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Entheimatung durch Zwangsumsiedlung

Ausschnitt aus dem Baragan-Bericht von Emma Strâmbei mit dem Foto der jungen Familie vor der Erdhütte, ein Bild, das in mehrere Bücher und Ausstellungen aufgenommen wurde.

Kopie einer Personalakte (hier Vorderseite) der umgesiedelten Keglewitscher Familie Marschang. Aufschlussreiche handschriftlich eingefügte Angaben finden sich auf vielen Karteikarten zum enteigneten Vermögen der Landwirte oder zu besonderen Ereignissen der Betroffenen, wie Flucht vor der Roten Armee und Rückkehr nach Kriegsende.

Auszug aus der Strafakte der Elisabeth R. (Vorderseite) mit Angaben zu dem ihr zur Last gelegten „Vergehen“ und dem Strafmaß.

Als die Deportation in die dünn besiedelte Baragan-Steppe geplant und als vorgegebener Parteiauftrag vom höchsten Parteiplenum 1949 zur Verwirklichung der Diktatur des Proletariats im Frühsommer 1951 durchgeführt wurde, zählte der relativ kleine Banater Grenzort Keglewitsch, auch Keglewitschhausen, rumänisch Cheglevici(u), knapp über 1000 Einwohner. Davon waren annähernd 610 Deutsche (bei insgesamt 660 römischen und 150 griechischen Katholiken sowie 260 Orthodoxen). Die Verluste der Ortsbevölkerung durch den Zweiten Weltkrieg und die Deportation in die Sowjetunion im Januar 1945 hatten sich statistisch ausgeglichen durch den Zuzug beziehungsweise die staatliche Zuweisung von „refugiaţi“ (Flüchtlinge), die sich 1944 vor der Roten Armee ins Innere Rumäniens abgesetzt hatten und nicht zurück wollten nach Bessarabien oder in die nördliche Bukowina, in die Nachkriegs-Sowjetunion. Die Abgelegenheit, der entfernte Bahnhof im Nachbarort Alt-beschenowa (11 Kilometer), besonders aber die Restriktionen der Grenzzone in der kommunistischen Zeit führten ununterbrochen zu Abwanderungen aus dem Dorf, so dass beim Zensus des Jahres 2002 nur noch 566 Bewohner hier ihren festen Wohnsitz hatten.

Die Aktion zur Bekämpfung aller potenziellen Klassenfeinde in der Grenzregion zum damaligen Jugoslawien und im Falle Keglewitsch auch zu Ungarn betraf in dieser Gemeinde im Wesentlichen vier Personengruppen: wohlhabende Land- und Gastwirte („chiaburi“), aus Bessarabien geflüchtete rumänische Familien, frühere Angehörige deutscher Wehrmachtsverbände und sogenannte Ausländer beziehungsweise Personen mit Verwandten im Ausland. Bei Letzteren handelte es sich hier um eingeheiratete Ehepartner aus den benachbarten Orten (unmittelbare Grenze gab beziehungsweise gibt es zu Ungarn) der Nachbarländer, wie im Falle der Familie Balthasar. Sie waren aber alle rumänische Staatsbürger. So kam es, dass aus dem Dorf verhältnismäßig viele ungarische Familien zwangsumgesiedelt wurden. Alteingesessene rumänische Familien der Gemeinde waren nicht betroffen, alle 14 rumänischen Baragan-Familien stammten aus Bessarabien, dem heutigen Moldawien. Die wenigen ehemaligen Wehrmachtsangehörigen, die meist illegal ins Land zurückgekehrt waren, wurden alle einfach unter „SS“ in den Begleitpapieren geführt, die in der Deportation angelegt und vor kurzer Zeit aus Bukarester Archivbeständen (CNSAS) frei ins Internet gestellt wurden. 

Den Hauptanteil der Entheimateten machte hier laut Personal-Strafakten – es war eine politische Strafaktion als wichtiger Teil des Klassenkampfes – wie allerorts die „C“-Gruppe aus, die Ausbeuter (Abkürzung für „chiabur“, Lehnwort aus dem Türkischen für wohlhabende Leute). In den erhaltenen vorgedruckten Personalakten ist für sie im oberen Abschnitt in der Rubrik „Categoria“ das große C eingetragen. So wurden die besten und fleißigsten Bauern über Nacht zu Feinden, Ausbeutern oder gar Verbrechern und staatsgefährlichen Personen abgestempelt. Besonders schwer getroffen wurden im Banat dadurch die schon infolge der Kriegsereignisse geschwächten schwäbischen, aber auch die wenigen katholischen bulgarischen und kroatischen Gemeinschaften. Als gesetzliche Grundlage für das Zwangsdomizil (D.O. im Personalausweis) wird die „Decizie 200“ des damaligen Innenministeriums (M.A.I.) in den Karteien angeführt beziehungsweise der Ministerratsbeschluss H.C.M. 200/1951. Das machte den Unterschied aus zu späteren Verurteilten mit Zwangsaufenthalt, für die es sich um eine zusätzliche Strafe handelte nach der Entlassung aus den Gefängnissen. Beispielsweise die bekannte Gruppe siebenbürgisch-sächsischer Schriftsteller.

Es ist dem inzwischen verstorbenen Diplomingenieur Silviu Sarafolean, der mit seiner Familie aus Großkomlosch deportiert worden war, zu verdanken, dass wir heute ein monumentales Werk vorliegen haben mit den 9926 deportierten Familien (aus rund 300 Ortschaften) mit fast allen ihren Angehörigen (30181 Namen). Bisher ist in den wenigen deutschen Veröffentlichungen zum Thema in Verbindung mit Keglewitsch beispielsweise nur zu lesen, dass „viele“ Leute aus dem Ort fünf Jahre als Zwangsarbeiter im Baragan unter extrem schwierigen Bedingungen leben mussten. Siehe beispielsweise Band 5 „Das Banat und die Banater Schwaben – Städte und Dörfer“, München 2011, S. 302-303. Keglewichhausen wird da von Johann Huller aufgrund der Chronik von Johann Rieß, Bukarest 1994, kurz und treffend vorgestellt.

Feinde: Ungeziefer, Unkraut

Der staatliche, nicht gerechtfertigte Zwang unterschiedlicher Art als Strafmittel – Zwangsumsiedlung, Zwangsaufenthalt in begrenztem Raum, Zwangsarbeit, Zwangsausweisung, Zwangsinternierung – steht in diesen Jahren symbolhaft für die stalinistische Repression im allgemeinen Klassenkampf.

Als eine der Hauptursachen wird bisher in der Forschung stets der innerkommunistische Konflikt mit dem abtrünnigen Staats- und Parteiführer Tito angeführt. Der war nur das auslösende zeitliche Moment. Die Massenaktion Baragan-Verschleppung ist vom Zweck und der Art der Durchführung in eine Kette einzuordnen mit den sowjetischen Vernichtungs- und Strafmaßnahmen gegen die „Kulaken“ (Synonym für „chiaburi“) und „Unterkulaken“ (Podkulaschniki) sowie mit den Klassenkampf-Deportationen in Ungarn (der Befehl kam in der gleichen Nacht wie in Rumänien) und mit den gewaltsamen staatspolitischen Säuberungsaktionen in den Grenzgebieten der damaligen DDR zu Westdeutschland, die dort die vielsagenden Stasi-Tarnnamen „Ungeziefer“ und „Kornblumen“ (für Unkraut) trugen. 

Ein besonderes Dorf

Die Gründung und Entwicklung des Dorfes Keglewitschhausen stellen im historischen Banater Raum eine Besonderheit dar. Es handelte sich nicht nur um eine späte Tochtersiedlung – davon gab es mehrere, bekannter die sogenannten staatlichen Kontraktualgemeinden –, sondern auch um eine Binnensiedlung aus dem Jahr 1843-1844 auf Privatgrund und aus Initiative eines Adeligen, nach dem der Ort heute noch in leichter Abwandlung den Namen trägt. Dr. med. Erich Lammert (1912-1997) vermerkte in seinen Ortskarteien aus Perjamoscher Zeit dazu unter anderem: Kameraladministrator Gabriel „Graf Keglevich besiedelte die Pusta Cervena media 1844 mit Deutschen aus Marienfeld, Deutschtschanad, Groß-Sanktnikolaus, Alt-Beba, Triebswetter, Albrechtsflor, einige kamen aus der Batschka.“

Durch diese jungen Gründerfamilien bewahrten sich viele Verbindungen zu den Herkunftsorten. Beispielsweise kam der erste und langjährige Grundschullehrer Johannes Kreuter aus Marienfeld, der allein 109 Schüler unterrichtete von 129 schulfähigen Kindern im Schuljahr 1853/54. Eine weitere Besonderheit lag darin, dass einige Siedlerfamilien bald nach der Ortsgründung und den nachrevolutionären 48er-Gesetzen frei Feld ankaufen konnten. Dadurch und dank guter Bewirtschaftung schafften es mehrere Grundwirte zu beachtlichem Feldbesitz, so dass in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Dutzend in den rumänischen Steuerunterlagen als „Gutsbesitzer“ geführt wurden. Bei 330 Häusern gehörten im Jahr 1930 laut Ioan Lotreanu über 2000 Joch Feld zur Dorfgemarkung. Die Namen der Großbauern finden sich dann trotz Totalenteignung im März 1945 teils auf den Deportationslisten von 1951 wieder, wie beispielsweise die Baier (Bayer), Lenhardt oder Marschang. 

Die Gemeinde hatte sich relativ rasch zu den wohlhabenden im Banat entwickelt, mit einem neuen Schulgebäude aus dem Jahr 1850, einer Filiale der Banater Schwäbischen Zentralbank, der 1906 erbauten katholischen Kirche, einem Kindergarten, Leseverein und Sportklub, einer Jagdgesellschaft, Freiwilligen Feuerwehr, zwei Musikkapellen, vier Gemischtwarenläden (Inhaber Johann Esperschied, Peter Kühn, Anton Sterbling, Peter Zenser), zwei Gastwirtschaften (Johann Gräbeldinger, Johann Stimpl) u.a.

Es soll hier nicht auf allgemein gültige und bekannte Ereignisse zur Durchführung der Verschleppung und zum Alltagsleben eingegangen werden, dazu gibt es bereits ein Dutzend Erinnerungsbände und es gab mehrere große Wanderausstellungen, auch eine der Banater Landsmannschaft. Für Keglewitsch gibt es beispielsweise den erschütternden illustrierten Bericht der Familie Emma (geborene Barbeck) und Ing. Ioan Strâmbei, deren erste Tochter (Lore) 1953 in einer Erdhütte geboren wurde (in: „Neue Banater Zeitung“ vom 17./18. März 1990, Seite 5). 

Anhand von Erläuterungen zu staatlichen Unterlagen sei beispielhaft auf besondere Einzelschicksale aus dem Dorf verwiesen, wie auf die Internierung der umgesiedelten Elisabeth R., geborene Eberhardt aus Alt-Beba, die nach Keglewitsch geheiratet hatte. Die mitumgesiedelte Großmutter aus der Kleinterminer Familie Lenhardt (verheiratete Fassl) ist im Baragan verstorben, sie wurde in den 60er Jahren exhumiert und im Familiengrab beigesetzt. Elisabeth Eberhardt hatte in Hermannstadt vier Jahre die Pädagogische Ursulinen-Klosterschule besucht. 

Ohne Prozess und Urteil – es reichte das Internierungsprotokoll 661/1952 der Miliz – wurde Elisabeth R. aus dem neuen Baragan-Dorf Feteştii Noi für 24 Monate (Juli 1952 bis Juli 1954) in verschiedene Gefängnisse gesteckt. Das Vergehen: Sie war auf einem Markt wenige Kilometer außerhalb der D.O.-Sperrzone von der Miliz beim Versuch erwischt worden (siehe Ausschnitt aus der Vorderseite der Gefängnisakte), ein Zuchtferkel zu kaufen. In den fast zwei Jahren Zuchthaus musste die 33-jährige Ehefrau den bitteren Weg durch die berüchtigsten Frauengefängnisse erleiden (Popeşti-Leordeni, Rahova 3, Pipera, Dumbrăveni, Einträge auf der Rückseite der Personalakte), was zu einer schweren Erkrankung und die Einlieferung in das Gefängniskrankenhaus Văcăreşti führte. Das war wohl mit ein Grund für die etwas frühere Entlassung im Februar 1954, die noch vor der Amnestie im Mai des selben Jahres erfolgt war.

Zum D.O.-Familiendokument Marschang siehe die abgebildete Kopie. Darauf ist unter anderem festgehalten, dass Anton M., Sohn von Karoline und Georg, 1915 geboren war. Er besaß vor der Enteignung 31,32 ha Feld, einen Traktor, eine Sämaschine sowie weiteres landwirtschaftliches Gerät, 30 Schweine, vier Kühe, vier Pferde und hatte ständig zwei Knechte/Mägde „ausgebeutet“. Politisch war Marschang in der Volksgruppe tätig als stellvertretender Ortsgruppenleiter. Im Oktober 1944 flüchtete der Landwirt mit den abziehenden deutschen Truppen bis nach Österreich, kehrte dann am 18. Juni 1945 mit einem Teil der Familie nach Keglewitsch zurück. Seine Mutter und Schwester wanderten nach Amerika aus. Der Deportierte war nicht vorbestraft, im Baragan war er am 18. Juni angekommen und in die Ortschaft Feteşti zugeteilt worden.