zur Druckansicht

Der Tod hat viele Gesichter: Mors certa – hora incerta! Banater Schicksale aus drei Jahrhunderten (Teil 1)

Auf dem Friedhofstor von Sackelhausen steht: „Selig sind, die im Herrn entschlafen!“ Foto: Helmut Ritter, 1996

Inschrift am Tor zum Lenauheimer Friedhof Foto: Helmut Ritter, 1996

Maria Mayer beim Gräberbesuch auf dem Friedhof von Sanktanna. Foto: Helmut Ritter, 1996

Der Tod ist sicher, unsicher ist nur die Stunde! „Aller Menschen harrt der Tod, und keinen gibt’s auf Erden, der untrüglich weiß, ob ihn der nächste Morgen noch am Leben trifft“, schrieb der athenische Tragiker Euripides bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. Oft hörte Bischof Augustin Pacha (1870 Moritzfeld – 1954 Temeswar) von seiner Mutter folgende Äußerung: „Kinder, so arbeiten, als wenn man ewig leben müsste, und so beten, als wenn man gleich sterben sollte!“ Dieser inhaltsvolle Spruch geht auf Martin Luther zurück.

In ihrem Roman „Banat“ (1990) berichtet Martina Martin über den jungen Felix, der an Lungenentzündung erkrankt ist. „Muss ich jetzt sterben?“, fragt Felix den Arzt. Dieser antwortet: „Man stirbt nicht so leicht!“ Das entspricht nur bedingt der Wahrheit, zumal es sich um einen jungen Menschen handelt. Man kann durchaus aber auch eines plötzlichen Todes oder durch Unfall sterben. Wie heißt es doch im Volksmund: „Morgens rot – abends tot“. Auf dem Grabstein der im Alter von 25 Jahren plötzlich verstorbenen Anna Schlauch, geb. Tomansky, aus Jahrmarkt ist folgender Spruch zu lesen: „Am Morgen war ich frisch und rot/ Am Abend kam mir durch Unfall der Tod“. „Es ist ungewiss, wo uns der Tod erwartet; erwarten wir ihn überall“, so Michel de Montaigne (1533-1592).

Die Inschrift auf dem Grabstein der Katharina Zippel, geb. Hummel (gest. 1921 im Alter von 32 Jahren) aus Neubeschenowa lautet: „Die Lebenszeit ist unbestimmt/ Für alle hier auf Erden;/ Wann Gott der Herr die Seele nimmt,/ Kann nicht ermittelt werden.“

Franz von Kobell hat 1871 in oberbairischer Mundart die „G’schicht’ vom Brandner-Kasper“ verfasst. Der Kasper wird vom Tod besucht und da er noch nicht sterben wollte, macht er den Tod mit Schnaps betrunken und ergaunert sich zusätzliche Lebenszeit. Ich glaube kaum, dass Grösser Vetter Kloos aus Kleinomor die Geschichte vom Brandner-Kasper kannte, aber ich erinnere mich noch gut, dass er uns Kindern erzählte, wie er mit dem Trick mit der Rakiflasch dem Tod öfter von der Schippe gesprungen ist. Er hat sich nämlich im Bett ans Fußende gelegt und am Kopfende eine Rakiflasch platziert. Eines Tages scheint der „Klottjangl“, wie Vetter Kloos den Tod nannte, ihn völlig überrascht zu haben, denn er musste, kaum 69-jährig, mitgehen. Entweder hatte der Vetter Kloos damals keinen Schnaps im Haus oder aber der Tod wurde in der Zwischenzeit zum Antialkoholiker.

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich seiner Vergänglichkeit bewusst ist und seine Toten bestattet. „Memento mori! Denk an den Tod!“ Sterben und Tod, sie sind stets gegenwärtig in unserem Leben. „Das Geheimnis des Lebens und des Todes sind verschlossen in zwei Schatullen, von denen jede den Schlüssel zum Öffnen der anderen enthält“, so Mahatma Gandhi.

Sehr einfühlsam schreibt Ludwig Schwarz (1925 Dolatz – 1981 Bukarest) im „Dritti Buch vum Kaule-Baschtl“ über das Sterben, den Tod: „In die jungi Johre – wer denkt dann do ans End, ans Sterwe? Niemand, die Jugnd, die scheppt ausm Volle, es Lewe is ewich, saat se, un ment dermit aach es eigeni Lewe. Awer je älter daß mer werd, umso besser gsieht mers dann, daß es Lewe nor dorch des ewich is, weils immer neiches Lewe aus sich vorbringt, daß awer es alti Lewe iwer dem absterbt. Sterwe muß jo a jeder, geger des gibt’s nix, un doch, wann immer daß es passiert, es tut doch weh, weil des ewe etwas is, des wu mer net zuruckmache kann. De Anfang is ewich, es End nor a korze Iwergang. Lewe un Tod, es gheert zum Mensch wie Tach un Nacht zu dere Welt. Awer de Tod is doch net des Schrecklichi, des wu alles auslesche tut, nee, er is net des großi Nix, wie manchi behaupte, die ewichi Nacht. Er is, ja, so kummts mer vor, er is wie wann eener sei Wech geht, Johre um Johre, a Lewe lang, leicht un alert am Anfang, mit schweri, sicheri Schritte späternaus, dann a bißl gebuckt schun, awer noch immer fescht, noh were sei Schritt kerzer, bal brauch er de Stecker, un dann sitzt er sich an eem scheene Tach hin newer de Wech, ruht sich aus un loßt die anri weitergehn…“

Nutze die Zeit, genieße den Augenblick

Zwischen Geburt und Tod, zwischen den Eckpunkten des Daseins, liegt die eigene Zeit, die sich in der ersten Hälfte des Lebens schier unendlich hinzieht, in der zweiten Hälfte aber schmerzlich knapp erscheint. Das Leben ist für die Jugend eine lange Zukunft, für die Alten aber eine kurze Vergangenheit. Das Leben ist immer nur jetzt und wir können unser Leben nur einmal leben. Nichts auf der Welt gehört uns wirklich, nur die Zeit – unsere Zeit! Darum: „Carpe diem!“ – „Nutze den Tag!“ 

Im Gedicht „Schattenhascherei“ des Banater Heimatdichters Peter Jung (1887-1966) aus Hatzfeld heißt es: „Alles, alles nimmt ein Ende/ Was auf Erden blüht in Pracht,/ Eitel ist hier jede Spende,/ Die dir kurze Zeit gelacht“. Auf dem Grabstein der Theresia Engelhardt (1882-1961) aus Aradsanktmartin ist der Spruch zu lesen: „Wie kurz ist die Zeit!/ In Sorgen und in Leid./ Der Mensch ist wie ein Licht,/ Er war und auch nicht.“

So paradox es auch klingt, gerade weil unser Leben zeitlich begrenzt ist, verleiht es unserem Dasein Bedeutung und Sinn. Das Bewusstsein unserer Vergänglichkeit mahnt uns, jeden Augenblick unseres Seins so intensiv wie nur möglich zu durchleben. Es kommt im Grunde gar nicht so sehr darauf an, dem Leben Jahre zu geben, sondern vielmehr den Jahren Leben! Ohne zeitliche Grenze würde das Leben jede Spannung verlieren, alles verliefe in Endlosschleifen.

In einem Begräbnislied aus den drei Schwestergemeinden Sankthubert/Charleville/Soltur heißt es: „Alle Menschen müssen sterben/ Und werden dem Tod zum Raub.“ Das predigte auch der Pfarrer im Gottesdienst in der Kirche. Da rief der Vetter Sepp: „Des stimmt net, Herr Pfarrer, de Weber Matz is net gstorb, der is in de Brunne ghuppst“. Eine ehrliche, wenn auch naive Vorstellung des Vetter Matz über das Sterben und den Tod. 

Wir werden in unserer Beitragsreihe, trotz der ernsten Thematik, stets auch Anekdotisches bringen, falls dies sich anbietet. Vom irischen Schriftsteller George Bernard Shaw stammt folgende Weisheit: „Das Leben hört nicht auf, komisch zu sein, wenn Leute sterben, sowenig es aufhört ernst zu sein, wenn Leute lachen!“

Der Tod steht gewöhnlich als natürlicher Abschluss des Alters, der letzten Phase eines langen Lebens. Es gibt alte Menschen, die wollen gar nicht mehr leben, sie sehnen resigniert den Tod herbei. Von solchen Menschen sagt man, dass sie lebensmüde wären und dass sie sich aufgegeben und ihren Lebensmut verloren hätten. 

Margarete Müller aus Uiwar (sie stammte aus Johannisfeld) sagte im Gespräch mit Walther Konschitzky: „Ja, endlich muss es Lewe jo aa ufheere, net? (…) Mir leije do im Bett un warte, un warte. Uf de Tod. Weider han mir doch nix mehr zu warte“. (Dem Alter die Ehr, Neuer Weg, 1973)

Der Tod kennt aber keinen Kalender, denn auch junge Menschen sterben. Wie heißt es doch so treffend: „An die Reih kummt mol a jedr/ Eener frieher, der aner spätr“. Und: „Umesunscht uf dere Welt is nor de Tod – un der koscht’s Lewe!“

Das Leben ist ein Weg und irgendwann ist dieser zu Ende. Jeder Moment des Lebens bringt uns dem Tod näher. Und jeder stirbt für sich allein! Es heißt doch, dass der Tod zum Leben gehört wie die Nacht zum Tag. Aber stimmt das, ist dem auch so? Wir sind da anderer Meinung: Nicht der Tod gehört zum Leben, sondern das Sterben. Wenn der Tod eintritt, so ist das Leben schon vorbei – der Tod ist also bereits jenseits unserer Existenz. Das Sterben beendet das SEIN, der Tod ist bereits NICHTSEIN! Im Gedicht „Abschied“ des Bauerndichters Jakob Hirsch aus Kleinschemlak (geb. 1915, im Zweiten Weltkrieg gefallen) heißt es: „Vom Tageslicht geblendet,/ Sink ich in finstre Nacht,/ Denn wo das Leben endet,/ Dort hat der Tod die Macht.“

Für den Philosophen Martin Heidegger war der Tod Grenze und Abbruch des Lebens. Für den Banater Lyriker Klaus Günther (1921 Altbeba -1982 Schorndorf) ist „der Tod eine weise Lehre, die von Vergänglichkeit befreit, der erste Tropfen aus dem Meere der Ewigkeit“.

Das weiße, imposante Marmorkreuz des Apothekers Julius von Bierbaum auf dem Lenauheimer Friedhof trägt sein Wappen und das Motto: „Vergänglich ist was lebt, nur die Todten dauern ewig“. 

Der Tod ist im hohen Alter kein Schicksalsschlag, er ist der natürliche Lauf des Lebens. Jedes Leben findet irgendwann ein Ende. „Sterben kann nicht so schwer sein – bisher hat es noch jeder geschafft“, so der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer. Als Zeichen der Sterblichkeit und Vergänglichkeit erteilte der Priester bei uns im Banat den Gläubigen an Aschermittwoch das Aschenkreuz mit den Worten: Gedenke, Mensch, dass du aus Staub bist und wieder zu Staub werden wirst.

Was den Tod betrifft, schreibt der eng mit seiner Heimat Steiermark verbundene Schriftsteller Peter Rosegger: „Es gibt keinen Schall auf Erden, der das Menschenherz so eigen erschüttert, als der Hammerschlag auf den Sargnagel.“

Nach dem Ableben eines Familienangehörigen wurde Totenwache gehalten und dem Dahingeschiedenen wurde sogar die Ehre zuteil, im „Paradizimmer“ aufgebahrt zu werden, welches er im Leben nur selten betreten hat. Von einem Verstorbenen hieß es im Banat, dass er die „Aue for immer zugemacht“ oder de „Leffl abgeleet“ hat. Oder aber sagte man, dass er „ins Gras gebissen“ beziehungsweise „for immer Feierowed un ausgsorcht“ hätte.

Glaube – Hoffnung – Erinnerung 

Die Banater Schwaben sind Christen und der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele ist bei vielen vorhanden. In Grabinschriften auf Banater Friedhöfen kommt die Hoffnung auf Auferstehung und der Wunsch der Lebenden zum Ausdruck, einst mit den Verstorbenen wieder vereinigt zu werden, wie zum Beispiel: „Trennung ist unser Los,/ Wiedersehen unsere Hoffnung“ oder „Gottes Wille ist geschehen,/ Unser Trost ist Wiedersehen“.

Die Grabsteininschrift des Karl Huck (1951-1952) aus Schöndorf lautet: „Die Klage schweigt/ Der Glaube spricht/ Das Grab trennt uns auf ewig nicht“. Und auf dem Grabstein der Eheleute Peter und Eva Bieber aus Lenauheim ist folgender Spruch verzeichnet: „Ruhe sanft! Und schlaf in Frieden/ Ewig sind wir nicht geschieden,/ Dort oben in den Himmelshöhn/ Werden wir uns wiedersehn“.

Der christliche Glaube an ein ewiges Leben nach dem Tode kommt auch im Grabspruch der Notre-Dame-Schulschwester Maria Stephana Mannes auf dem Innerstädtischen Friedhof in Temeswar zum Ausdruck: „Die Zuversicht der Christen ist die Auferstehung der Toten“.

Es gibt Völker, wie zum Beispiel die Aleuten (Bewohner der gleichnamigen Inselgruppe zwischen Alaska und Russland), die keine Worte für Sterben und Tod haben, sondern nur „Ende des Besuches“ dafür sagen. Wir sind also nur Gäste auf Erden! Auf dem Sarkophag eines Habsburgerkaisers steht zu lesen: „Der Welt geliehen worden – dem Himmel zurückgegeben“.

Das Jenseits ist ein Begriff, um den sich Legenden ranken, ein Wort, das wie kaum ein anderes Sehnsucht und Ablehnung zugleich hervorruft. Wie dem auch sei, Fakt ist, dass wir in der Erinnerung weiterleben, denn wirklich tot ist nur, wer vergessen wird.

„Wenn Du bei Nacht in den Himmel schaust, wird es Dir sein, als leuchten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne. (...) Und wenn Du Dich getröstet hast, wirst Du froh sein, mich gekannt zu haben.“ Dieses Zitat aus „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry wird oft auf Todesanzeigen abgedruckt und tröstet über den Verlust eines geliebten Menschen hinweg.

In der Regel ist die Todesursache auf Grabsteinen oder sonstigen Grabzeichen nicht angegeben. Vereinzelt enthalten die Grabinschriften aber auch die Todesumstände der Verstorbenen, wie zum Beispiel bei Johann Rudl (gest. 1915 im 7. Lebensjahr) aus Engelsbrunn: „Des Flusses Wellen große Macht/ Hat dir früh den Tod gebracht“ oder bei Mathias Reiszer (gest. 1920, 29 Jahre alt) aus Dolatz: „Durch einen Nagel trit/ so einen Bitt´ren Tod erlit“.

Gewaltsam wurde vor gut hundert Jahren dem Leben von Hans Bosch aus Großjetscha ein Ende bereitet, was auch auf seinem Grabstein verzeichnet ist: „Hans Bosch, 26 Jahre alt, ermordet durch Meuchelmörder am 30. Oktober 1920“.

Selbstverständlich können wir nur einen Bruchteil der tragischen Schicksale, die im Laufe der Zeit im Banat geschehen sind, in unserer Artikelserie aufnehmen und diesbezüglich nur eloquente Fallbeispiele bringen. Schicksalsschläge, die sich nicht im Banat ereignet haben (Kriegsopfer ausgenommen) und Sterbefälle, die durch Krankheiten verursacht wurden, werden in unserer Dokumentation nicht berücksichtigt.

Wir möchten unsere Gedanken über das Leben, Sterben und den Tod mit der zweiten Strophe des Gedichts „Die Johre falle…“ von Nikolaus Engelmann (1908-2005) aus Warjasch beenden: „Un wie des Johr, so is’s Lewe aa:/ Grad mennst, ’s hätt gebliet, getraa,/ Fallt dr Herbst ins Haus, die kaldi Zeit./ Un aus de Wolke schaut die Ewichkeit“. Und ewig ist so lang…