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„Erinnerung an vergangenes Leid wachhalten“

Das neue Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin © Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, Foto: Markus Gröteke

Blick in die Ständige Ausstellung. © Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung, Foto: Markus Gröteke

Zur Eröffnung des Dokumentationszentrums der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hat Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Ursachen millionenfach erlittener Schicksale erinnert. „Ohne den von Deutschland im Nationalsozialismus über Europa und die Welt gebrachten Terror, ohne den von Deutschland im Nationalsozialismus begangenen Zivilisationsbruch der Schoah und ohne den von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg wäre es nicht dazu gekommen, dass zum Ende des Zweiten Weltkriegs und danach Millionen Deutsche Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung erleiden mussten“, sagte die CDU-Politikerin am 21. Juni in Berlin.

Mit dem Zentrum werde „eine Lücke in unserer Geschichtsaufarbeitung“ geschlossen. „Über dieses Zentrum wurde lange und intensiv diskutiert in Deutschland, aber auch mit unseren Partnern in Europa“, sagte Merkel, die per Video zu der Feierstunde zugeschaltet war. Umso mehr freue sie das Kommen der Botschafter Polens, Tschechiens und Ungarns.
Über Jahre hinweg wurde teils erbittert debattiert, wie stark das Schicksal der deutschen Vertriebenen im Mittelpunkt stehen sollte. Vor allem in Polen gab es Befürchtungen, die Deutschen könnten sich selbst zu Opfern machen und von ihrer Schuld in der Nazi-Zeit ablenken. „Um eine gute Zukunft gestalten zu können, müssen wir die Erinnerung an vergangenes Leid wachhalten“, sagte Merkel. Dabei sei es „von entscheidender Bedeutung, dass die Vertreibungsgeschichte der Deutschen in ihrem historischen Kontext von Ursache und Folgen eingebettet und nicht isoliert dargestellt wird“. Das Zentrum sieht sich als Teil einer neuen Erinnerungslandschaft. 

Nach den Worten von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) stellt sich Deutschland mit dem Zentrum einer „lange zu wenig wahrgenommenen historischen Wahrheit: dem unermesslichen und millionenfachen Leid infolge von Flucht und Vertreibung im und nach dem von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg“. Viele Jahre sei um eine angemessene Form des Gedenkens gerungen worden, „teils erbittert gestritten“, sagte Grütters. Für sie ist es Teil der Identität Europas, dass unterschiedliche Erinnerungen an das wechselvolle 20. Jahrhundert um Gehör und Anerkennung ringen.

Für Gundula Bavendamm, Direktorin des Zentrums, ist es zentrales Anliegen, „die Erfahrungen von zig Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen im 20. Jahrhundert, aber eben auch bis heute, greifbar zu machen und ungeachtet ihrer Nationalität Empathie für diese Menschen zu wecken“. Eine solche Darstellung benötige ein tragfähiges und auch unmissverständliches Konzept.

In dem für 63 Millionen Euro sanierten Deutschlandhaus nahe dem Potsdamer Platz stehen für ständige Ausstellung, Wechselpräsentationen, Lesesaal und Forschungsbereiche mehr als 5000 Quadratmeter zur Verfügung. Die zweiteilige Dauerausstellung präsentiert im ersten Obergeschoss eine europäische Geschichte der Zwangsmigrationen anhand zahlreicher Beispiele aus dem 20. Jahrhundert bis heute. Im zweiten Obergeschoss geht es vertiefend um Flucht und Vertreibung von Millionen Deutschen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg als Folge der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik. Ingesamt sind rund 700 Exponate zu sehen.

„Ohne die nationalsozialistischen Vertreibungen und Vernichtungspolitik hätten nicht 14 Millionen Deutsche durch Flucht und Vertreibung ihre Heimat verloren“, sagte Bavendamm. „Das ändert allerdings gar nichts daran, dass auch ihre Vertreibung durch die Alliierten und die ostmitteleuropäischen Staaten in Folge des Zweiten Weltkrieges ein Unrecht war.“

Unter den Gästen des Festaktes, der wegen der Corona-Pandemie in kleinem Rahmen stattfand, befanden sich auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck und der frühere Kulturstaatsminister Bernd Neumann. 

Am 23. Juni öffnete das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung in der Stresemannstraße 90 in Berlin für das Publikum. Der Eintritt ist frei.