„Ruhm ist ein Gift, das der Mensch nur in kleinen Dosen verträgt.“ (Honoré de Balzac)
Kaum zu glauben, aber wahr: Ilie Năstase wurde 75 Jahr...
Der geniale Tenniskünstler gehört zu den bekanntesten Rumänen weltweit. Sein Name wird in einem Atemzug mit jenen der Kunstturnerin Nadia Comăneci und des Fußballers Gheorghe Hagi genannt. Kein Wunder, denn Năstase war einer der talentiertesten und begnadetsten Tennisspieler aller Zeiten, der mit ganz viel Leichtigkeit, noch mehr Finesse, Intelligenz und Spielwitz agierte. Er gewann Titel am Fließband. Năstase setzte so viele sportliche Duftmarken, dass es den Rahmen sprengen würde, um alle aufzuzählen. Deshalb nur einige davon: Er war die erste Nummer 1 der am 23. August 1973 eingeführten Computer-Weltrangliste, die er mehr als 40 Wochen lang anführte. Er gewann 53 Einzeltitel, darunter zwei Grand-Slam-Turniere und viermal das Masters, die Weltmeisterschaft im Herrentennis. Dort stellte er eine Bestleistung auf, die bis heute unerreicht ist: Zwischen 1971 und 1975 hat er 88 Prozent seiner Spiele gewonnen. Das schafften nicht mal Rod Laver, Jimmy Connors, Björn Borg, John McEnroe, Boris Becker, Ivan Lendl, Andre Agassi, Rafael
Nadal, Roger Federer oder Novak Djoković, um nur einige zu nennen. Ein Rekord für die Ewigkeit!
Năstases Leistungen wurden dementsprechend gewürdigt. Im Juni 1976 nahm das „tennis MAGAZIN“ in seiner allerersten Nummer ein Foto von ihm auf die Titelseite. Im vergangenen Monat feierte der Marktführer in Deutschland sein 45. Jubiläum seit dem Erscheinen und zugleich die 500. Ausgabe. Ich habe das „tennis MAGAZIN“ jahrelang vom Verlag nach Großjetscha geschickt bekommen (siehe „Banater Post“, Nr. 11-12/2021). 1991 wurde Ilie Năstase in die „International Tennis Hall of Fame“ aufgenommen, die Ruhmeshalle des weißen Sportes, und 2009 zum Ritter der französischen Ehrenlegion ernannt, eine Auszeichnung, die auch Kaiser Napoleon zuteilwurde. Mehr Ehre geht nicht. Auf Năstases Haupt stapeln sich die Lorbeerkränze.
Sieg auf Socken
Doch bis dahin war es ein weiter und beschwerlicher Weg. Er begann am 19. Juli 1946, als Ilie Năstase in Bukarest als Sohn eines Bankangestellten zur Welt gekommen ist. Im Interview mit Günter Schiefelbein in der ersten Nummer des „tennis MAGAZIN“ erzählte er über seine Anfänge im Tennis: „Ich spielte viel lieber Fußball, weil man sich nicht so quälen muss. Als großes Talent hatte ich sogar Chancen in die erste Mannschaft von Steaua zu kommen. Aber rumänische Fußballer dürfen erst mit 30 Jahren ins Ausland gehen. So lange wollte ich nicht warten.“ Deshalb tauschte er den Fußball mit dem Tennisball und hatte auf Anhieb Erfolg: Mit 13 Jahren wurde er rumänischer Landesmeister der Kinder. 1962 gewann Năstase für Steaua die Landesmeisterschaft für Junioren, 1967 und 1968 jene für Erwachsene. Mit 16 Jahren ging sein großer Wunsch in Erfüllung und er nahm erstmals an Amateurturnieren im Ausland teil. Als Zwanzigjähriger wurde Năstase Profi, ein Jahr nachdem er international zum ersten Mal auf sich aufmerksam gemacht hatte, als er beim Turnier in der ägyptischen Hauptstadt Kairo den amtierenden Wimbledonsieger im Mixed Ken Fletcher aus Australien besiegte. Ilie erinnert sich gerne an seine Anfänge: „Damals hatte ich keinen Schläger von einer Firma und keine adidas-Sportschuhe. Ich spielte in chinesischen Turnschuhen, rutschte bei jedem Schritt wie auf Eis aus. Deshalb warf ich die Turnschuhe weg und spielte auf Socken. Trotzdem habe ich den großen Fletcher besiegt.“ Das war der Durchbruch – und ab jetzt ging es Schlag auf Schlag weiter. 1969 schlug er in seinem ersten ATP-Turnier in Stockholm den berühmten US-Amerikaner Stan Smith. Sein erstes Grand-Slam-Turnier gewann er 1972 bei den US-Open in New York, wo er Lokalmatador Arthur Ashe in fünf Sätzen bezwang. Ein Jahr später triumphierte er auf den Ascheplätzen von Roland Garros in der französischen Hauptstadt Paris gegen den Jugoslawen Nikola Pilić in drei Sätzen. Es war sein zweiter Grand-Slam-Titel. Jetzt wusste die ganze Tenniswelt, wer Ilie Năstase ist. Zweimal erreichte er das Finale in Wimbledon, verlor 1972 gegen Smith sowie 1976 gegen den Schweden Borg. Dreimal stand Năstase mit Rumänien im Endspiel um den Davis Cup. 1969, 1971 und 1972 war jeweils gegen die USA Endstation.
Ilie Năstase hat mit seinen Triumphen eine Tenniseuphorie in Rumänien entfacht, die auch vor den banatschwäbischen Dörfern nicht haltmachte. Die aus Sanktandreas stammenden Josef Zippel und Heinrich Janzer erinnern sich: „Năstase war ein Idol unserer Kindheit und Jugend. Er hat ein Tennisfieber ausgelöst, das auch uns ansteckte. Durch ihn entdeckten wir die Liebe zum Tennis. Auf der Dorfwiese haben wir Kinder das Spielfeld mit Kalk markiert und in der Mitte eine Schnur als Netz gespannt. Die Schläger aus Holz haben wir selber gebastelt. Von einem Tennisclub aus Temeswar, wo einer unserer Väter ab und zu beruflich zu tun hatte, brachte er uns aussortierte Bälle mit.“ Der Mercydorfer Franz Ingrisch besitzt die 2004 von der Rumänischen Post herausgegebene Briefmarkensonderedition „Ilie Năstase – ein Ass unter Assen“ und die zwei Jahre später veröffentlichte Autobiographie „Mr. Năstase“.
Dieser Mr. Năstase war nicht nur in Rumänien beliebt, sondern auf der ganzen Welt. Eine schillernde Persönlichkeit mit Ausstrahlung, Charme, Esprit. Und dazu ein Clown, der viele verrückte Sachen gemacht hat. „Einmal bin ich auf den Platz gegangen, und es saßen nur zwei Zuschauer auf der Tribüne. Das war mir zu wenig. Ich habe zum Veranstalter gesagt: ‚Vor zwei Leuten spiele ich nicht.‘ Dann bin ich abgehauen. Ich bin, wie ich bin. Mit meiner Art habe ich große Matches gewonnen und große Matches verloren. Da gibt es nichts zu bedauern“, so Nasty. Diesen Spitznamen bekam er von seinem Kollegen Connors verpasst, dem Patenonkel seiner Kinder. Als Nasty ist er überall bekannt, wurde geliebt, verehrt, respektiert, geschätzt.
Aber: Jede Medaille hat zwei Seiten. Denn: Nasty ist nicht nur von Ilies Familiennamen Năstase abgeleitet, sondern bedeutet auf Englisch „gemein“, „garstig“, „eklig“. Wie bitte? So soll der Lebenskünstler Năstase aufgetreten sein? Na ja, manchmal ist ihm schon der Gaul durchgegangen, besonders wegen aus seiner Sicht unfairer Schiedsrichterentscheidungen. Und auch hier hält Nasty einen nur schwer zu überbietenden Rekord. Er wurde sage und schreibe fünfmal von Turnieren ausgeschlossen. Auf den zweiten Platz brachten es Connors, McEnroe und Agassi (alle USA) mit jeweils zwei Rauswürfen. Auch sie waren keine Kinder von Traurigkeit, das Wasser konnte Năstase aber keiner von ihnen reichen. C’est la vie!
Treffen mit Biden
1985 setzte Ilie Năstase mit 39 Jahren den Schlusspunkt unter eine glanzvolle Karriere. Ein respektables Alter für einen Tennisspieler, der während seiner Laufbahn gut verdient hat. Er war der erste Tennisprofi der Welt, der eine Million Dollar Preisgeld erspielte. Insgesamt waren es zwei Millionen. Für die Siege bei den US-Open und in Roland Garros erhielt er jeweils 25000 Dollar Prämie. Ein Klacks im Vergleich zu den heutigen Summen. Der US-Open-Sieger von 2020 Dominik Thiem aus Österreich bekam einen Scheck über drei Millionen Dollar ausgestellt, also für ein einziges Turnier mehr als Năstase während seiner gesamten Laufbahn verdient hat. Er war übrigens der erste Sportler weltweit, der mit einem Unternehmen einen Vertrag abgeschlossen hat. Dafür erhielt er 1972 von dem bekannten amerikanischen Sportartikelhersteller Nike 5000 Dollar.
Aus dem Leben von Ilie Năstase gibt es jede Menge Anekdoten. Stellvertretend sollen hier zwei erwähnt werden. Nasty muss noch heute schmunzeln, wenn er an seine erste Begegnung mit adidas denkt: „Mein belgischer Manager fädelte einen Deal mit der bayrischen Sportartikelfirma ein. Ich fuhr zur Zentrale nach Herzogenaurach. Dem Mädchen am Empfang sagte ich, dass ich zu Herrn Dassler von adidas möchte. Sie meinte: ‚Sind Sie sicher? Hier ist Puma, geleitet von Horst Dassler. Bei adidas ist sein Bruder Adolf.‘ Bis dahin war es üblich, dass Tennisspieler ihre Ausrüstung von mehreren Herstellern bezogen: das Trikot von einem, die Hose von einem anderen wie auch die Schläger. Doch Adi Dassler hatte sich in den Kopf gesetzt, dass er einen Tennisspieler von Kopf bis Fuß ausrüsten wollte. Das ist ihm mit mir gelungen. Ich war sozusagen der erste Tennisprofi der Welt, der komplett von adidas ausgerüstet wurde.“
Gerne erinnert sich Năstase an seine Begegnung mit Joe Biden. Der war im Mai 2014 als US-Vizepräsident auf Besuch in Bukarest und wollte Năstase unbedingt kennenlernen. Also machte sich dieser in seiner Generalsuniform auf den Weg zum Regierungssitz. Năstase war früher beim Armeeklub Steaua Bukarest und hatte es später bis zum Generalmajor der Reserve gebracht. Als Joe Biden den ehemaligen Tennisspieler in Uniform mit schulterlangem Haar sah, das er seit seiner Jugend trägt, fragte er den damaligen Premierminister: „Herr Ponta, wenn ich mir so langes Haar wie Ilie Năstase wachsen lasse, bekomme ich dann auch eine Generalsuniform der rumänischen Armee?“ Năstase: „Es war ein sehr entspanntes Treffen, in dessen Verlauf ich festgestellt habe, dass Joe Biden ein Mensch ohne Allüren und mit Humor ist, der Witze akzeptieren kann. Er hat mir später einen sehr schönen Brief geschrieben. Ich habe ihm geantwortet und werde den US-Präsidenten im Weißen Haus besuchen.“
Als Generalmajor der Reserve bekommt Năstase vom Verteidigungsministerium eine monatliche Rente von 1445 Lei. Nicht viel. Trotzdem muss er nicht am Hungertuch nagen. Denn: Er hat die während seiner aktiven Karriere verdienten Millionen gut angelegt. Năstase besitzt eine Luxuswohnung in Bukarest, ein Nobelappartement am Schwarzen Meer, mehrere Edelkarossen (darunter zwei BMW), wertvolle Uhren, Schmuck, Gemälde sowie ein 1000 Quadratmeter großes Grundstück im Ferienort Moieciu de Jos in den Karpaten. „Reich ist, wer weiß, dass er genug hat“, wusste schon der legendäre chinesische Philosoph Laotse.
Hochzeit in Temeswar
Ilie Năstase ist eine exzentrische Persönlichkeit. So sperrte ihn die International Tennis Federation 2017 drei Jahre für alle von ihr organisierten Wettbewerbe. Năstase hatte über das ungeborene Baby der amerikanischen Weltklassespielerin Serena Williams gesagt: „Mal sehen, was es für eine Farbe hat. Schokolade mit Milch?“ Die ITF hat diese Aussage als rassistisch empfunden. Năstase war damals Kapitän der rumänischen Frauenauswahl, die im Fed-Cup spielte, dem wichtigsten Wettbewerb für Nationalmannschaften im Damentennis. Er entschuldigte sich umgehend für sein Verhalten: „Mein ganzes Leben habe ich dem Tennis und den Menschen gewidmet. Daher bitte ich Sie, so sehr Sie können, meine Entschuldigung anzunehmen.“
Ein Jahr später kam es im Bukarester Straßenverkehr zu einem Zwischenfall mit der rumänischen Polizei. Năstase weigerte sich, einen Alkoholtest zu machen. Er wurde aggressiv gegenüber den Ordnungskräften, in Handschellen abgeführt und musste den Führerschein abgeben. Nur sechs Stunden später erwischte ihn die Polizei trotzdem beim Autofahren. Das alles hatte Folgen: Ein Gericht verurteilte ihn zu neun Monaten und zehn Tagen mit Aufschub des Strafvollzuges, so dass er nicht ins Gefängnis musste.
Aber auch sein Eheleben hat Höhen und Tiefen. Năstase ist zum fünften Mal verheiratet. Von den Persönlichkeiten aus der Welt des Sportes schaffte dies nur noch der deutsche Fußball-Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. Das schwache Geschlecht hatte es Năstase seit jeher angetan. Laut seiner Autobiographie soll er mit 2500 Frauen eine Beziehung gehabt haben. Was er grinsend verneint: „Mein Ghostwriter hat die Zahl etwas nach oben geschraubt, weil er glaubte, dass es besser für den Verkauf des Buchs sei.“
Năstases Ehefrau Nummer vier, Brigitte Szeifert, ist eine gebürtige Temeswarerin. Am 17. Juni 2013, einem Montag, kam das Hochzeitspaar um 17 Uhr in einer schwarzen Limousine am Temeswarer Rathaus an. Der langjährige Bürgermeister Nicolae Robu nahm die standesamtliche Trauung vor, die von Sicherheitspersonal streng abgeschirmt wurde. Anwesend waren zwanzig Personen, darunter die aus den USA angereiste ehemalige Turnkönigin Nadia Comăneci und Năstases Tennispartner Ion Țiriac. Zwei Jahre nach der Hochzeit starb Năstases Schwiegervater Emmerich Johann Szeifert mit 64 Jahren in Temeswar an einem Herzinfarkt. Er war Flugkapitän. Nach fünf Jahren Ehe ließ sich Ilie von seiner 30 Jahre jüngeren Frau Brigitte scheiden. Ihre Mutter und jüngste Schwester leben in Temeswar.
Landete Playboy Năstase früher einen Volltreffer nach dem anderen auf dem Tennisplatz, will er das jetzt noch ein letztes Mal außerhalb des Spielfeldes tun. Er denkt trotz seiner 75 Jahre an ein Kind mit seiner um 29 Jahre jüngeren fünften Ehefrau: „Wenn meine Kräfte es zulassen. Wenn nicht, werden wir eine andere Methode finden.“ Ilie Năstase wie er leibt und lebt. Bisher hat er vier leibliche und zwei adoptierte Kinder. Ob wohl noch eines hinzukommen wird? In der Lage dafür fühlt er sich: „Ich bin sehr stark, habe eine Superenergie und werde noch lange und gut leben. Ich denke daran, wo ich Urlaub machen werde, nicht über Testamente. An meine Kinder dachte ich diesbezüglich nicht, weil ich ihnen all das geboten habe, was sie benötigen. Ihnen fehlt es an nichts.“
Was ihm fehlt, ist ein Museum, in dem er all seine Trophäen ausstellen kann. „Ich möchte sie mit den Leuten teilen“, meint Nasty. Das wäre in der Tat eine großartige Sache. Weil er aus seiner langen und einzigartigen Karriere so manches vorzuweisen hat, das in Erinnerung bleiben sollte.
Sein früherer Partner Țiriac meint: „Ilie hätte ein Denkmal verdient. Er war der erste Spieler, der das Interesse der Menschen am Tennis aus dem Kreis der Tennisclubs hinaus in die Welt getragen hat. 10000 Menschen im Stadion liebten Ilie, 10000 Menschen hassten ihn. Ein Champion muss hörbar sein. Diese großen Persönlichkeiten fehlen dem Tennis.” Ein Denkmal wird Năstase auf jeden Fall haben. Es ist ein Geschenk seines Trauzeugen Ciprian Marica, dem ehemaligen Fußballprofi von Bundesligist VfB Stuttgart. Die Statue wird 2,25 Meter hoch sein. Es muss nur noch ein passender Platz gefunden werden.
„Aus Niederlagen lernt man leicht, schwieriger wird es aus Siegen zu lernen“, sagte der deutsche Politiker Gustav Stresemann. Năstase ist das gelungen. In diesem Sinne: Auf ein langes Leben! Man soll zwar niemals nie sagen. Aber: So eine Ikone wie den Tenniskünstler Ilie Năstase wird der rumänische Sport wahrscheinlich nie mehr haben.
Kommen Sie gut durch die Zeit!