förderung der Rosenkultur befassen, die Temeswar den Charakter einer wahren Rosenstadt wiedergeben sollen, sprachen nicht nur anerkennend, sondern auch sehr gut dokumentiert über Wilhelm und Arpad Mühle. Eine sehr beeindruckende Rede hielt Dr. Stefan Wagner, selbst ein bedeutender Rosenzüchter, der den „Verein der Rosenfreunde“ Rumäniens leitet. Es gelang ihm, die berufliche Laufbahn von Wilhelm und Arpad Mühle eindringlich darzustellen. Von Nicolae Vlad habe ich erfahren, dass in nächster Zeit in Temeswar noch mehr Rosen gepflanzt werden und dass die Mitglieder der Seniorenvereinigung schon in einigen Schulen der Stadt zusammen mit den Schülern Rosengärten angelegt haben.

Am gleichen Tag fand im Temeswarer Rathaus die posthume Ernennung Wilhelm Mühles zum Ehrenbürger von Temeswar statt. Als ich dort gebeten wurde, über das Wirken Wilhelm Mühles zu sprechen, erwähnte ich unter anderem, dass sich seine Verdienste nicht allein auf floristische und landschaftsgestaltende Leistungen in den Parkanlagen der Stadt beschränkten, sondern auch seine Verdienste als Stadtrat und Philanthrop zu erwähnen seien. So habe er beispielsweise jahrelang die Blindenschule unterstützt. Zudem hatte er als Stadtrat die Möglichkeit, verschiedene Verbesserungen der Infrastruktur einzuleiten, die er zum Teil auch mit Leistungen aus seinem Privatvermögen unterstützt hat.

Die Büsten, die in den letzten Jahren in Temeswar aufgestellt wurden, sind ein Zeichen dafür, dass man sich wieder der Geschichte der Stadt zuwendet. Auch die junge Generation zeigt Interesse an der Geschichte, und das ist erfreulich. Denn nur eine Stadt, die ihre Vergangenheit kennt, kann eine Zukunft haben.