zur Druckansicht

Glaube und Brauchtum bei den Donauschwaben (Teil 3)

Stefan Jäger, Im Hof der Vortänzerin Quelle: https://jaeger.banater-archiv.de; WK 1104

Stefan Jäger, Kirchweihzug an der Straßenecke Quelle: https://jaeger.banater-archiv.de; WK 282

2.4 Fronleichnam

Das erstmals 1264 in Lüttich von Papst Urban IV. begangene Fest Fronleichnam (mhd. vrônlîchname ‚Leib des Herrn') sollte das Gedächtnis an das Abendmahl mit dem Altarsakrament am Gründonnerstag unter österlichen Vorzeichen wieder aufgreifen. Langsam verband sich damit die aus der Flurprozession entstandene Sitte, die Eucharistie als Prozession auf Straßen und Plätze hinauszutragen. Die vier Stationen der Evangelienaltäre kamen im 14. Jahrhundert dazu. Der Pfarrer segnet die knieende Menge mit der Monstranz, und die Schützenvereine feuern wie an den höchsten Feiertagen Salutschüsse ab. Die Straßen und Wege sind mit Blumen und frischem Grün festlich geschmückt. Die vier Kapellen werden aus grünen Ästen errichtet und mit Blumengirlanden geschmückt. In vielen Gemeinden, wie zum Beispiel in Wudersch, ist es üblich, vor der Kirche zu Fronleichnam einen Blütenteppich auszulegen, dessen barocke Komposition, wie in Österreich, religiöse Symbole darstellt.

Ein ähnlicher Umgang um die Kirche mit der Monstranz fand in Filipowa (Batschka) von Ostern bis Herbst an jedem Monatssonntag (dem ersten Sonntag nach Neumond) statt. Der Monatsumgang hängt mit der Türkengefahr in der Pannonischen Tiefebene zusammen. Nachdem die Türken 1453 Konstantinopel erobert hatten und Europa bedrohten, erließ Papst Kalixtus III. 1456 einen Aufruf an die Christenheit, allmonatlich am ersten Sonntag nach Neumond eine Bittprozession zur Abwehr der Türkengefahr abzuhalten. Das geschah in Ungarn nicht mehr, nachdem die Türken 1521 Belgrad erobert und 1526 bei Mohács gesiegt und die ungarische Tiefebene besetzt hatten. Erst als nach den Schlachten bei Zenta (1697) und Peterwardein (1716) die Türken zurückgedrängt wurden, konnten die Ansiedler die Monatsprozessionen wieder halten. Sie gestalteten sich nun zu christlichen Triumphzügen. (Vgl. Paul Mesli / Franz Schreiber / Georg Wildmann (Hrsg.): Filipowa - Bild einer donauschwäbischen Gemeinde. Bd. 4: Brauchtum, Wien 1982)

3. Kirchweih

Die Kirchweihe war ursprünglich die feierliche Übergabe gottesdienstlich genutzter Räume. In der lateinischen Liturgie wurden Kirchweihen seit dem Mailänder Edikt (313) durch die erstmalige Feier der Eucharistie durch den Bischof vorgenommen, jedoch noch ohne besondere Riten. In den Kirchen zum Gedächtnis eines Märtyrers oder Heiligen wurden dessen Leib, später wenigstens einige seiner Reliquien beigesetzt. Im 9. Jahrhundert kamen die Waschung mit „Gregoriuswasser“ und die Salbung des Altars und der Wände hinzu. Der vielschichtige Ritus wurde 1596 in das Pontificale Romanum übernommen. Das Pontificale Pauls VI. von 1968 sieht eine Einholung der Reliquien am Vortag der Weihe vor, am Weihetag selbst die Besprengung des neuen Gebäudes durch den Bischof von außen und innen, die Waschung und Salbung der Wände, des Hauptportals und des Altars. Anschließend findet das erste feierliche Hochamt statt. Die Kirchweihe erfolgt auf einen Titel, nämlich auf einen Heiligen oder auf ein Glaubensgeheimnis (zum Beispiel Dreifaltigkeit).

Die Beschreibung eines donauschwäbischen Kirchweihtags von anno 1921 in Gakowa hält diesen Ablauf fest: (...) Der hochwürdige Domherr und Weihbischof von Kalocsa, Paul von Szuchich, war mit der Geistlichkeit im Kirchhof angelangt, wo der Domherr in feierlichem Ornat seinen Platz unter dem Thronhimmel einnahm. Die Einweihungsfeierlichkeit begann. Der Zug ordnete sich zum Umgang. Böllergeknall ertönte, die Glocken läuteten und die Blechmusikkapelle setzte ein. Der Domherr ging dreimal um die Kirche herum und besprengte die Wände mit Weihwasser. Nach der äußeren Weihe betrat er mit der Geistlichkeit die Kirche mit dem Segensruf: 'Der Friede sei mit diesem Hause!' Während das Innere der Kirche eingesegnet und die Kreuzesbilder mit Chrysam gesalbt wurden, während die Reliquien aus dem Zelt vor der Kirchentür in die Kirche übertragen und in die Reliquiengruft der einzelnen Altäre versenkt wurden, wartete die Gemeinde draußen in tiefer Stille und wurde hernach in die Kirche eingeführt. Hinter dem Altar begrub man noch einen Gedenkstein mit Inschrift, dann begann der Gottesdienst. Der Pfarrer von Kruschiwl, Andreas Holzler, betrat die Kanzel und hielt eine ergreifende Weihepredigt ... Und als die Leute nach dem Hochamt aus der Kirche kamen, trug man schmackhafte Speisen auf und rollte Weinfässer herbei, denn nun sollte der festliche Tag mit den Gästen auch fröhlich gefeiert werden. (...)

Schon seit dem 9. Jahrhundert wurde der Jahrestag der Kirchweihe auch als weltliches Fest gefeiert. Die Kirchweihe hatte Jahrmärkte an sich gezogen, dazu Schaustellungen von Komödianten und volkstümliche Vergnügungen. Seit dem frühen 16. Jahrhundert setzte sich die gemeinsame Feier der Weihe aller Kirchen eines Bistums durch. Als Termin wurde der Herbst bevorzugt, so dass die Kirchweihe auf einen Sonntag im Oktober oder November verlegt wurde und vielfach mit der Erntefeier zusammenfiel. Kirchtag (bair. Kiridåg) ist der Jahrestag einer Kirche, die Kirchweihe in Bayern und Österreich. Das Wort Kirmes ist in der Volkssprache zur Bezeichnung von Fest und dörflicher Lustbarkeit geworden. Besonders in Mittel- und Süddeutschland ist es das bekannteste und verbreitetste unter den weltlichen Festen geworden, das sich vom Erinnerungsfest der Kircheneinweihung – das zugleich Fest des Kirchenpatrons sein konnte – abhebt.

Aus der Bezeichnung Kirchweihe entsteht durch Kürzung Kirweih (im Banat aus kommunistischer Angst auch Kerwei, ohne h), Kirbei. Die weitere Entwicklung führt zu Kerwe, Kirwe (vorderpfälzisch), Kerb (west- und nordpfälzisch), Kirweih (südfränkisch und hessisch), Kirwa, Kerwa (ostfränkisch), Kilbe, Kilbi, Chilbi (alemannisch, in Südbaden und in der Nordschweiz), Kirbe (schwäbisch), Kirte, Kirde (bairisch), Kirita(g) (österreichisch). Im donauschwäbischen Sprachbereich sind die Varianten für Kirchweih und Kirchtag anzutreffen, am häufigsten: Kerweih, Kirweih, Kiridag. Katharina Wild bringt für 50 erfasste Orte der Schwäbischen Türkei 22mal auch den Beleg Kirmes, worunter jedoch meist 'Herbstkirmes' verstanden wird, getrennt von der 'kleinen Kirmes', d.h. der alten 'Kirchweih'. Nach dem breiten Terminkalender der donauschwäbischen Kirchweihfeste kann es sich um ein Frühlings-, Sommer oder Herbstfest handeln. 

Kirchweihsymbole sind der Kirchweihbaum oder „Maibaum“, meist eine Eiche mit grünem Wipfel, oder eine große, verzierte Stange, weiterhin der Kirchweihstrauß aus Rosmarinzweigen, der versteigert oder verlost wird, die Kirchweihpaare in einer festlichen Tracht und ihr Aufmarsch, die Kirchweihgesellschaften zur Ausrichtung des Festes, das leere Weinfass, auf dem der „erste Geldherr“ die Kirchweihsprüche sagt, die zeremoniellen Kirchweihtänze um den Baum, das Verlosen des Kirchweihhutes und Kopftuchs usw. Im Banat und in der Batschka haben sich diese Elemente besonders ausgebildet, während sie in der Schwäbischen Türkei nur bis zum Zweiten Weltkrieg blieben. Aus dem Erntebrauchtum übernahm die Kirchweih außer dem Kranz die Fruchtbarkeits- und Opfertiere, den Hahn, der zum Beispiel im Banater Bergland früher erschlagen wurde, und den zu ersteigernden Kirchweihbock, beispielsweise in Sanktanna. Der Heischegang in Wolfsberg und Weidental stammt aus dem Fastnachtsbrauchtum. Gastfreundschaft für auswärtige Verwandte und Gäste wurde zur Kirchweih großgeschrieben, ja, man gedachte auch der Verstorbenen.

Die verschiedenen Bräuche der Ansiedler vermischten sich. Mitteldeutsche Bräuche sind zum Beispiel das symbolische Ein- und Ausgraben der Kirchweih, das Baumaufstellen und das Verlosen eines Halstuchs und Huts. Oberdeutsche Bräuche sind das Hahnenschlagen und Kegeln um den Kirchweihbock. 

Kirchweihsprüche wurden üblicherweise jährlich von begabten Dorfbewohnern für die Vortänzer verfasst. In Lowrin (Banat) sagte der erste Geldherr 1908 einen hochdeutschen Spruch, der so begann:

Gelobt sei Jesus Christus! 
(Die Zuschauer erwiderten: In Ewigkeit Amen.)
Willkommen seid, ihr lieben Gäste,
die ihr uns ehrt an diesem Feste!
Und tretet näher, hört ein wenig her,
was ich vom Maienbaum und Kirchweihfest erklär.

Seit der Wiederbelebung der Banater Kirchweih nach der kriegsbedingten Unterbrechung nahmen nur mehr Jugendliche an der Veranstaltung und Durchführung der Feier teil. Sie wurden im Laufe der Jahre immer jünger (und durch die zunehmende Aussiedlung weniger), so dass schließlich Schüler am Temeswarer Nikolaus-Lenau-Gymnasium beim jährlichen Trachtenfest einen Kirchweihstrauß versteigern sowie Hut und Schultertuch verlosen. Wie die meisten zurückgebliebenen Donauschwaben sind auch viele Banater Deutschen bereits seit Jahrzehnten in städtische Zentren gezogen und feiern hier nach Möglichkeit ihre überlieferten Feste weiter. Also hat auch die Stadtkirchweih alle Elemente der früheren dörflichen Feier übernommen.

Wegen der geringen deutschen Restbevölkerung werden die Banater Kirchweihfeste auch mit der Unterstützung rumänischer, ungarischer oder andersnationaler Dorfbevölkerung bis heute als Dorffest fortgesetzt. Vermutlich wird sich nur die kirchliche Feier erhalten. In Deutschland feiern die Schwaben ihre Kirchweih immer noch bei ihren Treffen. Bei der Festmesse erklingen hier über Lautsprecher die Heimatglocken und die Teilnehmer singen manchmal – wie bei kirchlichen Hochfesten –  die hymnische Melodie „Großer Gott, wie loben dich“ mit aktualisiertem Text: 

Großer Gott, wir danken dir
für die Heimat unserer Ahnen.
Jeder fand ein Plätzchen hier,
wo wir unseren Frieden haben.
Deinen Frieden ganz allein
braucht ein Mensch zum Glücklichsein.

Im Anschluss zitiere ich aus dem Donauschwäbischen Wörterbuch (Volkskunde) das Stichwort Kirchweih und dazu noch zwei Wörter aus derselben Wortfamilie.

Kirchweih 
Wortbelege: khirchweih, nur Sg. [Stadtmundarten]; khirweih, -ǝ [Arader Gebiet]; khiriweih [Sanktiwan]; khärweih [Batschka, Banat], khirbe [Hodschag, Sathmar]
Wortbedeutung: Fest zum Jahrestag der Kirchenweihe mit kirchlicher Feier, Rummelplatz und Verkaufsveranstaltungen 
Satzbelege:Bei uns woan zwaa Kiriweihe. Aani woar uff Kreizempfindung (Kreuzerfindung), am 14. September un die zweite is uff Wendelini, des is die Fresskirweih. [Sanktiwan, Schwäbische Türkei] Also, die Bogarosche Kärweih hat, wie sonscht in alle schwebische Dörfer, emmer drei Tee lang gedauert. [Bogarosch] Kirweih war friher der ärschti Sunntag im November, un zu Maria Geburt war die Klookirweih. Des war de Tag, wo die Kirich eigweiht is ware seinerzeit. [Marienfeld] In ihrem kleene Darf hann se gheirat, un hann getanzt un wore bei der Kirweih. [Orzidorf] Im Wärtshaus „Zum grünen Kranz“ sinn die meiste Hochzeite un die Kärweihe abghall worre. [Perjamosch] Un an de Kirbi ischt ame e Viëschper gsei um a drui Uhr. [Hamroth] No isch de Kirbe kumme, no het mer sauber gmacht, und send au Gescht kumme. [Scheindorf]
Volkskunde: Das Kirchweihfest in den donauschwäbischen Siedlungsgebieten enthält kirchliche Elemente (feierlicher Gottesdienst mit Predigt, manchmal Wallfahrt) und weltliche Komponenten (Verwandtenbesuche und Festessen, Tanzunterhaltung, Jahrmarktbuden, manchmal auch Karussell). Im Banat und bis zum Zweiten Weltkrieg auch in den rund 30 deutschen Stiffoller Gemeinden der Schwäbischen Türkei treten zum üblichen Festverlauf neue Elemente: Kirchweihstrauß und Jugendpaare in besonderer Tracht, Hutschmücken, symbolisches Ausgraben der Kirchweih (Flasche), zeremonielles Verlosen des geputzten Kirchweihhutes und eines seidenen Kopftuchs mit Kirchweihsprüchen, Tanz der Kirchweihpaare, geschmückter Kirchweihbaum u.a. Häufig folgt auf den kirchlich begangenen Jahrestag der Kirchenweihe, am Patronatstag (kleine Kirchweih), ein weltliches Fest nach Abschluss der dringenden Feldarbeiten, das gelegentlich als Fresskirchweih bezeichnet wird. Kirchweihtermine, Vorbereitung, Teilnehmer und Gestaltung des Festes spiegeln einesteils die Traditionen der Herkunftsgebiete wider, andernteils führten Mischung und Neuerungen zu einer Vielfalt von Brauchelementen, die teilweise noch in den Veranstaltungen der ausgesiedelten Donauschwaben als Erinnerungskultur erhalten sind. Da an der Gestaltung der schwäbischen Kirchweih (nach 1960) auch rumänische und ungarische Jugendliche teilnehmen, bleibt festzustellen, ob sie die Feier als Dorffest nach der Abwanderung der deutschen Jugendlichen weiterführen oder aufgeben werden. Die Beobachtungen deuten auf ein Dorffest hin.

Kirchweihball
Wortbelege: khirweihbaal
[Stadtmundarten]; khirweihbaal, -beel [Arader Gegend]; khärweihbaal, -peelǝr [Banat]
Wortbedeutung: Tanzveranstaltungen am Kirchweihtag 
Satzbeleg: Da war de Maskebaal un Trachtebaal, de Jugndvereinbaal und de Kärweihbaal. [Ostern] 
Volkskunde: Nach der zeremoniellen Abfolge der Kirchweihfeier folgte an drei Abenden und an der Nachkirchweih Freitanz für die Kirchweihjugend, an dem zu festgelegten Zeiten auch die Erwachsenen teilnehmen durften.

Kirchweihbaum
Wortbelege: khirweihpaam, -peem
[Schwerpunkt: Arader Gegend]; khärweihpaam, -peem [Bogarosch]
Wortbedeutung: geschmückter junger Baum (mit oder ohne Krone), der am Vorabend des Kirchweihfestes auf dem Austragungsplatz aufgestellt wird
Satzbelege: Kärweihbube hann die Flasch vum letschte Johr ausgegrab un hann de Maiebaam gsetzt, also de Kärweihbaam. [Bogarosch] Hut und Tiechl hamm am Kirweihbaam ghang un sein mit Zettl versteigt ware. [Marienfeld]