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Lenau und das Posthorn – eine Zeitreise (Teil 1)

Postkarte von dem Bannate. Grenzkolorierte Kupferstich-Karte aus „Skizzen in Kupfern. Ein periodisch erscheinendes Bilderbuch geographisch - historisch - artistisch - öconomischen Inhaltes“. Wien 1804. 10,5 x 15,5 cm

Johann Schiller bläst auf einem Ventil-Posthorn aus seiner Sammlung. Foto: Agneta Schiller

Nikolaus Lenau, Ölgemälde von Friedrich Amerling Quelle: Wikipedia (gemeinfrei)

Schon dem Titel entspringt die Frage: Was hat Nikolaus Lenau mit dem Posthorn zu tun? Freilich ist dieses Blechblasinstrument viel älter als die Zeit, in der Lenau lebte. Lange bevor das Posthorn entstand und die Postillons es als Dienstinstrument in Gebrauch nahmen, nutzte man im frühen Mittelalter Tierhörner als Signalinstrument. Als die Metzger zum Viehkauf fuhren, bliesen sie in Tierhörner, die von geschlachteten Rindern stammten, um zu signalisieren, dass sie Briefe auf ihrer Fahrt mitnehmen – daher die Bezeichnung Metzgerpost.

Anfang des 15. Jahrhunderts entdeckten Blechblasinstrumentenmacher eine neue Technik, das Biegen des Messingrohrs. Durch den unterschiedlichen Schmelzpunkt des Bleis und des Messingblechs wurde ein neues Verfahren möglich. Man füllte das Rohr mit flüssigem Blei und nach dessen Abkühlen wurde das Rohr mit handwerklichem Geschick in eine beliebige Form gebogen. Danach wurde die Bleimasse zum Schmelzen erhitzt und das Messingblech fein nachgearbeitet. Dieses neue Verfahren ermöglichte nun auch den Bau runder Blechblasinstrumente, wie das Posthorn.

Bereits seit dem 16. Jahrhundert trugen die Postreiter und seit der Einführung der Postkutsche im 17. Jahrhundert die Postillone ein solches Horn aus Messing bei sich, mit dem sie Abfahrt und Ankunft der Post ankündigten. Dies traf auch auf die von der Familie Taxis eingerichtete und betriebene Habsburger Post und die spätere Kaiserliche Reichspost zu. Die Familie Taxis (später Thurn und Taxis) hatte seit 1505 das Postmonopol inne, was ihr 362 Jahre lang Macht und Einfluss sicherte und fabelhaften Reichtum bescherte. Sie erreichte nicht nur eine Privilegierung für die gesamte Postbeförderung, sondern auch für das Blasen des Posthorns. Im Jahr 1507 wurde der Familie Taxis die alleinige Verwendung des Posthorns zugebilligt.

Das Posthorn stellte auch ein Hoheitszeichen dar, welches den Postillon verpflichtete, das Instrument stets bei sich zu tragen, wie eine Fahne oder Waffe. Der Gebrauch des postalischen Signalinstruments war mit außerordentlichen Rechten verbunden. Bei rechtzeitiger Signalgebung waren sämtliche Fuhrwerke auf den Poststraßen verpflichtet, den Postkutschen die Vorbeifahrt zu gewährleisten, da diese Vorrang hatten. Auch durften die Postillons die zahlreichen Schlagbäume – die durch die vielen Kleinstaaten im Reich vorhanden waren – vorzugsweise und ohne Wegzoll passieren. Sogar dem wohlbehüteten Stadttor gebot das Horn des Postillons sich zu öffnen und die Post selbst in der Nacht einzulassen, wohingegen jedes andere Gefährt unerbittlich bis zum Tagesanbruch vor den Stadtmauern warten musste. Dagegen war es bei Androhung einer Geldbuße und unter Umständen sogar einer Leibstrafe sowohl Fuhrleuten als auch Reisenden verboten, Posthörner zu führen und zu blasen.

Die musikalische Ausbildung der Postillone erfolgte unter Anleitung der älteren Kollegen anhand von Posttrompeten-Schulen, aber oft wurde auch nach dem Gehör geblasen – wie es in der Barockzeit die Hoftrompeter pflegten. Einige Signale und die Unterhaltungsstücke im Anhang der genannten Schulen stellten beachtliche Anforderungen an die Kunst des Bläsers, besonders später auf dem Ventil-Posthorn. Diese Kunst war gewiss nicht so einfach erlernbar, wie es Viktor von Scheffel (1826-1886) mit dichterischer Freiheit in seinem früher so bekannten „Trompeter von Säckingen“ (1853) darstellt. In dieser Dichtung benötigt die adelige Margarethe unter Anleitung ihres Geliebten Werner nur wenige Minuten, um auf der Trompete eine „regelrechte Fanfare“ intonieren zu können. 

In der Frühzeit des Posthorns war die Signalgebung noch nicht geregelt. Es reichte, wenn der Postkutscher aus hörbarer Entfernung blies, um die Ankunft zu signalisieren. Allmählich, im 18. und zunehmend im 19. Jahrhundert, wurden Signale eingeführt, die bei einer Personenpostkutsche über die Anzahl der mitreisenden Personen und die Anzahl der Pferde Auskunft gaben.

Unmittelbar nach der Rückeroberung des Banats wurde von Graf Mercy auch die Einrichtung des Postwesens in Aussicht gestellt.  In dessen „Einrichtungsprojekt“ vom Herbst 1717 war die Erweiterung der Poststraßen nach dem Vorbild der im Reich schon bestehenden Postrouten, wie zum Beispiel jene von Belgrad über Temeswar nach Arad, sowie die Einrichtung von Gasthäusern in den Post- und Pferdewechselstationen (Cambiaturen) vorgesehen. In der im Dezember 1748 erlassenen, 17 Punkte umfassenden neuen Postordnung setzte Kaiserin Maria Theresia neue Maßstäbe für das Postwesen in den Erblanden.

Bereits 1735 wurde in Kleinbetschkerek eine Cambiatur eingerichtet. Um „die Bequemlichkeit des Publici zu befördern“, habe die Banater Landesadministration verfügt, „dass der Cambiaturist von Warjasch nach Kleinbetschkerek transferiert und auf den Pakatz eine Cambiatur errichtet werde“, heißt es in einem Schreiben des Temeswarer Verwaltungsamtes. Aus diesem geht auch die Höhe der Vergütung hervor: Der Kleinbetschkereker Cambiaturist erhielt 160 Florin, jener von Pakatz 200 Florin. Die Größe der jeweiligen Poststation war an der Anzahl der Pferde und des zugewiesenen Postfeldes erkennbar: bei sechs 6 Pferden – 12 Joch Acker und 2 Joch Wiesen; bei zehn Pferden – 24 Joch Acker und 6 Joch Wiesen; bei zwölf Pferden – 30 Joch Acker und 10 Joch Wiesen.

Die Kleinbetschkereker Poststation lag an der „alten“ Poststraße (Großjetschaer Straße), die nach Komlosch führte, und war damals eine der großen Poststationen (sie besaß 60 Joch Acker und 15 Joch Wiesen), die an den Postweg von Temeswar über Szegedin nach Ofen angeschlossen war. Dass die Poststation für das Dorf prägend war, widerspiegelt sich auch im Bereich der Sphragistik (Siegelkunde). Auf dem Kleinbetschkereker Dorfsiegel von 1831 finden sich als bildliche Darstellungen neben Weizenähren, Schilf und einem Jäger auch das Posthorn, das symbolhaft für die dortige Poststation steht, und darüber der Storch als Wappenvogel des Dorfes. 

Wegen der verhältnismäßig großen Entfernung zwischen Kleinbetschkerek und Komlosch ordnete Kaiser Joseph II. im Dezember 1777 die Errichtung einer selbstständigen Poststation in Csatád/Lenauheim an.

Allmählich wurde auch im Banat das Poststraßennetz erweitert und diente außer der Briefbeförderung auch dem Personenreiseverkehr sowie dem Warentransport. Dennoch hatten etliche Banater Ortschaften, wie zum Beispiel Guttenbrunn, noch keine eigene Poststation. Adam Müllers Geburtsort erhielt eine solche erst 1868. Davor mussten Briefe in den Nachbarort Aliosch gebracht beziehungsweise dort abgeholt werden. Angeblich war diese Situation der Komitatgrenze beziehungsweise der Straßenverbindung geschuldet. Adam Müller-Guttenbrunn beschreibt diese Tatsache in seinem Roman „Meister Jakob und seine Kinder“ (Staackmann-Verlag Leipzig, 1918). Im zwölften Kapitel wird die Teilnahme einer Guttenbrunner Abordnung an den Feierlichkeiten zur Grundsteinlegung des „Denkmals der Treue“ in Temeswar durch Kaiser Franz Joseph sowie deren Audienz beim Monarchen geschildert. Auf der Rückfahrt kreuzen sich ihre Wege mit der Postkutsche, was Anlass zu einem „Postgespräch“ bietet:

„Heidi, die Post! Da kam ihnen ja aus dem Tal so ein gelbes Wägelchen entgegen und blies sie mit Trara, Trara als Aufforderung an, auszuweichen. Und neben dem Postillion saß ein grimmiger Gendarm mit Gewehr und aufgepflanztem Bajonett. Als ob, wie vorzeiten, hinter jedem Busch ein Räuber lauere, sah das aus. Und die stolzen Bauernwagen mit den eingehängten Herrensitzen und den prallen Pferden wichen dem Wägelchen gehorsam aus. Aber wie auf Verabredung begann in allen drei Wagen jetzt das Postgespräch. Rosenthal (das ist Guttenbrunn, Anm. d. Verf.) und andere deutsche Gemeinden waren keine Poststationen, weil sie nicht an der Komitatsstraße lagen. Von weit und breit mussten die Briefe nach diesem walachischen Nest (gemeint ist Guttenbrunns Nachbarort Aliosch, Anm. d. Verf.) getragen werden, ankommende Briefe aber bekam man nur, wenn man hier danach fragte. Sie lagen oft wochenlang da. Seit hundert Jahren war das so, und niemand konnte es ändern. Wäre das nicht auch etwas für den Kaiser gewesen? Sie riefen es sich von Wagen zu Wagen zu. Schade, dass man es vergessen hatte.

Als sie jetzt langsam die letzte Anhöhe hinauffuhren, von der sie den freundlichen heimischen Kirchturm erblickten, hörten sie den Postillon hinter sich eine schöne alte Weise anstimmen. Auch er fuhr seine Anhöhe im Schritt hinauf und blies und blies... War das nicht das ‚Ännchen von Tharau‘? Der Oberlehrer sah sich um und erblickte zur Linken des musikalischen Postillons den Friedhof des Dorfes. Himmel, woran erinnerte ihn das? War das nicht ein verkörpertes Gedicht von Nikolaus Lenau, des großen Banater Dichters? Er sann in sich hinein und summte ein paar Strophen des Lenau՚schen ‚Postillon‘ (…)“.

Die Entstehung dieses Gedichts ist uns im Detail überliefert. Als Nikolaus Lenau auf einer seiner zahlreichen Reisen im Monat Mai des Jahres 1832 mit der Postkutsche von Stuttgart über Tübingen und Hechingen nach Balingen ins südliche Württemberg reiste, hielt der Postillon in Steinhofen an der Friedhofsmauer an, um seinem dort neulich beerdigten Kameraden in treuer Erinnerung auf seinem Posthorn dessen „Leiblied“ zu blasen. Es war angeblich das schon damals bekannte Lied „Der gute Kamerad“ (im Volksmund auch als „Ich hatt einen Kameraden“ bekannt). Dessen Text wurde 1809 von Ludwig Uhland unter dem Eindruck der Tiroler Freiheitskriege gedichtet, die Melodie stammt von dem württembergischen Liederkomponisten Friedrich Silcher. Auf Lenau, der öfters zu Schwermütigkeit neigte, hinterließ dieses Erlebnis einen tiefen Eindruck. Bald schon an der großen Poststation in Balingen angekommen, machte er sich sofort daran, das Erlebte in Verse zu gießen. So begann „Der Postillon“, eines der schönsten Gedichte Lenaus, Gestalt anzunehmen.

Der Balinger Dekan Christoph Friedrich Fraas, der als einziger der Mitreisenden Lenau in der Postkutsche erkannte und dem wir auch die Überlieferung dieser Begebenheit verdanken, erzählte später, dass sich Lenau sogleich nach der Ankunft in Balingen auf sein Zimmer in der „Alten Post“ begeben und sich eifrig Notizen über die Begebenheit in Steinhofen gemacht habe. Die „Alte Post“, einst Sitz der Thurn- und Taxischen Post und zu dieser Zeit der führende Gasthof in der Gegend, lag an der sogenannten Schweizer Straße (die heutige B 27 folgt ihr in großen Linien), die Jahrhunderte lang die wichtigste Fernverbindung Württembergs nach Süden und eine der ersten Straßen im Lande war, die „chaussiert“, d.h. befestigt wurde. Könige und Kaiser benutzten wiederholt die alte Poststraße, Goethe beschrieb sie einst auf seiner Reise in die Schweiz 1797.

Dekan Fraas wartete geduldig unten in der Wirtschaft auf den berühmten Lyriker. Als er zu später Abendstunde endlich erschien, wollte die Unterhaltung nicht so recht in Fluss kommen. Der Dichter zog immer wieder sein Notizbuch hervor und feilte an gut einem Dutzend Versen herum. Sie bildeten die Grundlage für sein späteres Gedicht „Der Postillon“.