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100 Jahre Poli Temeswar

Das neueste Buch über Poli; der erste Teil ist im Februar 2021 erschienen, der zweite Teil kommt im Dezember heraus

Das 1963 eröffnete Stadion, das seit 1996 nach dem legendären Poli-Spieler Dan Păltinişanu benannt wurde, ist baufällig, wird aber in den nächsten drei oder vier Jahren nicht renoviert. Foto: Ernst Meinhardt

Poli-Fans akzeptierten den AC Rekasch nicht. Das machten sie deutlich, indem sie überall auf Hauswände und Zäune schrieben: „Der AC Rekasch ist nicht Poli“. Foto: Raluca Nelepcu

Am 4. Dezember 2021 besteht einer der bekanntesten Fußballvereine des Banats, Politehnica Temeswar, kurz Poli, seit genau 100 Jahren. Fußball spielten die Studenten der damaligen Polytechnischen Schule schon ab Mai 1921: in der Stadtmeisterschaft von Temeswar. Als Gründungstag des Vereins gilt aber der 4. Dezember, weil dann die Mitgliederversammlung stattfand, auf der ein Vorstand gewählt und die Satzung angenommen wurde. Ernst Meinhardt ist seit den 1960er Jahren, seit seiner Jugend, Anhänger von Poli Temeswar. Bis zu seiner Ausreise nach Deutschland verpasste er kein Heimspiel im großen Stadion, das damals „1. Mai“ hieß und jetzt den Namen „Dan- Păltinișanu-Stadion“ trägt. Aber auch als Fan will er über Fehlentwicklungen nicht hinwegsehen. Jubelberichte und seriöser Journalismus passen nicht zusammen, sagt er.

„Das ist alles nur geklaut und gestohlen, nur gezogen und geraubt. / Entschuldigung, das hab’ ich mir erlaubt.“ So lautet der Refrain eines Lieds der „Prinzen“. Sie hatten mit Sicherheit nicht den Temeswarer Fußballverein „Poli“ im Blick, als sie es herausbrachten. Wahrscheinlich wussten die Musiker aus Leipzig gar nicht, dass es diesen Verein in Rumänien überhaupt gibt. Damals, 1993, als ihr Lied erschien, war bei „Poli“ die Welt noch in Ordnung. 

Ja, in den 60er Jahren gab es erst diese Sache mit den Vereinsfarben weiß-violett, dann die Sache mit dem Vereinsnamen „Ripensia“. Aber das waren Kleinigkeiten gemessen an dem, was ab der Jahrtausendwende ablief. Um nicht in die 3. Liga abzusteigen oder – noch schlimmer – ganz von der Bildfläche zu verschwinden, wurde getrickst und manipuliert, was das Zeug hält. 

Einem anderen Verein, der auf seinen Aufstieg in die 2. Liga „verzichtete“, wurde die Lizenz abgekauft. Vereine von ganz woanders wurden nach Temeswar geholt und in „Poli“ umgetauft. Die „Poli“ wurde nach Bukarest verlegt, wo sie als angeblicher Temeswarer Verein in der 3. Liga spielte. Ein Jahr lang gab es in der 2. Liga zwei Vereine, die sich „Poli“ nannten, die in Temeswar zu Hause waren, die aber nichts miteinander zu tun hatten.

Diese Liste ist bei weitem nicht vollständig. Mit den Fehlentwicklungen, vor allem ab dem Jahre 2000, könnte man Bücher füllen. Beschränken wir uns hier nur auf die wichtigsten Abschnitte, die – vor allem ab der Jahrtausendwende – eng mit der jeweiligen Vereinsführung verknüpft sind, genauer mit ihren Geschäfts- beziehungsweise politischen Interessen. Am Schluss stand jedes Mal ein Desaster.

Von den Anfängen 1921 bis 1969

Der Fußballverein Poli Temeswar wurde 1921 von Professoren und Studenten der damaligen Polytechnischen Schule gegründet, der heutigen Polytechnischen Universität. Wie alle Studentenmannschaften spielte auch die Temeswarer „Poli“ in den Farben weiß-schwarz. Lange Zeit stand sie im Schatten der beiden großen berühmten, erfolgreichen Temeswarer Fußballvereine: erst Kinizsi / rumänisch: Chinezul, dann Ripensia. Kinizsi / Chinezul beherrschte den rumänischen Fußball in den 20er Jahren, Ripensia in den 30ern. 1946 beziehungsweise 1948 verschwanden beide von der Bildfläche. 

„Poli“ schaffte 1948 den Aufstieg in die 1. Liga. 1950 wurde sie in „Știința“ umbenannt. Von dann an spielte sie in den Farben weiß-blau. 1966 wurde aus „Știința“ wieder „Poli“. Seit dann spielt die Mannschaft in den Farben weiß-violett. 

Weiß-violett waren ursprünglich die Farben von Kinizsi / Chinezul. Sie zu übernehmen, war sicher als Signal gedacht: „Wir wollen an die Erfolge von Kinizsi / Chinezul anknüpfen.“ Das gelang zwar nicht. Aber „Poli“ und die Vereinsfarben „weiß-violett“ wurden zu Synonymen, zu Dingen, die zusammengehören. Wenn ein Fan „die Weiß-Violetten“ sagt, meint er damit „Poli". 

Die Identifikation mit dem Verein und seinen Farben geht aber weit über die Fans hinaus. In Temeswar fahren zum Beispiel seit vielen Jahren alle öffentlichen Verkehrsmittel – Straßenbahnen, Busse, Oberleitungsbusse – in den Farben von „Poli“.

Seit der Jahrtausendwende wurde immer wieder vor Gericht um den Vereinsnamen und die Vereinsfarben gestritten. Die Prozesse zogen sich über Jahre hin, weil alle möglichen Leute behaupteten: „Die Rechte daran gehören allein mir.“ Wegen der Rechtsstreitigkeiten musste sich die Temeswarer „Poli“ zwischen 2008 und 2011 „FC Temeswar“ nennen, und sie durfte nicht in den Farben weiß-violett spielen. Mehr dazu später.

Von 1969 bis zur Privatisierung des Vereins

1969 änderte die „Poli“ ihren Namen in „Ripensia“. Diesmal wurden nicht die Farben eines erfolgreichen ehemaligen Vereins „übernommen“, sondern sein klangvoller Name. Hintergrund: In den 60er Jahren spielte die „Poli“ überwiegend in der 2. Liga. Das missfiel dem örtlichen Parteichef Mihai Telescu, weil er von den Parteichefs anderer Kreise gehänselt wurde: „Ihr seid die zweigrößte Stadt Rumäniens. Und ihr schafft es nicht, einen Erstligisten auf die Beine zu stellen?“ Da ging man in Temeswar ans Werk. Aus den beiden Zweitliga-Mannschaften, der Studentenmannschaft „Poli“ und der Eisenbahnermannschaft „CFR“, wurden die besten Spieler in eine Mannschaft geholt. Sie sollte unter dem Namen „Ripensia“ den Aufstieg schaffen.

Ironie des Schicksals: Am Ende der Spielzeit 1969/70 stieg nicht die „Ripensia“ in die 1. Liga auf, sondern die vermeintlich schwächere Mannschaft „CFR.“ Die Verantwortlichen von der „Ripensia“ scheinen das geahnt zu haben, denn schon zum Beginn der Rückrunde, also ab Frühjahr 1970, waren sie zu dem alten Namen „Poli“ zurückgekehrt. 

Der Aufstieg in die 1. Liga gelang der „Poli“ 1973. 1980 gewann sie – zum zweiten Mal nach 1958 – den rumänischen Pokal. In den europäischen Pokal-Wettbewerben schaltete sie 1980 Celtic Glasgow aus und 1990 Atletico Madrid. Aber damit sind die ganz großen Erfolge schon aufgezählt. Zu einer Meisterschaft hat es in hundert Jahren noch nie gereicht.

Die desaströse Ära Claudio Zambon 

Das Desaster nahm seinen Lauf nach der Privatisierung des Vereins Mitte der 90er Jahre. Nachdem „Poli“ 1997 erneut in die 2. Liga abgestiegen war, wechselte ein Besitzer nach dem anderen, bis sie schließlich 1999 der italienische Geschäftsmann Claudio Zambon übernahm. 

Unter seiner Führung beendete „Poli“ die Spielzeit 1999/2000 auf einem Abstiegsplatz. Um nicht abzusteigen, kaufte Zambon dem Aufsteiger „Dacia“ Piteşti die Lizenz ab. Das ging ein Jahr lang gut. Doch dann stellte Zambon nach Dauerstreit mit den Temeswarer Ratsherren die Finanzierung des Vereins ein. Zurück ließ er eine Mannschaft, die den Anforderungen der 2. Liga nicht gewachsen war. Die Spielzeit 2001/2002 beendete sie abgeschlagen auf dem letzten Platz. Die Folge war der Abstieg in die 3. Liga. Dort trat sie aber nicht mehr zu den Spielen an.

2002 gründete Zambon einen neuen Verein. Für diesen kaufte er einen Platz in der 3. Liga. Unter dem Namen „Politehnica Temeswar“ ließ er ihn anfangs in der Stadt Drăgăşani, im Süden Rumäniens, spielen, später in Bukarest. Drăgăşani ist von Temeswar 450 Kilometer entfernt, Bukarest 550 Kilometer. Sportlich blieb sein Verein bedeutungslos. Er spielte meist in der 3. Liga, zum Zeitpunkt seiner Auflösung im Jahre 2011 in der 4. Liga. Die Temeswarer Fans ignorierten ihn. Im Gespräch blieb er nur durch die zahlreichen Rechtsstreitigkeiten mit Claudio Zambon, der behauptete, dass sein Verein der Rechtsnachfolger des 1921 gegründeten Vereins sei. Erst 2011 gab ein rumänisches Gericht seinen Prozessgegnern in letzter Instanz Recht.

Tricksereien auch in der Ära Anton Doboş 

Mit dem Weggang von Zambon hörten die Tricksereien und Manipulationen in Temeswar aber noch lange nicht auf. Im Jahre 2002 wurde der AEK Bukarest nach Temeswar verlegt. Der Verein, dessen Boss der ehemalige rumänische Nationalspieler Anton Doboş war, war gerade in die 1. Liga aufgestiegen. Doboş befürchtete – mit Recht –, dass keine Zuschauer zu den Heimspielen seines AEK kommen würden, weil es zu der Zeit in Bukarest schon vier oder fünf Erstligisten gab. Also ging er nur zu gern nach Temeswar. Offiziell fusionierte sein AEK mit einem gerade in die 3. Liga aufgestiegenen Temeswarer Studentenverein namens AS Poli. In Wirklichkeit brachte Doboş nicht nur alle seine Spieler mit an die Bega, sondern auch die Betreuer und die Vereinsführung. 

Den Temeswarer Fußball-Fans sollte es recht sein. Denn statt 3. Liga hatten sie durch die „Fusion“ ab der Spielzeit 2002/2003 wieder einen Erstligisten. Dass er nicht bloß „Poli“, sondern „Poli AEK“ hieß, störte nicht weiter. In der Zeit von Doboş erreichte die Mannschaft sportlich keine herausragenden Platzierungen, sie ist aber auch nicht abgestiegen.

Die Ära Balkan Petroleum und Marian Iancu 

Nachdem er in finanzielle Schwierigkeiten geriet, verkaufte Doboş zu Beginn des Jahres 2005 die „Poli“ an das rumänische Erdöl-Unternehmen Balkan Petroleum. Unter dem neuen Boss und Geldgeber Marian Iancu erzielte die Temeswarer Mannschaft einige sportliche Erfolge. Sie erreichte zwei Mal das Pokal-Endspiel und wurde zwei Mal Vizemeister. 

Nach der zweiten Vizemeisterschaft 2011 erhielt sie aber wegen Schulden beim Staat und beim portugiesischen Verein Benfica Lissabon keine Erstliga-Lizenz und musste in die 2. Liga absteigen. Die Spielzeit 2011/12 beendete sie auf dem ersten Platz, verzichtete aber auf den Aufstieg, weil sie immer noch Schulden hatte. 2012 erklärten Balkan Petroleum und Marian Iancu, dass sie sich zurückziehen und „Poli“ kein Geld mehr geben. Der Temeswarer Stadtrat solle den Verein übernehmen.

Drei Jahre später, 2015, verurteilte ein rumänisches Gericht den einstigen „Poli“-Boss Iancu zu einer langjährigen Gefängnisstrafe wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Verabredung zur Begehung von Straftaten. Iancu klagte dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – und verlor. Aber auch nach seinem Weggang war mit den Tricksereien und Manipulationen nicht Schluss. Nur eines wurde nun anders: Die Fans machten nicht mehr mit.

Die Ära Nicolae Robu: aus AC Rekasch wird „ACS Poli“

Am Ende der Spielzeit 2011/2012 ist ein Verein aus der Nachbarschaft von Temeswar, der AC Rekasch, in die 2. Liga aufgestiegen. Rekasch ist 25 Kilometer von Temeswar entfernt. Da beschloss der damals neu ins Amt gekommene Bürgermeister Nicolae Robu, den Rekascher Verein nach Temeswar zu holen und ihn in „ACS Poli“ umzutaufen. Die bisherige „Poli“ wurde kurze später aufgelöst. Doch diese Rechnung machte der Bürgermeister ohne die Fans. Sie waren die Mauscheleien und Tricksereien und Schiebereien leid und akzeptierten den AC Rekasch nicht. Das machten sie deutlich, indem sie überall auf Hauswände und Zäune schrieben: „Der AC Rekasch ist nicht Poli“. Viele dieser Graffitis kann man heute noch in der Stadt sehen.

Die Spiele des Vereins des Bürgermeisters boykottierten die Fans. Stattdessen wandten sie sich einem Studentenverein zu, der damals, 2012, gerade in die 5. Liga aufgestiegen war. Sein Name: ASU Poli Temeswar. ASU ist die rumänische Abkürzung für „Universitäts-Sport-Verein“. Innerhalb nur weniger Jahre schaffte die Mannschaft den Aufstieg bis in die 2. Liga. Dort spielt sie heute noch.     

Das Aus für die „Poli“ des Bürgermeisters

Der Verein des Bürgermeisters, ACS Poli, schaffte zweimal den Aufstieg in die 1. Liga. Am Ende der Spielzeit 2017/18 ist er wieder in die 2. Liga abgestiegen. So kam es in der darauffolgenden Spielzeit zu der grotesken Situation, dass „Poli“ gegen „Poli“ spielte, ASU gegen ACS, also zwei Vereine aus derselben Stadt, mit demselben Namen, die aber nichts miteinander zu tun hatten.

Nach einem Jahr in der 2. Liga stieg der ACS Poli in die 3. Liga ab. 2019/20 ist er nur deswegen nicht in die 4. Liga weitergereicht worden, weil der Spielbetrieb wegen der Corona-Pandemie eingestellt werden musste. 

Das Aus für den ACS kam im September 2021. Wegen Geldmangels ist er nicht mehr zu Spielen angetreten und daraufhin aus dem Spielbetrieb ausgeschlossen worden. Zahlungsunfähig war der Verein bereits 2018, nachdem der Rechnungshof schon Jahre zuvor der Stadt und dem Kreis untersagte, ihn aus Steuermitteln zu finanzieren.

ASU Poli wird für Sponsoren geöffnet 

ASU Poli klopfte am Ende der Spielzeit 2020/21 an die Tür zur 1. Liga an, war aber in der Relegation chancenlos. In der laufenden Spielzeit 2021/22 steht es um die Mannschaft nicht gut. Sie liegt im unteren Viertel der Tabelle. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie auf einem Abstiegsplatz in die Winterpause geht. 

Finanziert wurde ASU Poli von Anfang an ausschließlich durch die Fans. Das führte dazu, dass der Verein mit einem sehr niedrigen Budget auskommen musste. Im Frühjahr 2021 enthüllte der Trainer Dan Alexa, dass für Spieler und Betreuer, insgesamt 30 Personen, 21000 Euro pro Monat zur Verfügung stünden. Demgegenüber jongliere die Konkurrenz mit Millionenbeträgen.

Im Juni dieses Jahres hat die Polytechnische Universität Temeswar als Trägerin des Vereins bekanntgegeben, dass sie „ASU Poli“ für Sponsoren aus der Geschäftswelt öffnet und dass sie den Verein nach deutschem Vorbild in eine Aktengesellschaft umwandeln möchte. Aus ASU soll dadurch SSU Poli werden. Das ist die rumänische Abkürzung für „Universitäts-Sport-Gesellschaft“. Mit der Weinkellerei Rekasch, rumänisch „Cramele Recaş“, sei bereits der erste große Sponsor in das Projekt eingestiegen. „Unser Ziel ist es, dass unsere Mannschaft zur Mannschaft der ganzen Region wird“, sagte ASU-Präsident Viorel Şerban. Eckpfeiler des neuen Projekts sollen ihm zufolge „Korrektheit und Ernsthaftigkeit“ sein. Ziel sei der Aufstieg in die 1. Liga. „Und in den nächsten fünf bis sieben Jahren die Teilnahme an den europäischen Wettbewerben“, fügte Gheorghe Iova, der Vertreter des Sponsors, hinzu. 

Das klingt schön und gut. Warten wir ab, ob es wiederum nur bei leeren Versprechen bleibt. Oder ob „Poli“ Temeswar es irgendwann tatsächlich schafft, wovon ihre Fans seit hundert Jahren träumen: den Meistertitel holen. Aber wenn, dann bitte ohne Tricksereien, Mauscheleien und Betrügereien.